Knud Romers selbstgewählte Hölle
Knud Romer wächst behütet auf, verwöhnt und geliebt von seinen Eltern, doch ohne Freunde. So schafft er sich einen Fantasiefreund, M., der ein völlig anderes Leben als Knud lebt. Während dieser mit zunehmenden ...
Knud Romer wächst behütet auf, verwöhnt und geliebt von seinen Eltern, doch ohne Freunde. So schafft er sich einen Fantasiefreund, M., der ein völlig anderes Leben als Knud lebt. Während dieser mit zunehmenden Jahren von einer Karriere im Literaturbetrieb träumt, zieht M. mit seiner Familie von einem Land ins nächste.
Von diesen beiden Lebensläufen erzählt 'Die Kartographie der Hölle' abwechselnd. Während Knud sein Literaturstudium aufnimmt und daran verzweifelt, verharrt die Geschichte M.s bei dessen Kindheit und Jugend, in der er mit seiner Familie von den USA nach Istanbul übersiedelt und dann weiter nach Teheran zieht. Während der fiktive Teil chronologisch dargestellt wird, ist Knuds Leben voller Sprünge, im übertragenen wie auch realen Sinn. Es geht von Dänemark nach Frankfurt nach Wien nach Island nach sonstwohin und man sollte sich nicht daran stören, hin und wieder den roten Faden zu verlieren. Knuds Dasein ist das eines Verlierers, der irgendwann zufällig auf die Gewinnerbahn kommt, die er zwar (eher unbewusst) zu nutzen weiss, die ihn aber gleichzeitig in den tiefsten Abgrund stürzt. Wirklich interessant habe ich diese Geschichte nicht gefunden, ganz im Gegensatz zu der von M. Fast schon sachbuchmäßig, aber durchaus unterhaltsam werden die Verhältnisse in den 70er Jahren in Istanbul und Teheran geschildert, wobei mir aber unklar blieb, wie hoch der Wahrheitsgehalt ist. Beispielsweise fand ich über die Aussage, dass die Zwillingsschwester des Schahs die eigentliche Macht im Staate und größte Drogenhändlerin des Landes war, nichts offiziell Bestätigtes. Allenfalls Gerüchte.
Das wirklich Bemerkenswerte an diesem Buch sind eh nicht die Geschichten, sondern die Sprache, die der Autor ausgesprochen kunstvoll zu nutzen weiß. Beispielsweise wie es ist, keinen Großvater zu haben: "Streckt man die Hand in Richtung Vergangenheit aus, ist dort niemand, der sie ergreift. Man ist ohne Familie und ohne Geschichte, ohne Vergangenheit, man hängt mit nichts und niemandem zusammen. Als sei man vom Himmel gefallen. Man kommt nirgendwoher, man ist für immer ein Zugezogener und muss schauen. wo man bleibt." Oder "Jede Person war eine Tür, durch die man eintrat - und möglicherweise endete man an einem unbekannten Ort. Das konnte überall passieren und den Rest des eigenen Lebens bestimmen." Knud Romer hat einen Blick für das Wesentliche, das er dann scharfzüngig in Worte umsetzt: "Das Postterminal war die Endstation für viele, die ihr Studium hinschmissen. Die Literaturwissenschaft produzierte Verlierer am Fließband - und Invaliden. Das war die beste Zukunftsaussicht: eine Invalidenrente. Es ließ sich auf niedrigster Flamme vegetieren, man hatte Ruhe vor der Gesellschaft und konnte sie von einem höheren, idealistischen Standpunkt kritisieren, ohne gezwungen zu sein, sich für das Kapital zu prostituieren oder selbst zur Ware zu werden, wie es der Arbeitsmarkt verhieß."
Es ist keine Biographie im üblichen Sinn, sondern eher ein kunstvolles Geflecht von Realität und Fantasie mit vielen essayartigen Einschüben zu etwas eigenwilligen, aber durchaus interessanten Themen, wie beispielsweise dem Tourette-Syndrom oder das Leben des Dr. Reinhold Aman, der Welt einzigem Maledictologen (Schimpfwortforscher).