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Veröffentlicht am 14.07.2020

Ein beeindruckendes Porträt

Ich freue mich, dass ich geboren bin
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Der siebente Geburtstag sollte eigentlich ein glücklicher und fröhlicher Tag im Leben eines Kindes sein. Für das kleine Mädchen jedoch, von dem die Autorin erzählt, endet er mit heftigen Prügel - aber ...

Der siebente Geburtstag sollte eigentlich ein glücklicher und fröhlicher Tag im Leben eines Kindes sein. Für das kleine Mädchen jedoch, von dem die Autorin erzählt, endet er mit heftigen Prügel - aber auch einer lebensrettenden Entdeckung.
Die Autorin schreibt ihren Roman aus der Sicht des Mädchens, kindlich naiv und dennoch erstaunlich hellsichtig. Es könnte tatsächlich Birgit heißen; denn Vanderbekes Biografie deckt sich im wesentlichen mit ihrer Erzählung. Zu Beginn der 60er Jahre flüchtet sie als Fünfjährige mit den Eltern in den Westen, das „Land der Verheißung“, wie sie es ironisch nennt. Zunächst findet ihr Leben dort in Übergangslagern statt, bis der Vater schließlich Arbeit in der „Rotfabrik“ annimmt und sie in eine Neubausiedlung ziehen. Die Ernüchterung über die Realität im goldenen Westen bewirkt bei den Eltern Unzufriedenheit und Frustration, die an das Kind als Lieblosigkeit und sogar Gewalttätigkeit weitergegeben werden. Es sehnt sich nach einem Menschen, mit dem es sprechen, dem es seine Probleme und Ängste anvertrauen kann - wenigstens ein Kätzchen zum Schmusen wünscht es sich.
Da empfindet es das Lied „Wir freuen uns, dass du geboren bist“ schlicht als Lüge, auch wenn die Mutter es gleich mehrmals singt. Bezeichnenderweise stimmt der Vater nicht in den Gesang ein, sondern betrachtet nur seine Hände, die zwar durch einen Unfall verunstaltet sind, die das Kind aber dennoch zu fürchten gelernt hat.
In schlichten Worten, dafür aber umso eindringlicher, schildert Vanderbeke die Nöte des Kindes. Seine Gedanken wirken auf den Leser traurig, oft deprimierend, aber das Mädchen hat einen erstaunlich starken Charakter. Mit Hilfe seiner Fantasie findet es einen Weg aus seiner Opferrolle; es beschließt, sich nicht aufzugeben und auf die Zukunft zu vertrauen, so dass es am Ende mit Überzeugung sagen kann: „Ich freue mich, dass ich geboren bin.“

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Veröffentlicht am 27.05.2020

Ad absurdum

Der wunderbare Massenselbstmord
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Finnland - das weite Land, berühmt für seine Wälder und Seen, ist für viele Touristen ein Sehnsuchtsort, an dem sie Stress abbauen und Ruhe finden können. Aber wie erleben die Finnen selbst ihr Dasein? ...

Finnland - das weite Land, berühmt für seine Wälder und Seen, ist für viele Touristen ein Sehnsuchtsort, an dem sie Stress abbauen und Ruhe finden können. Aber wie erleben die Finnen selbst ihr Dasein? Wie der Titel des Romans von Arto Paasilinna signalisiert, ist eine hohe Anzahl Einwohner weit entfernt davon, ihr Land zu genießen. Im Gegenteil, Depressionen und das Thema Selbstmord spielen hier eine große Rolle.
Der Autor hält sich nicht allzu lange mit der Suche nach den diversen Ursachen auf, sondern kommt recht schnell und unumwunden zum Punkt: nach seinem vereitelten Selbstmordversuch gründet der gescheiterte Unternehmer Onni Rellonnen zusammen mit dem Oberst a.D. Hermanni Kemppainnen eine Selbsthilfegruppe für potentielle Selbstmörder. Der Einladung zu einem Seminar zum Thema Todessehnsucht folgen unerwartet zahlreiche Menschen, die sich aus den unterschiedlichsten Gründen mit Selbstmordgedanken tragen. Im Anschluss treffen die Anwesenden einen folgenschweren Entschluss: gemeinsam wollen sie ihr Leben beenden. Wie sie das organisieren und welche Hindernisse bei ihrem Vorhaben auftauchen, erzählt Paasilinna auf unübertrefflich komische Weise.
Spitzzüngig, mit teilweise rabenschwarzem Humor schildert er die Reise der sterbewilligen Gruppe ans Nordkap, wo sie ihren Tod auf spektakuläre Weise inszenieren will. Er bedient so einige finnische Klischees, von der Liebe zum Alkohol bis zur wahren Bedeutung der Sauna, steuert zielsicher menschliche Schwächen an und enthüllt sie auf ironische Weise. Er schafft es, eine gehörige Portion Gesellschaftskritik in reichlich Ironie zu verpacken. Das Audio-Buch wird passenderweise gelesen von Jürgen von der Lippe, der die überaus deutliche Sprache des Autors treffend wiedergibt und die sarkastischen Untertöne des Romans wunderbar interpretiert.
Auf verrückte Weise erscheint die Geschichte gleichzeitig realistisch und absurd, die Gruppe der Menschen skurril, aber vorstellbar; ein ernst-ironischer Blick in die „finnische Seele“.

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Veröffentlicht am 03.04.2020

Fantasievoll und packend

Die Spiegelreisende 3 - Das Gedächtnis von Babel
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Christelle Dabos versteht es wunderbar, die Leser ihrer Romane in ihre Fantasiewelten eintauchen zu lassen. Auch der dritte Teil der „Spiegelreisenden“ verspricht neben spannenden Szenen fantastische ...

Christelle Dabos versteht es wunderbar, die Leser ihrer Romane in ihre Fantasiewelten eintauchen zu lassen. Auch der dritte Teil der „Spiegelreisenden“ verspricht neben spannenden Szenen fantastische und skurrile Charaktere. Neben der sympathischen Heldin Ophelia und einigen ebenfalls aus den ersten Bänden bekannten Personen führt die Autorin in dieser Fortsetzung etliche neue interessante Figuren ein.
In flüssigem und bildhaftem Schreibstil erzählt sie hier von Ophelias Suche nach dem verschollenen Thorn. Fesselnd schildert sie die Reise der jungen Frau und die prekären Situationen, in die sie auf der Arche Babel gerät. Sie trotzt den Gefahren und kommt immerhin dem Geheimnis um den mysteriösen „Gott“ näher - aber nur, um auf weitere Rätsel zu stoßen. So endet auch dieser Roman wieder mit einem „Cliffhanger“ und lässt auf eine weitere Fortsetzung hoffen.

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Veröffentlicht am 26.03.2020

Eine ausführliche und kritische Biografie

Florence Nightingale
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In Verbindung mit dem Namen Florence Nightingale kommt vielen Menschen als erstes das Bild der „Lady with the Lamp“ in den Sinn, mit dem sie international berühmt geworden ist. Doch allein der Ruf einer ...

In Verbindung mit dem Namen Florence Nightingale kommt vielen Menschen als erstes das Bild der „Lady with the Lamp“ in den Sinn, mit dem sie international berühmt geworden ist. Doch allein der Ruf einer engagierten Krankenschwester im Krimkrieg wird ihrem Werk absolut nicht gerecht. Wie die Historikerin Dr. Hedwig Herold-Schmidt in ihrer sorgfältig recherchierten Biografie darlegt, war es Nightingale, die den Anstoß zu vielerlei Reformen des Gesundheitswesens im 19. Jahrhundert gab. Sowohl im militärischen als auch im zivilen Krankenpflegebereich gilt sie als respektierte Reformerin von Organisation und Pflege, wobei sie ganz klar den Stellenwert von Hygiene hervorhebt. Auch bei dem Bau eines Modellkrankenhauses in London wurde ein Großteil ihrer Vorstellungen berücksichtigt. Sie gründete eine Pflegeschule und war ihr Leben lang in beratender Funktion tätig. Dabei propagierte sie stets einen ganzheitlichen Ansatz im medizinischen und pflegerischen Bereich: physisches, psychisches und emotionales Wohlbefinden sah sie als wesentlichen Bestandteil an.
Doch wie konnte sich die Tochter einer wohlsituierten „Upper class“-Familie entgegen den Gepflogenheiten des viktorianischen Lebensstils zu einer geachteten und gefragten „Fachfrau“ in Fragen zu Krankenhaus- und Pflegereformen entwickeln und auch durchsetzen? Herold-Schmidt berichtet ausführlich, welche Kämpfe Nightingale mit sich selbst ausfocht, aber auch, welcher Art die Widerstände in der viktorianischen Gesellschaft waren, gegen die sie ankämpfen musste. In chronologischer Reihenfolge schildert die Autorin sehr sachlich und unvoreingenommen Nightingales Lebenslauf und ihre Arbeit, immer im Kontext zur historischen Situation. Dabei bleibt sie kritisch, bezieht sich auch auf frühere Biografen und setzt sich mit diversen Wertungen zu Nightingales Lebenswerk auseinander.
Wer sich anlässlich Florence Nightingales diesjährigem 200. Geburtstag intensiver mit Leben und Werk des „Angel of Mercy“ befassen möchte, ist mit Herold-Schmidts detaillierten Ausführungen bestens informiert.

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Veröffentlicht am 17.03.2020

Fesselnde Mischung aus Fiktion und Realität

Haarmann
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Hannover zu Beginn der 1920er Jahre, in einer Zeit politischen Umschwungs und großer wirtschaftlicher Not: Schauplatz brutaler Morde an Knaben und sehr jungen Männern. Mehrere Jahre lang konnte Fritz Haarmann ...

Hannover zu Beginn der 1920er Jahre, in einer Zeit politischen Umschwungs und großer wirtschaftlicher Not: Schauplatz brutaler Morde an Knaben und sehr jungen Männern. Mehrere Jahre lang konnte Fritz Haarmann relativ ungestört seine Verbrechen an Jungen begehen, die auf der Durchreise in Hannover Station machten. Wie war das möglich?
Der Journalist und Buchautor Dirk Kurbjuweit versucht diese Frage in seinem „true crime“-Roman zu beantworten. Der historische Hintergrund, sehr eindrücklich vom Autor geschildert, beleuchtet bereits einen Teil der Probleme, politische wie auch gesellschaftliche: es gibt aufgrund des Versailler Vertrages nach dem verlorenen Krieg zu wenig Personal bei der Polizei, die noch junge Republik ist noch lange nicht etabliert, sondern - im Gegenteil - wird von anderen Parteien unter Druck gesetzt, für die Menschen stehen das tägliche Brot und das Bedürfnis nach Sicherheit an erster Stelle. Kurbjuweit stellt die langwierige, oft frustrierende Ermittlungsarbeit Robert Lahnsteins in den Mittelpunkt, der mit der Vorgabe ins Kommissariat Hannover geholt worden ist, die Mordserie endlich aufzuklären. Erschwert wird seine Arbeit nicht nur durch Anfeindungen aus dem „Milieu“ und der Presse, sondern auch durch Vorurteile und Neid einiger Kollegen. Im Wechsel mit Lahnsteins Suche nach dem „Werwolf“ erfahren wir private Erlebnisse aus seiner Vergangenheit, die ihn geprägt und zu einem Verfechter der Demokratie gemacht haben. Obwohl der Autor hauptsächlich aus Lahnsteins Sicht erzählt, bettet er ebenso Passagen ein, die Haarmanns Perspektive und auch die eines seiner Opfer wiedergeben. Wie es schließlich doch gelingt, Haarmann zu überführen und zu verurteilen, schildert Kurbjuweit auf fesselnde Weise in einer gelungenen Mischung aus Fiktion und Realität. Eine wesentliche Frage allerdings bleibt am Schluss offen und dem Leser überlassen: Welche Mittel sind in einem Rechtsstaat erlaubt, um das Geständnis eines Täters zu erhalten?

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