Profilbild von Havers

Havers

Lesejury Star
offline

Havers ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Havers über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 17.04.2020

Viel Wohlwollen und wenig Distanz

Dear Oxbridge
0

Oxford und Cambridge. Welche Assoziationen verbindet man mit diesen Begriffen? Englische Eliteuniversitäten, Jobgarant für die Absolventen, traditionsreich, teuer. Traum vieler angehender Akademiker, speziell ...

Oxford und Cambridge. Welche Assoziationen verbindet man mit diesen Begriffen? Englische Eliteuniversitäten, Jobgarant für die Absolventen, traditionsreich, teuer. Traum vieler angehender Akademiker, speziell im geisteswissenschaftlichen Bereich. So auch für Nele Pollatschek, die besessen von dem Wunsch ist, dort zu studieren. Bis sich dies erfüllt, gilt es aber einige Hindernisse zu überwinden. Nicht zuletzt, muss sie die komplizierten Auswahlverfahren erfolgreich absolvieren. Das gelingt, allerdings erst im zweiten Anlauf, und so kann sie in die altehrwürdigen Hallen (und eine zugige Schuhschachtel-Kammer) einziehen.

In „Dear Oxbridge. Liebesbrief an England“ resümert sie ihre sechsjährige Studienzeit als Innenansicht eines akademischen Betriebs. Mit viel Wohlwollen und wenig Distanz beschreibt sie den studentischen Alltag, den immensen Druck durch kurzfristige Deadlines für die Abgabe der Hausarbeiten und ein System, das darauf ausgerichtet ist, die Fähigkeit des eigenständigen Denkens zu fördern und zu fordern. Nichts, was man nicht auch über das Studium an einer Traditionsuniversität hierzulande berichten könnte. Mit einer Ausnahme. Bei uns wurden/werden Studenten nicht mit Psychopharmaka abgefüttert, wenn sie eine Erkältung haben.

Das interessanteste Kapitel ist jenes über die „Rote Hosen Gang“. Stiff upper lip, die Abgehobenheit, Realitätsferne und der Empathiemangel derjenigen, die bereits in teuren Privatschulen auf den Studienabschluss in Oxbridge vorbereitet werden, ist zwar bekannt, aber dennoch nicht minder erschreckend. Zumal es ja hinreichend bekannt sein dürfte dass sie dort auf ihre späteren einflussreichen Positionen in Politik, Wirtschaft und Industrie gedrillt werden. Und hier stellt sich mir die Frage, was ein Oxbridge-Abschluss wirklich wert ist. Um dies zu beantworten, muss man sich nicht nur den jetzigen Premier sondern auch seine Vorgänger anschauen, um zu begreifen, welche Funktionen diese Universitäten haben.

Randbemerkung: Den abgründigen Humor habe ich vergeblich gesucht, und Augen öffnen können diese Essays nur dem Leser, der England und seine Historie nicht kennt. Die Ursachen des Brexit haben sie jedenfalls nicht erklärt.

Veröffentlicht am 10.04.2020

Wenn bei Capri...

Mitten im August
0

Capri, die überschaubare Insel im Golf von Neapel, ist nicht unbedingt als Verbrechenshochburg bekannt. Und so sind es vor allem Routineangelegenheiten, die den Berufsalltag des einheimischen Polizisten ...

Capri, die überschaubare Insel im Golf von Neapel, ist nicht unbedingt als Verbrechenshochburg bekannt. Und so sind es vor allem Routineangelegenheiten, die den Berufsalltag des einheimischen Polizisten Enrico Rizzi prägen, den seit kurzem die vom Festland versetzte Antonia Cirillo unterstützt. In seiner freien Zeit unterstützt Rizzi seinen Vater, der für die einheimischen Restaurants Obst und Gemüse anbaut. Doch mit der Ruhe ist es vorbei, als die Leiche eines jungen Mannes am Strand auftaucht. Nachforschungen zu dessen Identität ergeben, dass es sich um den Sohn einer schwerreichen Industriellenfamilie handelt, der gemeinsam mit seiner Freundin ein Praktikum am Institut für Meeresbiologie absolviert hat. Und auch wenn die Zuständigkeit für Tötungsdelikte bei der Mordkommission Neapel liegt, setzen Rizzi und Cirillo alles daran, den Täter dingfest zu machen.

„Mitten im August“ sind sämtliche Zutaten vereint, die man von einem gefälligen Urlaubskrimi erwartet. Ein Mordopfer, einen ansprechenden Handlungsort mit viel italienischem Dolce Vita-Flair, menschelnde Protagonisten mit Brüchen in der Biografie, familiäre Zwistigkeiten und einen verhalten kritischen Öko-Touch. Alles verwoben zu einer leicht lesbaren, relativ unspektakulären Story mit geringem Spannungsfaktor, aber dennoch gut unterhaltend und in Zeiten mit eingeschränkter Reisefreiheit höchst willkommen. Positiv anzumerken ist, dass der Autor auf den gehäuften Einsatz italienischer Worte bzw. Sätze verzichtet hat, die üblicherweise das Lokalkolorit hervorheben sollen, aber meist nur unpassend und überflüssig sind. Insgesamt ein solider Reihenauftakt, der Interesse weckt, aber durchaus noch etwas mehr Pep vertragen hätte, um aus der Masse der Urlaubskrimis herauszustechen.

Veröffentlicht am 23.03.2020

Sprache killt Story

Wie viele willst du töten
0

Vierzehn Jahre ist es jetzt her, seit Abby Hathaway aus der Gewalt eines Serienkillers befreit wurde. Eine traumatische Erfahrung, die sie bis heute nicht vergessen kann. Mittlerweile hat sie ihren Namen ...

Vierzehn Jahre ist es jetzt her, seit Abby Hathaway aus der Gewalt eines Serienkillers befreit wurde. Eine traumatische Erfahrung, die sie bis heute nicht vergessen kann. Mittlerweile hat sie ihren Namen in Ellery geändert und arbeitet nun als Polizistin in einem idyllischen Städtchen in Maine. Aber offenbar gibt es jemand, der um ihre Vergangenheit weiß, der sie leiden lassen will, denn alljährlich an ihrem Geburtstag erhält sie eine anonyme Karte. Aber das ist noch nicht alles, denn im gleichen Zeitraum verschwinden Menschen aus ihrem Umfeld spurlos. Ellie vermutet einen Nachahmungstäter, aber sowohl ihr Chief als auch die Kollegen wollen davon nichts wissen, tun es als Hirngespinste ab. In ihrer Verzweiflung wendet sie sich an Agent Markham vom FBI. Er war damals für ihre Befreiung verantwortlich, und auch jetzt reagiert er trotz Suspendierung, die er aber nicht an die große Glocke hängt, prompt auf ihren Hilferuf. Seine anfängliche Skepsis weicht bald der Gewissheit, dass Ellie mit ihrer Vermutung recht hat, und gemeinsam machen sie sich daran, den Copykiller zu überführen. Eine Herausforderung, bei der sie sich ihren inneren Dämonen stellen müssen.

Mit ihrem Thriller hat Joanna Schaffhausen das Rad nicht neu erfunden. Ein Nachahmungstäter, eine traumatisierte Protagonistin, ein suspendierter FBI’ler, dessen Privatleben in Trümmern liegt – alles schon gelesen, aber dennoch spannend und gut geplottet. Vor allem, weil die Atmosphäre passt, die Autorin Informationen zurückhält, diese nicht von Beginn an, sondern erst allmählich im Verlauf der Handlung preisgibt und die Personen stimmig charakterisiert sind. Das mag mit ein Grund sein, weshalb „Wie viele willst du töten“ mit einem Preis für das beste Debüt ausgezeichnet wurde.

Doch leider gibt es ein großes Aber: Die Sprache ist alles andere als gelungen, was, so vermute ich, an der Übersetzung liegt. Simpel, ohne Gefühl für den Text, Satzkombinationen, die mir trotz jahrzehntelanger Leseerfahrung noch nie über den Weg gelaufen sind, nachlässige Wortwahl, die weder zu der Handlung noch zu dem üblichen Sprech der Personen passen. Bleibt nur noch Kopfschütteln.

Veröffentlicht am 22.03.2020

Leider nur Mittelmaß

Gerecht ist nur der Tod
0

Es steht außer Frage, dass die Arbeit bei der Kriminalpolizei nicht immer einfach ist und schwerwiegende psychische Probleme verursachen kann. In manchen Dienststellen wird das stillschweigend ohne besonderes ...

Es steht außer Frage, dass die Arbeit bei der Kriminalpolizei nicht immer einfach ist und schwerwiegende psychische Probleme verursachen kann. In manchen Dienststellen wird das stillschweigend ohne besonderes Interesse hingenommen, in anderen überlegen sich Vorgesetzte und Behörden Gegenmaßnahmen, um die Gesundheit ihre Leute zu schützen.

Deshalb soll Ina Reich, Journalistin und Ex-Psychologin, das Team um KHK Schellenberg bei Ermittlungen begleiten und dessen Arbeit bewerten. Ob sie die Richtige für diese Aufgabe ist, wird sich zeigen, hat sie doch selbst mit traumatischen Erlebnissen aus ihrer Vergangenheit zu kämpfen, die sie mit jeder Menge Tabletten in Schach hält. Ihre Beteiligung an den Einsätzen gestaltet sich von Anfang nicht einfach. Der besonnene KHK Schellenberg hat kein Problem mit ihr, aber seine Kollegin KK Sibel Bulut begegnet Reich mit einer gehörigen Portion Misstrauen. Ob das berechtigt ist, wird sich zeigen…

Ausgangspunkt der Story ist der Mord an einem Kölner Society-Liebling, vor dem Traualtar aus dem Hinterhalt erschossen, bei dessen Leiche ein mysteriöser Zettel gefunden wird. Und er soll nicht der einzige Tote bleiben. Erzählt wird in der Ich-Perspektive aus Ina Reichs Sicht, was auf den ersten Blick Nähe generiert, uns hautnah am Geschehen teilhaben lässt. Aber relativ schnell stellt sich die Frage, ob deren Informationen zutreffend sind, ob man Reich trauen kann oder ob sie eine der mittlerweile im Kriminalroman so beliebten „unzuverlässigen“ Erzählerin ist, die den Leser gekonnt auf eine falsche Spur lockt.

Die Handlung schleppt sich mit angezogener Handbremse ohne große Höhepunkte dahin, die Frage nach den Motiven bleibt lange im Dunkeln, hat bei mir aber auch nicht unbedingt großes Interesse geweckt. Zu wenig Tempo, zu wenig Fortschritt, dafür jede Menge Küchenpsychologie. Alles in allem leider kein Highlight, sondern nur Mittelmaß.

Veröffentlicht am 21.03.2020

Das Gerücht wächst, indem es sich verbreitet

Das Gerücht
1

„Das Gerücht wächst, indem es sich verbreitet“. Dieses Zitat beschreibt treffend die unglückseligen Ereignisse, die durch eine unbedachte Äußerung in dem englischen Küstenstädtchen Flinstead ausgelöst ...

„Das Gerücht wächst, indem es sich verbreitet“. Dieses Zitat beschreibt treffend die unglückseligen Ereignisse, die durch eine unbedachte Äußerung in dem englischen Küstenstädtchen Flinstead ausgelöst werden. Existenzen und Leben von unbeteiligten Verdächtigen werden aufs Spiel gesetzt und wofür? Für ein fragiles Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft?

Joanna, alleinerziehende Mutter, ist mit ihrem Sohn Alfie in den kleinen Ort gezogen, da sie die Hilfe ihrer Mutter bei der Betreuung des Kindes braucht. Mit offenen Armen wird sie allerdings nicht von der Dorfgemeinschaft empfangen, und eine ähnliche Erfahrung muss leider auch der Junge machen, der von seinen Altersgenossen und Mitschülern geschnitten wird. Ein Umstand, der jeder Mutter das Herz zerreißt. Eine hingeworfene, zufällig mitangehörte Bemerkung über eine Kindsmörderin könnte dies für die beiden ändern, denn die Verbreitung von Klatsch und Tratsch war (und ist) noch immer die Eintrittskarte in die festgefügten Strukturen. Joanna wird plötzlich interessant und auch ihr Sohn erhält die Akzeptanz, die sie sich für ihn wünscht. Aber die Meute hat Blut geleckt, und so gerät die Situation zunehmend außer Kontrolle…

Dieses Psychogramm einer Kleinstadt ist ein interessanter Ansatz, dessen Potenzial die Autorin allerdings im Mittelteil verschenkt. Zu Beginn gelingt ihr die Darstellung des toxischen Kleinstadtmilieus sehr gut, aber nach gut einem Drittel tappt sie in die Falle, ergeht sich in Wiederholungen, walzt bereits Bekanntes breit aus und bremst somit das Tempo zugunsten eines Aufblähens der Seitenzahl. Und auch das Ende ist meiner Meinung nach nicht wirklich gelungen. Der Showdown wirkt unnötig überzogen, und auch die Auflösung birgt für versierte Krimi-/Thrillerleser keine Überraschung. Kann man lesen, muss man aber nicht.