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Veröffentlicht am 10.04.2020

Direkte, offene, humorvolle, tabulose Mischung aus Sachbuch und Autobiografie, die einem die Augen öffnet!

Sie hat Bock
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Inhalt

Die Feministin und Autorin stellt weibliches Begehren in den Mittelpunkt und fragt, wie sexistisch unser Sex eigentlich ist.

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband (Sachbuch)
Tiere im ...

Inhalt

Die Feministin und Autorin stellt weibliches Begehren in den Mittelpunkt und fragt, wie sexistisch unser Sex eigentlich ist.

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband (Sachbuch)
Tiere im Buch: ♥ Es werden im Buch keine Tiere verletzt, gequält oder getötet.
Triggerwarnung: sexualisierte Gewalt (u. a. Vergewaltigung), Sexismus, Body Shaming, Suizid (in einem Nebensatz erwähnt)

Warum dieses Buch?

Als Frau und Feministin interessiere ich mich sehr für feministische Literatur, die auf strukturelle Ungerechtigkeiten zwischen Mann und Frau aufmerksam macht und diese diskutiert und kritisiert. Da ich noch kein Buch zum Thema weibliches Begehren gelesen hatte, weckte „Sie hat Bock“ meine Neugier. Gelesen habe ich es vor allem wegen der vielen positiven Buchbesprechungen und weil unter anderem geschrieben wurde, dass jede/r dieses Sachbuch gelesen haben sollte.

Meine Meinung

Einstieg (4 Sterne)

„Weibliche Sexualität als normaler Bestandteil des Lebens scheint in der öffentlichen Wahrnehmung nicht zu existieren.“ E-Book, Position 381

Der Einstieg ins Buch verlief problemlos. Obwohl ich auf den ersten Seiten manchmal bei der Wortwahl der Autorin zusammengezuckt bin, traf sie so oft den Nagel auf den Kopf, dass ich nur still nicken konnte und unbedingt weiterlesen wollte.

Inhalt (4 Lilien)

„Sexualität ist keine Einbahnstraße ohne Anhalte- und Umkehrmöglichkeit. Und doch wird sie allzu oft genau so gelebt und für normal befunden.“ E-Book, Position 1321

In ihrem Sachbuch kombiniert Autorin Katja Lewina auf gelungene Weise Ratgeber, feministisches Manifest und Autobiografie und spricht Dinge aus, die dringend einmal gesagt werden müssen. Sie klärt auf, zitiert Studien, öffnet uns die Augen und berichtet auf beeindruckend direkte und tabulose Weise aus ihrem eigenen Leben. Wo es nämlich Tabus gibt, können Missstände (die gravierend sein können) nicht angesprochen werden. Gerade das ist das Problem, das es im Bereich Sexualität gibt. Der Gender Pay Gap wird in der Gesellschaft mit gewisser Regelmäßigkeit diskutiert und kritisiert, doch wenn es um weibliches Begehren und sexistischen Sex geht, werden Ungerechtigkeiten immer noch totgeschwiegen. Mit diesem Buch bricht Katja Lewina das Schweigen und spricht so unaufgeregt und offen über ihr Liebesleben, dass es einem selbst nach ein paar Seiten ganz selbstverständlich vorkommt!

Die Autorin beschäftigt sich dabei mit vielen verschiedenen Themen (hier ist garantiert für jede und jeden etwas dabei!) wie offene Beziehungen, Verhütung, Jungfräulichkeit, Doppelmoral, Sexismus, Rasierzwang, sexualisierte Gewalt, Victim Blaming und Rape Culture. Dabei werden auf spannende Weise viele Mythen widerlegt. Ich jedenfalls konnte das Buch kaum mehr aus der Hand legen und beim Lesen viel Neues dazulernen – über manche Dinge hatte ich mir bis dahin noch gar keine Gedanken gemacht. Immer wieder dachte ich „Yes!“ und nickte beim Lesen zustimmend mit dem Kopf. Anderes war mir schon vorher bekannt und in manchen Kapiteln hätte die Autorin gerne noch in die Tiefe gehen können. Ich denke deshalb, dass sich dieses Buch besonders gut als Einführungswerk zum Thema „Feminismus und weibliches Begehren“ eignet.

Nur selten konnte ich die Meinung der Autorin nicht teilen: Zum Beispiel ist für mich Prostitution eben keine Arbeit wie jede andere (meiner Meinung wurde das Problem etwas verharmlost) und ein Wunschkaiserschnitt ist nicht „hirnverballert“, sondern in einer Zeit, in der schätzungsweise immer noch die Hälfte aller Gebärenden Opfer von Gewalt unter der Geburt wird, eine legitime Entscheidung, die akzeptiert werden sollte. Durch diese Wahlmöglichkeit können Frauen selbstbestimmt entscheiden, wie sie gebären möchten, und das sollte von FeministInnen doch gutgeheißen werden.

Als Frau wird man zwangsläufig mit Sexismus und Misogynie konfrontiert – ich bin da natürlich keine Ausnahme. Männer werden gefeiert, wenn sie ein selbstbestimmtes, aktives Liebesleben haben, Frauen beschimpft. Sie sind Schlam++, Hu++ oder Dorfmatratzen, ihr Wert wird auch im Jahre 2020 von manchen Leuten immer noch an der Anzahl ihrer LiebhaberInnen bemessen. Von einem jungen Mann in meinem Alter bekam ich zum Beispiel zu hören, dass eine junge Frau, die gerne One-Night-Stands hat, als Mensch wertlos sei. Mir wurde gesagt, dass es Vergewaltigung in einer funktionierenden Ehe nicht gibt (oder wohl eher das sie nicht so genannt werden soll!) und wenn man sich mal in den Kommentarspalten von Zeitungsartikeln umsieht, wenn wieder Vergewaltigungsvorwürfe gegen einen gefeierten Promi auftauchen, steht da nicht: „Was können wir gegen sexualisierte Gewalt tun? Warum wurde er zum Täter?“, sondern „Aber hatte sie einen kurzen Rock an? Warum hat sie so viel getrunken? Wieso musste sie auch durch diese dunkle Gasse gehen? Hat sie ihn nicht vorher in die Wohnung gelassen? Sie hat doch gewusst, was dann passieren würde, oder nicht? Bestimmt wollte sie es doch!“. Und solange Sexismus und Misogynie so weit in unserer Gesellschaft verbreitet sind, brauchen wir Bücher wie „Sie hat Bock“, die Frauen helfen, Mythen von der Wahrheit zu unterscheiden, sich auch sexuell zu emanzipieren und sich nicht mehr so viel gefallen zu lassen! Deshalb ein großes „Danke!“ an Katja Lewina dafür, dass sie dieses Buch geschrieben hat!

„Ich persönlich kenne keine einzige Frau, die von der Verletzung ihrer sexuellen Grenzen verschont geblieben wäre.“ E-Book, Position 1209

Schreibstil & Verständlichkeit (4 Sterne)

„Auf der Straße, in der Koje, bei der Arbeit, selbst auf dem verdammten Kinderspielplatz – als Frau bin ich daran gewöhnt, dass mein Aussehen in jeder Lage ungefragt von Männern bewertet und kommentiert wird. Sie nennen mich Göttin, Abschaum oder irgendwas dazwischen, heben mich hoch oder trampeln auf mir rum […].“ E-Book, Position 1372

Eines kann man mit Sicherheit nicht sagen: dass „Sie hat Bock“ sehr ästhetisch oder poetisch geschrieben wäre. Im Gegenteil, Katja Lewina nimmt kein Blatt vor den Mund, nennt die Dinge beim (oft wenig eleganten) Namen und kennt keine Tabus. Einerseits fand ich ihre offene, schonungslose, direkte, nahbare und lockere Sprache perfekt für dieses Buch. In einer anderen Besprechung wurde geschrieben, dass die Autorin „mit der Faust auf den Tisch haut“ – ich denke, besser kann man den Schreibstil nicht beschreiben. Genau das haben wir alle bei diesem Thema mal gebraucht! Nicht jemanden, der zurückhaltend argumentiert, sondern jemanden, der Augen öffnet und zu den Leuten durchdringt, indem er sagt: „So ist das im Moment und das ist unfair, verdammt noch mal!“

Andererseits war der Schreibstil für mich – eine Liebhaberin von ästhetischer, „schön“ geschriebener Literatur – nach einer Weile etwas anstrengend zu lesen. Ich habe das Buch aber auch an einem Tag durchgelesen, daher mein Tipp: Häppchenweise lesen und sich genügend Zeit nehmen, die Zeilen wirken zu lassen – dann findet man das Buch sicher noch besser.

Humor (4 Lilien)

Auch der Humor, mit dem die Autorin von eigenen Erfahrungen erzählt, konnte mich überzeugen. Auch wenn es nur selten lustige Passagen gibt, haben diese mir dafür immer ein Schmunzeln oder kurzes Auflachen entlockt.

Feministischer Blickwinkel (5 Lilien ♥)

Mit diesem Augen öffnenden, tabulosen Werk über wichtige Themen – weibliches Begehren und sexistischen Sex – hat die Feministin Katja Lewina viel für den Feminismus und somit auch für die Gleichberechtigung getan. Deshalb gibt es hier natürlich auch alle Punkte!

Mein Fazit

In ihrem Sachbuch kombiniert Autorin Katja Lewina auf gelungene Weise Ratgeber, feministisches Manifest und Autobiografie. Sie widerlegt Mythen, zitiert Studien, öffnet uns die Augen und spricht sehr unaufgeregt, offen, humorvoll und tabulos über ihr Liebesleben. Die Autorin beschäftigt sich dabei mit vielen verschiedenen Themen wie Verhütung, Doppelmoral, Sexismus und sexualisierte Gewalt. Ich jedenfalls konnte beim Lesen viel Neues dazulernen. Anderes war mir schon vorher bekannt und in manchen Kapiteln hätte die Autorin gerne noch in die Tiefe gehen können. Ich denke deshalb, dass sich dieses Buch besonders gut als Einführungswerk zum Thema eignet. Nur selten konnte ich die Meinung der Autorin nicht teilen (z. B. was Prostitution und Kaiserschnitt betrifft). Einerseits fand ich ihre offene, direkte und nahbare Sprache perfekt für dieses Buch, andererseits war der Schreibstil für mich als Liebhaberin von ästhetischer, „schön“ geschriebener Literatur – nach einer Weile etwas anstrengend zu lesen. Ich habe das Buch aber auch an einem Tag durchgelesen (ich konnte es kaum aus der Hand legen!), daher mein Tipp: Lieber häppchenweise lesen und sich genügend Zeit nehmen, die Zeilen wirken zu lassen – dann findet man das Buch sicher noch besser. Solange Sexismus und Misogynie so weit in unserer Gesellschaft verbreitet sind, brauchen wir Bücher wie „Sie hat Bock“, die Frauen helfen, Mythen von der Wahrheit zu unterscheiden, sich auch sexuell zu emanzipieren und sich nicht mehr so viel gefallen zu lassen. Damit hat die Autorin viel für den Feminismus und somit auch für Gleichberechtigung getan. Deshalb ein großes „Danke!“ an Katja Lewina dafür, dass sie dieses Buch geschrieben hat! Natürlich gibt es eine uneingeschränkte Leseempfehlung – besonders auch für Männer!

Bewertung

Einstieg: 4 Lilien
Inhalt: 4 Lilien
Verständlichkeit: 5 Lilien ♥
Schreibstil: 4 Lilien
Humor: 4 Lilien
Feministischer Blickwinkel: 5 Lilien ♥

Insgesamt:

❀❀❀❀ Lilien

Dieses Buch erhält von mir vier Lilien!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 04.04.2020

Spannender, wendungsreicher, unterhaltsamer Jugendthriller mit kleinen Schwächen

A Good Girl’s Guide to Murder
1

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Der Schüler Sal hat seine Freundin Andie Bell vor fünf Jahren ermordet, da sind sich alle sicher. Der Fall ist eigentlich schon abgeschlossen, obwohl die Leiche des Mädchens ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Der Schüler Sal hat seine Freundin Andie Bell vor fünf Jahren ermordet, da sind sich alle sicher. Der Fall ist eigentlich schon abgeschlossen, obwohl die Leiche des Mädchens nie gefunden wurde. Für Pippa ist Sal aber, seit er sie als junges Mädchen einmal vor ihren Mobbern beschützt hat, ein Held. Sie kann nicht glauben, dass er zu solch einer Tat fähig gewesen wäre. Daher nimmt sie ein Schulprojekt als Vorwand, um den Fall neu aufzurollen und tief darin nach der Wahrheit zu graben. Doch nicht alle wollen, dass diese Wahrheit ans Licht kommt – wie weit sind sie bereit zu gehen, um es zu verhindern?

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Band

1 der Reihe um Heldin Pip; Band

2 ist auf Englisch bereits erschienen (einen deutschen Erscheinungstermin gibt es aber noch nicht), Band

3 und

4 sind laut Recherchen bereits in Planung
Erzählweise: Figuraler Erzähler und Ich-Erzähler, Präteritum und Präsens
Perspektive: weibliche Perspektive
Kapitellänge: lang, jedoch sind die Kapitel noch in weitere kürzere Unterkapitel aufgeteilt
Tiere im Buch: +/- Ein Tier wird als Druckmittel eingesetzt und ein Hund stirbt im Buch bei einem Unfall, ansonsten werden keine Tiere im Buch verletzt, gequält oder getötet, sondern sehr liebevoll umsorgt. Fleisch wird aber gegessen. Außerdem lebt eine Katze in Einzelhaltung. Hierzu ein wichtiger Hinweis: Katzen sind alleine niemals glücklich (sie sind EinzelJÄGER, keine EinzelGÄNGER), sondern sehr einsam und unglücklich. Sie können verschiedene Verhaltensstörungen entwickeln und depressiv und/oder aggressiv werden. Wer seine Katze liebt, schenkt ihr deshalb mindestens einen Gefährten.

Warum dieses Buch?

Dieses Buch hat mich sofort vage an „Sadie“ von Courtney Summers erinnert, einen Jugendroman, den ich absolut geliebt habe und den ich euch nur wärmstens ans Herz legen kann. Der Klappentext klang (in Verbindung mit den vielen positiven Rezensionen) so vielversprechend und spannend, dass ich nicht widerstehen konnte!

Meine Meinung

Einstieg (4 Sterne)

„Obwohl Sal nie eine Chance gehabt hatte, sich zu verteidigen, galt er als schuldig. Nicht im rechtlichen Sinne, aber in jedem anderen, auf den es ankommt.“ E-Book, Position 370

Ich weiß nicht genau, warum ich das erste Kapitel mehrmals angelesen und das Buch dann wieder weggelegt habe. Beim dritten Mal war ich nämlich nach wenigen Seiten in der Geschichte angekommen und gespannt, wie es weitergehen würde.

Schreibstil (4 Lilien)

Mir hat der lockere, humorvolle, lebendige und jugendlich freche Schreibstil von Holly Jackson insgesamt gut gefallen. Die einfache, leicht verständliche, aber trotzdem anschauliche Sprache ist für das jugendliche Zielpublikum perfekt geeignet. Mir persönlich erschien der Schreibstil streckenweise aber leider auch etwas oberflächlich.

Inhalt, Themen & Ende (4 Lilien)

„‘Wenn du rumläufst und gefährliche Fragen stellst, Mädchen, wirst du einige gefährliche Antworten finden.‘“ E-Book, Position 3413

Mit „A Good Girl‘s Guide to Murder” ist Holly Jackson ein runder, unterhaltsamer und wendungsreicher Jugendthriller gelungen, der für Teenager perfekt geeignet ist. Außergewöhnlich und erfrischend fand ich den Aufbau der Geschichte: Diese setzt sich nämlich nicht nur aus klassisch verfassten Kapiteln zusammen, sondern enthält auch Protokolle, transkribierte Interviews, Listen mit Verdächtigen und einzelne Beweisfotos. Da Pippa die neuen Informationen immer in ihren Protokollen zusammenfasst, kam es auch zu einigen Wiederholungen. Das hat mich jedoch nicht allzu sehr gestört, da sich das Buch ja primär an Jugendliche richtet. Diese sind vielleicht gerade dafür dankbar, weil ihnen so auch wirklich keine wichtige Entwicklung entgeht. Aufgrund dieses Aufbaus hat mich das Buch am Beginn stark an „Sadie“ von Courtney Summers erinnert, das ja teilweise aus einem transkribierten Radio-Podcast besteht. Leider reicht „A Good Girl‘s Guide to Murder“ in fast allen Punkten nicht ganz an das Meisterwerk von Summers heran, weswegen ich euch „Sadie“ (das mir das Herz gebrochen hat!) an dieser Stelle noch einmal wärmstens empfehlen möchte.

Holly Jackson spricht in ihrem Thriller ernste Themen wie Drogen, sexualisierte Gewalt, Rassismus, schwierige moralische Entscheidungen, Erwachsenwerden, Trauer und Schuldgefühle an. Streckenweise gelingt es ihr auch, diese Themen tiefgründig zu verarbeiten, manchmal blieb mir die Geschichte aber auch zu sehr an der Oberfläche. Sehr gestört hat mich, dass etwas verschwiegen wurde, um jemanden zu schützen. Jedoch hätte die schützenswerte Person vermutlich gar nicht so viel zu befürchten gehabt und das Opfer der ganzen Angelegenheit hätte es verdient, die Wahrheit zu erfahren und zu sehen, dass es Konsequenzen für die schuldige Person gibt. Hier konnte ich Pip, die ja ihre Werte und Prinzipien immer hochhält, nicht wirklich verstehen. Und an noch einer Stelle fällt die eigentlich intelligente Pip aus der Rolle: Warum müssen sich gegen Ende eines Thrillers die HeldInnen immer sinnlos alleine in Gefahr begeben, obwohl es Leute gibt, die ihnen helfen würden, und obwohl es sehr, sehr gefährlich und folglich auch sehr, sehr dumm ist? Ich kann die Ausreden langsam nicht mehr lesen, die sich ausgedacht werden, damit es am Ende noch einmal spannend wird. Liebe AutorInnen, bitte lasst das doch endlich sein!

Die Auflösung selbst war überzeugend und hielt einige überraschende Twists bereit. Das runde Ende, das alle offenen Fragen klärt, ließ mich zufrieden das Buch zuschlagen. Ob ich die Fortsetzung lesen werde, weiß ich zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht, da für mich die Geschichte eigentlich abgeschlossen ist.

Protagonistin (4 Lilien) & Figuren (4 Lilien)

Die Geschichte heißt „A Good Girl’s Guide to Murder“ – und Protagonistin Pippa ist dieses „brave Mädchen“. Sie ist ein sympathischer, ehrgeiziger, intelligenter Bücherwurm, der sich für Partys nicht interessiert. Mir war Pippa manchmal etwas zu glatt, zu genial und perfekt. Sie hätte noch etwas vielschichtiger und dreidimensionaler sein dürfen. Insgesamt mochte ich sie aber gerne: Ich liebte ihren trockenen Humor, konnte ihre Handlungen meistens nachvollziehen und habe vor allem in traurigen Momenten sehr mit ihr mitgelitten und mitgefühlt. Ich habe sie gerne begleitet.

Auch manche der anderen Figuren hätten noch etwas besser ausgearbeitet werden können – einige blieben bis zum Schluss blass. Andere hingegen konnten mich auf ganzer Linie überzeugen wie zum Beispiel Ravi, bei dem mir besonders gefallen hat, dass er kein klischeehafter, harter Bad Boy ist, sondern ein authentischer junger Mann mit Unsicherheiten, Schwächen und Gefühlen, die er auch zeigt. Auch die sich langsam von einer Freundschaft zu einer Liebesgeschichte entwickelnde Beziehung zwischen Pip und einer anderen Figur fand ich sehr unaufgeregt, authentisch und süß beschrieben – selbst wenn das Kribbeln bei mir ausblieb.

Spannung & Atmosphäre (4 Lilien)

„Hier drinnen hatte die Luft eine eigenartige Schwere. In der Stille gefangene Geheimnisse umschwebten sie wie unsichtbare Staubkörnchen.“ E-Book, Position 3611

Schon am Beginn gelingt es der Autorin, Spannung aufzubauen. Es ist eine „Ein-Mädchen-gegen-den-Rest-der-Welt“-Situation, bei der man sich sofort auf Pippas Seite stellt. Der Spannungsbogen kann durch gezielte Cliffhanger und immer neue Spuren, die sich auftun, auch den ganzen Thriller hindurch gehalten werden. Irgendwann jedoch übertreibt es die Autorin mit ihren vielen falschen Fährten, Wendungen und Verdächtigen. Hier hätte man kürzen können, denn in diesem Fall wäre weniger tatsächlich mehr gewesen. Was die Atmosphäre betrifft, gab es einige sehr starke Momente (in denen die Autorin z. B. den ganz normalen Teenager-Wahnsinn auf Partys treffend und amüsant einfängt), manchmal war aber noch Luft nach oben. Detailliertere Beschreibungen von Gefühlen und Umgebung wären hier wünschenswert gewesen.

Feministischer Blickwinkel (3 Lilien)

Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: Schlam++ (6x)

Was diesen Aspekt betrifft, bin ich etwas zwiegespalten: Einerseits ist Pip eine sehr mutige, intelligente und starke weibliche Figur, die sich von Ravi nichts gefallen lässt, den Ton bei den Ermittlungen angibt und Sexismus immer wieder kritisiert, andererseits werden fast nur Frauen im Buch beim Kochen und Putzen beschrieben (Pips Mutter wirkt außerdem seltsam abwesend) und Geschlechterstereotype werden immer wieder reproduziert. Das Jugendbuch besteht ohne Probleme den Bechdel-Test und kritisiert sexualisierte Gewalt, gleichzeitig verwendet es aber ohne jegliches Bewusstsein für Slut Shaming ganze 6x die frauenfeindliche Beleidigung Schlam++, was ich sehr problematisch finde. Ich habe mich entschieden, hier 3 Lilien zu vergeben, weil es zwar viele Dinge gibt, die die Autorin richtig gemacht hat, ihr teilweise aber (vor allem bei den kleinen Dingen) noch das Bewusstsein für Geschlechterstereotypen und Sexismus fehlt.

Mein Fazit

Mit „A Good Girl‘s Guide to Murder” ist Holly Jackson ein runder, unterhaltsamer und wendungsreicher Jugendthriller gelungen, der für Teenager perfekt geeignet ist. Mir hat der einfache, anschauliche und lockere Schreibstil von Holly Jackson gut gefallen, auch wenn er mir streckenweise etwas zu oberflächlich war. Außergewöhnlich und erfrischend fand ich den Aufbau der Geschichte, die sich aus klassischen Kapiteln, Protokollen und transkribierten Interviews zusammensetzt. Holly Jackson spricht in ihrem Thriller ernste Themen wie Trauer, sexualisierte Gewalt und Rassismus an, die sie allerdings nur teilweise tiefgründig verarbeitet. Die mutige, intelligente Protagonistin (und ihren Humor!), mochte ich sehr, auch wenn sie gerne noch etwas dreidimensionaler und vielschichtiger hätte sein dürfen. Gestört hat mich, dass sie gegen Ende dreimal aus der Rolle fällt und sich nicht nachvollziehbar verhält. Die meisten der anderen Figuren konnten mich überzeugen, manche blieben allerdings etwas blass. Bereits am Beginn baut die Autorin Spannung auf, die den ganzen Thriller hindurch gehalten werden kann. Irgendwann jedoch übertreibt sie es mit den vielen falschen Fährten, Wendungen und Verdächtigen. Hier wäre weniger tatsächlich mehr gewesen. Was die feministische Analyse des Thrillers betrifft, bin ich zwiegespalten, weil es zwar viele Dinge gibt, die die Autorin richtig macht (starke Protagonistin, sexualisierte Gewalt wird kritisiert), ihr teilweise aber (vor allem bei den kleinen Dingen) noch das Bewusstsein für Geschlechterstereotypen und Sexismus fehlt (nur Frauen werden beim Putzen und Kochen gezeigt, es fällt ganze 6x die frauenfeindliche Beleidigung Schlam++). Die überzeugende Auflösung (mit ihren überraschenden Enthüllungen) und das runde Ende, das alle offenen Fragen klärt, ließen mich zufrieden das Buch zuschlagen. Ob ich die Fortsetzung lesen werde, weiß ich noch nicht, da für mich die Geschichte eigentlich abgeschlossen ist. Trotz kleinerer Schwächen kann ich das Buch auf jeden Fall weiterempfehlen. Wer als Kind immer gerne Detektiv oder Detektivin gespielt hat, dem wird es großen Spaß machen, gemeinsam mit Pippa zu ermitteln und nach der Wahrheit zu graben!

Bewertung

Idee: 5 Lilien ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 4 Lilien
Umsetzung: 4 Lilien
Worldbuilding: 3,5 Lilien
Einstieg: 4 Lilien
Ende / Auflösung: 5 Lilien ♥
Schreibstil: 4 Lilien
Protagonistin: 4 Lilien
Figuren: 4 Lilien
Spannung: 4 Lilien
Atmosphäre: 3 Lilien
Emotionale Involviertheit: 4 Lilien
Feministischer Blickwinkel: 3 Lilien

Insgesamt:

❀❀❀❀ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir vier Lilien!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 22.03.2020

Solide, unterhaltsame, gewohnt düstere & blutige Fortsetzung mit liebevoll ausgearbeiteten Figuren – nur das Ende ist leider viel zu offen!

1794
0

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Nach den tragischen Ereignissen im letzten Band ist der Stadtknecht Jean Michael Cardell in ein tiefes Loch gefallen. Eines Tages bittet ihn eine Witwe, deren Tochter ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Nach den tragischen Ereignissen im letzten Band ist der Stadtknecht Jean Michael Cardell in ein tiefes Loch gefallen. Eines Tages bittet ihn eine Witwe, deren Tochter in ihrer Hochzeitsnacht auf grausame Weise getötet wurde, um Hilfe. Angeblich sollen Wölfe die Täter gewesen sein, doch das will die trauernde Mutter nicht glauben. Dieses Mal steht Cardell bei den Ermittlungen Emil Winge zur Seite, der Bruder von Cecil, der mit seinen ganz eigenen Dämonen zu kämpfen hat…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Band #2 der Reihe um Cardell und Winge; nach dem sehr offenen Ende scheint ein Nachfolger wahrscheinlich – einen offiziellen Erscheinungstermin gibt es allerdings zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Erzählweise: Figuraler Erzähler, Ich-Erzähler, Präteritum und Präsens
Perspektive: männliche Perspektive und weibliche Perspektive
Kapitellänge: kurz
Tiere im Buch: -! Auch der Nachfolger von „1793“ ist für TierliebhaberInnen stellenweise schwer zu ertragen. Es wird über die Jagd gesprochen, Pferde werden grob angetrieben und wirken vernachlässigt, und eine Katze hat schlimme Vergiftungserscheinungen und wird auf brutale Weise von ihrem Leiden erlöst.

Warum dieses Buch?

Nach dem großartigen ersten Band, der zu meinen Jahreshighlights 2019 gehörte, habe ich mich wahnsinnig auf die Fortsetzung gefreut und konnte es kaum erwarten, sie zu lesen! Dementsprechend hoch waren natürlich meine Erwartungen …

Meine Meinung

Einstieg (4 Sterne)

Auch wenn ich in den ersten Kapiteln nicht sofort wusste, wen ich da überhaupt begleite, dauerte es nur wenige Seiten, bis ich wieder ganz in die Geschichte eingetaucht und mich wie mit einer Zeitmaschine ins Jahr 1794 zurückkatapultiert fühlte. Sehr dankbar war ich für das Personenregister am Beginn des Buches, das für alle, bei denen die Lektüre des ersten Bandes schon länger her ist, eine große Hilfe sein wird.

Schreibstil (5 Lilien ♥)

Erneut beweist der Autor, was für ein großartiger Geschichtenerzähler er ist. Der Schreibstil, der mich auch emotional wieder mitreißen konnte, ist wunderbar atmosphärisch, bildlich, tiefgründig und angenehm lesbar. Man fliegt nur so durch die Seiten! Die lebendigen, authentischen Dialoge konnten mich ebenso wieder überzeugen wie die kleine Prise Humor, die im Buch enthalten ist. Aufgrund der überraschend modernen Sprache eignet sich auch die Fortsetzung wieder für alle, die eigentlich keine historischen Romane mögen und bei einer schwülstigen Schreibweise am liebsten die Flucht ergreifen würden.

Gestört hat mich erneut, dass die schwedischen Namen für Flüsse, Berge, Plätze und Brücken ohne Übersetzung übernommen wurden, was ich sehr mühsam und nervig fand und was mich leider manchmal auch aus dem Lesefluss gerissen hat. Ich mag es nicht, wenn ich mir etwas nicht genau vorstellen kann und musste daher oft googeln. Mein Vorschlag lautet wieder: Man könnte die Originalnamen mit der deutschen Bezeichnung für das „Ding“ kombinieren (z. B. „XY-Platz“ oder „XY-Straße“) – so würde auch das schwedische Flair nicht verloren gehen.

Inhalt, Themen & Ende (4 Lilien)

„‘Vielleicht wurde unsere Spezies seit Anbeginn von dieser Art der Fäulnis geplagt? Womöglich wird die Welt nur älter, aber niemals besser.“ E-Book, Position 1429

Da es so einen großen, meiner Meinung nach berechtigten Hype um „1793“ gegeben hat, waren meine Erwartungen – und wohl auch der Druck auf den Autor, an den Erfolg anzuknüpfen – sehr hoch. Niklas Natt och Dag meistert diese Herausforderung und hat eine solide Fortsetzung geschrieben, die mit den bekannten Stärken punkten kann, erneut sehr unterhaltsam und gewohnt düster ist. Der Autor schaut auch dieses Mal wieder ganz genau hin und beschönigt nichts, wenn es blutig, brutal oder richtig ekelhaft wird. Manchmal kann man fast nicht hinsehen, anderes möchte man eigentlich gar nicht so genau wissen, trotzdem kann man nicht anders, als Wort für Wort zu verdauen – auch wenn manche Szene eventuell leichte Übelkeit verursacht. Gerade diese ehrlichen und authentischen Beschreibungen machen die Reihe von Natt och Dag jedoch zu etwas ganz Besonderem! Zartbesaiteten und Fans von romantischen historischen Romanen empfehle ich auch dieses Mal, sich den Büchern nur vorsichtig und mit Bedacht zu nähern – oder im Zweifel gleich einen Bogen darum zu machen.

Auch die Fortsetzung ist wieder in vier Teile geteilt, die den verschiedenen Jahreszeiten entsprechen. Dieses Mal rückt die Mordermittlung allerdings mehr in den Hintergrund als noch im Auftakt, stattdessen konzentriert sich der Autor stärker auf die Probleme seiner ProtagonistInnen. Deswegen lässt sich „1794“ als historischer Roman mit kleinerem Krimianteil beschreiben. Obwohl mich die Geschichte wieder überzeugen konnte, hätte ich mir etwas mehr Ermittlungsarbeit gewünscht.

In „1794“ stehen Themen wie Freundschaft, Vergänglichkeit, Trauer, Schuld, Reue, Einsamkeit und Versagen im Mittelpunkt, die der Autor gewohnt tiefgründig behandelt. So detailliert wie mit den blutigen, ekelhaften Details des damaligen Lebens beschäftigt sich Niklas Natt och Dag auch mit den Gefühlen und der Innenwelt seiner Figuren, die er immer sehr nuanciert und eindringlich beschreibt, so dass ich auch emotional wieder vollkommen von der Geschichte mitgerissen wurde.

Obwohl ich die letzte Szene stark fand, gefiel sie mir nicht als Ende des Romans. Es gibt nämlich gute und schlechte offene Enden – jenes von „1794“ gehört leider zu letzterer Gruppe. Am Schluss gibt es noch so viele unbeantwortete Fragen und lose Fäden, dass das Buch auf mich wirkte, als würde es bei ca. drei Viertel plötzlich und völlig unerwartet abbrechen. Niklas Natt och Dag sollte also besser schon an einer Fortsetzung arbeiten, wenn er will, dass ich ihm dieses Ende verzeihe! Ich werde jedenfalls auch beim nächsten Band wieder mit an Bord sein und freue mich jetzt schon darauf. EinsteigerInnen sollten übrigens unbedingt mit Band 1 beginnen, um „1794“ in vollem Umfang genießen zu können.

„Wir brauchen keinen Teufel, solange wir Menschen einander haben.“ E-Book, Position 1652

ProtagonistInnen (5 Lilien ♥) & Figuren (5 Lilien ♥)

Zu den größten Stärken von „1794“ gehören auch dieses Mal wieder die liebevoll ausgearbeiteten, unverwechselbaren Figuren mit ihren glaubwürdigen Fehlern und Schwächen und ihrem guten Kern. Ich habe mich sehr darüber gefreut, altbekannte Personen wiederzusehen, aber auch die neuen Figuren sind interessant und komplex und überzeugen auf ganzer Linie. Niklas Natt och Dag hat Eines verstanden: Auch das beste Buch ist nichts ohne einmalige Charaktere, mit denen man mitfühlt und mitleidet und die man gerne begleitet.

Spannung & Atmosphäre (5 Lilien ♥)

Eine düstere Atmosphäre zu kreieren, die so unheimlich dicht ist, dass es sich anfühlt, als wäre man selbst dort – im Jahre 1794 in Schweden – das gelingt keinem so gut wie Niklas Natt och Dag. Auch dieses Mal haben mich seine (mit Sicherheit wieder durch sorgfältige Recherchen gestützten) lebendigen, anschaulichen Beschreibungen von Sklavenhandel, Irrenhäusern (damals wurde mit psychischen Krankheiten ja leider noch dramatisch anders umgegangen!) und dem ganz normalen Alltagswahnsinn der damaligen Zeit wieder berührt, schockiert und betroffen gemacht. Erneut betrachte ich nach der Lektüre dieser Milieustudie die Errungenschaften der modernen Zeit mit großer Dankbarkeit.

Es gibt zwar auch dieses Mal einige effektvolle, überraschende Wendungen, doch der Mörder steht leider schon sehr früh fest, wodurch der Spaß des Rätselratens leider drastisch verkürzt wird und wodurch es auch zu kleineren Spannungseinbrüchen kam, die mich aber nicht weiter gestört haben. An dieser Stelle noch eine Warnung: Nach der Lektüre dieser Reihe werdet ihr die damalige Zeit für immer mit anderen Augen sehen. Euch werden Menschen, die das damalige Leben romantisieren und nostalgisch sagen: „Früher war alles besser!“ nur mehr ein nervöses Lachen entlocken!

Feministischer Blickwinkel (5 Lilien ♥)

Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: Luder, Hu++, Flitt+++

Sehr gut gefällt mir, dass das Geschlechterverhältnis dieses Mal ausgeglichener ist als im ersten Teil, der ja stark männlich dominiert war. In „1794“ gibt es einige starke, intelligente weibliche Hauptfiguren, die oft ihre männlichen Kollegen mit ihrer Intelligenz, ihrem Talent oder ihrem Mut übertrumpfen. Auch sonst wird mit Geschlechterstereotypen immer wieder gebrochen. Die damals schwierige Situation der Frauen, Gewalt gegen Frauen (auch Prostituierte) und enge Geschlechterrollen werden mehrmals kritisiert, was mir ebenfalls sehr gut gefallen hat! Auch den Bechdel-Test besteht das Buch problemlos. Für einen historischen Roman macht der Autor trotz kleinerer Schönheitsfehler sehr viel richtig, weswegen er auch ein großes Lob und bei diesem Unterpunkt alle Punkte erhält!

Mein Fazit

Niklas Natt och Dag hat eine solide Fortsetzung geschrieben, die mit den bekannten Stärken punkten kann, sehr unterhaltsam und gewohnt düster ist. Der Schreibstil ist flüssig und wunderbar atmosphärisch und bildlich, wobei der Schriftsteller auch dieses Mal wieder ganz genau hinschaut und nichts beschönigt, wenn es blutig, brutal oder richtig ekelhaft wird. Gerade diese authentischen Beschreibungen machen die Reihe von Natt och Dag zu etwas ganz Besonderem! Obwohl mich die Geschichte wieder überzeugen konnte, hätte ich mir etwas mehr Ermittlungsarbeit gewünscht. In „1794“ stehen Themen wie Freundschaft, Trauer und Versagen im Mittelpunkt, die der Autor gewohnt tiefgründig behandelt. Auch emotional wurde ich wieder von der Geschichte mitgerissen. Zu den größten Stärken von „1794“ gehören erneut die liebevoll ausgearbeiteten, unverwechselbaren Figuren mit ihren glaubwürdigen Fehlern und ihrem guten Kern. Eine düstere Atmosphäre zu kreieren, die so dicht ist, dass es sich anfühlt, als wäre man selbst am Ort des Geschehens – das gelingt keinem so gut wie Niklas Natt och Dag. Auch dieses Mal haben mich seine lebendigen, anschaulichen Beschreibungen von Sklavenhandel, Irrenhäusern und dem ganz normalen Alltagswahnsinn der damaligen Zeit wieder berührt, schockiert und betroffen gemacht. Nicht überzeugen konnte mich leider das viel zu offene Ende, denn es wirkt, als würde das Buch bei ca. drei Viertel plötzlich und völlig unerwartet abbrechen. Auf die Fortsetzung freue ich mich jetzt schon! Wenn ihr bereit für eine Reise in die düstere Vergangenheit seid, dann schlagt die erste Seite auf und taucht ein in die dichte Atmosphäre des Romans – aber besser nicht auf nüchternen Magen!

Bewertung

Idee: 5 Lilien ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 4 Lilien
Umsetzung: 4 Lilien
Worldbuilding: 5 Lilien ♥
Einstieg: 4 Lilien
Ende / Auflösung: 2 Lilien
Schreibstil: 5 Lilien ♥
ProtagonistInnen: 5 Lilien ♥
Figuren: 5 Lilien ♥
Spannung: 4 Lilien
Atmosphäre: 5 Lilien ♥
Emotionale Involviertheit: 5 Lilien ♥
Feministischer Blickwinkel: 5 Lilien ♥

Insgesamt:

❀❀❀❀ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir vier Lilien!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 12.03.2020

Originelle, spannende Kombination aus Wissenschaft, Humor & Comic-Zeichnungen

What if? Was wäre wenn? - Wirklich wissenschaftliche Antworten auf absurde hypothetische Fragen
0

Inhalt

Randall Munroe bezeichnet sich selbst als „Dr. Sommer für verrückte Wissenschaftler“. Über seine Website „xkcd“ werden ihm immer wieder absurde hypothetische Fragen zugesandt, die er im Anschluss ...

Inhalt

Randall Munroe bezeichnet sich selbst als „Dr. Sommer für verrückte Wissenschaftler“. Über seine Website „xkcd“ werden ihm immer wieder absurde hypothetische Fragen zugesandt, die er im Anschluss versucht, gleichzeitig so wissenschaftlich und witzig wie möglich zu beantworten.

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Tiere im Buch: + Es werden im Buch keine Tiere verletzt, gequält oder getötet. Jedoch wird hypothetisch mit Fleisch experimentiert und kurz auf die Jagd mit Pfeil und Bogen eingegangen.

Warum dieses Buch?

Oft genug wird mir gesagt, ich solle nicht so kompliziert denken. Regelmäßig treibe ich die Menschen in meinem Umfeld mit meinen hypothetischen Fragen charmant in den Wahnsinn. Da ist es natürlich kein Wunder, dass mich dieses Buch sofort angesprochen hat. Nach den ersten Seiten der Leseprobe war es um mich geschehen – ich musste dieses Buch unbedingt lesen!

Meine Meinung

Einstieg (♥)

„Randall: Gibt es in unserem Haus mehr weiche oder mehr harte Sachen?“ Seite 9

Der Einstieg ins Buch hat sich sehr angenehm gestaltet. Nach einer kurzen Einführung, in der der Autor sich kurz vorstellt und erklärt, wie seine Vorliebe für absurde Fragen bereits in seiner Kindheit angefangen hat, beginnt das Buch auch schon mit den ersten Fragen.

Inhalt (4 Lilien)

„Vergessen Sie nicht: Ich bin ein Comiczeichner. Wenn Sie meinen Ratschlägen zum Thema ‚Sicherheit rings um Kernmaterial‘ folgen, haben Sie es vermutlich nicht besser verdient.“ Seite 23

Randall Munroe hat Physik studiert, war als Roboter-Ingenieur bei der NASA tätig und arbeitet nun als Comic-Zeichner. Seine vielfältigen Talente verbindet der Autor in seinem Sachbuch auf originelle, erfrischend ungewöhnliche und sehr überzeugende Weise. Die mir vorliegende erweiterte Fan-Edition in limitierter Auflage enthält sogar zusätzliche Kapitel, weswegen sich der Kauf auf jeden Fall lohnt.

Der Autor beantwortet verschiedene hypothetische und absurde Fragen ausführlich mit verständlichen wissenschaftlichen Erklärungen, für die er eingehend recherchiert und mit Experten gesprochen hat. Zusätzlich enthält das Buch noch Rubriken mit Kurzantworten zu einzelnen Themengebieten. Dass es sogar für Munroe Grenzen gibt, wird durch die kurzen Zwischenkapitel deutlich, in denen er Fragen anführt, die sogar ihm zu seltsam oder gar beunruhigend sind, wie z. B. „Wenn eine Venusfliegenfalle einen Menschen verzehren könnte, wie lange würde es dauern, bis dieser Mensch völlig ausgesaugt und absorbiert ist?“.

Vor allem am Beginn der Lektüre konnte ich meine Begeisterung fast nicht in Zaum halten. Faszinierende Fragen wie „Wenn man eine zufällige Nummer wählt und „Gesundheit!“ sagt, wie hoch ist dann die Wahrscheinlichkeit, dass der Angerufene tatsächlich gerade geniest hat?“ und „Was wäre, wenn auf der ganzen Welt jeder Mensch ein paar Wochen lang einen Sicherheitsabstand zu seinen Mitmenschen halten würde – wären danach nicht alle Erkältungskrankheiten ausgerottet?“ haben dazu geführt, dass ich mich fragte, warum ICH eigentlich nicht Physik studiert und Wissenschaftlerin geworden bin. Leider nutzt sich das Prinzip des Buches im Laufe der Lektüre ab und meine Begeisterung ließ ein wenig nach. Manche der Fragen interessierten mich nicht wirklich oder waren mir ZU hypothetisch und abgehoben. Dennoch bin ich mir sicher, dass bei der Fülle an verschiedenen Themen, die angesprochen werden, für jede und jeden etwas dabei ist! Durch die Lektüre kann man auf jeden Fall einen großen Haufen von nützlichem und unnützem, aber höchst interessantem Wissen anhäufen, mit dem man seine Mitmenschen beeindrucken kann.

Schreibstil & Verständlichkeit (3,5)

Randall Munroes angenehmer Schreibstil, sein oft ironischer oder zumindest humorvoller Unterton und seine einfachen Erklärungen haben mir über weite Teile des Buches unheimlich gut gefallen. In seinen besten Momenten empfand ich die Zeilen des Autors gleichzeitig als spannend, faszinierend, lehrreich, lustig und unheimlich unterhaltsam.

Leider schießt Munroe in manchen Kapiteln etwas übers Ziel hinaus und lässt sich zu zu vielen Fachausdrücken, langweiligen Beschreibungen und Formeln und Rechnungen hinreißen, mit denen Laien (wie ich) nicht viel anfangen können. Leute, die selbst Physik studiert haben, werden gerade in solchen Momenten ihren Spaß haben und das Buch so auf einem weiteren Level genießen können – leider erreicht das Sachbuch dadurch aber nicht sein Ziel, die breite Masse (die eben nicht viel Fachwissen in diesem Bereich besitzt) anzusprechen und für die Wissenschaft zu begeistern. Manchmal wäre hier weniger sicherlich mehr gewesen.

Illustrationen & Humor (5 Lilien ♥)

Großartig am Buch fand ich Munroes teilweise trockenen und sarkastischen Humor, der für mich eine Punktlandung darstellte und genau meinen Geschmack traf. Die reduzierten Comic-Zeichnungen lockern den Text gekonnt auf und haben mir mehr als einmal ein Schmunzeln oder lautes Auflachen entlockt, was die Lektüre zum Genuss machte.

Feministischer Blickwinkel (3 Lilien)

Obwohl das Buch frei von Sexismus und Misogynie ist, ist mir negativ aufgefallen, dass in der Übersetzung (im Englischen gibt es ja keine weibliche Form) nicht auf eine geschlechtergerechte Sprache geachtet wurde. In Zukunft würde ich mir vom Übersetzer, Ralf Pannowitsch, wünschen, dass er sich um eine zeitgemäße Übersetzung bemüht und gendert! Randall Munroe dankt in seiner Danksagung zwar auch einigen Wissenschaftlerinnen, im Text jedoch nicht. Hier hätte ich mir gewünscht, dass er mehr weibliche Forscherinnen (von denen es sicher einige gibt) zu Rate gezogen hätte.

Mein Fazit

Seine vielfältigen wissenschaftlichen und künstlerischen Talente verbindet Randall Munroe in seinem Sachbuch, für das er sorgfältig recherchiert hat, auf originelle, erfrischend ungewöhnliche und sehr überzeugende Weise. Obwohl mich manche Fragen nicht interessierten oder mir ZU hypothetisch und abgehoben waren, bin ich mir sicher, dass bei der Fülle an verschiedenen Themen, die angesprochen werden, für jede und jeden etwas dabei ist! Randall Munroes angenehmer Schreibstil, sein oft ironischer oder zumindest humorvoller Unterton und seine einfachen Erklärungen haben mir über weite Teile des Buches unheimlich gut gefallen. In seinen besten Momenten fand ich das Buch spannend, faszinierend, lehrreich, lustig und unheimlich unterhaltsam. Leider schießt Munroe in manchen Kapiteln etwas übers Ziel hinaus und lässt sich zu zu vielen Fachausdrücken und Formeln hinreißen, mit denen Laien (wie ich) nicht viel anfangen können. Manchmal wäre hier weniger sicherlich mehr gewesen. Großartig am Buch fand ich Munroes teilweise trockenen und sarkastischen Humor, der für mich eine Punktlandung darstellte und genau meinen Geschmack traf. Die reduzierten Comic-Zeichnungen lockern den Text gekonnt auf und haben mir mehr als einmal ein Schmunzeln oder lautes Auflachen entlockt. Und falls ihr euch jetzt fragt: „Was wäre, wenn ich dieses Buch auch lesen würde?“, kann ich euch diese hypothetische Frage gerne beantworten: Ihr würdet es nicht bereuen!

Bewertung

Einstieg: 5 Lilien ♥
Inhalt: 4 Lilien
Verständlichkeit: 3,5 Lilien
Schreibstil: 3,5 Lilien
Illustrationen: 5 Lilien ♥
Humor: 5 Lilien ♥
Feministischer Blickwinkel: 3 Lilien

Insgesamt:

❀❀❀❀ Lilien

Dieses Buch erhält von mir vier Lilien!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 07.03.2020

Origineller und unterhaltsamer Krimi mit schwarzem Humor und einer Prise Sexismus – für Zartbesaitete nur bedingt geeignet!

Achtsam morden
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Spoilerfreie Rezension!

Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): nicht bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: Schlam++, verstaubte, ...

Spoilerfreie Rezension!

Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): nicht bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: Schlam++, verstaubte, alte Kanzleimatratze

Inhalt

Fühlt ihr euch auch manchmal gestresst und erschöpft von den täglichen Anforderungen eures Lebens? Dann könnte eine achtsame Lebensumstellung etwas für euch sein! Diese macht der Protagonist von "Achtsam morden", der Anwalt eines Schwerkriminellen, gerade erfolgreich durch, um seine kriselnde Ehe zu retten. Als sein Mandant es irgendwann übertreibt und die gemeinsame Zeit mit seiner Tochter auf dem Spiel steht, bringt Björn Dragan einfach um - dabei befolgt er aber vorbildlich die neu erlernten Regeln der Achtsamkeit.

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Band #1 der Reihe um Björn Diemel, die Fortsetzung „Das Kind in mir will achtsam morden“ erscheint im Mai 2020
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präteritum
Perspektive: männliche Perspektive
Kapitellänge: kurz bis mittel
Tiere im Buch: + Es werden im Buch keine Tiere verletzt, gequält oder getötet. Fleisch wird jedoch gegessen.

Warum dieses Buch?

„Kann das funktionieren?“, fragte ich mich vor der Lektüre. Ich fand die Verbindung von Achtsamkeitskonzept und Krimi jedenfalls so ungewöhnlich und spannend, dass ich diesen Roman unbedingt lesen wollte. Die begeisterten LeserInnenstimmen fachten meine Neugierde nur weiter an.

Meine Meinung

Einstieg (5 Sterne ♥)

"Eins vorweg: Ich bin kein gewalttätiger Mensch. [...] Und den ersten Menschen habe ich auch erst mit 42 Jahren umgebracht." Seite 9

Ich habe sofort in die Geschichte gefunden und empfand den Einstieg als sehr problemlos, entspannt und „locker-flockig“.

Schreibstil (4 Lilien)

Auch Karsten Dusses Schreibstil konnte mich überzeugen. Er schreibt weder poetisch noch enthält sein Text viele Metaphern, dafür ist die schnörkellose, unaufgeregte und sehr flüssig und angenehm lesbare Sprache mit dem oft satirischen Unterton für einen kurzweiligen Krimi, der in erster Linie unterhalten soll, perfekt geeignet.

Inhalt, Themen & Ende (4 Lilien)

„Achtsamkeit ist die wertungsfreie und liebevolle Wahrnehmung des Augenblicks.“ Seite 10

Was mir am besten an dieser Mischung aus Krimi und Roman gefällt, ist die originelle, erfrischende Idee, die Karsten Dusse hatte. Vor der Lektüre habe ich mich gefragt, ob diese ungewöhnliche Verbindung von Achtsamkeit und Krimihandlung funktionieren kann. Jetzt kenne ich die Antwort: Ja, und wie! Ich fand es sehr amüsant und gleichzeitig skurril, wie der Protagonist nach und nach sein Leben umstellt und sich dabei immer weiter in Schwierigkeiten bringt – denen er jedoch ganz gelassen begegnet. Während andere in der gleichen Situation vermutlich Beruhigungsmittel eingeworfen hätten, wird der Ratgeber seines Achtsamkeitsmentors zu Björns neuer Bibel. Ich empfand die Achtsamkeitstipps am Beginn jedes Kapitels als sehr interessant und lehrreich, vor allem da immer mehr Studien die positiven Auswirkungen dieser besonderen Art der Meditation belegen. Um mal vorsichtig in das Thema hinein zu schnuppern, ist das Buch perfekt geeignet. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass viele LeserInnen sich nach der Lektüre eingehender mit dem Konzept beschäftigen werden.

Auch den schwarzen, teilweise makabren, bissigen und zynischen Humor mochte ich sehr. Trotzdem möchte ich an dieser Stelle anmerken, dass das Buch für Zartbesaitete und empathische Menschen nur bedingt geeignet ist. Manchmal haben mir Björns Opfer echt leidgetan und die Folter- oder Mordszenen waren nicht immer leicht zu verdauen. Nicht so gut gefallen hat mir auch, wie Björn sich über Bewegungen, die die Welt tatsächlich ein Stückchen besser machen können (wie z. B. Veganismus) lustig macht.

Im Roman stehen klassische Themen wie Familie, Ehekrisen, moralische Fragen, Erfolg, Berufsstress, aber auch Entspannung im Mittelpunkt – Karsten Dusse behandelt sie mit angemessener Tiefe und hat einen kurzweiligen, unterhaltsamen und gleichzeitig auch auf seltsame Weise entschleunigenden und entspannenden Krimi geschaffen, der sich sehr schnell lesen lässt und großartig endet. Ich habe das Buch mit einem zufriedenen Schmunzeln beendet. Trotz allem habe ich mir nach den positiven Rezensionen doch erwartet, dass mich der Krimi noch etwas mehr begeistert und dass der Humor noch ein bisschen mehr meinen trifft. Jeder Gag hat nämlich nicht gezündet.

„Was mich bis heute an meinem ersten Mord so mit Freude erfüllt, ist der Umstand, dass ich dabei so wertungsfrei und liebevoll den Moment genießen konnte.“ Seite 24

Protagonist (3,5 Sterne) & Figuren (3 Lilien)

Punkteabzug gibt es leider bei den Figuren. Ich mochte zwar den Humor des Protagonisten, seine Intelligenz und seine abgöttische Liebe zu seiner kleinen Tochter und fand es sehr unterhaltsam, ihn durch die Geschichte zu begleiten. Allerdings ist der Anwalt teilweise auch sehr arrogant und egoistisch, schikaniert Untergebene und lässt alle spüren, dass er sich aufgrund seines Studiums, seiner Intelligenz und seines Erfolges für etwas Besseres hält. Sicher ist das Teil der Satire und wohl zu einem Teil gewollt und authentisch (immerhin arbeitet der Autor selbst in der Branche). Leider war mir der Herr Anwalt dadurch trotzdem teilweise sehr unsympathisch und ich wurde meine Hassliebe zu ihm bis zum Schluss nicht los. Irritiert hat mich auch, dass er in kein soziales Gefüge eingebettet ist – er scheint keine Freunde zu haben und auch über seine Familie (außer Frau und Kind) erfährt man nichts.

Den Nebenfiguren stehe ich zwiespältig gegenüber. Manche von ihnen empfand ich als sehr gelungen, andere blieben leider blass. Besonders gern mochte ich natürlich die Meisterphilosophin und kleine, süße Tochter des Protagonisten: Emily. Eine Sache hat mich sehr gestört, die auch schon von „SternchenBlau“ kritisiert wurde: So gut wie alle (der ohnehin wenigen) Frauenfiguren kommen sehr schlecht weg und wirken eindimensional und fast wie Karikaturen. So gibt es beispielsweise die frustrierte, kinderlose ältere Sekretärin, die streitsüchtige, undankbare, ständig Druck ausübende, gefühlskalte Ehefrau und die unfähige, reiche Referendarin, die nur aufgrund ihrer Abstammung einen Platz in der Kanzlei erhalten hat.

Spannung & Atmosphäre (4 Lilien)

Obwohl ich mir an manchen Stellen vielleicht noch etwas mehr Tempo und Spannung gewünscht hätte, bin ich mit dem wendungsreichen und unvorhersehbaren Buch insgesamt sehr zufrieden. Es wurde nie langweilig, denn je mehr Björn das Wasser bis zum Hals stand, desto neugieriger war ich, wie er die aufkommenden Probleme mithilfe seiner achtsamen Lebensphilosophie lösen würde.

Feministischer Blickwinkel (1 Lilie)

Zuerst möchte ich erwähnen, was mir gefallen hat: Ich fand es gut, dass Björn sich an einer Stelle kritisch über die gläserne Decke und mangelnde Gleichberechtigung in der Kanzlei äußert. Außerdem fand ich schön, dass er sich mehr und mehr zu einem tollen Vater entwickelt, der sich liebevoll um seine Tochter kümmert und die Zeit mit ihr sehr genießt.

Nicht gefallen hat mir der teilweise latente, teilweise offene Sexismus, der im ganzen Buch mitschwingt. Björn kommentiert auf sexistische Weise die Kinderlosigkeit seiner Sekretärin, und überhaupt scheint es in der Welt des Autor noch sehr traditionell zuzugehen: Am Spielplatz kümmern sich nur Tagesmütter, Mütter und Großmütter um ihre Kinder (Björn wirkt durch die mangelnde Sichtbarkeit anderer Väter wie eine absolute Ausnahme), die Frauen bleiben bei ihren Kindern zu Hause oder arbeiten Teilzeit, während die Väter die Karriereleiter hochklettern. In der Anwaltskanzlei und bei anderen Unternehmen gibt es keine oder nur einzelne Frauen, die fast ausschließlich inkompetent sind. Auch Björn selbst hat Emily in den ersten Lebensjahren vor seiner achtsamen Lebenseinstellung so gut wie nie gesehen. Das Geschlechterverhältnis der Figuren ist zudem sehr (!) unausgeglichen und die wenigen Frauen, die es gibt, sind unsympathisch und eindimensional und kommen (wie oben schon angesprochen) sehr schlecht weg.

Prostitution, Menschenhandel und Frauenmorde werden niemals kritisiert, sondern oft mit einem Augenzwinkern erwähnt, was problematisch ist. Zudem gibt es eine frauenfeindliche Beleidigung (Schlam++) und der Autor glaubt aus irgendeinem Grund, es wäre okay, eine Sekretärin als „verstaubte, alte Kanzleimatratze“ zu bezeichnen. Außerdem ist das Buch meilenweit davon entfernt, den Bechdel-Test zu bestehen. Das geht wirklich besser! Für die Fortsetzung wünsche ich mir, dass der Autor „achtsamer“ mit Sexismus, der Repräsentation von Frauen und Geschlechterstereotypen umgeht.

Mein Fazit

In „Achtsam morden“ hat Karsten Dusse auf originelle Weise Achtsamkeit mit einer Krimihandlung verbunden und daraus einen skurrilen, kurzweiligen, unterhaltsamen und gleichzeitig auch auf seltsame Weise entschleunigenden und entspannenden Roman geschaffen. Der Einstieg gelang problemlos und den schnörkellosen, unaufgeregten Schreibstil fand ich sehr angenehm. Die Achtsamkeitstipps am Beginn jedes Kapitels waren sehr interessant und lehrreich. Um erstmals vorsichtig mit dem Thema in Berührung zu kommen, ist das Buch perfekt geeignet. Auch den schwarzen, teilweise makabren, bissigen und zynischen Humor mochte ich sehr. Trotzdem möchte ich an dieser Stelle anmerken, dass das Buch für Zartbesaitete und empathische Menschen nur bedingt geeignet ist. Teilweise haben mir Björns Opfer echt leidgetan. Klassische Themen wie Familie, Ehekrisen und Berufsstress stehen im Mittelpunkt – Karsten Dusse behandelt sie mit angemessener Tiefe. Trotz allem habe ich nach den positiven Rezensionen erwartet, dass mich der Krimi noch etwas mehr begeistert und dass der Humor noch ein bisschen mehr meinen trifft. Jeder Gag hat nämlich nicht gezündet. Obwohl ich mir an manchen Stellen vielleicht noch etwas mehr Tempo und Spannung gewünscht hätte, bin ich mit dem wendungsreichen und unvorhersehbaren Buch sehr zufrieden. Punkteabzug gibt es leider bei den Figuren. Ich mochte zwar den Humor des Protagonisten, seine Intelligenz und seine abgöttische Liebe zu seiner kleinen Tochter. Allerdings ist der Anwalt teilweise auch sehr arrogant und egoistisch, schikaniert Untergebene und lässt alle spüren, dass er sich für etwas Besseres hält. Dadurch war er mir teilweise sehr unsympathisch. Den Nebenfiguren stehe ich zwiespältig gegenüber. Manche von ihnen empfand ich als sehr gelungen, andere blieben leider blass. Eine Sache hat mich sehr gestört: Der manchmal latente, manchmal auch offene Sexismus, der im ganzen Buch mitschwingt. Das Geschlechterverhältnis ist sehr unausgeglichen. So gut wie alle (der ohnehin wenigen) Frauenfiguren kommen sehr schlecht weg und wirken eindimensional, unsympathisch und fast wie Karikaturen. Für die Kinderbetreuung sind in diesem Buch eindeutig die Frauen zuständig (der Anwalt selbst ist die einzige Ausnahme), es gibt sexistische Kommentare und Beleidigungen gegenüber Frauen, und im Berufsleben gibt es nur vereinzelt Frauen, die auch noch alle inkompetent sind. Außerdem ist das Buch meilenweit davon entfernt, den Bechdel-Test zu bestehen. Das geht wirklich besser! Für die Fortsetzung wünsche ich mir, dass der Autor „achtsamer“ mit Sexismus, Geschlechterstereotypen und der Repräsentation von Frauen umgeht – dann gibt es auch die fünfte Lilie. Eine Leseempfehlung gibt es schon jetzt.

Bewertung

Idee: 5 Lilien ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 4 Lilien
Umsetzung: 4 Lilien
Worldbuilding: 4 Lilien
Einstieg: 5 Lilien ♥
Schreibstil: 4 Lilien
Protagonist: 3,5 Lilien
Nebenfiguren: 3 Lilien
Spannung: 4 Lilien
Atmosphäre: 4 Lilien
Ende / Auflösung: 5 Lilien ♥
Emotionale Involviertheit: 3,5 Lilien
Feministischer Blickwinkel: 1 Lilie!

Insgesamt:

❀❀❀❀ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir knappe 4 Lilien!

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  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere