Über häusliche Gewalt sollte man nicht schweigen
Stell dir vor, du hast einen Vater, der bei jedem Mist ausrastet, Dinge durch die Kante schmeißt, die Einrichtung der Wohnung demoliert, dich daheim einsperrt und dich ununterbrochen kontrollieren will. ...
Stell dir vor, du hast einen Vater, der bei jedem Mist ausrastet, Dinge durch die Kante schmeißt, die Einrichtung der Wohnung demoliert, dich daheim einsperrt und dich ununterbrochen kontrollieren will. Stell dir vor, wie es ist, in einem Haushalt zu leben, in dem dieses Szenario an der Tagesordnung ist, in dem du als Kind herumschleichst, um ja nicht seine Aufmerksamkeit auf dich zu ziehen, in dem du versuchst, ja keine Fehler zu machen, weil du Angst vor den Konsequenzen hast. Häusliche Gewalt kommt leider viel öfter vor, als man denkt, denn meist schafft es die Person, von der sie ausgeht, nach Außen den schönen Schein zu wahren und Nichts an die Öffentlichkeit dringen zu lassen, weil sie um ihren Ruf fürchtet.
Auch ich hatte unter einem solchen Vater zu leiden, zum Glück aber nicht lang, weil meiner Mom nun mal nicht der Typ Frau ist, der sich von Männern schlagen lässt und auf Tod und Teufel nicht zugelassen hätte, dass er mir etwas antut. Ich war 9, als wir nach drei heftigen Ausrastern seinerseits ausgezogen sind und zu zweit ein neues Leben angefangen haben. Danach hatte ich zwar noch sporadischen Kontakt zu ihm, aber meine Existenz wurde ihm mehr und mehr egal. Ich hatte lange daran zu knaupeln, sowohl an der Erinnerung an seine Ausraster, als auch an der Tatsache, dass er nie für mich da war, also habe mir psychologische Hilfe geholt, denn ich wollte mit diesem Kapitel in meinem Leben abschließen. Heute denke ich kaum mehr an meinen (wie ich ihn nenne) Erzeuger, jetzt ist er mir egal. Aber ich schweige auch nicht über sein asoziales Verhalten, denn wie mir geht es vielen Kindern und von diesen Kindern haben wenige das Glück, eine solche Mutter wie ich zu haben. Ich schreibe dass nicht, weil ich Mitleid heischen will, sondern, weil zu wenig Menschen darüber reden, sei es aus Angst, aus Scham oder weil man die Vergangenheit verdrängen möchte. Das funktioniert so aber nicht. Schweigen nützt keinem und die Vergangenheit lässt sich nicht verdrängen.
Das ist mir einmal mehr bewusst geworden, als ich als ich neulich den Roman "You are not safe here" las. In der Geschichte geht es um die Geschwister Leighton, Campell und Juniper aus der amerikanischen Kleinstadt Auburn, deren Vater regelmäßig ausflippt und die Hauseinrichtung demoliert. Deren Mutter lässt die Gewaltausbrüche des Ehemannes still über sich und die Kinder ergehen und nimmt ihn auch noch in Schutz. Er habe es schwer,das mache ihn aggressiv. Als er sich als Jugendlicher am Knie verletzte, starb sein Traum von einer Football-Karriere und er musste in der Kleinstadt bleiben, die Baufirma seines Vaters (der ebenfalls gewalttätig gegenüber seiner Familie war) übernehmen, die er mehr schlecht als recht führt. Die Schuld sucht er nie bei sich, sondern stets bei seiner Familie. Selbst die Fliege an der Wand kann zu einem Ausraster führen. Leighton, die älteste Tochter, versucht ihre jüngeren Geschwister so gut es geht vor der Gewaltspirale zu schützen, dabei stellt sie aber ihr ganzes Leben hintenan. Sie würde nach der Highschool gerne auf's Collage gehen und Journalismus studieren, macht sich aber Sorgen um die Zukunft und das Leben ihrer Schwestern und ist stets hin- und hergerissen, ob sie ihren Traum verfolgt oder fallen lässt. Zeitgleich zu der sich immer mehr zuspitzenden Gewaltausbrüche von Leightons Vater lassen sich in Auburn immer mehr Krähen nieder und es scheint, dass ihre Zahl konkruent zur Häufigkeit der Ausraster des Vaters und dem Wegsehen der Nachbarn und anderen Bewohnern ansteigt. Am Ende der Geschichte sind es über 60000.
Die Story ist sehr gut geschrieben und man kann sehr gut mit den drei Geschwistern mitfühlen. Teilweise kommt einem die Situation, in der sie stecken auch recht beklemmend und aussichtslos vor. Aber je mehr Selbstbewusstsein Leighton gewinnt und je öfter sie sich ihrem Vater entgegen stellt, desto mehr wächst auch die Zuversicht auf ein gutes Ende der Geschichte. Mit "You are not safe here" hat die Autorin Kyrie McCauley ein starkes Debüt hingelegt und ich hoffe, zukünftig noch mehr Bücher von ihr lesen zu können.