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Veröffentlicht am 30.04.2020

Erinnerungen an den Sommer in New Bremen

Für eine kurze Zeit waren wir glücklich
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„Wird ein Verlust zur Tatsache, dann ist er wie ein Stein, den man in der Hand hält. Er hat Gewicht, Umfang, Konsistenz. Er ist fassbar, man kann ihn einschätzen, mit ihm umgehen. Man kann sich damit geißeln ...

„Wird ein Verlust zur Tatsache, dann ist er wie ein Stein, den man in der Hand hält. Er hat Gewicht, Umfang, Konsistenz. Er ist fassbar, man kann ihn einschätzen, mit ihm umgehen. Man kann sich damit geißeln oder ihn wegwerfen.“

Inhalt

Frank Drum erinnert sich an den Sommer 1961, der für ihn wegbereitend für sein ganzes weiteres Leben werden sollte. Damals lebte er mit seiner Familie in New Bremen, einem fiktiven Ort am Minnesota River – der Vater war Dorfpfarrer der Gemeinde, die Mutter eine begnadete Sängerin im Kirchenchor und die große Schwester ein Talent an der Orgel. Franks Tage verliefen typisch für einen 13-Jährigen, der sich gemeinsam mit dem kleinen Bruder Jake die Freizeit vertreibt und zwischen Schule, Freunden und Fahrradtouren die Sonne und das Abenteuer genießt. Doch dem ersten Toten des Sommers, einem Außenseiter aus der Schule, der zu lange an den Bahnschienen verweilte, sollen noch etliche weitere folgen und Frank ist irgendwie immer mittendrin, als Zeuge oder Betroffener. Besonders den Verlust seiner geliebten Ariel, der älteren Schwester mit dem großen Herzen, verkraftet Frank nur schwer. Denn ihr Tod, so ergibt es die Obduktion, war nicht einfach nur ein Unfall, sondern vorsätzlicher Mord. Frank möchte zu gern den Mörder seiner Schwester stellen und ihn seiner gerechten Strafe zuführen, wenn da nur nicht die Beschränkungen seiner Jugend wären und Erwachsene, die seinen Worten immer etwas entgegenzusetzen haben …

Meinung

Nachdem ich vergangenes Jahr so viele begeisterte Leserstimmen zu diesem Roman wahrgenommen habe, musste ich ihn unbedingt lesen, um so wie andere den wundervollen Erzählton und die berührende Geschichte über das schmerzliche Erwachsenwerden eines Jungen kennenzulernen. Dementsprechend hoch war auch meine Erwartungshaltung an die Geschichte, deren Thematik gleich in mehrere Richtungen schwenkt.

Zum einen ist es eine klassische Familiengeschichte, mit den Problemen, Wünschen und Geheimnissen mehrerer Beteiligter, die in enger verwandtschaftlicher Bindung zu einander stehen. Darüber hinaus ist es ein Kriminalroman, bei dem ein Junge versucht, hinter die Machenschaften seiner Mitmenschen zu kommen, um deren Handlungen besser verstehen zu können und dann ist es der unwiderrufliche Weg von der Kindheit zum Erwachsenwerden, verstärkt durch traurig-dramatische Erlebnisse, die sich nicht mehr verbergen und in schöne Worte kleiden lassen.

Das Leseerlebnis war für mich von widersprüchlichen Empfindungen geprägt: zum einen ist es ein ausgesprochen bildhafter, atmosphärischer Roman, der das Lebensgefühl seiner Protagonisten und deren Erlebnisse in absolut stimmige Handlungsabläufe umwandelt, zum anderen ein Grundsatzroman der sich oftmals an Glaubensfragen und moralischen Werten orientiert – diese beiden Punkte haben mir ausgesprochen gut gefallen und mir echten Zugang zum Text gewährt. Doch dann kommt die Wertigkeit der Erzählung hinzu, ihre Bedeutsamkeit über den Roman hinaus und davon war ich dann leider enttäuscht, weil ich irgendwie das Gefühl hatte, in einem Film zu stehen, die Menschen immer nur von außen zu betrachten und ihnen nicht wirklich nahe zu kommen. Doch dieses Vorgehen wirkt nicht versehentlich, sondern eher gewollt, deshalb hatte ich mehrfach das Gefühl keinen Roman, sondern ein Drehbuch zu lesen.

Fazit

Ich vergebe 4 Lesesterne für eine bildhafte, emotional erzählte Geschichte, die mich in weiten Teilen an einen Film erinnerte und die ich wirklich lieber auf der Leinwand erlebt hätte als auf dem Papier. Die wichtigen Fragen über Schuld und Schicksal, Freude und Leid, Vergeben und Vergessen – sie werden alle aufgegriffen und erlebbar gemacht, aber ihre Reichweite verlässt nicht die gut 400 Seiten des Buches.

Die Protagonisten habe ich mehr gesehen als verstanden, die Geschichte birgt unzählige Erinnerungen jedweder Natur, zeigt auch deren Verblassen im Lauf der Zeit, ebenso wie die Vielschichtigkeit diverser Erlebnisse auf unterschiedliche Personen, doch irgendwie bleibt nicht viel zurück, nachdem ich das Buch beendet habe und deshalb muss ich ganz klar einen Lesestern abziehen.

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Veröffentlicht am 30.04.2020

Ein letzter Weg in absoluter Dunkelheit

Picknick im Dunkeln
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„Ich denke wie jeder andere Mensch, ich denke, weil uns die Vernunft geschenkt wurde und weil solch ein Geschenk einen Sinn haben muss. Ich denke zur Unterstützung des Glaubens an den, der uns diese Vernunft ...

„Ich denke wie jeder andere Mensch, ich denke, weil uns die Vernunft geschenkt wurde und weil solch ein Geschenk einen Sinn haben muss. Ich denke zur Unterstützung des Glaubens an den, der uns diese Vernunft verlieh. Sehen sie, Mister Laurel: Ich bin im Auftrag des Herrn unterwegs.“

Inhalt

Als Stanley Laurel sich plötzlich inmitten vollkommener Dunkelheit befindet und sich weder seinen Weg dorthin, noch seine Lage an sich erklären kann, bemüht er sich, mittels sachlicher Überlegungen zu orientieren – welche Beschaffenheit haben die Wände, gibt es einen Luftzug, hat der Tunnel ein Ende. Zum Glück dauert es nicht lange, bis er einem Koloss von Mann begegnet, der hier in diesem undurchdringlichen dunklen Tunnel ebenfalls ausharrt. Gemeinsam machen sie sich also auf den Weg, das Dunkel zu durchschreiten, in der Hoffnung, dass sie einen Ausgang finden. Ganz nebenbei erzählen sie sich aus ihrem Leben und Stan identifiziert sein Gegenüber tatsächlich als den berühmten Thomas von Aquin, der rein rechnerisch schon seit über 700 Jahren verstorben ist. Also muss dies auch Stans letzter Weg sein, von dem alle Welt immer behauptet hat, dass er ins Licht und nicht in die Finsternis führt. Irgendetwas stimmt hier nicht, und die beiden müssen nur noch herausfinden, was es ist …

Meinung

Was für eine tolle, innovative und doch simple Idee für einen Roman: man nehme zwei hinreichend bekannte Persönlichkeiten, die sich unter logischen Aspekten niemals begegnet wären und setzt sie in einen Raum ohne äußere Reize. Viele Interaktionsmöglichkeiten bleiben ihnen nicht, eigentlich nur die Kommunikation, das Austauschen von Gewissheiten und neue Überlegungen, die man zu zweit vielleicht anstellen kann. Dieser Hintergrund bildet den wesentlichen Baustein des neuen Romans von Markus Orths, der gleichzeitig meine erste Lektüre des Autors war.

Ganz klar, dieses Buch lebt nicht von überschwänglicher Action und Handlungsvielfalt, es gewinnt durch die Art und Weise der Gespräche an Wert, es ist ein Dialog, ein Austausch von Erfahrungen, Erinnerungen und die Suche nach möglichen Erklärungen. Ganz nebenbei bekommt der geneigte Leser dabei einen kleinen Einblick in die jeweilige Biografie des Erzählenden. Während Stan immer auf der Sonnenseite stand und auch andere Menschen zum Lachen brachte, waren der Glaube an Gott und das Benutzen des Verstandes die elementaren Werte im Leben von Thomas von Aquin. Die Annäherung der beiden erfolgt in kleinen Schritten, stellenweise vergessen sie sogar den Sinn ihres Weges, sie haben nicht mehr das unmittelbare Bedürfnis, ihren unfreiwilligen Aufenthalt in der dunkeln Röhre sofort zu Beenden.

Sprachlich punktet der Roman mit feinem Humor, die Protagonisten kommen beide zu Wort, jedoch überwiegen die Erinnerung von Stan, der sich oftmals in der Rolle des Erklärers sieht, denn seinem Gesprächspartner fehlen ganz offensichtlich die Zusammenhänge, liegt seine Lebenszeit doch in so weiter Ferne. Die philosophische Reise findet erst dann ein Ende, nachdem die Männer die großen Lebensfragen hinreichend geklärt bzw. sich mit den Ereignissen ausgesöhnt haben. Doch der Tunnel führt nicht wie erwartet ins Licht, er scheint nur eine Zwischenstation gewesen zu sein, die offen lässt, in wieweit Menschen einander auch über den Tod hinaus beeinflussen können.

Fazit

Ich vergebe gute 4 Lesesterne für dieses interessante literarische Gedankenexperiment, welches den Leser zu eigenen Mutmaßungen über das Leben allgemein und die aktuelle Situation im Besonderen animiert.

Während der Lektüre habe ich mir auch gerne andere Paarungen vorgestellt, von speziellen Charakteren und ihren Möglichkeiten im gemeinsamen Gespräch, gerade historische Personen hätten mir besonders gut gefallen, denn leider kenne ich mich bei den Komikern nicht so gut aus und die philosophische Seite des Romans hat mich eindeutig mehr inspiriert.

Dieses Buch ist ein gelungener Unterhaltungsroman, der mit wenig Equipment auskommt und viele Bilder im Kopf des Lesers anregt, wenn man ohne spezielle Erwartungshaltung an die Lektüre herantritt, macht sie viel Freude, kleine Schwächen hat sie trotzdem, aber die kann ich durchaus verzeihen. Vom Autor selbst möchte ich mindestens noch ein weiteres Buch lesen, um mir ein genaueres Bild von seiner Intention machen zu können.

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Veröffentlicht am 19.04.2020

Vaters Messer

Meine Schwester, die Serienmörderin
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„Sie ist meine Schwester. Ich will nicht, dass sie im Gefängnis verrottet, und außerdem würde Ayoola, so wie sie nun einmal ist, das Gericht wahrscheinlich davon überzeugen, dass sie unschuldig wäre. Ihre ...

„Sie ist meine Schwester. Ich will nicht, dass sie im Gefängnis verrottet, und außerdem würde Ayoola, so wie sie nun einmal ist, das Gericht wahrscheinlich davon überzeugen, dass sie unschuldig wäre. Ihre Taten seien die Schuld ihrer Opfer gewesen, und sie habe gehandelt, wie jeder andere vernünftige und bildschöne Mensch es unter diesen Umständen auch getan hätte.“

Inhalt

Während Korede, die ältere aber maximal durchschnittlich attraktive Schwester in einem Krankenhaus arbeitet, sonnt sich Ayoola, die bildhübsche jüngere Schwester lieber an der Seite attraktiver Männer, die sie spielend um den Finger wickelt. Ihre Vorliebe sind gutaussehende bestenfalls wohlhabende Partner, die ihr jeden Wunsch erfüllen und die sie genau so lange liebt, wie alles nach Plan läuft. Doch sobald irgendetwas das empfindliche Gleichgewicht in ihren Männergeschichten stört, sieht sie sich gezwungen, Vaters Messer zu ergreifen und ihren Bis-eben-noch-Freund zu ermorden. Derer waren es nun schon drei und jeden Mal telefoniert sie umgehend mit Korede, damit diese gemeinsam mit ihr, die Leiche entsorgt und das Blutbad beseitigt.

Für Korede ist das kein Zuckerschlecken, denn ihre Mitwisserschaft, sorgt dauerhaft für ein schlechtes Gewissen und sie versucht den neuen Liebhabern ihrer Schwester subtile Hinweise zu liefern, warum Ayoolas Schönheit auch ein Fluch sein könnte. Doch als Ayoola plötzlich die Geliebte von Tade wird, auf den eigentlich Korede schon lange Zeit ein Auge geworfen hat, denn er ist ihr Kollege, wird es schwierig für die beiden Schwestern. Korede ist sich ziemlich sicher, das Tade die Liebschaft mit Ayoola nicht überleben wird, wenn sie selbst nicht rechtzeitig eingreift …

Meinung

Nachdem ich einige positive Lesermeinungen zu diesem Buch wahrgenommen habe und mich von einer sehr humorvollen Leseprobe überraschen ließ, wollte ich diese durchaus böse Geschichte über zwei ganz unterschiedliche Frauen mit perfiden Hobbys kennenlernen. Die eine mordet und hüllt sich in Schönheit und Naivität, die andere putzt und übernimmt den verantwortungsvollen Part, der zwar keinen Mord gutheißt, ihn allerdings auch nicht ändern kann oder will. Und tatsächlich überwiegt in dieser Geschichte der schwarze Humor, der nur hin und wieder von einem Anflug Ehre und Gewissen überlagert wird.

Der Debütroman der nigerianischen Autorin Oyinkan Braithwaite ist mal etwas ganz anderes, denn ein richtiger Thriller ist es nicht und für einen Roman kommen eindeutig zu viele Leichen darin vor. Die Grundstory zweier ganz unterschiedlicher Schwestern ist zwar nichts Neues, doch die Intension, die sich hier vor allem durch die Handlung erschließt, verdient schon etwas Aufmerksamkeit. Sprachlich schildert allein Korede rückblickend und vorausschauend gleichermaßen die Entwicklung ihrer allseits beliebten Schwester, der sich einfach niemand, erst recht kein Mann entziehen kann und die immer alles bekam, was sie wollte.

Gerade die Rollenbilder der beiden Geschwister und ihre dennoch intakte Beziehung zueinander haben mich gefesselt – viele Entscheidungen, die hier getroffen wurden, sind für mich unvorstellbar, wirken aber sehr glaubhaft in dieser Geschichte. Besonders reizvoll fand ich auch den gesellschaftskritischen Aspekt, der immer wieder zur Sprache kommt und auch langfristig diese teilweise surreale Geschichte nicht im Klamauk versinken lässt. Was macht denn eine Frau in Nigeria aus, welchen Wert besitzt das Aussehen, welche Wertschätzung erfährt der Verstand? Einmal abgesehen davon, dass Vieles überspitzt wird und die Männer in der Geschichte tatsächlich ganz blasse Gestalten abgeben, kann man den gelebten Feminismus hier spüren.

Zwei Punkte gibt es, die mich nicht ganz überzeugen konnten: Zum einen hätte ich zu gern Ayoolas Blick auf das Geschehen aus erster Hand erfahren, hätte mich lieber in ihren Gedankenkreis begeben als nur den reumütigen Blick von Korede zu erhalten. Zum anderen hätte mir die Fokussierung auf eine Aussage besser gefallen, statt das Anschneiden zweier Möglichkeiten. Zunächst wirkt alles bewusst übertrieben und ironisch, doch im Verlauf der Geschichte bekommen die Dinge mehr Gewicht und münden in regelrechte ethisch vertretbare Aussagen oder eben das Fehlen solcher. Schöner wäre es gewesen entweder nur das Bitterböse zu betonen oder das schockierend Unfassbare.

Fazit

Ich vergebe 4 Lesesterne für diesen ungewöhnlichen Roman mit einem betont alternativen Frauenbild und einer locker-leichten Erzählweise, die echten Unterhaltungswert besitzt. Das Buch bietet sicherlich keine neuen Erkenntnisse, es klagt auch weniger an, als ich zunächst vermutet habe, ist aber auch kein ganz und gar unglaubwürdiges Konstrukt, in dem die Fantasie der Autorin mit ihr durchgegangen wäre. Wer sich auf so eine leichte Geschichte mit schwerwiegenden Hintergründen einlassen kann, ist hier ganz gut beraten. Eigentlich würde mir hier eine Verfilmung vorschweben, in der die Schauspieler so viel Herzblut hineinlegen, wie die Protagonisten des Buches, dann wäre man zwischen selbstgebackenem Kuchen und Bleiche bestens aufgehoben.

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Veröffentlicht am 19.04.2020

Mord in den besten Kreisen

Blutmond
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„Er stützte sich auf die Reling und betrachtete seinen Atem, der aufstieg und zu einem Teil der Wolkendecke wurde. Es war so einsam und still um das Boot und im Hafen, dass er sich ebenso gut auf einem ...

„Er stützte sich auf die Reling und betrachtete seinen Atem, der aufstieg und zu einem Teil der Wolkendecke wurde. Es war so einsam und still um das Boot und im Hafen, dass er sich ebenso gut auf einem Vorposten in der Antarktis hätte befinden können.“

Inhalt

Auf der Fashion Week in Copenhagen kommt es zu einem mörderischen Zwischenfall: der Modezar Alpha Bartholdy wird Opfer eines Anschlags und verstirbt kurz nach dem Verlassen der Party an den Verätzungen, die ihm der verabreichte Abflussreiniger zugefügt hat. Nur wenige Tage später kostet der gleiche Modus Operandi der attraktiven Sängerin Christel Toft das Leben, die ebenso wie Bartholdy in den Kreisen der Reichen und Schönen verkehrte. Polizeiassistent Jeppe Kørner und seine Kollegin Anette Werner werden auf die Fälle angesetzt, um die offensichtliche Verbindung zwischen den Todesfällen herauszufinden und schnellstmöglich ein Motiv zu ermitteln, bevor der nächste Mord geschieht. Jeppes Freund Johannes Ledmark rückt schon bald ins Visier der Mordkommission, denn er hatte mit Bartholdy ein intimes Verhältnis und kannte auch Christel ganz persönlich. Doch Jeppe weigert sich an die Schuld seines Vertrauten zu glauben und scheint auch Recht zu behalten, denn Johannes wird kurz nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft fast zum dritten Opfer des immer noch ominösen Serienkillers. Die Polizei tappt im Dunkeln, denn gerade das Umfeld der Reichen und Schönen bietet mehr als nur ein plausibles Mordmotiv. Erst ein entscheidender Hinweis von außen bringt sie voran, doch diesmal zeigt die Kompassnadel in eine ganz andere Richtung als erwartet …

Meinung

Dies ist der zweite Band aus der Kørner-Werner-Reihe, der sich diesmal in die Welt der Stars und Sternchen vorwagt, um einen verzwickten Fall zu präsentieren, in dem es zahlreiche potentielle Mörder gibt und ebenso viele Gründe, die versnobten Egoisten hinzurichten. Trotz der Tatsache, dass ich den ersten Band („Krokodilwächter“) bisher noch nicht gelesen habe, bin ich inhaltlich prima mit dem Setting und den Figuren klargekommen. Gerade die liebevoll beschriebenen Protagonisten waren es, die mich von diesem Thriller überzeugen konnten, während ich die Auflösung des Falles eher als zweitrangig empfand.

Natürlich gelingt es der Autorin Katrine Engberg eine wirklich ansprechende Story zu entwerfen, in der man gerne miträtselt, Theorien aufstellt und sie wieder verwirft und mit unvorhersehbaren Wendungen neue Wege beschreiten muss. Doch die übergeordnete Erzählperspektive hat mir persönlich nicht so gut gefallen, weil dadurch eine gewisse Distanz entsteht und man die Motive des Täters nicht unmittelbar nachvollziehen kann.

Umso überzeugender waren die detailliert ausgearbeiteten Charaktere mit ihren vielen Ecken und Kanten. Egal ob es der vom Leben gebeutelte Jeppe mit seiner frischen, doch instabilen Partnerschaft zu einer deutlich jüngeren Frau ist, oder die Mittvierzigerin Anette, deren Essverhalten sie in gesundheitliche Probleme stürzt – sie sind äußerst bildhafte, glaubwürdige Menschen, deren Befindlichkeiten in zahlreichen humorvollen Interaktionen spürbar werden.

Fazit

Ich vergebe gute 4 Lesesterne für diesen sympathischen, erzählenden Thriller, der durch Atmosphäre, überraschende Wendungen und differenzierte Personenbeschreibungen punkten kann – immer ist man als Leser nah dran am Geschehen und direkt involviert in die Ermittlungsarbeit. Das Buch kommt auch ohne große Gewaltszenen und blutige Ereignisse aus. Ich freue mich schon auf den 3. Band der Reihe („Glasflügel“), der abermals niveauvolle Krimiunterhaltung verspricht und den ich möglichst bald lesen möchte.

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Veröffentlicht am 11.04.2020

Alle Figuren sind böse und gleichzeitig gut

Long Bright River
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„Ich wollte, dass alles so blieb wie es war. Ich fürchtete die Wahrheit mehr als die Lüge. Die Wahrheit würde die Umstände meines Lebens verändern. Die Lüge war statisch. Die Lüge war friedlich. Ich war ...

„Ich wollte, dass alles so blieb wie es war. Ich fürchtete die Wahrheit mehr als die Lüge. Die Wahrheit würde die Umstände meines Lebens verändern. Die Lüge war statisch. Die Lüge war friedlich. Ich war mit der Lüge zufrieden.“

Inhalt

Mickey Fitzpatrick arbeitet bei der Sitte in Philadelphia, in ihrem Bezirk Kensington wimmelt es nur so von Dealern, Prostituierten und Gewalttaten auf offener Straße. Ihre Schwester Kacey, ist selbst eine der Frauen, die am Straßenrand steht und auf irgendeinen Freier wartet, um sich den dringend benötigten nächsten Schuss setzen zu können. Und Mickey, die zwar seit 5 Jahren kein Wort mehr mit ihrer kleinen Schwester gewechselt hat, behält sie dennoch im Auge. Als eine Mordserie an jungen Prostituierten die Gegend erschüttert, kommt sie als Polizistin nicht drum herum sich mit den Opfern abzugeben und voller Sorge an jeden neuen Tatort zu fahren, immer in der Erwartung dort auf Kaceys Leiche zu treffen.

Mickey mobilisiert ihr gesamtes privates Umfeld und einige wenige Kollegen, denen sie vertraut, um einen Hinweis auf Kaceys Verbleib zu erhalten. Doch bald schon merkt sie, dass sie auf eine Mauer des Schweigens trifft – denn andere scheinen bewusst Informationen vor ihr zu verbergen, damit sie ihrer Schwester nicht zu nahekommt. Denn schon einmal hat Mickey etwas von Kacey genommen, um es zu retten und es damit für ihre drogenabhängige Schwester unerreichbar werden zu lassen und nun steckt die junge, hilfsbedürftige Frau in einer ganz ähnlichen Situation …

Meinung

Die in Philadelphia wohnhafte Autorin Liz Moore schafft mit ihrem vierten Roman ein authentisches Porträt einer zerrütteten Stadt, vieler am Rande der gesellschaftlichen Anerkennung lebenden Menschen und zweier Frauen, die unter schwierigen Umständen groß geworden sind und sich doch vollkommen unterschiedlich entwickelt haben. Dieses Buch stand schon längere Zeit auf meiner Wunschliste, weil die Lesermeinungen dazu durchweg positiv waren und ich mir einen bewegenden Familienroman über zwei Schwestern vorstellen konnte, denen das Leben diverse Steine in den Weg gelegt hat. Und gerade der Mix aus Gesellschaftskritik, persönlicher Lebensgeschichte und Kriminalhandlung macht tatsächlich den Reiz des Buches aus und lässt den Leser tief hineinschauen in ein Szenario, dem man im echten Leben möglichst fernbleiben möchte.

Zunächst ist es genau dieser Handlungsschwerpunkt, der mich nicht so ganz in den Roman hineinziehen konnte, weil mich die Berührungspunkte mit dem Leben der Drogenabhängigen und Straßenkinder generell etwas befremdet haben und stellenweise schockierend ehrlich aber gleichermaßen unvorstellbar auf mich wirkten. Die sich ständig wiederholende Schleife aus Drogenkonsum, Entziehungskuren, Zeiten der Abstinenz und dem erneuten Rückfall und das gleich in geballter Ladung, weil es sich hier nicht um Einzelschicksale, sondern um gesellschaftliche Brennpunkte handelt, erscheint mir dramatisch und unverständlich zugleich.

Doch die Autorin legt ihr Augenmerk nicht auf die Rahmenhandlung sondern lässt Mickey, die Hauptprotagonistin ganz nebenbei aus ihrem Leben als Polizistin erzählen, von ihrer Kindheit, in der sie selbst eine drogenabhängige, jung verstorbene Mutter und einen abwesenden Vater hatte, in der sie miterleben musste, wie ihre Schwester mit der Pubertät in die Drogenspirale geriet, in der sie trotz guter Noten nie die Chance bekam, etwas wirklich bedeutendes aus ihrem Leben zu machen und in der ihre erste große Liebe ein verheirateter Mann war, der ihre Schwester geschwängert hat. Diese Blicke in die Vergangenheit in Kombination mit der Gegenwartshandlung lassen diesen Roman so lebendig und spannend wirken, sie sind ein regelrechtes Feuerwerk an Unterhaltungskunst und machen eine doch eher traurige Normalität zu einer ganz besonderen Erzählung.

Fazit

Ich vergebe 4 Lesesterne für diesen sozialkritischen Unterhaltungsroman, der mehrere Lebensgeschichten gekonnt miteinander verknüpft und ganz nebenbei eine spannende Kriminalhandlung aufgreift, in der eine ambitionierte Polizistin versucht einem Frauenmörder das Handwerk zu legen, bevor ihre eigene Schwester in dessen Hände gerät.

Doch die Thematik generell ist viel weiter gefasst als man vermuten möchte, denn es geht auch um Selbstbestimmung, um Benachteiligung, um gescheiterte Lebensentwürfe und große Gesten. Es geht um starke Frauen, die kämpfen müssen, um sich ihren Platz zu verdienen und die im richtigen Moment zurücktreten, um andere schützen zu können. Ebenso vielfältig wie die Handlung sind auch die Charaktere – man baut trotz der immer wieder anklingenden Klischees und Vorurteile eine emotionale Bindung zu ihnen auf und folgt begeistert ihren Wegen. Ein sehr lesenswerter Roman, der zwar nicht alle meine Erwartungen erfüllen konnte, mich aber in seiner Gesamtheit überzeugt hat.

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