Fürchterlich geschrieben
Achtung: Diese Rezension enthält Spoiler!
Zunächst zu den positiven Dingen: Ich lese sehr gerne Krimis, die in Regionen spielen, die ich interessant finde. Da brauche ich auch nichts Anspruchsvolles. ...
Achtung: Diese Rezension enthält Spoiler!
Zunächst zu den positiven Dingen: Ich lese sehr gerne Krimis, die in Regionen spielen, die ich interessant finde. Da brauche ich auch nichts Anspruchsvolles. Dieses Buch versprach aber auch noch eine aktuelle sozialkritische Komponente, denn es geht um den Schaden, den Venedig aufgrund von Tourismus nimmt, v.a. durch Kreuzfahrtschiffe. Eigentlich vielversprechend. Der Anfang hat mir auch tatsächlich gut gefallen, Morellos grummelige Innenansicht war mir sehr sympathisch. Mir ist nur schon früh negativ aufgefallen, dass er alle paar Seiten „Cazzo“ sagt und mit anderen italienischen Ausdrücken um sich wirft, die nur teilweise übersetzt werden. Vor allem aber war es die Häufung von „Cazzo“, die mich zunehmend gestört hat. Und hier gehe ich nun zu meiner Kritik über.
Die Charakterisierung der Figuren hat mir überhaupt nicht gefallen. Morellos Verhalten ist gekennzeichnet durch Angeiern von Frauen jeden Alters und maßlose Selbstüberschätzung. Überall wittert er die Mafia, oft ohne jeden Anhaltspunkt. Die Autoren wollten ihn offensichtlich besonders cool machen, was sich auch im Schreibstil mit den kurzen Sätzen spiegelt. Das ist ihnen nicht gelungen. Er soll wie ein charmanter Frauenheld wirken, aber er ist nur ein bemitleidenswerter schmieriger alter Mann, was die Lektüre sehr unangenehm macht. Die anderen Figuren sind eine Ansammlung von Klischees und Skurrilität, z.B. der Sexist Mario oder die Pathologin, die von toten Körpern angemacht wird. Soll ich darüber lachen?
Was die Handlung angeht, tritt der eigentliche Fall völlig in den Hintergrund. Die Geschichte strotzt vor Logikfehlern: unsinnige Lokalbesuche, nicht nachvollziehbare heftige Reaktionen auf harmlose Aussagen, ohne jeden Grund enthält Morello Teilen seines Teams willkürlich Ermittlungsergebnisse vor. Von Ermittlungen kann man kaum sprechen, denn man legt hier mehr Wert auf Anekdoten und das Leben drumherum als auf spannende Handlung. Morello trinkt öfter einen Espresso doppio, als dass er tatsächlich über seinen Fall nachdenkt. Eine impulsive Entscheidung jagt die nächste: Gerade verführt er noch die Nachbarin, die er seit einer Stunde kennt, in der Küche – wohlgemerkt, obwohl er die ganze Zeit von traumatischen Erinnerungen an eine andere Frau gequält wird –, da fliegt er schon zurück nach Palermo, weil seine Mutter krank ist, obwohl er dort in akuter Lebensgefahr schwebt und einen Mord aufzuklären hat. Zu alledem kommt ein so stumpfer Humor, dass er die Handlung gänzlich verdrängt und völlig unglaubwürdig macht, vor allem der Handlungsstrang mit dem Dieb, den Morello am Anfang festnimmt. Die Absurdität wird schnell unerträglich und so habe ich nach der Hälfte die Lektüre abgebrochen.
Als ich ein wenig über das Buch recherchiert habe, bin ich auf etwas Seltsames gestoßen: In einer anderen Rezension wurde eine Auseinandersetzung zwischen den beiden Autoren und der Journalistin Petra Reski, die viel zu Mafia publiziert und in Venedig lebt, geschildert. Es steht der Vorwurf im Raum, dass die beiden Autoren viel von Frau Reski abgeschrieben (dabei auch noch Fehler gemacht) haben. Ich möchte hier keine langen Zitate oder Links posten, aber es ist nicht schwierig, die Sache zu recherchieren, wenn man mehr wissen möchte. Ich empfehle auf jeden Fall, den Blog von Petra Reski zu besuchen, wo sie ihre Sicht der Dinge detailliert darlegt. Es ist hier nicht leicht zu beurteilen, wer Recht hat, und ich möchte auch ehrlich gesagt nicht noch mehr Zeit auf dieses „Buch“ verschwenden, aber was mich als Leser vor allem verunsichert, ist der Umgang des Verlags mit diesem Problem. Es gibt eine Presseerklärung, ebenfalls problemlos online zu finden, und diese finde ich eines seriösen Verlags nicht würdig. Mit Formulierungen wie „nebulöse Vorwürfe“ ist die Ausdrucksweise sehr unsachlich und fördert nicht die Lösung des Konfliktes. Dass KiWi zunächst seine Autoren in Schutz nimmt, ist klar, aber man scheint hier überhaupt nicht an einer Klärung interessiert zu sein, sondern nur daran, einen schlechten Roman an den Mann zu bringen. Erstaunlicherweise hat das auch funktioniert, denn das Buch hat es im März auf die Spiegel-Bestsellerliste geschafft, sogar auf den ersten Platz. Tatsächlich hat der Roman eine eigene Homepage; man hat sich offensichtlich sehr viel von dieser Publikation versprochen, was ich überhaupt nicht nachvollziehen kann, denn KiWi hat so viele gute Bücher, aber dieses ist sicher keins davon.
Mein Gesamteindruck ist, dass sich hier alle Beteiligten sehr wenig Mühe gemacht haben und das haben Leser nicht verdient. Mit 16-Euro-Broschur gehört der Krimi nämlich auch nicht zu den günstigen Büchern. In meiner Bewertung wäre ich auf zwei Sterne gekommen, aber aufgrund dieses undurchsichtigen Konfliktes ziehe ich noch einen ab. So ein Drama braucht kein Mensch, schließlich gibt es massig andere geniale Italien-Krimis, mit denen man sich die Zeit vertreiben kann.