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Veröffentlicht am 01.04.2020

Nur ein Flügelschlag ins Verderben

Palast der Miserablen
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„Nach diesem neuen Krieg gaben wir vollends die Hoffnung auf, es würde sich jemals etwas ändern oder gar verbessern. Wir wollten nicht mehr, wir konnten nicht mehr und waren einfach müde. Ein ...

„Nach diesem neuen Krieg gaben wir vollends die Hoffnung auf, es würde sich jemals etwas ändern oder gar verbessern. Wir wollten nicht mehr, wir konnten nicht mehr und waren einfach müde. Ein guter Tag für uns war einer, an dem die Dinge nicht schlimmer wurden, als sie es ohnehin bereits waren.“

Inhalt

Shams Hussein zieht mit seiner Familie von einem kleinen Dorf im Süden des Irak nach Bagdad. Der Vater möchte dort neu anfangen und sucht nach Perspektiven. Allerdings zeigt sich bald, dass nur die wohlhabenden Menschen eine Wahlmöglichkeit haben, für seine Familie endet der Traum alsbald im „Blechviertel“ – einer üblen Wohngegend, in dem jeder ums tägliche Überleben kämpft und mit Krallen sein Hab und Gut verteidigen muss. Shams und seine ältere Schwester Qamer müssen nach der Schule diverse Arbeiten erledigen, um den Lebensunterhalt mitzufinanzieren.

Dennoch gelingt es ihnen, dass beste aus der Situation zu machen. Als Jugendlicher findet Shams schließlich zu eine Gruppe Gebildeter, die sich in Privaträumen treffen und sich „Der Palst der Miserablen“ nennen. Dort erfährt er erstmals von Kunst und Literatur, die über das staatliche Reglement verfügbar ist, wenn auch illegal. Gemeinsam mit seinem Cousin, ebenfalls Mitglied der Gruppe, wagt er sich daran, verbotene Schriften zu verkaufen. Doch als eine der Mitgliederinnen ermordet wird, und sich zwei andere abseilen, zerfällt das wöchentliche Treffen und die Zurückgebliebenen, kämpfen abermals gegen Windmühlen.

Shams beschließt, sich nun ausschließlich seinen Abiturprüfungen zu widmen, um irgendwann der Heimat den Rücken kehren zu können, doch nur ein falscher Flügelschlag führt ihn ins Verderben, aus dem es unter der politischen Gewaltherrschaft Saddam Husseins kein Entrinnen mehr gibt.

Meinung

Die Hoffnung auf ein friedliches Leben ist die große Thematik der Romane von Abbas Khider, einem irakischen Autor, der selbst wegen politischer Aktivitäten verhaftet wurde und aus dem Gefängnis fliehen musste. Insofern merkt man der Lektüre an, wie schwer es sein kann, einfach nur ein normales Leben zu führen, wenn die Umstände vor der Haustür nach Rache, Vergeltung und Krieg schreien und es überhaupt keine Rolle spielt, wie wenig man als Individuum mit all dem zu tun haben möchte.

Sehr informativ und abwechslungsreich gestaltet er seinen aktuellen Roman. Ein Buch über das Erwachsenwerden unter der Gewaltherrschaft Saddam Husseins und der Ungleichheit der Bevölkerung innerhalb des eigenen Landes. Er schneidet dabei viele Probleme an, angefangen bei Armut, weiter zu fehlender Bildung und religiösem Fanatismus, bis hin zu ganz normalen Wünschen und Träumen eines Teenagers, der seinen Platz in der Welt sucht.

Besonders gut gefallen hat mir die Innensicht der Familie, die trotz schwerer Zeiten, miserabler Lebensumstände und persönlicher Fehlentscheidungen dennoch immer zusammengehalten hat, Eltern die sich zugewandt sind und die Eigenheiten des anderen akzeptieren, Geschwister, die füreinander einstehen und sich den Rücken frei halten und Liebe sowie Offenheit auch in Situationen, wo andere Familien auseinanderbrechen, weil sie dem äußeren Druck nicht gewachsen sind.

Gleichzeitig wird aber auch deutlich, wie schnell man durch persönliche Zuneigung ins Fadenkreuz der gesellschaftlichen Akzeptanz rücken kann, wie willkürlich das System an sich ist und wie radikal die exekutive Ausrichtung: Menschen verschwinden und tauchen nie wieder auf, Morde werden als Selbstmorde vertuscht und selbst das große Geld hilft nicht, die Willkür des Staates außer Kraft zu setzen. Letztlich zersetzt sich der Staat von innen, weil keiner einen Sinn und Zweck in dem Gemeinschaftskonstrukt sieht, in dem ein kleines Vergehen, derart hohe Wellen schlägt, während organisierter Mord anstandslos hingenommen wird. Wer fliehen kann, tut das, wer nicht muss untergehen …

Fazit

Ich vergebe 4 Lesesterne für diesen bedrückenden Roman, der aus Innensicht eines Heranwachsenden geschrieben wurde und nicht nur die Armut und das Leid der Bevölkerung aufgreift sondern ihren Alltag abbildet. Zwar ist die Geschichte insgesamt etwas handlungsarm und formuliert keine allgemeingültige Aussage, sie wirkt fast biografisch, denn Shams hat die Rolle des omnipotenten Erzählers inne, der nur wenig andere Perspektiven zulässt, der nur sein Leid und die familiären Sorgen erörtert. Doch Vieles ist gerade durch die Nähe zu den Betroffenen spürbar.

Außerdem bereitet es dem Leser keine Probleme vom Einzelschicksal eines Jungen, auf die verfahrene Situation eines ganzen Volkes zu schließen. Die Schicksale werden einander ähneln, sind geprägt von Gewalt und Denunziation, vom alltäglichen Kampf und dem verzweifelten Hilferuf nach einem Ausweg, wie auch immer der aussehen mag. Insgesamt ein lesenswerter Gesellschaftsroman über die Strukturen eines Gewaltregimes und seine innere Zerstörungskraft – hat mir gefallen.

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Veröffentlicht am 24.03.2020

Dem Helfen verpflichtet

Das Haus der Frauen
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Sinn – das ist es, was Solène hinter den Mauern des Palastes findet. Sie fühlt sich als nützliches Mitglied der Gemeinschaft. Sie muss sich nicht rechtfertigen, es ist unwichtig, ob sie in einem ...

Sinn – das ist es, was Solène hinter den Mauern des Palastes findet. Sie fühlt sich als nützliches Mitglied der Gemeinschaft. Sie muss sich nicht rechtfertigen, es ist unwichtig, ob sie in einem schicken Viertel lebt oder nicht. Sie ist da. Und das zählt am Ende.“

Inhalt

Für Solène, erfolgreiche Anwältin, ist es nach dem Selbstmord eines Mandanten, den sie direkt miterleben musste, undenkbar, ohne Weiteres in ihren Beruf zurückzukehren. Stattdessen sieht sie sich mit der Diagnose Burn-Out gezwungen ihren Job an den Nagel zu hängen. Um ihre seelische Krise zu überwinden, bewirbt sie sich auf eine Stellenanzeige, in der ein „öffentlicher Schreiber“ für ein Pariser Frauenwohnheim gesucht wird. Ihre Aufgabe besteht darin, für die Bewohnerinnen des Hauses ein Sprachrohr zu sein und in ihrem Auftrag Briefe und Botschaften zu verfassen, um sie diversen Empfängern zukommen zu lassen. Ihre wöchentliche Sprechstunde findet zunächst wenig Anklang, denn alle Frauen dort tragen ein gewaltiges Päckchen an emotionalen Tiefschlägen mit sich herum und sind nicht gewillt, Solène tiefe Einblicke zu gewähren. Doch die Bewohnerinnen spüren, dass es die Anwältin ernst meint und selbst nicht so taff und unnahbar ist, wie sie zunächst vermuteten. Schon bald ist sie ein fester Bestandteil der Frauengemeinschaft und überwindet mit deren Unterstützung auch ihre private Krise. Und mehr und mehr kristallisiert sich ihr Wunsch für die Zukunft heraus: sie möchte wieder schreiben, so wie einst in ihrer Jugend, doch diesmal wird Blanche Peyron und ihr Engagement für den Bau des Palastes der Frauen der Inhalt des Buches werden, jener Patronin, die bereits 1925 mit eisernem Willen und immenser Schaffenskraft ein zentrales Pariser Gebäude umbauen lies, um hunderten hilfsbedürftigen Frauen ein Obdach in ihrer Armut zu bieten …

Meinung

Dieser Roman von Laetitia Colombani widmet sich in seinem Kern zwei Geschichten – zum einen ist es eine Hommage an die Initiatorin des Palastes der Frauen, die ein überzeugtes Mitglied der Heilsarmee war und sich schließlich an deren Spitze kämpfte, um unter widrigsten Umständen dieses Frauenschutzhaus zu etablieren, zum anderen ist es die Erzählung einer Gegenwartshandlung, die den Wert dieser sozialen Einrichtung nicht darauf beschränkt, Bedürftigen Hilfe zukommen zu lassen, sondern für ein Mehr an Solidarität und Aufmerksamkeit gegenüber den Schwachen der Gesellschaft steht.

Die Autorin beschreibt abwechselnd die beiden Handlungsstränge und führt sie am Ende wunderbar zusammen, so das ein glaubwürdiger, griffiger Roman entsteht, der über zwei starke Frauenfiguren und ihre persönlichen Herausforderungen berichtet und sie trotz der Tatsache, dass sie sich nicht kannten, zwei Seelen mit dem gleichen Ziel vereint: erkennen, wahrnehmen, helfen.

Der Schreibstil ist sehr flüssig und leicht lesbar, inhaltlich und thematisch trotz der schweren Thematik auch ein Wohlfühlroman, weil er die starke Seite der Frauen in ihrer Allgemeinheit betont und jeder einzelnen Seele eine gewisse Bedeutung zugesteht. Stellenweise gleitet die Story etwas ins Kitschige ab, fängt sich aber immer im richtigen Moment und drückt auch nicht auf die Tränendrüse, was ich definitiv positiv bewerte. Auch die kleinen Episoden über das Leben der Mitbewohnerinnen, die so ziemlich jedes Leid hinter sich haben und im Laufe ihrer Gespräche mit Solène auch dem Leser etwas darüber mitteilen, haben mir in ihrer Gesamtheit sehr gut gefallen, weil sie sich so passend in die Erzählung fügen und dennoch viele wichtige Gedanken aufgreifen, die andernfalls gefehlt hätten.

Fazit

Ich vergebe 4 Lesesterne für einen flüssigen, informativen, biografisch inspirierten Roman, der mit Feingefühl und Esprit von der Schaffenskraft und dem Mut vieler Frauen erzählt, die es geschafft haben, ihre persönliche Befindlichkeit über das Erreichen einer größeren Aufgabe zu stellen. Ihr Wirken nimmt den Leser mit, motiviert und begeistert gleichermaßen und zeigt ganz nebenbei, wie wichtig Zusammenhalt, Unterstützung und Aufmerksamkeit für ein Leben auf Augenhöhe sind. Gemeinsam ist man stark, mit der nötigen Hilfe bekommt das Leben wieder einen Sinn, mit Zuhören und Trost spenden wird auch dem Gebenden etwas geschenkt. Eine tolle Botschaft, die gerade am Ende des Buches präsent nachhallt. Eine empfehlenswerte Lektüre, die dem Glauben an das Gelingen des Lebens große Bedeutung beimisst.

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Veröffentlicht am 28.02.2020

Zwischen Liebe und Distanz

Ein wenig Glaube
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„Für ein Elternpaar gibt es keinen größeren Hoffnungsträger als das eigene Kind. Die Hoffnung in das eigene Kind zu verlieren – das ist so, als verlöre man den Glauben an die Welt. Und Lyle war ...

„Für ein Elternpaar gibt es keinen größeren Hoffnungsträger als das eigene Kind. Die Hoffnung in das eigene Kind zu verlieren – das ist so, als verlöre man den Glauben an die Welt. Und Lyle war trotz allem auch jetzt noch nicht gewillt, Shiloh einfach so aufzugeben.“

Inhalt

Das Ehepaar Hovde aus Wisconsin schaut auf ein langes, glückliches Eheleben zurück, welches sogar den Verlust des einzigen leiblichen Sohnes im Kleinkindalter verkraftet hat. Ihre Adoptivtochter Shiloh haben sie mit all der Liebe und dem Verständnis erzogen, wie sie es schon immer vorhatten. Doch obwohl die Tochter-Elternbeziehung nicht immer einfach war, lebt Shiloh nun mit ihrem 5-jährigen Sohn Isaac wieder zu Hause. Allerdings ist sie auf der Suche nach einem eigenen Heim für sich, ihr Kind und den neuen Mann an ihrer Seite. Als Lyle und Peg, den zukünftigen Mann ihrer Tochter kennenlernen, sind sie mehr als skeptisch, denn Steven ist Priester einer kleinen Glaubensgemeinschaft, die ihre Gottesdienste in einem alten Kino abhält. Der charismatische Mann hat Shiloh vollkommen für sich eingenommen und beansprucht auch den kleinen Isaac, der angeblich über Heilskräfte verfügt, die schwerkranke Menschen wieder gesunden lassen kann. Lyle und seine Frau, selbst Mitglieder der örtlichen Kirchengemeinschaft, bezweifeln die Grundsätze der neuen Glaubensgemeinschaft und behalten ihren Enkel sehr genau im Blick. Doch die Zwietracht zwischen Isaacs Mutter und ihren Eltern wird immer größer, es scheint keine gütliche Einigung zu geben, so dass der Enkel immer seltener bei seinen Großeltern sein darf. Erst als eines Tages ein Mitglied der Sekte bei den Hovdes anruft, um ihnen verzweifelt mitzuteilen, dass sie ihren Enkel schnellstmöglich abholen müssen, um ein Unglück zu verhindern, scheint sich das Blatt zu wenden …

Meinung

Ein Familienroman der die Kluft zwischen dem Zusammenhalt untereinander und dem Glauben an einen Gott thematisiert, klang für mich nach einer äußerst intensiven, zweischneidigen Geschichte, auf deren Verlauf ich sehr gespannt war. Und da ich den amerikanischen Autor und seine Art zu Erzählen gern kennenlernen wollte, habe ich voller Vorfreude zu diesem Buch gegriffen.

Die gewählte Erzählperspektive aus Sicht des Familienoberhauptes, der mehrere Rollen erfüllt, sowohl als Ehemann, als auch als Vater und nicht zuletzt als Großvater, empfand ich sehr stark. Dadurch entsteht zwischen dem Leser und Lyle Hovde ein inniges, verständnisvolles Bündnis, bei dem man stark auf die Seite des Mannes gezogen wird, der seine Tochter vor ihrem persönlichen Unglück bewahren möchte. Das große Plus der Erzählung liegt auf dieser starken Vaterrolle, die genauestens beschrieben wird und deren Möglichkeiten und Grenzen immer wieder in den Vordergrund rücken. Besonders schön fand ich die fast idyllische Beziehung zwischen den Eheleuten, die damals wie heute immer am gleichen Strang gezogen haben. Aber auch ihr Unvermögen, trotz der liebevollen Kindheit, die sie ihrer Shiloh geschenkt haben, jene von eigenen Fehlentscheidungen abzuhalten und sie als Erwachsene zu beschützen. Dieser Aspekt, dass Eltern die Kinder irgendwann ziehen lassen müssen, um sie nicht zu verlieren ist hier äußerst empathisch, ehrlich und voller Lebensweisheiten herausgearbeitet wurden. Demnach ist es tatsächlich ein ganz toller Familienroman mit viel Gefühl.

Was mir jedoch über die gut 300 Seiten des Buches zu kurz kommt, ist der Konflikt zwischen dem Glauben an sich und der Zugehörigkeit zur Familie. Das mag zum einen daran liegen, das Shiloh keine eigene Stimme bekommt und nie ihre Ansicht über die Thematik äußern kann, zum anderen fokussiert sich der Text zu sehr auf Lyles Leben außerhalb seiner Familie, auf Freundschaften und Gesprächspartner, die mit dem Kern der Geschichte recht wenig gemeinsam haben. Deshalb gibt es auch nur wenig Reibungspunkte und alles wirkt sehr harmonisch, obwohl es gerade im letzten Teil dramatisch wird. Diese Dramatik verschwindet jedoch immer wieder zwischen guten Gesprächen, hoffnungsvollen Abenden und schönen Tagen auf der Apfelplantage eines befreundeten Ehepaares. Dieses „weichzeichnen“ des Konflikts Liebe versus Glauben konnte mich in der Summe nicht überzeugen und ich hätte mir mehr Biss in der Umsetzung und einen starken Antigonisten gewünscht, der nicht irgendwo zwischen den Seiten verschwindet.

Fazit

Ich vergebe 4 Lesesterne für diesen stimmungsvollen, harmonischen Familienroman, der sich mit der Elternrolle und ihren Möglichkeiten intensiv auseinandersetzt. Es ist eine schöne, stimmungsvolle Erzählung gespickt mit einer guten Portion Alltagsphilosophie und erzählt mit großmütigem Herzen. Und wer auf eine kraftspendende Geschichte hofft, in der nicht jede Entscheidung die richtige war, wird hier bestens unterhalten. Allerdings bleibt das Kernthema hinter meinen Erwartungen zurück, denn die Diskrepanz zwischen dem Glauben an eine höhere Macht und den gutgemeinten Ratschlägen der Familie wird hier zu wenig detailliert beleuchtet. Also mehr ein Wohlfühlbuch als eine dramatisch-intensive Lebensgeschichte.

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Veröffentlicht am 08.02.2020

Eine Leerstelle, die neu gefüllt werden muss

Nach Mattias
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„Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass es ein Buch über Trauer ist. Jemand ist gestorben, und die Hinterbliebenen müssen einen Weg finden, damit umzugehen. Aber ich finde, es ist viel ...

„Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass es ein Buch über Trauer ist. Jemand ist gestorben, und die Hinterbliebenen müssen einen Weg finden, damit umzugehen. Aber ich finde, es ist viel mehr als das.“

Inhalt

So beschreibt der niederländische Autor Peter Zantingh seinen Text im Nachwort, der sich mit dem Leben der Bekannten, Freunde und Familie des jung verstorbenen Mattias beschäftigt, welche nach dessen Tod allein zurechtkommen müssen. Zunächst wäre da Amber, Mattias Freundin, die gerade an seinem Todestag im Streit mit ihm auseinandergegangen ist, oder Quentin sein Freund, mit dem er eigentlich in nächster Zeit eine Art Musikcafé eröffnen wollte. Und es folgen noch viele andere, die kurze, lange, intime oder oberflächliche Geschichten über den Verstorbenen erzählen, weil sie sein Leben in irgendeiner Weise berührt haben. Dadurch entsteht ein buntes Kaleidoskop an Einzelerzählungen, die sich ganz klar an der Zukunft orientieren, denn irgendwie muss das Leben nach Mattias weitergehen und das, was ihn ausmachte ist ohnehin tief im Herzen verankert, so dass sein Wirken zu Lebzeiten als Anlass genommen wird, die Zeit ohne ihn ein bisschen zu seiner Freude zu gestalten, vielleicht sogar nach seinem Willen.

Meinung

Am besten haben mir die Erinnerungen an Mattias gefallen, die alle Beteiligten aufleben lassen und die in ihrer Gesamtheit den Verstorbenen wieder lebendig machen, zumindest für den Leser. Es hat jeder ein etwas verschobenes Bild, oder besser gesagt, genau das, was Mattias demjenigen gegenüber preisgegeben hat. So trauert die Mutter um den Sohn, mit dem sie intensiv dessen Kindheit teilte, nicht jedoch sein Erwachsenenleben und die Freundin hadert mit seinen hochmotivierten Plänen und Luftgespinsten, die er nur selten verwirklichen konnte. Während der Freund merkt, dass ohne Mattias die Luft raus ist und der Motivator fehlt. Das alles ist empathisch, realistisch und lebensnah beschrieben.

Dennoch kann dieses Buch nicht ganz mein Herz erreichen, weil es mir für die Thematik zu leichtfüßig geschrieben ist und die Trauer der Hinterbliebenen nur einen ganz geringen Anteil ausmacht. Ich hätte mir gerne mehr Schwermut und auch einen intensiveren Blick in die Vergangenheit gewünscht. Dabei muss ich sagen, dass mir das Interview am Ende des Buches durchaus Verständnis gebracht hat, denn Peter Zantingh beschreibt sehr gut, worum es ihm bei seiner schriftstellerischen Arbeit ging. Er fragt sich z.B. welche Leerräume entstehen in Raum und Zeit, wenn man verstorben ist und wer oder was wird diese wieder füllen. Und genau dieses Bild hat er auch entworfen, es ist der Blick in die Zukunft mehrere Menschen, die wieder aufstehen, weitermachen und ihr Leben „nach Mattias“ gestalten.

Fazit

Ich vergebe gute 4 Lesesterne für diesen lebensbejahenden Roman nach dem Verlust eines geliebten Menschen. Ein Blick in die nahe und ferne Zukunft, in Folge eines persönlichen Schicksalsschlags, der ganz plötzlich das Leben in eine andere Bahn gelenkt hat. Es ist kein echter Text über Trauer und Verlust in seiner reinen Form, es ist kein schweres, belastendes Buch über einen geliebten Menschen und dem Abschied von ihm. Dadurch trifft es nicht ganz meine Erwartungshaltung, doch im Nachhinein ist es nur ein anderer Blickwinkel, der hier eingenommen wird und wenn man sich der Perspektive des Autors anschließt ist es ein wunderbares, hoffnungsfrohes Buch, welches zeigt, wie wichtig vielschichtige Beziehungsgeflechte zwischen Menschen sind und das die Lücke, die ein Einzelner hinterlässt zwar geschlossen werden kann, doch die Erinnerung an ihn bleibt lebendig.

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Veröffentlicht am 18.01.2020

Zurückgeworfen auf die pure Existenz

Die Wand
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„Ich bin noch lange nicht in Sicherheit. Sie können jeden Tag zurückkommen und mich holen. Es werden Fremde sein, die eine Fremde finden werden. Wir werden einander nichts mehr zu sagen haben. Es wäre ...

„Ich bin noch lange nicht in Sicherheit. Sie können jeden Tag zurückkommen und mich holen. Es werden Fremde sein, die eine Fremde finden werden. Wir werden einander nichts mehr zu sagen haben. Es wäre besser für mich, sie kämen nie.“

Inhalt

Die namenlose Ich-Erzählerin wollte ursprünglich mit ihrer Kusine und deren Mann einen Ausflug in die Berge machen, wo ihre Bekannten eine gemütliche Jagdhütte haben. Doch nach einem Abstecher ins nahe gelegene Dorf, kehren die beiden nicht zurück. Am nächsten Tag beschließt die Frau sich auf die Suche nach ihnen zu machen, stößt aber auf eine durchsichtige Wand, die keine Öffnung und anscheinend auch kein Ende besitzt. Fortan sitzt sie in der Jagdhütte fest, mutterseelenallein und vollkommen auf sich gestellt. Und während sie zunächst noch auf Rettung hofft, lesen wir hier ihren Tatsachenbericht, den sie in den vergangenen zwei Jahren verfasst hat, solange, wie sie noch Papier zur Verfügung hatte …

Meinung

Aufmerksam bin ich auf dieses Buch geworden, nachdem ich zahlreiche positive Lesermeinungen darüber zur Kenntnis genommen habe und da es sich nicht ausschließlich um eine düstere Dystopie zu handeln schien (die lese ich eher ungern), wollte ich diesen Bericht gerne selbst entdecken.

Nach der Lektüre bin ich immer noch etwas zwiegespalten, denn Marlen Haushofer schafft einerseits einen dynamischen, beängstigenden Ausnahmeroman, den man unbedingt gelesen haben sollte, präsentiert andererseits aber eine minimalistische Handlung mit zahlreichen Wiederholungen und für mich schwer nachvollziehbaren Entwicklungen. Leider muss ich sagen, dass ich die meisten Probleme mit der Hauptprotagonistin und ihren Denkweisen hatte, die ich wirklich nur mit viel Geduld ertragen konnte. Denn anders als ursprünglich von mir erwartet, arrangiert sie sich ausgesprochen gut mit ihrem auferlegten Schicksal und findet an ihrem auf die Grundbedürfnisse reduzierten Leben nach gewisser Zeit sogar Gefallen. Mit Bedacht und Ruhe richtet sie sich in ihrem neuen „Zuhause“ ein und stellt ihren Alltag fortan auf die Bedürfnisse der ihr anvertrauten Tiere ein. Ein Hund, eine trächtige Kuh und eine zugelaufene Katze sind ihre einzigen Begleiter in der ansonsten still gewordenen Bergwelt und letztlich auch eine wichtige Nahrungsgrundlage, die es zu pflegen gilt.

Nachdenken möchte sie eigentlich ungern und lässt sich nur hin und wieder, manchmal mitten in der Nacht oder in der spärlichen Zeit mit Müßiggang dazu hinreißen, über ihre Vergangenheit zu grübeln bzw. sich ihre Zukunft auszumalen. Und genau in diesen wenigen Momenten gelingt es der Autorin ganz existenzielle Fragen über den Sinn des Lebens, die Beschränkungen des normalen Alltags und die menschlichen Verfehlungen zu stellen – und immer dann, fand ich die Gedankengänge einfach nur grandios und habe viel über den Text und das Gelesene nachgedacht. Ich glaube, wer sich mit dem Gedankengang, irgendwo ganz allein gestrandet zu sein auseinandersetzt, bleibt fasziniert an den Aufzeichnungen hängen, schon allein weil sich in jeder kleinen Szene das unausweichliche Schicksal des Menschen und seines Daseins offenbart – zurückgeworfen auf die pure Existenz, verliert fast alles, was im normalen Alltag wichtig erscheint an Bedeutung.

Fazit

Ich vergebe gute 4 Lesesterne für diesen äußerst einprägsamen, stillen wie intensiven Roman über ein Leben jenseits der Zivilisation. Definitiv eine Lektüre, die Spuren hinterlässt und sich bestens für Gedankenspiele und Diskussionsrunden eignet. Zum Lieblingsbuch reicht es bei mir leider nicht, dafür fehlte es mir an greifbaren Entwicklungen und einer Parallele zwischen dem Text und dem Leben selbst. Auch die Hintergründe, warum diese Mauer existiert, welchen Zweck sie erfüllt und wieso alles so gekommen ist, lässt die Autorin im Dunkeln – man kann sich diverse Möglichkeiten überlegen, aber geklärt wird keine davon. Außerdem haben mich die depressive Gesamtsituation und die düsteren Prognosen nicht so ganz erreicht, gerade weil es mir nicht gelungen ist, der Frau in der Wildnis emotional näher zu kommen. Trotzdem hat mich dieses kleine Büchlein mit all seinen Denkmustern bewegt, wie es manch 500 Seiten Roman nicht schafft, deshalb kann ich eine klare Leseempfehlung aussprechen.

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