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Veröffentlicht am 20.08.2020

Ein sehr intensiver Roman über jesidische Kurden

Die Sommer
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Wenn Leyla in den Sommerferien zur Familie ihres Vaters fährt, darf sie nicht sagen "Ich fahre nach Kurdistan" sondern sie muss sagen "Ich fahre zu meinen Großeltern". Denn Kurdistan und seien Bewohner ...

Wenn Leyla in den Sommerferien zur Familie ihres Vaters fährt, darf sie nicht sagen "Ich fahre nach Kurdistan" sondern sie muss sagen "Ich fahre zu meinen Großeltern". Denn Kurdistan und seien Bewohner gibt es nicht.

Doch wie kann es etwas nicht geben, dass sich so real anfühlt für Leyla? Wie soll sie anderen begreiflich machen, was in den Sommern in Nordysrien geschieht, was diese Menschen, die es nicht geben soll, ausmacht? Und wie soll sie es ihren Mitmenschen recht machen? Ihren Großeltern ist sie nicht kurdisch genug, ihrem Vater nicht fleißig genug und ihren Mitmenschen nicht deutsch genug.

Ronya Othmann hat mit "Die Sommer" einen sehr besonderen Roman geschaffen, der das Schicksal der Jesiden eindrucksvoll aufarbeitet. Es ist durch seinen Inhalt aber auch durch seinen Aufbau sicherlich kein leichtes Buch, dennoch konnte ich es kaum aus der Hand legen. Leyla erzählt die Vergangenheit ihrer Familie durch Geschichten, durch Gedanken und kurze Momentaufnahmen. Dadurch wirkte v.a. der Mittelteil sehr fragmentarisch, das Fehlen von klar strukturierten Kapiteln trägt ebenfalls nicht zur 'besseren' Ordnung bei. Doch das ist nicht schlimm, denn auch das Leben von Leyla und ihrer Familie ist nicht geradlinig. Trotz dieser 'zerstückelten' Erzählweise schafft es Othmann, eine Verbindung zwischen Leser und Charakteren aufzubauen, die zunehmend intensiver wird.

Leyla lebt in zwei Welten, ihr Leben ist aufgeteilt in zwei Länder und zwei Jahreshälften, und bei jedem Wechsel ist es wie beim ersten Mal. Die Welt dreht sich weiter, doch in beiden Lebenshälften fehlt ihr ein wichtiger Teil dieser Entwicklung, was man als Leser deutlich spürt. Sie muss sich immer wieder neu an die Menschen und ihre Sprache gewöhnen und versteht doch nicht alles. Und mit zunehmenden Konflikten in Syrien und der immer größeren Gefahr für ihre Familie und Freunde im Heimatdorf ihres Vaters, versteht sie ihre Mitmenschen in Deutschland immer weniger. Wie können sie so uinbeteiligt sein, wie ihr normales Leben weiterleben, wenn dort in Syrien die Menschen verfolgt und gefoltert werden und sogar sterben? Und die viel wichtigere Frage, wie kann sie selbst es?

Beim Lesen startet man in der Vergangenheit des Vaters, man spürt seine Hoffnung, dass sich jetzt wo der Präsident tot ist, endlich etwas verändert in seiner Heimat, dass die Jesiden nicht mehr unterdrückt werden. Man spürt die Euphorie und man spürt auch die Enttäuschung, die Resignation, die sich unweigerlich einstellt. Denn es ändert sich nichts, ein Krieg wurde von einem anderen abgelöst, seine Familie ist vielleicht bedrohter denn je. Und immer stärker kommen diese Gefühle auch bei Leyla auf, sie muss eine Entscheidung treffen und weiß doch nicht welche.

Ich dachte, vieles wüsste ich schon, doch Ronya Othmann hat mir mit ihrem Roman gezeigt, dass es nicht genug ist. Durch Leyla und ihre Familie sensibilisiert sie den Leser und animiert ihn zum Nachdenken und Sich-Informieren und schon alleine dafür ist das Buch empfehlenswert.

Veröffentlicht am 18.08.2020

Ein Roadtrip nach Griechenland

flüchtig
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Maria und Herwig sind seit 30 Jahren verheiratet, doch so richtig zusammen sind sie schon lange nicht mehr, beide verlieren sich in ihrem eigenen Leben und anderen Partnern. Nach einer unerwarteten Nachricht ...

Maria und Herwig sind seit 30 Jahren verheiratet, doch so richtig zusammen sind sie schon lange nicht mehr, beide verlieren sich in ihrem eigenen Leben und anderen Partnern. Nach einer unerwarteten Nachricht flieht Maria schließlich aus der gemeinsamen Ehe und dem gemeinsamen Haus und bricht zusammen mit Lisa, einer jungen Frau, die sie unterwegs aufgabelt, auf nach Griechenland.

Das ist sicherlich nciht die originellste Geschihcte und auch die Figuren und deren Handlungen lassen das ein oder andere Klischee nicht aus. Dennoch hat mir das Buch großen Spaß bereitet und mich positiv überrascht. Das liegt vermutlich auch am Schreibstil von Hubert Achleitner, der sich wunderbar leicht lesen lässt und der trotzdem mit tollen Beschreibungen daher kommt ohne jemals langweilig zu werden oder zu sehr abzudriften.

Maria selbst komt eigentlich nei zu Wort, der Leser erfährt ihre Geschihcte durch Lisa und zum Teil durch Herwig. Letzterer erzählt parallel noch seine eigene Geschichte. Beides zusammen hat am Ende gut zusammen gepasst finde ich.

'flüchtig' erzählt die Geschichte einer gescheiterten Ehe, über Menschen, die unzufrieden sind und versuchen die Leere in ihrem Leben zu füllen und die das Gefühl haben, ihr Leben verpasst zu haben. Das Zusammenleben von Maria und Herwig ist alles andere als harmonisch, sie haben sich immer weniger zu sagen, halten aber dennoch immer am anderen fest, die eine entdeckt den exzessiven Sport für sich, der andere Alkohol und Drogen. Erst durch die Trennung versuchen sie irgendwann zu verstehen, was ihnen der andere bedeutet, doch ihr Schicksal bleibt am Ende offen.

Hubert Achleitner hat hier einen überraschenden Roadtrip nach Griechenland geschaffen, der keine Klischees auslässt, dafür aber umso mehr Lesespaß bereitet hat.

Veröffentlicht am 30.07.2020

Ein Panda tanzt sich ins Leben

Pandatage
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Vor einem Jahr starb Dannys Frau udn seitdem ist er alleine mit seinem 11-Jährigen Sohn Will. Doch das Zusammenleben ist gar nicht so einfach, denn Will spricht seit dem Tod seiner Mutter nicht mehr. Erst ...

Vor einem Jahr starb Dannys Frau udn seitdem ist er alleine mit seinem 11-Jährigen Sohn Will. Doch das Zusammenleben ist gar nicht so einfach, denn Will spricht seit dem Tod seiner Mutter nicht mehr. Erst als er im Park einen seltsamen Mann im Pandakostüm trifft, beginnt er sich zu öffnen und findet langsam seine Sprache und auch seine Lebenslust wieder.

Ich muss gestehen ich war recht skeptisch vor dem Lesen von 'Pandatage' denn normalerweise gefallen mir 'lustige' Bücher nicht wirklich, besonders nicht, wenn sie so sensible Themen behandeln. Aber James Gould-Bourn hat mich hier zum Glück eines besseren belehrt! Er hat einen unglaublich tollen Schreibstil, der mich von der ersten Seite an in seinen Bann geschlagen hat und so manches Mal laut loslachen ließ.

Danny hat es wirklich nicht leicht, sein Vermieter droht ihm mit Gewalt, falls er seine Mietschulden nicht rechtzeitig bezahlen kann, er verliert seinen Job und das Leben als Straßenkünstler will auch nicht so richtig klappen. Doch er findet Freunde, übersteht irgendwie die Tage, wird immer besser und beginnt sogar Spaß am Tanzen zu haben und auch mit Willl scheint es endlich bergauf zu gehen. Es war eine Freude ihn auf seinem Weg zu begleiten und oftmals hat mich das Buch sehr berührt. Auch wenn manche Szenarien sehr überspitzt dargestellt sind, hat das für das Gesamtbild keinen Schaden gehabt, es passte einfach alles erfekt zusammen. Gould-Bourn zeichnet seine Figuren ebenfalls sehr überspitzt aber dabei auch unglaublich liebevoll und man hat das Gefühl sie schon ewig zu kennen.

Auch die traurigen Aspekte, wenn es um die verstorbene Frau und Mutter geht, fand ich sehr gut umgesetzt. Als Leser bekommt man den Mut vermittelt, nicht aufzugeben, so schwer es das Leben auch mit einem meint und so trostlos alles erscheint. Man sollte die Augen nicht vor seiner Umwelt verschließen, denn es warten jede Menge toller Begegnungen und Menschen auf einen.

'Pandatage' ist eine Hommage an die Freundschaft, die Liebe und die Familie und v.a. an die Menschen, die uns umgeben und die an uns glauben und immer für uns da sind.

Veröffentlicht am 09.04.2020

Miracle Submarine

Miracle Creek
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Miracle Creek ist eine KLeinstadt in Amerika, dort leben Pak und seine Frau Young sowie die Tochter Mary. Sie sind vor einigen Jahren aus Korea ausgewandert um ihrer Tochter ein besseres Leben zu ermöglichen. ...

Miracle Creek ist eine KLeinstadt in Amerika, dort leben Pak und seine Frau Young sowie die Tochter Mary. Sie sind vor einigen Jahren aus Korea ausgewandert um ihrer Tochter ein besseres Leben zu ermöglichen. Pak betreibt einen HBO-Tank in dem schwerkranke und autistische Kinder einer Sauerstoffbehandlung unterzogen werden. Doch eines Tages explodiert ein Sauerstofftank und zwei Menschen sterben: Henry, ein 8-jähriger Junge sowie Kitt, eine Frau, die 5 Kinder hinterlässt. Angeklagt wegen Brandstiftung und Mord wird Elizabeth, Henrys Mutter, doch hat sie wirklich das Feuer gelegt, das ihr Kind und ihre beste Freundin das Leben kostete? Jeder, der mit dem Fall zu tun hat, scheint etwas zu verbergen und erst nach und nach kommen die Geheimnisse im Laufe des Prozesses ans Licht.

Angie Kim erzählt die Geschichte in mehreren Abschnitten, die den Verhandlungstagen entsprechen. Zunächst scheint alles klar, Elizabeth ist schuldig, sie hat das Leben als alleinerziehende Mutter mit einem autistischen Kind nicht mehr ausgehalten, hat ihr Kind sowohl psychisch als auch physisch misshandelt. Doch der Prozess bringt den Leser immer wieder zum Zweifeln, kann eine Mutter wirklich so etwas schreckliches tun? Und was ist mit den ganzen anderen Personen, die am Tag der Explosion anwesend waren? Kim hat es geschafft, dass ich mir nie sicher sein konnte über dieses Unglück und wie es dazu kam. Die Sympathien wehcseln während des Lesens immer wieder, man hat ein Bild von den Personen, doch plötzlich ist wieder alles ungewiss. "Miracle Creek" ist unglaublich spannend und fesselnd geschrieben, es hat mich gepackt und bis zum Ende nicht mehr losgelassen. Den ausschweifenden Schreibstil, den manche Leser bemängeln konnte ich so überhaupt nicht feststellen. Eher im Gegenteil, ich bin fast durch die Sätze geflogen, so flüssig und prägnant hat Kim selbst vermeintlich nebensächliches beschrieben. Erst am Ende verknüpfen sich alle Personenstränge zu einem Gesamtbild, das noch viel schockierender war, als es zu Beginn erschien.

Ich fand alle Figuren sehr lebensecht, sie hatten ihre Ecken und Kanten, ihre Geheimnisse udn versuchen irgendwie in ihrem Leben zurecht zu kommen. Alle haben irgendwo in ihrem Charakter eine Eigenschaft, die den Leser dazu neigen lässt, mit ihnen zu sympathisieren. Doch dann kommt ein anderer Charakterzug, eine Tat o.ä. ans Licht und man beginnt die Situation zu überdenken. Die Figuren denken immer wieder Dinge, für die sie sich später schämen, die man als Leser jedoch trotzdem nachvollziehen kann, die man vielleicht selbst schon mal gedacht hat, wenn man von anderen genervt ist, wütend oder ängstlich. Dadurch konnte ich mich sehr gut in die Personen hineinversetzen, man hatte beim Lesen das Gefühl mit im Gerichtssaal zu sitzen und die Verhandlung hautnah mitzuerleben.

Kim schreibt in ihrem Roman nicht nur die Explosion und die Gerichtsverhandlung. Sie spricht auch andere Themen an, die sie meisterhaft in die große Rahmenhandlung einbaut. Wie ist es für Pak und seine Familie, in einem fremden Land, wo die Bewphner sie schräg anschauen, neu anzufangen. In einem Land, in dem Asiaten oft auch als sexueller Fetisch betrachtet werden. V.a. Mary fällt es schwer, in Miracle Creek Fuß zu fassen und Freunde zu finden. Sie ist wütend auf ihre Eltern, weil diese die neue Sprache so schlecht beherrschen, weil sie es nicht schaffen, geachtet zu werden und sich durchzusetzen. Auch Unfruchtbarkeit und verzweifelte Versuche ein Kind zu bekommen werden ein Thema. Was dieses 'Versagen' mit einer Beziehung anstellen kann, wie es zwei Menschen, die sich doch eigentlich lieben, auseinandertreibt. Und wie ist es für Eltern, für Mütter mit einem kranken Kind zu leben, einem Kind, das sie nicht verstehen können, das so anders ist, als andere Kinder, ein Kind zu dem sie nicht durchdringen können und das sich nicht selbst verständlich machen kann. Wie weit würden Eltern für ihre Kinder tun, um diese zu schützen, um ihnen ein normales Leben zu ermöglichen? Wie ist es für Frauen, wenn sie sich einem Mann unterordnen sollen, wie schaffen sie es aus dieser Beziehung zu entkommen, was löst ein männlicher Übergriff in ihnen aus?

Kim webt alle diese Themen in ihrer Geschichte ein und haben mich beim Lesen sehr nachdenklich gemacht. Die Figuren konnten mich berühren und gleichzeitig mitreißen, "Miracle Creek" ist ein sehr faszinierendes und rundum gelungenes Debüt von einer Autorin, von der wir hoffentlich noch mehr lesen werden in der Zukunft.

Veröffentlicht am 07.04.2020

Frauen

Die Tanzenden
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"Die Tanzenden" erzählt vorrangig die Geschichte von Eugénie, einer selbstbewussten Frau, die nichts vom Heiraten und der männerdominierten Welt des 18. Jahrhunderts hält. Als sie dann noch behauptet, ...

"Die Tanzenden" erzählt vorrangig die Geschichte von Eugénie, einer selbstbewussten Frau, die nichts vom Heiraten und der männerdominierten Welt des 18. Jahrhunderts hält. Als sie dann noch behauptet, Tote sehen zu können, bringt ihr Vater sie in der Salpêtrière, ein 'Krankenhaus' in Paris, das vorrangig die geistigen Leiden von Frauen behandelt. Es wird aber auch die Geschichte der anderen Frauen dort erzählt, die den Männern in ihrem Leben alle auf die ein oder andere Art lästig wurden, sei es durch zu viel selbstbestimmtes Denken oder aufgrund von körperlichen Leiden.

Victoria Mas hat einen unglaublich einnehmenden und schönen Schreibstil. Sie lässt hier Frauen entstehen, die in einer Zeit leben, in der sie nichts zu sagen haben, sie dürfen sich lediglich über ihre Ehemänner definieren. Sie alle haben einen eigenen Kopf doch nicht alle gehören in eine Irrenanstalt. Viele leiden auch nur an epileptischen Anfällen oder haben genug von der Männerwelt in der zu leben sie verdammt sind. Die Therapiemethoden, die in der Salpêtrière zum Einsatz kommen haben mich wirklich schokiert. Selbst, wenn einem bewusst ist, dass früher solche Methoden angewandt wurden, ist es nochmal was ganz anderes, darüber zu lesen.Die Frauen fassen dennoch Vertrauen zu dem leitenden Arzt, schwärmen sogar ein bisschen für ihn, dabei sieht er in ihnen nur willige Testobjekte, er als gefeierter Arzt steht über allen. Mas schreibt sehr fesselnd und gleichzeitig berührend, die Frauen sind mir wirklich allesamt sehr ans Herz gewachsen auf den 240 Seiten.

Mas legt auf alle Figuren gleich viel Wert, egal ob es sich um die Protagonistin Eugénie handelt oder um ihre MItinsassinnen. Alle sind gut durchdacht und wirken sehr realistisch auf mich. Über den Verlauf der Geschichte oder die Grundlage des Geistersehens kann man sich sicherlich streiten, aber für mich war das gar nicht so wichtig. Auch wenn man nicht an Geister glaubt oder Eugénie vielleicht zu Recht als Patientin sieht, finde ich, dass "Die Tanzenden" ein tolles Bild der Frauen gibt. Nicht alle wollen den Männern hörig sein, schon immer gab es Frauen, die einen eigenen Kopf hatten und für sich selbst einstehen wollten. Man sollte sich also nicht so sehr auf die 'Verrücktheit' von Eugénie konzentrieren, sondern "Die Tanzenden" viel mehr als ein Buch über Frauen sehen, die es in die Freiheit und Selbstbestimmtheit zieht und die für ihren Mut bestraft wurden. Es ist ein Buch, das uns alle daran erinnert, wie gut wir es als Frau haben, in der heutigen Zeit zu leben und dass man niemals aufhören sollte, sein Leben selbst zu ergreifen.