Wortästhetisch
Inhalt:
Es ist 1986: Jamie studiert in Yale. Seine Familie gehört zum reichsten Prozent in den USA. Elise wohnt im Haus gegenüber und schlägt sich mit Gelegenheitsjobs durch’s Leben. Sie ist nicht wirklich ...
Inhalt:
Es ist 1986: Jamie studiert in Yale. Seine Familie gehört zum reichsten Prozent in den USA. Elise wohnt im Haus gegenüber und schlägt sich mit Gelegenheitsjobs durch’s Leben. Sie ist nicht wirklich Weiß, nicht wirkich Schwarz, nicht wirklich Latina, nichts so ganz. Von Zuhause ist sie abgehauen, da gab es bloß Drogen und Kriminalität. Elise ist erst zwanzig, aber man könnte meinen, sie hat schon vierzig Jahre gelebt, so viel hat sie da gesehen. Als sie Jamie trifft, rührt sich irgendetwas in ihr. Am Anfang ist es nur Sex, ziemlich viel, ziemlich obsessiver Sex. Und dann ist es auf einmal Liebe. Eine Liebe, die Jamie, den Jungen, der nie wirklich Verantwortung tragen musste, dazu zwingt, Entscheidungen zu treffen.
Meine Meinung:
Ich habe schon lange nichts mehr so schnell so heftig inhaliert wie die erste Hälfte von „Uns gehört die Nacht“. Ich fand es brutal gut. Und wenn ich schreibe brutal, dann meine ich das im wahrsten Sinne des Wortes. Die Liebe von Jamie und Elise ist eine brutale Form von Liebe.
Liebesgeschichten zwischen reichen Jungs und armen Mädchen sind in der Literatur ja oft erzählt worden und werden (zumindest von mir) auch immer wieder gerne gelesen. Ich habe eine Schwäche für das Cinderella-Trope, könnte man sagen. Deswegen habe ich „Uns gehört die Nacht“ auch gekauft. Deswegen und wegen der unfassbar schönen Sprache, die mich schon auf der ersten Seite gepackt hat. Die Autorin zeichnet einzigartige Sprachbilder, die das (noch unentdeckte) wortästhetische Zentrum in meinem Gehirn unglaublich stark stimuliert haben. Allein dafür würde ich all ihre weiteren Romane kaufen.
„Uns gehört die Nacht“ ist anders als all die anderen Cinderella-Geschichten, die ihr gelesen habt. Elise ist nämlich kein weichgespültes armes Mädchen aus dem Märchen. Elise ist das, was Leute wie Jamie, „eine Assoziale“ nennen. Sie redet ungehobelt, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, sie hat viel Leid und Enttäuschung erfahren, hat ein Vorstrafenregister und mit dreizehn bereits ihre erste Abtreibung erlebt. Mit vierzehn dann die zweite. Elise ist meine Lieblingsprotagonistin im Jahr 2021, weil sie sich trotz all der Kaputtheit so viel stille, unverfälschte Liebe bewahrt hat. Die Autorin hat sie wirklich unglaublich gut charakterisiert. Jamie ist übrigens noch kaputter als Elise, obwohl er auf den ersten Blick alles hat, was man braucht um ganz zu sein. Aber in mancher Hinsicht reicht alles eben auch nicht aus.
Die Beziehung, die sich zwischen Jamie und Elise entwickelt, ist voller Rohheit und Verzweiflung. Die Geschichte, die hier erzählt wird, ist auf eine ganz eigene, schonungslose Art und Weise romantisch. Die Unterschiede zwischen Jamie und Elise sind ein Sinnbild für die verschiedenen Seiten der USA, in denen ein so krasser Reichtum und eine so ausweglose Form von struktureller, sozialer und finanzieller Verarmung möglich ist.
Ein bisschen muss ich meine Begeisterung dann doch relativieren. Grund dafür ist das Ende, das mich enttäuscht hat.
Mir kam es vor, als hätte die Autorin eine grandiose Geschichte nicht richtig zu Ende denken können. Außerdem gibt es in dem Buch irrsinnig viel Sex. Obwohl mich das normal überhaupt nicht stört, war es hier ab einem gewissen Punkt grenzwertig viel.
Fazit:
„Uns gehört die Nacht“ erzählt eine in dieser Form für mich einzigartige, sprachgewaltige Liebesgeschichte. Das Buch ist (abgesehen von kleinen inhaltlichen Abstrichen) ein literarisches Highlight für mich.