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Veröffentlicht am 04.08.2020

Auch für Erwachsene spannend

Immernacht
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Das 13-jährige Waisenmädchen Larabelle Fox, genannt Lara, schlägt sich als Tosherin in den Abwasserkanälen von King's Haven durch. An ihre Eltern hat sie kaum eine Erinnerung, ihr einziger Freund ist der ...

Das 13-jährige Waisenmädchen Larabelle Fox, genannt Lara, schlägt sich als Tosherin in den Abwasserkanälen von King's Haven durch. An ihre Eltern hat sie kaum eine Erinnerung, ihr einziger Freund ist der 10-jährige Joe, der allein mit seiner Großmutter lebt und dem sie alles über die Schatzsuche in den Katakomben der Stadt beigebracht hat. Doch dann geschehen viele Dinge auf einmal: Ein düsterer Mann ohne Schatten macht Jagd auf die Tosher und ein geheimnisvolles Kästchen. Die Beraterin des Silberkönigs, Mrs. Hester, schmiedet währenddessen einen Plan, den Regenten zu manipulieren und die Immernacht über das Land zu bringen.

Beim Lesen ist recht schnell klar, dass Lara durch ihre Herkunft enger mit den Geschehnissen rund um die Immernacht verbunden ist, als sie ahnt, dennoch ist dem Autor eine durchaus spannende Geschichte gelungen. Die Handlung springt in kurzen Kapiteln von Figur zu Figur, egal auf welcher Seite diese stehen. Das ermöglicht zwar einen guten Rundumblick auf die Ereignisse, verhindert leider aber auch, dass man zu den Charakteren eine tiefere Bindung entwickelt. Selbst Protagonistin Lara bleibt über weite Strecken flach und blass. Dafür sind die fantastischen Elemente durchaus interessant: Magie und Technik scheinen sich miteinander verbunden zu haben, Stäbe werden mit Zaubern nachgeladen, als wären es Patronen. Hexerei ist verpöhnt und wird gefürchtet, während die Beraterin des Königs weiße Magier als seelenlose Sklaven hält.

Darüber hinaus ist "Immernacht" inhaltlich jedoch nicht allzu komplex oder neuartig, bekannte Elemente wie die Auserwählte, die allein die Welt retten kann oder der Begleiter, der sich vom Konkurrenten zum Freund (oder mehr?) entwickelt, werden ausgiebig verwendet. Trotzdem ist das Buch von der ersten Seite an temporeich, es gibt keine überflüssigen Szenen oder unnötige Längen. Für ein Kinderbuch wird sogar nicht mit Blut und Tod gegeizt, so dass auch Erwachsene sich nicht über Belanglosigkeit beschweren können. Der Schluss ist rund und zufriedenstellend, auch wenn am Ende immer noch einige Schwierigkeiten für die Figuren bestehen. Aber ist nicht gerade das realistisch?

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Veröffentlicht am 15.04.2020

Leider etwas vorhersehbar

The Doll Factory
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London, 1850: Die Schwestern Iris und Rose verdienen ihren Lebensunterhalt in der Puppenmanufaktur der launischen Mrs Salter. Ihr Verhältnis ist seit einer Erkrankung Roses zerrüttet, umso mehr fühlt Iris ...

London, 1850: Die Schwestern Iris und Rose verdienen ihren Lebensunterhalt in der Puppenmanufaktur der launischen Mrs Salter. Ihr Verhältnis ist seit einer Erkrankung Roses zerrüttet, umso mehr fühlt Iris sich angezogen, als der Maler Louis Frost anbietet, dass sie in Zukunft nur noch als sein Modell arbeiten soll. Iris willigt ein, unter der Bedingung, dass er ihr nebenbei Unterricht gibt. Währenddessen ist der Tierpräparator Silas Reed in seiner Werkstatt wie besessen von der Idee, das perfekte Exponat für die kommende Weltausstellung zu kreieren. Nach einer schwierigen Kindheit und Jugend auf dem Lande hat er endlich das Gefühl, in der Londoner Gesellschaft angekommen zu sein. Beliefert werden beide Geschäfte von dem Waisenjungen Albie. Für Silas treibt er Tierkadaver auf, für Mrs Salter näht er nachts Rohlinge für Puppenkleider. Als er eines Tages Iris mit Silas bekannt macht, nimmt die Geschichte eine drastische Wendung.

Elizabeth Macneals Debütroman wird aus den drei genannten Perspektiven im Präsens erzählt, so dass der Leser das Gefühl bekommt, mitten in der Handlung zu stecken. Das viktorianische London wird hier lebendig, mit seinen schönen Ecken durch Louis und seine Künstlerfreunde, aber auch durch seine Abgründe mit Silas und seinen Besuchen in düsteren Kneipen und Gassen. Die Charaktere sind gut ausgearbeitet, wenn auch teilweise etwas stereotyp: der Sonderling, die Liebliche, der Frauenheld, die Störrische. Dennoch entwickelt die Geschichte bereits nach wenigen Kapiteln einen Sog, dem man sich kaum noch entziehen kann, so dass die Seiten nur so dahinfliegen.

Leider ist die zentrale Offenbarung am Ende des Romans bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt vorauszuahnen. Das ändert zwar nichts daran, dass "The Doll Factory" gute Unterhaltung und Lesespaß bietet, dennoch habe ich es als Leser lieber, überrascht zu werden. Die Handlung endet dann auch relativ plötzlich, eigentlich mitten im Geschehen und wird nur noch durch einen kleinen Epilog zu Ende erzählt. Der ist zwar recht kunstvoll und ideenreich gestaltet, dennoch hätte etwas mehr Zeit und Raum für den Abschluss des Buches diesem nicht geschadet.

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Veröffentlicht am 10.03.2020

Voller Sprachmagie

Die letzte Dichterin
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Aus dem Königreich Phantopien ist die Kunst und damit auch die Magie weitestgehend verschwunden. Nur in Fernab ist noch ein Rest davon aus früheren Zeiten erhalten, was die Hauptstadt des Landes zu einem ...

Aus dem Königreich Phantopien ist die Kunst und damit auch die Magie weitestgehend verschwunden. Nur in Fernab ist noch ein Rest davon aus früheren Zeiten erhalten, was die Hauptstadt des Landes zu einem Anziehungspunkt für viele Menschen macht. Darunter ist auch die Dichterin Minna Fabelreich, die mit ihrem dicken Buch voller Geschichten durch Phantopien zieht, um sich irgendwie über Wasser zu halten. Als sie jedoch den Schatzsucher Finn Minengräber beim Diebstahl ihres teuren Buches erwischt, zwingt sie diesen, sich mit ihr auf den Weg nach Fernab zu machen, wo beide ihr Glück versuchen wollen. Ein großes Abenteuer beginnt, das beiden einiges abverlangen und ihre Welt auf den Kopf stellen soll.

Katharina Seck schafft bereits mit ihren ersten Sätzen eine spannende, fantasievolle Sprachwelt. Ihre Landschaftsbeschreibungen, die einzelnen Handlungselemente und vor allem die sprechenden Namen der Personen gebem dem Buch von Beginn an eine märchenhafte Atmosphäre. Erzählt wird aus den verschiedensten Perspektiven, was den Blickwinkel des Lesers stark erweitert und es ihm erlaubt, auch in den Kopf undurchsichtiger Figuren zu schauen. Ergänzt werden Minnas und Finns Sicht der Dinge noch durch diejenige der hartherzigen Königin Phantopiens, Malwine Wüstenherz, und ihres "Gabensuchers", Valerian Ohneruh, der seine Herrscherin zutiefst verachtet und den Grund dafür lange vor dem Leser verbirgt. Neben den sympathischen, aber recht klaren und eindeutigen Charakteren von Minna und Finn, sind diese letzten beiden deutlich komplexer gestrickt und scheinen eine leidvolle und komplizierte Vergangenheit miteinander zu teilen.

Das Magiesystem in "Die letzte Dichterin" ist ebenso einfach wie schön: Magie wird durch die Künste in die Welt der Menschen gebracht, durch Poesie, Musik, Malerei - und auf diese Weise will die Königin selbst ihren Untertanen das Verlorene wieder zurückgeben. Ein toller Gedanke, dass Magie erst durch den Menschen selbst und seine Kreativität entsteht und er macht das Leben in einer Stadt wie Fernab, in der jeder sich selbst zu verwirklichen scheint, unheimlich attraktiv. Dass der Plan der Königin jedoch nicht ohne Weiteres gelingen und von einigen Charakteren große Opfer fordern wird, gibt der Handlung die nötige Spannung und treibt sie voran.

Wenn es an diesem Roman etwas zu bemängeln gibt, dann ist es dies: er ist zu kurz. Die Geschichte ist zwar am Ende auserzählt, in sich rund und verständlich, dennoch wünscht man sich als Leser an manchen Stellen einfach mehr von dem, was Katharina Seck wirklich beherrscht: mit ihrer Sprache die Magie eines Ortes oder eines Charakters einzufangen. Ich hätte noch viel länger mit Minna und Finn nach Fernab reisen können oder noch mehr Zeit mit der Königin und ihrem Gabensucher verbringen können - einige Szenen wirken so, als würde in einem Film an einer fesselnden Stelle einfach ausgeblendet. Dem Sog der Geschichte kann man sich dennoch nicht entziehen, was den Wunsch weckt, die Autorin möge noch einmal mit uns nach Phantopien zurückkehren.

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Veröffentlicht am 04.03.2020

Die dunkle Seite des Glaubens

Ein wenig Glaube
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Seit seine Adoptivtochter Shiloh nach einer Trennung wieder zu ihm und seiner Frau Peg zurückgezogen ist, verbringt Lyle Hovde am liebsten Zeit mit seinem Enkelsohn Isaac. Gemeinsam besuchen die beiden ...

Seit seine Adoptivtochter Shiloh nach einer Trennung wieder zu ihm und seiner Frau Peg zurückgezogen ist, verbringt Lyle Hovde am liebsten Zeit mit seinem Enkelsohn Isaac. Gemeinsam besuchen die beiden seinen besten Freund Hoot oder den Apfelhain, in dem Lyle arbeitet. Dann jedoch lernt Shiloh den charismatischen Steve kennen, der Prediger in der Glaubensgemeinschaft des Bundes der Flusstäler ist. Nach und nach zieht dieser Lyles und Pegs Tochter immer mehr in seinen Bann und bringt damit auch den kleinen Isaac in Gefahr: der Junge, so Steve, sei ein Glaubensheiler und müsse diese Fähigkeit in den Dienst der Gemeinde stellen.

In "Ein wenig Glaube" widmet sich Nickolas Butler behutsam einem schwierigen, sensiblen Thema. Der Glaube eines Menschen ist etwas sehr Persönliches und die Handlung kreist stets um die Frage, wie weit man als Elternteil gehen darf oder sogar muss, wenn das eigene Kind und Enkelkind in die Fänge einer Sekte geraten. Vieles, was im Roman zu lesen ist, erschüttert zutiefst und macht ebenso wütend - dieser Eindruck verstärkt sich noch, wenn man das Nachwort des Autors liest. Denn tatsächlich hat dieses Werk der Fiktion eines sehr realen, tragischen Hintergrund. Noch immer sterben jährlich in den USA Menschen, weil ihre Angehörigen ihre Hoffnung lieber in den Glauben als in die Medizin setzen.

Der Roman lebt sehr von seinen Charakteren, vor allem dem gutmütigen, warmherzigen Lyle. Als guter Ehemann, liebevoller Opa und treuer Freund hat auch er mit Zweifeln zu kämpfen. Der Verlust seines leiblichen Sohnes kurz nach der Geburt hat ihn zu seinem Glauben entfremdet. Er stellt sich oft die Frage nach der Gerechtigkeit und zeigt große Unsicherheit, ob da überhaupt noch jemand ist, der seine Gebete hört. Als dann auch noch Hoot an Krebs erkrankt, verstärkt sich seine Verzweiflung. Diese allzu menschlische Reaktion nach solchen Schicksalsschlägen entfremdet ihn jedoch zusehends von Shiloh, die ihren Vater irgendwann als "Ungläubigen" und noch schlimmeres bezeichnen wird.

Passagen aus den schwierigen familiären Verhältnissen wechseln sich ab mit idyllischen Szenen aus dem ländlichen Wisconsin. Stille Momente im Apfelhain oder fröhliches Zusammensein mit dem Enkel werden sprachlich gekonnt umgesetzt, so dass man sich beinahe mittendrin fühlt. Dem Leser bleibt so die Möglichkeit, zwischen der intensiven Auseinandersetzung mit falschem Glauben gemeinsam mit den Figuren auch einmal durchzuatmen. Das Ende des Romanes lässt (zu?) vieles offen, gibt so aber auch die Möglichkeit, die eigene Phantasie spielen zu lassen.

Fazit: Ein lesenswerter Roman zu einem schwierigen Thema

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Veröffentlicht am 01.03.2020

Gelungene Fortsetzung

Die Letzten ihrer Art
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St. Petersburg, 1881: Der Zoologe Michail braucht dringend eine neue Attraktion, um die desolaten Besucherzahlen des Zoos zu verbessern. Als er erfährt, dass in der Mongolei das Urpferd schlechthin aufgetaucht ...

St. Petersburg, 1881: Der Zoologe Michail braucht dringend eine neue Attraktion, um die desolaten Besucherzahlen des Zoos zu verbessern. Als er erfährt, dass in der Mongolei das Urpferd schlechthin aufgetaucht ist, begibt er sich auf eine Expedition, um einige Exemplare zu fangen und nach Russland zu bringen.

Mongolei, 1992: Die Tierärztin Karin arbeitet an einem Projekt, die in der Wildbahn ausgerotteten Wildpferde wieder in ihrer Heimat anzusiedeln. Begleitet wird sie von ihrem Sohn Mathias, zudem sie sich aufgrund seiner Drogensucht entfremdet hat.

Norwegen, 2064: Gemeinsam mit ihrer Tochter Isa harrt Eva nach einer Klimakatastrophe auf ihrer Farm aus. Obwohl ihnen das Überleben zunehmend schwerer fällt, will sie die beiden letzten Wildpferde, die ihr noch geblieben sind, nicht allein zurücklassen.

Nachdem Maja Lunde sich in den beiden ersten Teilen ihres Klimaquartetts bereits dem Insektensterben und der Wasserknappheit gewidmet hat, zeichnet sie in diesem Buch ein Bild davon, wie das Artensterben und der menschengemachte Wandel der Natur zusammenhängen. Die Handlung wird erneut aus verschiedenen Perspektiven erzählt, neben den drei Hauptcharakteren kommen auch Evas Tochter und Karins Sohn zu Wort. Bindeglied sind dieses Mal die Takhis, die Wildpferde der Mongolei. Ein Wiedersehen gibt es auch mit einer Figur aus "Die Geschichte des Wassers" - so erfährt der Leser zumindest etwas darüber, wie es nach Band 2 weiterging.

Klimawandel und die Bedrohung bestimmter Tierarten sind die vordergründigen Themen des Romans, aber eigentlich geht es auch um menschliche Beziehungen. Jeder der drei Hauptcharaktere hat in dieser Hinsicht zu kämpfen: Michail mit seiner Sexualität und dem Wunsch seiner Mutter, ihr Enkelkinder zu schenken. Karin mit ihrem Sohn, den sie nie so lieben konnte, wie er es gebraucht hätte. Und Eva mit ihrer Tochter, die sie unbedingt beschützen möchte und dadurch einsperrt. Diese zweite Ebene, die die Handlungsstränge miteinander verbindet, macht die Geschehnisse noch eindringlicher und zeigt auf, wie eng das Schicksal aller Lebewesen auf dem Planeten miteinander verknüpft ist.

Nach einem großartigen Band 1 und einem mäßigen Band 2 gelingt Maja Lunde eine emotionale Fortsetzung, die nicht nur für Pferdefans und Klimaktivisten lesenswert ist.

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