Bewegend erzählt und voller kleiner Glücksmomente
Offene SeeNach dem Ende der Schulzeit zieht es Jugendliche immer wieder in die Ferne, auf der Suche nach Antworten, und um etwas von der Welt zu sehen, bevor der pflichterfüllende Alltag beginnt. Robert ist einer ...
Nach dem Ende der Schulzeit zieht es Jugendliche immer wieder in die Ferne, auf der Suche nach Antworten, und um etwas von der Welt zu sehen, bevor der pflichterfüllende Alltag beginnt. Robert ist einer von ihnen und erzählt in diesem Buch, wie er 1946 in England auf Wanderschaft ging - jene frische Luft und Einsamkeit genießend -, und schließlich eine schicksalshafte Begegnung hatte, die ihn für den Rest seines Lebens beeinflusste.
Als Leser begleitet man Robert auf seiner epischen Reise durch alle vier Jahreszeiten, und Benjamin Myers beschreibt dies so eindrucksvoll und lebendig, dass man ebenfalls auf der Wiese liegt und das Summen der Bienen hört. Als Robert in dem Buch auf Dulcie triff, beginnt mit den Dialogen der beiden eine völlig neue Dynamik, und man lauscht, ebenso wie Robert, gespannt Dulcie’s Worten über Lyrik, den zweiten Weltkrieg und den freien Willen der Bienen. Ihre Sicht auf die Welt ist etwas völlig Neues für den dörflichen Hinterwäldler und schüttelt seine einseitigen Überzeugungen ordentlich durch. Mit kühnen Behauptungen und sarkastischer Zunge, redete sich die selbstbewusste, trinkfeste Honigschleuderin in mein Leserherz. Freiheit, Dichtung, ein schönes Glas Wein und ein gutes Essen, die Natur und die Liebe machen das Leben für Dulcie lebenswert, und weil sie besser unterstützen kann, als Dinge selbst anzupacken, wird bald klar, welche Bedeutung und Kraft diese Begegnung für beide haben wird.
Der Roman gönnte mir jedes Mal, wenn ich das Buch aufschlug, eine entschleunigte Lesezeit. Ein Werk voller kleiner poetischer Liebeserklärungen an die Sprache, die Jahreszeiten, die Kunst und zahlreiche Textstellen, die mich berührt haben. Benjamin Myers findet Wörter für Gefühle, die manche so nie fühlen werden. Er entfaltet seine Magie der Sprache, während er über eben diese schreibt und wie sie das Leben seiner Figuren beeinflusst. Ich empfehle „Offene See“ allen, die Bücher mit interessanten Persönlichkeiten mögen, klangvolle Sprachrhythmen schätzen und die Muße für eine poetische Auszeit haben.