Fesselnde Geschichte unter dem Deckmantel der Forschung
Das Hôpital de la Salpêtrière ist Ende des 19. Jahrhunderts der Platz für jene Frauen, die als geisteskrank, gestört und von der Norm abweichend, gelten. Darunter sind gefährliche Frauen, aber auch solche, ...
Das Hôpital de la Salpêtrière ist Ende des 19. Jahrhunderts der Platz für jene Frauen, die als geisteskrank, gestört und von der Norm abweichend, gelten. Darunter sind gefährliche Frauen, aber auch solche, die man(n) loswerden wollte. So landete auch die lebensfrohe, wenn auch in der Familie schon immer kritisch beäugte Eugénie dort, weil sie ihrer Großmutter gestand Geister zu sehen. Sowas kann die Familie nicht dulden, daher muss sie weg. Aufseherin Geneviève merkt schnell, dass Eugénie nicht krank ist. Auch die anderen Frauen, die auf nichts mehr hoffen dürfen und sich immer auf die Bälle, bei denen sie der Öffentlichkeit präsentiert werden, freuen, merken das schnell.
Gehört und ein wenig gelesen hatte ich schon im Vorfeld von den Bällen, bei denen die Oberschicht sich an den „Geisteskranken“ ergötzt hat, doch nie hatte ich so ein Buch in den Händen. Wie unter dem Deckmantel der Forschung Frauen unter unmenschlichen Bedingungen gehalten wurden, wie sich Männer unliebsamer Frauen und Töchter entledigten – das ist einfach furchtbar. Trotzdem kann und will man das Buch nicht mehr aus den Händen legen. Man fiebert mit Eugénie mit, hofft und bangt, verteufelt die Großmutter und den Vater, die ihr Vertrauen so mit Füßen getreten haben und muss gleichzeitig die Stärke der jungen Frau bewundern. Dass Männer einfach so Frauen als geisteskrank deklarieren und somit abschieben konnten, ist furchtbar.
Dass die Frauen wie Tiere im Zoo gehalten und präsentiert wurden, ist nahezu unglaublich und aus heutiger Sicht ein absolutes No-Go. Gaffer sind also keine neue Erscheinung. Das menschliche Elend hat schon immer eine gewisse Klientel angesprochen.
Der Blick hinter die Mauern, die Auseinandersetzungen der Frauen untereinander und die „Forschungsmethoden“ werden sehr gut geschildert. Eugénie wehrt sich gegen all das, möchte die althergebrachte Ordnung zwischen Mann und Frau nicht akzeptieren und versucht nicht in dem Krankenhaus, ob der Umstände, tatsächlich noch krank zu werden. Doch nicht nur Eugénies Schicksal, auch das anderer Frauen wird geschildert. Manche haben Gewalt durch Männer erfahren und einige sind dadurch auch sicherlich wirklich erkrankt, aber sie hätten auf jeden Fall etwas anderes verdient, als Behandlungen dieser Art.
Die einzige Frau in der Geschichte, die völlig anders erscheint, ist Aufseherin Geneviève, die dafür sorgt, dass nicht alles im Chaos versinkt. Auch wenn sie das gut erledigt(und bei mir nicht immer mit ihrer Art punkten konnte), hat auch sie ihre Schwierigkeiten mit den Männern, die nicht folgenlos bleiben…
Der Schreibstil ist fesselnd, manchmal habe ich Sequenzen aber auch zweimal gelesen. Es war einfach fast zu ungeheuerlich, was die Autorin geschildert hat, sodass ich sicher gehen musste nichts falsch verstanden zu haben – hatte ich leider nicht…und wenn man dann ein wenig noch recherchiert und feststellt, dass der Roman zwar fiktiv ist, die Behandlungen aber genauso abliefen, wird man zornig, wütend und ist irgendwann der Überzeugung, dass die wahrhaft Gestörten nicht innerhalb der Krankenhausmauern zu finden waren. Zu den meisten Frauen bekommt der Leser schnell eine Verbindung und man hofft, dass das jeweils Beste doch bitte eintreten möge.