Bewussteres Leben trotz Erblindung
Der unsichtbare GartenWie wäre meine Reaktion, wenn ich mein Augenlicht innerhalb der nächsten Wochen verlieren würde? Ich denke, dass jeder Leser sich irgendwann diese Frage stellt, denn mit dieser Diagnose sieht sich der ...
Wie wäre meine Reaktion, wenn ich mein Augenlicht innerhalb der nächsten Wochen verlieren würde? Ich denke, dass jeder Leser sich irgendwann diese Frage stellt, denn mit dieser Diagnose sieht sich der Hauptprotagonist, der Tennislehrer Vincent, plötzlich konfrontiert. Er leidet unter einer seltenen Augenerkrankung, die ihn innerhalb kürzester Zeit erblinden lässt. Die verschiedenen Phasen, die er daraufhin durchläuft, erstrecken sich von Nicht-Wahrhaben-Wollen bis hin zu rasantem Aktionismus, um alles Schöne nochmal zu durchleben, bevor der befürchtete Tag kommt.
An dieser Stelle möchte ich den Scheibstil der Autorin loben, der besonders in dieser Phase sehr zutreffend gestaltet ist. Kurze Sätze, abgehackte Sätze, zusammenhanglose Sätze - turboschnell und atemlos. Man spürt als Leser, dass Vincent nicht mehr viel Zeit hat und rastlos sowie auch ratlos ist.
Und auch danach, als der niederschmetternde Tag gekommen ist, wird im Buch die Verzweiflung spürbar, die einen Menschen erfasst, der begreift, dass er nie mehr aus dieser grauen Farblosigkeit entkommen wird. Vincent fühlt sich darin gefangen und startet halbherzige Versuche, sein neues Leben zu organisieren. Die Autorin beschreibt diesen Ausnahmezustand sehr treffend. Man fühlt sich als stiller Beobachter, der gern eingreifen möchte, um bei einfachsten Dingen zu helfen.
Vincent beschließt, den Garten seines geliebten Großvaters, mit dem ihn tiefe Gefühle verbinden, wieder herzustellen. Das wird für ihn zur Lebensaufgabe, und dadurch lernt er, Orientierungspunkte in sein neues Dasein zu bringen. Er lebt nun viel bewusster, denn sein Alltag als Tennisspieler und Tennislehrer blieb doch sehr an der Oberfläche, ohne Tiefgang. Natürlich hat er liebe Freunde, die ihn unterstützen. Die Orientierungssuche weitet er auch auf andere Bereiche aus, so dass sein Leben wieder Konturen bekommt, nicht zuletzt durch Coline, seine Nachbarin, mit der sich eine sehr innige Beziehung gestaltet.
Hier setzt dann auch mein größter Kritikpunkt ein: am Ende geht alles sehr schnell, Jahre werden übersprungen, in denen sicher noch wichtige und fundamentale Lernprozesse stattfinden. Das hätte vielleicht noch ein weiteres Buch gefüllt.
Zum Abschluss möchte ich noch das sehr schöne Cover erwähnen. Es deutet bereits die Erblindung an, die den Garten nur noch in der Erinnerung bestehen lässt.Der milchige Umschlag verschleiert den bunten Garten dahinter, man sieht ihn wie durch eine Nebelwand.
Alles in allem kann ich das Buch durchaus empfehlen, es ist überzeugend geschrieben und regt zum Nachdenken an. Schade, dass das Ende so überstürzt wird.