New York 2009
Julia lebt, seit sie mit sechs Jahren ihre Mutter bei einem Unfall verlor, mit ihrem Vater und dessen Lebensgefährtin in New York. Doch als sie erfährt, dass sie von ihrer Tante Regina, an die sie sich nicht mehr erinnern kann, ein Haus in England geerbt hat, beschließt sie kurzerhand, das Haus zu besichtigen; um vorab eventuelle Renovierungsmaßnahmen einzuleiten, damit der Wert des Hauses gesteigert werden kann.
Herne Hill entpuppt sich als schmuckes Anwesen, auf dem die, zahlreichen Vorbesitzer ihrer Familie scheinbar alles gesammelt haben, was sich jemals in Familienbesitz befand. So benötigt Julia einige Zeit dafür, im Haus klar Schiff zu machen und findet ausgerechnet versteckt in einem alten Schrank ein Gemälde, eines, ihr unbekannten Malers. Auf dem Bild des Malers findet sich eine Person wieder, die Julia bereits auf einem anderen, sehr großen Familienporträt im Haus entdeckt hat. Sie beschließt Nachforschungen anzustellen. Ausgerechnet ihre englische Cousine Natalie, ist es schließlich, die ihr dabei helfend unter die Arme greifen möchte, auch wenn sie sich über ihre Motive ausschweigt. Zusammen mit Natalies Bruder und dessen besten Freund Nick, entrümpeln sie Stück für Stück das Haus. Besonders Nicks Berufsstand kommt ihnen dabei zu Hilfe, denn Nick arbeitet nicht nur in einem Antiquitätenladen, er hat auch die Möglichkeiten, mehr über das Bild herausfinden zu können, da er eine gut informierte Historikerin kennt.
Cornwall 1839
Die blutjunge Imogen wird vom Schicksal arg gebeutelt, als ihr Vater schwer erkrankt. Als einzige Tochter wird sie nach seinem Tod ganz allein auf sich gestellt sein. Doch Rettung naht scheinbar, in Gestalt des Kunstsammlers Arthur Grantham der Imogen bittet, ihn zu heiraten. Obwohl Arthur bereits verwitwet und Vater einer Tochter und zudem um viele Jahre älter ist, als sie, willigt Imogen ein seine Frau zu werden und begleitet ihn nach der Heirat nach Herne Hill, wo er zusammen mit Tochter Evie und Schwägerin, Miss Jane Cooper lebt. Imogen merkt allerdings schnell, dass Arthurs Gefühle ihr gegenüber keinesfalls so tief zu sein scheinen, wie die ihrigen. Dennoch fügt sie sich irgendwann in die geschlossene Vernunftehe und überschüttet stattdessen Stieftochter Evie mit ihrer Liebe. Als Evie zu einer jungen Frau herangewachsen ist, rufen ihre Schönheit und ihr naives Wesen allerdings auch reichlich Mitgiftjäger auf den Plan. Einen von ihnen, macht sich Imogen in der Folgezeit zum Feind, denn dieser ist ausgerechnet ein Freund ihres heimlichen Geliebten…
„Der gestohlene Sommer“ von Lauren Willig erzählt im Wechsel auf zwei Zeitebenen, die Geschichte von zwei Frauen, die miteinander verwandt sind. Ansonsten haben Julia und Imogen außer dass sie beide in frühen Jahren ihre Mutter verloren haben, nicht viel gemeinsam. Julia ist emotional leicht gestört, seitdem ihre Mutter bei einem Unfall noch an der Unfallstelle verstarb und es ist auch in den Jahren nach dem Tod der Mutter keinem gelungen, ihren Panzer zu durchbrechen. Zudem hat sie keinerlei Erinnerungen mehr an die Zeit vor dem Unfall. Als sie arbeitslos wird, sieht sie die Möglichkeit, durch ihr angenommenes Erbe in England, einmal die Zeit vor dem Unfall näher durchleuchten zu können- in der Hoffnung darauf, dass ihre Erinnerungen dort zurückkehren.
Imogen dagegen sieht in Herne Hill und Arthur die Möglichkeit, endlich privates Liebesglück finden zu können, was sich jedoch als sehr schwierig gestalten wird, weil die Vorzeichen dafür denkbar schlecht stehen.
Während die Autorin Julia und Imogen als sympathische Akteure ihren Weg finden lässt, wobei Imogens Erlebnisse von viel Tragik gefärbt sind und nicht alle happyendsüchtigen Leser zufrieden stellen dürfte, fand ich, dass Arthur leider etwas undurchsichtig und blass beschrieben bleibt. Seine Motive, sein Verhalten, alles was ihn ausmacht und antreibt, bleibt leider auch im Laufe der Geschichte im Dunklen. Das gilt leider auch für Evies Tante Jane Cooper. Am Ende des Romans geschieht ein Verbrechen, doch wer dafür verantwortlich ist, erfährt der Leser nicht. Lediglich kann man es vermuten, was ich ein wenig schade empfand, denn abgesehen von diesen kleinen Kritikpunkten, erwartet den Leser mit „Der gestohlene Sommer“ ein, wie ich fand, herausragender, unterhaltsamer Schmöker, den ich erst wieder zur Seite legen konnte, als ich die letzte Seite ausgelesen hatte.
Gerade bei Romanen, die auf zwei Zeitebenen spielen, ist es oft so, dass nicht beide Handlungsstränge gleich spannend geraten sind, doch in diesem Falle ist es Lauren Willig gelungen, den Spannungsbogen konstant zu halten- sowohl Julias Werdegang und ihre Recherchen gestalten sich spannend, als auch Imogens Wandel von dem unbedarften Mädchen hin zu einer selbstbewussten Frau und ihre verbotene Liebe zu einem anderen Mann, hielten mich beim Lesen gefangen.
Natürlich hält auch in Julias Leben schließlich die Liebe Einzug, doch weiß man lange Zeit nicht, ob es Nick wirklich ehrlich mit ihr meint, was der Liebesgeschichte ein wenig Würze verleiht.
Kurz gefasst: Atmosphärisch dichter Unterhaltungsroman, der mich gefangen genommen hat. Klare Leseempfehlung, trotz kleiner Kritikpunkte!