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Veröffentlicht am 14.11.2020

Historischer Roman mit Schwächen

Das Erbe der Päpstin
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Im Jahr 858 flieht die junge Freya aus dänischer Gefangenschaft. Ihr Ziel ist es ihren Großvater Gerold von Dorstadt zu finden. Dort angekommen, müssen sie feststellen, dass Gerold schon längst im fernen ...

Im Jahr 858 flieht die junge Freya aus dänischer Gefangenschaft. Ihr Ziel ist es ihren Großvater Gerold von Dorstadt zu finden. Dort angekommen, müssen sie feststellen, dass Gerold schon längst im fernen Rom als Befehlshaber der päpstlichen Garde lebt. Freya macht sich als Junge verkleidet auf dem Weg. In Rom wird sie Zeugin von ausbrechenden Unruhen – angestachelt von verschiedenen politisch verfeindeten Parteien. Sie muss mit ansehen, wie ihr Großvater und der Papst, der sich während einer Prozession als Frau entpuppt, angegriffen und ermordet werden. Freya muss vor den Feinden ihres Vaters untertauchen. Gemeinsam mit dem Gardisten Aristid versucht sie die Mörder ihres Großvaters zur Rechenschaft zu ziehen.
Mit großer Erwartung habe ich die Fortsetzung des Romans „Die Päpstin“ von Donna Cross gelesen. Denn auf mich wirkte die Geschichte sehr spannend und ich hatte mir erhofft, dass die Hintergründe der Ermordung von Gerold und die tragischen Umstände von Päpstin Johannas Tod zu einer mitreißenden Kriminalgeschichte werden. Leider wurden meine Erwartungen diesbezüglich nicht ganz erfüllt.
Bekommen habe ich eine sich über einen längeren Zeitraum entwickelnde Geschichte mit einer Protagonistin, die sich mutig den für die damalige Zeit harten Lebensumständen stellt, aber auch irgendwie nicht in die gesellschaftlichen Regeln passen will. In diesem Punkt ähnelt sie sehr Johanna, die im ersten Band bereits einen ungewöhnlichen Weg beschritt, und als Junge verkleidet Karriere als Arzt macht. Beide suchen nach einer Identität und versuchen gesellschaftlich vorgegebene Rollen zu durchbrechen. Indem Freya erkennt, mit welchem Mut Johanna ihr Leben geführt hat und wie ihr medizinisches Wissen dabei geholfen hat anderen zu helfen, findet sie ihren eigenen Weg und auch ihre Berufung.
Trotz der Parallelen wirken beide Geschichten auf mich nur lose miteinander verknüpft. Die Begegnung von Freya mit ihrem Großvater und auch mit Päpstin Johanna fallen relativ kurz aus. So dass sich für mich keine tiefe emotionale Bindung zwischen diesen entscheidenden Personen entwickeln kann oder erkennen lässt. Freya als Charakter blieb für mich auch über weite Strecken fremd. Gut fand ich wiederum, dass sie durch einige Charaktereigenschaften eine gewisse Tiefe hat, die anderen Charakteren im Roman manchmal fehlen. So ist der Antagonist Hugo Abbas durch und durch Widersacher mit wenig Gewissensbissen, was ihn für mich zu einem sehr berechenbaren Gegenspieler macht.
Obwohl ich den Erzählstil sehr abwechslungsreich und flüssig empfand, muss ich sagen, dass die Handlung auf mich wie eine Aneinanderreihung von einzelnen Episoden im Leben von Freya wirkte. Obwohl Freya auf die Mörder ihres Großvaters jeden Hass verspüren muss, und sogar laut Klappentext Rache schwört, wirkt sie auf mich auf lange Strecken wie jemand, der dieses Ziel nicht verfolgt. Die Begegnungen mit Ihren „Feinden“ wirken rein zufällig. Ich hatte nicht das Gefühl, dass sich die Geschichte von Freya auf ein Ziel zubewegt oder sich Handlungen dramatisch zuspitzen. Das ist aber nur mein Eindruck.
Ein großes Plus allerdings ist für mich der historische Hintergrund, in dem Freya agiert. Die ständigen Unruhen und Überfälle durch die Wikinger, die in weiten Teilen Europas Angst und Schrecken verbreiteten. Die Machtspiele bei der Papstwahl in Rom, aber auch die machtpolitischen Auseinandersetzungen der damaligen fränkischen Herrscher im 9. Jahrhundert. Ich musste einiges nachlesen, um die Ereignisse und auch einige Personen, denen Freya begegnet, einzuordnen. Daher wären ein Personenregister und vielleicht auch die Vorstellung von bedeutsamen historischen Ereignissen für den Leser sehr wertvoll gewesen. Dennoch gelingt es meiner Meinung nach der Autorin gut, historisch belegte Tatsachen mit der überwiegend fiktiven Erzählung spannend zu verknüpfen. Auch wenn historische Personen wie Hugo Abbas hier zum Wohle der Dramaturgie einen etwas anderen Charakterzug bekommen, als dieser in Wirklichkeit wahrscheinlich hatte.
Mein Fazit: Es fällt mir schwer ein Fazit zu ziehen. Ich bin sogar etwas unschlüssig. Auf der einen Seite ist das ein unterhaltsamer, über weite Strecken spannend erzählter historischer Roman, der besonders durch den historischen Kontext und die Hauptfigur punkten kann. Auf der anderen Seite habe ich das Gefühl, dass dieser Roman im Schatten des allseits gehypten Vorgängers gefangen ist bzw. es ihm nicht gelingt die Vorgängergeschichte überzeugend fortzusetzen. Am Ende bleibt die Frage „Was genau ist das Erbe der Päpstin?“.

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Veröffentlicht am 14.06.2020

Kauzig, schräge Mödersuche

Walter muss weg
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Hannelore Huber hat diesen Tag herbeigesehnt: endlich Witwe. Nach mehr als 50 Jahren Ehe mit einem Gatten, der ihr mehr oder wenig aufgezwungen wurde und eine Ehe, die am Ende mehr schlecht als recht geführt ...

Hannelore Huber hat diesen Tag herbeigesehnt: endlich Witwe. Nach mehr als 50 Jahren Ehe mit einem Gatten, der ihr mehr oder wenig aufgezwungen wurde und eine Ehe, die am Ende mehr schlecht als recht geführt wurde. Umso fröhlicher blickt sie ihrer Zukunft entgegen. Doch weit gefehlt: Am Tag der Beerdigung öffnet sich der Sarg ungewollt und darin liegt ein anderer Toter als ihr Ehemann. Schnell wird klar, hier ist etwas ganz und gar Seltsames passiert im beschaulichen Ort Glaubenthal. Und wo ist ihr Gatte? Als dann noch eine Prostituierte spurlos verschwindet, die etwas mit dem Tod ihres Verflossenen zu tun haben soll, macht sich Hannelore auf die Suche nach der Wahrheit…
Zugegeben der Titel „Walter muss weg“ ist schon etwas merkwürdig. Aber er macht auch neugierig. Denn als ich ihn las, dachte ich sofort, hier bringt eine frustrierte Ehefrau ihren Ehemann um und kommt auch noch damit durch. Ich habe mich geirrt. Aber den schwarzen Humor hat die Geschichte trotzdem reichlich. Als Leserin werde ich ein beschauliches, idyllisches Ort mitten in die Alpen versetzt. Da wo sich buchstäblich Fuchs und Hase gute Nacht wünschen und jeder jeden kennt, zumal man sich auch mit den berühmten Feldstechern auf Schritt und Tritt gegenseitig verfolgen kann. Die Dorfbewohner sind kauzige Zeitgenossen, bei denen man von Anfang an glaubt, dass jeder so seine Leichen im Keller hat. So ist es auch in diesem Roman, der nur so trieft vor schwarzem Humor. Hannelore Huber, gut 70 Jahre alt, begibt sich in ihrem Alter auf Mördersuche… und das an einem einzigen Tag. Eine beachtliche Leistung und wer hier sofort an Agatha Christie’s Miss Marple denkt … ich musste es auch. Das ist aber nicht schlimm. Die Figur ist bekannt und jeder mag die alte verkauzte Möchtegern-Detektivin, die im Ganzen eine bessere Figur macht, als die seltsam vertrottelt wirkenden Polizisten Swoboda und Unterberger-Sattler. Der Autor bedient sich hier bekannten literarischen Klischees und Charakteren und packt sie in eine idyllische Alpendorf-Optik. Das Ganze wird dann noch gewürzt mit triefendem schwarzem Humor, denn die vermeintliche Witwe freut sich über das Ableben des Gatten und rächt sich quasi damit, in dem sie ihn in verhasste Kleidungsstücke beerdigen lässt. Überhaupt hat die gute Hannelore Huber so manche scharfe Kante. Sie wirkt verbittert, grantig, aber wortwitzig und auf den zweiten Blick alles andere als dement oder vergreist. Wer nachts noch mit Gehstock durch die Gegend auf Mörderjagd gehen kann, ist alles andere als „alt“. Besonders ans Herz gewachsen ist mir „Hanni“, da sie nur auf den ersten Blick verbittert erscheint. Ja, sie beweist sogar noch Herz, wenn es um die kleine Amelie Glück geht. So ist dem Autor meiner Meinung eine interessante, vielschichtige Hauptfigur gelungen, wenn er sich auch nicht komplett vom Klischee einer Miss Marple lösen kann.
Wer das gut verkraften kann, darf sich darüber hinaus an der anspruchsvollen, wortgewandten Sprache erfreuen, die wahrscheinlich so manchen Leser zur Verzweiflung bringt. Auch ich hatte meinen holprigen Start. Oh ja, der Autor kann uns hier geradezu beim Lesen schwindelig schreiben. Die Sätze sind ungewohnt verschachtelt, temporeich und zackig geschrieben. Angereichert mit vielen Bewertungen. Glossen-Leser dürften sich freuen. Das liest man nicht so häufig in der Literatur. Da wird vom ersten Satz bis zum letzten eine humorvoll-beschreibende, akzentuierte und auch schwarz-humorige Sprache an den Tag gelegt, die in der stark überzeichneten Darstellung der Charaktere gipfelt. Hier wird das Urteil dem Leser schon „vorgekaut“, anstatt es nüchtern und objektiv zu präsentieren. Ungewohnt – das stimmt. Ich habe sowas schon lange nicht mehr gelesen.
Punkt Abzug gibt es dennoch wegen der leicht konstruiert wirkenden Handlung, warum hier wer wen aus welchen Gründen umgebracht und Leichen vertauscht hat. Das klang dann doch etwas abstrus. Aber wenn man das gesamte Konstrukt des schwarz-humorigen Krimis anschaut, darf man sicherlich auch das mit einem Augenzwinkern abtun.
Insgesamt ein temporeiches – und das liegt nicht nur an der Handlung, die an einem ganzen Tag spielt – und humorvolles, unterhaltsames Kriminalstück, das hinter die Fassade der ach so schönen Alpendorfromantik schaut. Wer Gefallen an bissigen Humor, an überzeichneten Charakteren und einer beherzten 70-jährigen beherzten Möchtegern-Detektivin findet, wird hier genau die richtige Lektüre finden.

Mein Fazit: Alpendorfidylle von einer überspitzt schwarz-humorigen Seite. Kauzige, schräge Charaktere, wortgewandte Dialoge und eine bissige Erzählweise. Genau richtig für Freunde des schwarzen, glossenhaften Humors.

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Veröffentlicht am 01.06.2020

Neu aufgelegter Grusel-Thriller

Offline - Du wolltest nicht erreichbar sein. Jetzt sitzt du in der Falle.
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Als sich eine Reisegruppe auf einen Digital-Detox-Trip in ein abgelegenes Bergsteigerhotel begibt, ahnt noch niemand, zu welchem Horrortrip sich diese Auszeit entwickeln wird. Denn schon nach kurzer Zeit ...

Als sich eine Reisegruppe auf einen Digital-Detox-Trip in ein abgelegenes Bergsteigerhotel begibt, ahnt noch niemand, zu welchem Horrortrip sich diese Auszeit entwickeln wird. Denn schon nach kurzer Zeit verschwindet ein Reiseteilnehmer und taucht wenig später schwer verstümmelt wieder auf. Bald wird klar, er wird nicht das einzige Opfer bleiben. Unter den Reiseteilnehmern beginnt ein nervenaufreibendes Katz-und-Maus-Spiel. Denn eines ist klar, in dieser Einsamkeit ist der Mörder einer von ihnen.
Ein abgeschiedener Ort. Eine begrenzte Gruppe von unterschiedlichen stereotypen Persönlichkeiten. Ein Mörder mitten unter ihnen. Gegenseitige Verdächtigungen bis zur ausgewachsenen Psychose. Die Auflösung nach dem Muster – „Gruppe ermittelt bis sie den Täter findet oder sich dieser offenbart.“

Zugegeben ein altbekanntes Strickmuster, das den meisten Krimi-/Thriller-Lesern schon aus der Lektüre von Agatha Christie Krimis hinlänglich bekannt sein sollte. Und so verlässt sich auch Arno Strobel in seinem neuesten Thriller auf das bewährte Rezept. Garniert wird das ganze mit einem aktuellen Thema dem digitalen Detox und der Frage, was wäre, wenn wir völlig abgeschnitten von der Außenwelt und ohne die Möglichkeiten der heutigen technischen Errungenschaften (Smartphone, Internet, Telefon) an einem von der Außenwelt abgeschnittenen Ort dem begegnen, was wir uns in so einer Situation so rein gar nicht vorstellen wollen: einem Mörder und dem fast schon panischen Gefühl des Ausgeliefertseins. Die Idee ist beinahe schon genial und lässt den Leser beinahe erschauern, denn jeder von uns möchte sich diesem Horrortrip aussetzen und erleben, wie sich eine Gruppe von Fremden in so einer Situation verhalten und wie die Situation - kurz gesagt - eskaliert.

Wem das schon zu einer mega spannenden Lektüre reicht, der ist bei diesem Thriller bestens aufgehoben. Auch ich habe aus diesem Grund gerne zur Lektüre gegriffen, kannte ich doch schon einige Thriller des Autors und habe mir ein schaurig-schönes, psychologisch tiefsinniges Leseabenteuer erwartet. Doch obwohl mich der Autor durchaus auf diesen Trip mitnehmen konnte und sich über lange Strecken eine unterhaltsame, spannende, nervenaufreibende Geschichte spinnt. Muss ich leider auch feststellen, dass die Geschichte hier doch an der einen oder anderen Stelle für mich deutliche Mängel aufweist. Zugegeben ich gehöre zu den Lesern, die eine gepflegte Thriller Unterhaltung nach dem Agatha-Christie „10 kleine Negerlein“-Muster zu schätzen wissen und dann echt mitfiebern, wer der Täter ist und wer als nächstes sterben wird. Dennoch haben sich hier beim Lesen manchmal schon ein Fragezeichen im Kopf gebildet.
Zunächst aber mal zum Positiven: Das Coverdesign, aufmerksamkeitsstark als Smartphone gestaltet, ist wirklich ein Blickfang und passt hervorragend zu Thema. Das Thema Digital Detox ist aktueller denn je und so ziemlich jeder kann sich augenscheinlich in die Situation der Betroffenen in diesem Buch hineinversetzen, wenn das Smartphone halt mal nicht mehr greifbar ist. Super fand ich auch, wie der Autor hier die sich entwickelnde Extremsituation und die Gruppendynamik gekonnt auf die Spitze treibt und die Charakterentwicklungen psychologisch ausschlachtet: vom völlig aufgelösten Hysteriker bis zum ruhig-kalkulierenden Analytiker ist, glaub ich, alles dabei. Aber das erwartet man, sonst wäre die Geschichte nicht so spannend, denn den Schauplatz wechseln wir während des Lesens nicht. Hinzu kommen noch ein paar gruselige Situationen, als sich die handelnden Personen auf die Suche durchs Hotel begeben – na klar, nach dem Prinzip „wir trennen uns, dann sind wir effektiver“. Der Klassiker. Als Leser kann ich mich voll und ganz auf die Charaktere und den Ort konzentrieren – und da fängt für mich schon das erste Problem an.
Zu Beginn hatte ich den Eindruck, dass die Geschichte nicht so richtig in Gang kommt. Die ersten Seiten, das Kennenlernen der Teilnehmer und das Eintreffen im Hotel ziehen sich schon etwas in die Länge, sind aber auch notwendig, um die verschiedenen Personen kennen zu lernen und schon erste Spannungspunkte zu erkennen. Die Personen wirken auf mich manchmal schon sehr stereotypisch, aber wenn es der Geschichte hilft… Zweiter Punkt ist das Hotel, was für mich allein von der Beschreibung her ein riesiges Gebäude sein muss, gerade in dem nicht renovierten Teil kann man sich förmlich „verirren“. Vielleicht ist es Kalkül vom Autor, den Leser dabei zu verwirren. Wenn ich als Leser die Orientierung an einem Ort verliere, dann trägt das bei mir zu einem Unwohlsein bei. Vielleicht gekonnter Erzählstil? –

[ +++ Achtung Spoiler im Absatz +++] Zum anderen fand ich, dass mir beim Lesen teilweise die Spannung zerstört wurde. Das geschah zum Beispiel durch Kommentare des Erzählers wie „Er sollte sich täuschen“ oder „Er ahnte nicht, wie sehr er sich damit irrte“. Das ist aus meiner Sicht kontraproduktiv, gibt der Erzähler mir hier doch schon Hinweise, von denen ich mich gerne selbst überraschen lassen möchte. Auch die Täter-Enthüllung hätte ich fast selbst erraten. Ich möchte hier nicht soviel verraten, aber wer genau mitliest, ahnt irgendwann, wer es sein kann. Daher ist zwar der Schlussakt spannend konstruiert, aber auf der anderen Seite wurde hier auf einen überraschenden Abschluss verzichtet. Die letzten Seiten werden geradezu im Schnellakkord abgearbeitet. Auch kommen immer inhaltliche Wiederholungen vor, z.B. die ständige neue Suche durch das Hotel, die Dialoge zwischen den Personen, die zwar zunehmend eskalieren, doch sich meist inhaltlich um ähnliche Themen drehen. Auch eines der verstümmelten Opfer zum Erzähler zu machen – quasi erzählerisch die Erzählperspektive zu wechseln – ist zwar gekonnt eingesetzt und erhöht die Spannung für den Leser, aber auf der anderen Seite fand ich es doch irgendwie unglaubwürdig, wie das „Opfer“ dann noch zur Lösung des Falls beiträgt. [+++ Spoiler Ende +++]

Die Hauptfigur Jenny trug für meinen Geschmack auch nicht dazu bei, sie als Charakter zu mögen. Sie blieb für mich irgendwie unnahbar, zwar hilfsbereit und optimistisch, aber auch mit wenig Fallhöhen in der Charakterentwicklung.

Was bleibt? Arno Strobel ist hier durchaus ein aktualitätsbezogener, spannend konstruierter Thriller gelungen, bei dem man über weite Strecken beim Lesen bleibt und mitfiebert bzw. miträtselt. Dennoch konnte mich das Gesamtwerk nicht komplett bei Charakterentwicklung und Auflösung überzeugen.

Mein Fazit: Ein solides, mitreißendes Thriller-Menü, das eine bewährte „Whosdoneit“-Idee neu verpackt, mit einem aktuellen Thema angereichert gekonnt serviert und psychologisch auf die Spitze treibt, aber in punkto Charakterentwicklung dann doch nicht bis zur Vollkommenheit verkostet hat.

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Veröffentlicht am 12.05.2020

Mafia meets Serenissima

Der freie Hund
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Antonio Morello wird nicht umsonst „der freie Hund“ genannt. Mit kalter Präzision macht er Jagd auf die Mafia in Sizilien und macht sich dadurch in den Kreisen des organisierten Verbrechens keine Freunde. ...

Antonio Morello wird nicht umsonst „der freie Hund“ genannt. Mit kalter Präzision macht er Jagd auf die Mafia in Sizilien und macht sich dadurch in den Kreisen des organisierten Verbrechens keine Freunde. Um ihn zu schützen, wird er kurzerhand nach Venedig zwangsversetzt. Ein Umstand, der Morello gar nicht gefällt, denn Venedig macht auf ihn von Anfang an keinen positiven Eindruck: zu laut, zu touristisch, hoffnungslos überlaufen, schmutzige, stinkende Kanäle - und jede Menge soziale Probleme. Noch dazu hat er in seinem neuen Team mit einigen Startschwierigkeiten und Vorurteilen gegenüber Süditalienern zu kämpfen. Besser kann es für ihn nicht starten. Als dann noch ein junger Aktivist ermordet wird, der den Kreuzfahrtschiffen den Kampf angesagt hat, klemmt sich Morello trotz aller Widerstände beharrlich hinter den Fall und spürt schnell, dass bei diesem Verbrechen wieder die Mafia ihre Finger im Spiel hat.
Ich freue mich immer, wenn sich bekannte Autoren mal neuen Schauplätzen und neuen spannenden Charakteren widmen. Und ich finde persönlich, dass dem Autorenduo mit Antonio Morello ein äußerst vielschichtiger und kantiger Charakter gelungen ist, der auch durch einen persönlichen Schicksalsschlag noch eine Rechnung mit der Mafia offen hat. Schon allein dieser Umstand ist es, der auf eine Fortsetzung dieses Auftaktkrimis hoffen lässt. Denn es gibt hier aus meiner Sicht noch eine Menge zu erzählen und viel spannenden Stoff mit Konfliktpotenzial. Auch bei den anderen Charakteren zeichnet sich ein buntes, unterhaltsames Bild unterschiedlicher Menschen und Standpunkte, sowie auch interessanter Reibungspunkte ab, z.B. zu seinem Vorgesetzten, die die Geschichte dadurch unterhaltsam und lebendig werden lassen.
Natürlich merkt man dem Krimi an, dass es sich hier um einen Auftakt-Krimi handelt. Es müssen Personen vorgestellt, verschiedene Handlungsstränge aufgebaut und Hintergründe erklärt werden. Dennoch fand ich den Krimi insgesamt sehr unterhaltsam und lebendig erzählt. Besonders das italienische Flair und die Stadt Venedig als Kulisse werden sehr lebendig und anschaulich beschrieben. Man kann förmlich mit dem Commissario durch die Gassen/Kanäle Venedigs streifen und erhält jede Menge (auch kulturelle) Hintergrundinformationen, die man sonst als normaler Tourist wohl nicht auf den ersten Blick erfahren würde. Schorlau und Caiolo betreten sicherlich kein leichtes Terrain – ist doch der klassische Venedig-Krimi schon von der bekannten Donna Leon und ihrem Commissario Brunetti besetzt. Nichts desto trotz finde ich, können beide einen gut akzentuierten, atmosphärischen Krimi abliefern.
Neben einer guten Portion Humor, beweisen beide dabei auch fundierte Ernsthaftigkeit. Wie man es von Schorlau-Krimis gewohnt ist, widmen sich die Autoren einem aktuellen Thema, das den Stoff für diese Kriminalgeschichte liefert und gleichzeitig auch einen kritischen Blick hinter die Kulissen dieser schönen und bedrohten Stadt wirft. Dabei werden die Fakten und politischen Seitenhiebe gut gestreut und tiefgründig, sowie glaubhaft eingebaut. Besonders das fundierte Wissen über die Zusammenhänge der sizilianischen Mafia mit der italienischen Politik fand ich äußerst interessant erzählt. Die politischen Verstrickungen, Korruption, Macht und Kunstraub reichen weit in das öffentliche Leben hinein – auch ins schöne Venedig. Es bleibt abzuwarten, ob sich daraus neuer Stoff für weitere Kriminalgeschichten mit Morello stricken lässt oder ob das Thema irgendwann auch erschöpft sein wird.
Der Schreibstil ist ein weiterer Pluspunkt: locker, unterhaltsam und viel wörtliche Rede, machen die Geschichte aus meiner Sicht sehr lebendig, anschaulich, emotional und gut getaktet. Genau das richtige Tempo für ein kurzweiliges, atmosphärisches Krimiabenteuer. Ich freue mich in jedem Fall auf eine Fortsetzung.

Mein Fazit: Schorlau auf neuen Spuren. Mit einer atmosphärisch-kurzweiligen Kriminalgeschichte beweist Schorlau mit seinem Co-Autor, dass er auch italienische Krimis kann. Aktuelles Thema – fundiert erzählt, ohne sperrig zu wirken – mit genau dem richtigen Humor und gut dosiertem italienischen Flair. Aus meiner Sicht sehr unterhaltsam und ein guter Auftakt, der Lust auf mehr gemacht hat.

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Veröffentlicht am 11.04.2020

Das Streben nach einer perfekten Welt

Eine fast perfekte Welt
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Drei Generationen prallen in diesem neuen Roman der italienischen Autorin Milena Agus aufeinander. Ester, ihre Tochter Felicita und deren Sohn Gregorio. Ester hat sich immer danach gesehnt, der ärmlichen ...

Drei Generationen prallen in diesem neuen Roman der italienischen Autorin Milena Agus aufeinander. Ester, ihre Tochter Felicita und deren Sohn Gregorio. Ester hat sich immer danach gesehnt, der ärmlichen und beklemmenden Enge ihres kleinen sardischen Bergdorfes zu entkommen. Zusammen mit ihrem Mann Raffaele lässt sie Sardinien hinter sich und geht nach Genua und später nach Mailand. Doch auch dort wird sie nicht glücklich. Vielmehr zieht es sie in ihre Heimat Sardinien zurück, nach der wilden Schönheit und den bekannten Traditionen. Ihrer Tochter Felicita soll es einmal besser gehen, doch die geht unverheiratet und mit einem Kind in Cagliari ihre eigenen Wege. Der Enkel Gregorio träumt hingegen von einem Leben als Pianist, und verlässt für diesen Traum seine Heimat, um in New York sein Glück zu finden…
Über drei Generationen spannt die Autorin diesen gefühlvollen und nachdenklich stimmenden Roman, in dem sie ihrer Heimat und seinen alten Traditionen eine Bühne bietet. Dennoch kommt das italienische Flair, in dem die Kultur und Bräuche, das Leben in den kleinen sardischen Bergdörfern zum Leben erweckt wird, für meinen Geschmack etwas zu kurz. Vielmehr geht es um die Menschen, um Ester, Felicita und Gregorio. Allen ist das scheinbar unerfüllte Streben nach Glück gemeinsam. Ich fand alle drei gut charakterisiert, dennoch wirken sie auf mich zum großen Teil unzufrieden mit ihrem Leben. Vor allem Ester erscheint mir als diejenige, die mit ihrem Leben und ihrem Schicksal am stärksten hadert und sich nichts sehnlicher wünscht, als dass es ihrer Tochter mal besser geht und diese vielleicht nicht uneigennützig, ihrer Familie zu einem besseren Leben verhilft. Ein trauriger Konflikt, der so manchen Leser sicherlich bekannt vorkommen wird. Felicita wirkt dahingegen auf mich fast schon etwas trotzig und hoffnungsvoll. Sie träumt auch von einem besseren Leben, sie schafft es aber besser, sich mit ihrem Leben zu arrangieren und mit den kleinen Dingen zufrieden zu sein.
Wer die Botschaft der Autorin für dieses Buch verstehen will, muss zwischen den Zeilen lesen. Hier geht es nicht um die Darstellung einer Familiengeschichte vor dem Hintergrund politischer und sozialer Veränderungen in Italien/Sardinien im 19. Jahrhundert. Es erscheint mir eher wie eine Parabel. Es geht um Wünsche, Träume, Hoffnungen und unerfülltes Glück. Das Streben nach Glück, nach einem besseren Leben zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte und spiegelt sich in jeder Generation unerbittlich wider. Und das macht es fast schon zu einem Buch mit poetischem, philosophischem Inhalt. Jeder, der diese Art von Lektüre mag, ist hier sehr gut aufgehoben. Wer eine lockere, leichte Lektüre bevorzugt, eher weniger.
„Eine fast perfekte Welt“ ist für mich kein leicht zugänglicher Roman. Ich hatte anfangs starke Schwierigkeiten. Der Anfang wirkte auf mich zäh, nicht so richtig fesselnd und das hat sich über große Strecken leider fortgesetzt. Das Ende wirkte auf mich auch etwas willkürlich, und nicht wirklich als ein Abschluss, der offene Fragen klärt. Aber vielleicht war das auch die Intention der Autorin. Eben den Leser mit offenen Fragen zu entlassen und ihm zum Nachdenken über seine Haltung zum Glück zurückzulassen. Deshalb bin ich auch hin und hergerissen. Die Autorin verzichtet überwiegend auf wörtliche Rede, was es meiner Meinung nach schwierig macht, sich mit den Charakteren und deren Gefühlen zu identifizieren und in die Geschichte so richtig einzutauchen. Dennoch ist der Roman flüssig geschrieben und stellenweise sogar humorvoll. Manche Zeitsprünge erschienen mir auch etwas unglaubwürdig, denn es tauchen zum Beispiel technische Neuerungen wie das Smartphone auf, die es rein rechnerisch zum Zeitpunkt, in der sich die Geschichte der Hauptpersonen abspielt, noch gar nicht geben konnte, vor allem wenn man das Alter der jeweiligen Person heranzieht. Ich kann darüber aber hinwegsehen, weil es für die Handlung nicht ins Gewicht fällt.
Mein Fazit: Ein durchaus lesenswertes, nachdenklich stimmendes Buch über die (unerfüllte) Suche nach dem, was Glück für jeden einzelnen bedeutet. Ein Buch, das mich leider mit offenen Fragen zurückgelassen hat.

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