Hat viel mehr zu bieten, als es auf den ersten Blick scheint!
Hinter dieser Geschichte hatte ich eine oberflächliche High-School-Story erwartet, stattdessen entpuppte sich "Nur eine Liste" zu meiner großen Überraschung als provokante, teilweise sogar bissige Abrechnung ...
Hinter dieser Geschichte hatte ich eine oberflächliche High-School-Story erwartet, stattdessen entpuppte sich "Nur eine Liste" zu meiner großen Überraschung als provokante, teilweise sogar bissige Abrechnung mit dem Schönheitswahn der Jugend und der Oberflächlichkeit von High School Hierarchien.
Erste Sätze: "Seit Ewigkeiten finden die Schüler der Mount Washington Highschool, wenn sie am letzten Montag im September in die Schule kommen, eine Liste mit dem hübschesten und dem hässlichsten Mädchen jeder Klassenstufe vor. Dieses Jahr wird es nicht anders sein. Ungefähr vierhundert Kopien hängen zurzeit an mehr oder weniger auffälligen Stellen."
Das Cover ist grundsätzlich nicht schlecht gestaltet mit der Listenartigen Ansammlung der im Buch vorkommenden Namen der Mädchen und dem Kontrast aus knalligem Rosa und dunklem Schwarz, der besser als alles andere die Pole "hässlich" und "schön" widerspiegelt, um die sich die Geschichte hauptsächlich dreht. Auf der anderen Seite wirkt die Farbgebung in Kombination mit dem Gesicht (von dem ich leider auch nicht weiß, wen es darstellen soll), auf mich eher abschreckend und ich hätte mir eine etwas neutralere Gestaltung gewünscht, die vielleicht auch ältere oder männliche Leser anziehen könnte. Innerhalb der Buchdeckel ist der Roman bis auf die abgedruckte Liste zu Beginn sehr schlicht und ohne große Verzierungen gehalten. Unterteilt in 46 Kapitel und sechs Tage lesen wir aus der Sicht von acht Mädchen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Doch egal ob Sportlerin, Aufsteigerin, Beautyqueen, Rebellin, Mauerblümchen oder Mitläuferin, diese drei Mädchen verbindet eines - um es mal mit den Worten der Schulleiterin zu formulieren: "Jeder von Ihnen ist etwas Schreckliches widerfahren. Jemand hat sich angemaßt, Sie vorzuführen, Ihnen ein Etikett anzuhängen und Sie auf die oberflächlichste, unsachlichste Version Ihres Selbst zu reduzieren. Und diese Tat hat emotionale Folgen, unabhängig davon, auf welcher Seite Sie stehen."
Und mit genau diesen emotionalen und sozialen Folgen der Liste beschäftigt sich der gesamte Roman. Abwechselnd begleiten wir die acht Mädchen der Klassenstufen 9 bis 12 - je die "hässlichste" und die "schönste" - durch ihre Woche und erfahren vom Aushang der Liste bis zum Homecoming Ball hautnah, was es mit den Mädchen macht, einen Stempel aufgedrückt bekommen zu haben, wie es ihren Alltag und ihre soziale Stellung verändert und wie sie sich dabei fühlen. Dabei legt die Autorin vor allem Wert auf die Gefühlswelt der Protagonistinnen und durchleuchtet ihre Vergangenheit, ihr Freundeskreis und prägende Ereignisse der letzten Zeit, um dem Leser klarzumachen, weshalb die Liste für alle acht eine große Macht besitzt. Eigentlich ist der Aufbau mit den wechselnden Erzählerinnen sehr simpel und auch die Grundidee ist schlicht, gerade deshalb kann man sich jedoch problemlos vorstellen, dass sich genau diese Handlung irgendwo an einer Highschool ereignet. Und selbst wenn es keine Liste ist, die explizit in "hässlich" und "schön" unterteilt sind doch Bälle, Jahrbücher und Co nichts anderes als offiziell genehmigte Schönheits- und Beliebtheitswettbewerbe. Gerade weil viele der angesprochenen Themen so alltäglich erscheinen und sich fast jeder Leser mit einer der vorgestellten Protagonistinnen identifizieren können wird, kann man der Geschichte so leicht folgen und die Oberflächlichkeit und Grausamkeit der Jugendlichen geht unter die Haut.
"Die Liste schaffte es, die gesamte weibliche Schülerschaft auf drei klar abgegrenzte Gruppen zu reduzieren. Die Hübschesten. Die Hässlichsten. Und alle anderen."
Neben den acht Handlungssträngen, die alle mehr oder weniger zusammenhängen gilt es die übergreifende Frage zu lösen, wer die Liste geschrieben hat und warum. Durch einige Andeutungen kann sich der Leser selbst Gedanken machen und wir immer wieder vor die Frage gestellt, was denn nun wirklich "hässlich" oder "schön" ist. Hässliche Geheimnisse hinter schönen Fassaden, falsche Freundschaften hinter großer Beliebtheit, Unsicherheit und Selbstzweifel hinter gespielter Perfektion - mit jedem Kapitel, das hinzukommt, zeigt uns Siobhan Vivian, dass diese beiden Kategorien alles andere als einfach zu trennen und nicht objektiv gültig sein können. Dabei geht sie jedoch über die typische "ihr seid alle auf eure Weise schön"-Jugendbuch-Message hinaus und baut geschickt Themen wie Mobbing, Essstörungen, Bodyshaming, Neid, Ehrgeiz und Schönheitsideale mit ein. Währenddessen zeigt sie, wie der Drang nach Schönheit und die Erwartungen der Gesellschaft (und sei es auch nur eine so einfache und oberflächliche wie eine Highschool) auf ganz verschiedenen Personen lastet und wie Selbstzweifel mehr Schaden anrichten, als man hinter Fassaden vermutet. Auf indirekte Weise äußert die Autorin also sehr viel Gesellschaftskritik, was "Nur eine Liste" erstaunlich tiefgründig für eine Highschool-Geschichte werden lässt.
"HÄSSLICH... Die Liste hat so viel Macht, ihr Urteil ist endgültig, und trotzdem will sich niemand mit dem schwarzen Edding auf Sarahs Gesicht auseinandersetzen. Scheißfeiglinge."
Besonders überzeugen jedoch die acht Protagonistinnen, die uns über den Zeitraum einer Woche an ihrem Leben teilhaben lassen und erstaunlich tiefsinnige Abgründe offenbaren. Auch wenn ich zu Beginn Probleme hatte, die acht, ihr Label und die vielen Nebenfiguren auseinanderzuhalten und immer wieder auf der Liste nachschauen musste, funktioniert die Erzählweise aus acht Perspektiven beeindruckend gut. Schon nach hundert Seiten haben wir ein detailliertes Porträt der Protagonistinnen vor Augen und können verfolgen, wie sie sich im Laufe der Geschichte von ihren Klischees lösen und sich aus den Schubladen befreien, in die man sie zu Beginn noch gesteckt hat.
Danielle DeMarco.
Abby Warner.
Candace Kincaid.
Lauren Finn.
Sarah Singer.
Bridget Honeycutt.
Jennifer Briggis.
Margo Gable
- vier "schöne" und vier "hässliche" Mädchen, acht "Opfer" eines geheimen Bewertenden, vor allem aber acht sehr spannende und unterschiedliche Personen, die mir nicht immer alle sympathisch waren, die uns aber trotzdem ans Herz wachsen und deren Gründe für ihr Handeln wir immer besser verstehen lernen.
"Sie möchte sich schön fühlen. Jedes Mädchen hier möchte das. Nur deshalb denken wir an nichts anderes als die Liste, den Ball" (…)
"Ich glaube nicht, dass es darum geht", widerspricht Matthew. "Ihr Mädchen wollt von allen anderen für schön gehalten werden."
Danielle ist eine begabte Schwimmerin, deren muskulöser Körper nicht den weiblichen Idealen entspricht und die deshalb bald "Dan the Man" genannt wird und auch durch die verhaltene Reaktion ihres Freundes ein Teil ihrer weiblichen Identität verliert. Abbys Aussehen ist das einzige, was sie hinter ihrer klugen Schwester Fern hervorblitzen lässt, durch die Liste kann sie sich endlich auch mal besonders fühlen, ihr entgeht jedoch, wen sie damit alles verletzt. Candace ist eigentlich alles andere als hässlich und das weiß sie auch, als die Liste sich aber aufgrund ihres schonungslosen Verhaltens als hässlich einstuft und sie ihre Stellung verliert, muss sie ihr Verhalten überdenken und sich mit ihrer inneren Schönheit auseinandersetzen. Das hübsche Mauerblümchen Lauren, das zuvor zuhause von ihrer klammernden Mutter unterrichtet wurde, ist überrascht, dass sie nach der Liste kometenhaft im Ansehen ihrer Mitschüler aufsteigt und muss sich fragen, was sie wirklich will. Sarah ist die geborene Rebellin und suhlt sich in ihrem Außenseitertum, als das Urteil der Liste sie jedoch trotzdem schmerzhaft trifft, beginnt sie, dem Schönheitswahn den Krieg zu erklären und will durch einen Duschstreik ein Zeichen setzen. Bridget ist eigentlich von Natur aus schön, als sie jedoch nach einem Sommer, in dem sie einiges durch krankhafte Selbstdisziplin abgenommen hat, durch die Liste die Bestätigung erhält, spitzt sich ihr Schlankheitswahn immer mehr zu. Jennifer ist eine Ausgestoßene seit ihre beste Freundin Margo sie vor der Highschool fallen ließ und die Liste ihr den Todesstoß versetzte, doch auch als sie zum vierten Mal als "hässlichste" denunziert wird, ist ihr Wunsch, dazuzugehören noch nicht verloschen. Margos Wunsch, nach ihrer Schwester Maureen Homecoming Queen zu werden und an der Seite ihres besten Freundes zu tanzen, für den sie schon seit Jahren schwärmt, ist indirekt Auslöser des ganzen Schlamassel, und als er kurz davor ist, endlich in Erfüllung zu gehen, macht ihr ausgerechnet Jennifer ein Strich durch die Rechnung. Doch ist es das alles wert? Ist das Gefühl, schön zu sein es wert, Freundschaften zu ruinieren? Rechtfertigen der Triumph über andere und hohes Ansehen, die Gefühle von anderen zu verletzen...?
"Milo legt die Arme um sie und hält sie fest. Und Sarah lässt es zu. Sie lässt für einen Augenblick zu, dass sie verletzlich ist, lässt ihn ihr wirkliches, ehrliches, hässliches Ich sehen. Es ist ein wunderschöner Anblick."
Das Ende beinhaltet einige überraschende Wendungen, lässt uns aber Großteils mit vielen offenen Fragen zurück. Auch wenn es sich äußerst unbefriedigend anfühlt, die Geschichte ohne klare Linie und Antworten zu verlassen, kann ich mir nach längerem Nachdenken kein besseres Ende vorstellen. Insgesamt ist mein Fazit also, dass diese Geschichte über Oberflächlichkeit, Freundschaft, Liebe, Neid, Stereotypen und Schönheit mehr bietet, als es auf den ersten Blick scheint.
Fazit:
Leise Gesellschaftskritik, acht spannende und authentische Protagonistinnen und absolute Klischeefreiheit machen diese High-School-Geschichte über Oberflächlichkeit, Freundschaft, Liebe, Neid, Stereotypen und Schönheit zu einem absoluten Überraschungserfolg. Sehr empfehlenswert!