Man kann dieses Buch gleich in zweifacher Hinsicht als innovativ bezeichnen: Schon der Ansatz, den Ian Morris hier zur Erklärung der Menschheitsgeschichte heranzieht, ist faszinierend. Er unterstellt, ...
Man kann dieses Buch gleich in zweifacher Hinsicht als innovativ bezeichnen: Schon der Ansatz, den Ian Morris hier zur Erklärung der Menschheitsgeschichte heranzieht, ist faszinierend. Er unterstellt, dass das in einer Gesellschaft vorherrschende Wertesystem von ihrer Art der Energiegewinnung abhängt.
Dazu identifiziert er drei große Phasen, in denen die Menschen ihre (letztlich durch die Evolution angelegten) Grundwerte unterschiedlich interpretiert hätten, und konstatiert, dass diese Interpretation mit der jeweils vorherrschenden Wirtschaftsweise – Wildbeuterei, Landwirtschaft oder Nutzung fossiler Energie – zusammenhängt.
So seien beispielsweise bäuerliche Kulturen deshalb hierarchisch organisiert, weil dies im Kontext des Wirtschaftens mit domestizierten Tieren und Pflanzen besser funktioniert als die relative Gleichheit der Wildbeuter, und die zunehmende Emanzipation der Frauen habe ihre Ursache darin, dass es die Fossilienenergie erlaubt, körperliche Arbeiten durch Maschinen erledigen zu lassen.
Schließlich wagt er auch einen Blick in die Zukunft und sagt, ausgehend von der Annahme, dass die gesellschaftliche Entwicklung im 21. Jahrhundert mit derselben atemberaubenden Geschwindigkeit voranschreiten wird wie im 20., vorher, dass sich unsere Werte in den nächsten Jahrzehnten so radikal ändern werden wie nie zuvor in der Geschichte.
Innovativ ist aber auch die Art, wie diese Überlegungen präsentiert werden. Nach einem einleitenden Teil, in dem er seine Thesen ausbreitet, lässt der Autor vier seiner Kritiker zu Wort kommen, bevor er sich im letzten Kapitel noch einmal ausführlich mit deren Argumenten auseinandersetzt und seine eigenen Gedanken ausbaut und präzisiert.
Zwar klingt die Überschrift dieses Kapitels „Meine korrekten Ansichten zu allem“ nicht gerade bescheiden und er ist auch in keinem Punkt bereit, von seiner Meinung abzurücken. Dennoch ist es bemerkenswert, dass jemand in einem derartigen Werk auch seinen „Gegnern“ so breiten Raum gewährt. Die Diskussion verläuft dabei auch zumindest weitgehend sachlich.
So enthält dieses Buch eine Fülle interessanter Ideen, die großteils nachvollziehbar und allgemein verständlich dargestellt werden. Wahrscheinlich kann Morris Theorie nicht alles erklären, was sie zu erklären vorgibt, und einige Themen hätten näher ausgeleuchtet werden sollen. Man muss aber auch bedenken, dass sich der Autor hier teilweise auf Neuland begibt.
Ich finde seine Herangehensweise jedenfalls spannend und die Lektüre eröffnet einen neuen Blickwinkel auf historische Entwicklungslinien. Ein weiteres Forschen in diese Richtung wird möglicherweise noch zu weiteren spektakulären Erkenntnissen führen.