Ein packender und beklemmender Thriller - schonungslos, tempogeladen und fulminant erzählt
Bei Wonderland handelt es sich bereits um das zweite Buch von Christina Stein. Ich bin froh, ganz zufällig auf anderen Blogs auf diesen Thriller gestoßen zu sein, denn auf meiner üblichen Suche nach spannendem ...
Bei Wonderland handelt es sich bereits um das zweite Buch von Christina Stein. Ich bin froh, ganz zufällig auf anderen Blogs auf diesen Thriller gestoßen zu sein, denn auf meiner üblichen Suche nach spannendem Lesestoff hätte ich es vermutlich niemals entdeckt. Es ist im FISCHER Kinder- und Jugendbuch Verlag erschienen, dessen Verlagsprogramm ich mir nur selten anschaue, da ich mich eigentlich nicht mehr zur Zielgruppe zähle. Auch in Buchläden stöbere ich nie durch die Kinder- und Jugendbuchabteilung und würde dort ein Buch wie Wonderland weder suchen noch vermuten. Dieser Thriller wird vom Verlag für die Altersklasse ab 16 Jahren empfohlen, und jünger sollte man auch nicht sein, wenn man dieses Buch lesen möchte, schon gar nicht, wenn man etwas zartbesaitet ist und mit Brutalität und Grausamkeiten in Büchern nicht zurechtkommt. Ich lese durchaus hin und wieder gerne einen Jugendthriller, aber meistens sind sie mir eben ein bisschen zu harmlos, was man von Wonderland allerdings nicht behaupten kann, denn die Autorin beschreibt schonungslos alle Facetten des Bösen und entwirft ein wahrhaft grauenvolles Szenario.
Mich hat dieses Buch eine schlaflose Nacht gekostet, denn es war von der ersten bis zur letzten Seite so unglaublich fesselnd und spannend, dass ich mich nicht davon losreißen konnte. Der Schreibstil der Autorin ist großartig, für ein Jugendbuch allerdings außergewöhnlich anspruchsvoll, zumal die Sätze recht lang und mitunter auch etwas verschachtelt sind. Mir hat er jedoch gut gefallen, passt hervorragend zu diesem temporeichen Thriller und behindert keineswegs einen sehr fließenden und eingängigen Lesefluss.
Bereits das Setting dieses beklemmenden Thrillers ist hervorragend gewählt, denn das abgeschiedene Areal inmitten des thailändischen Dschungels, das von einer hohen Betonmauer umgeben und mit einigen beängstigenden Details ausgestattet ist, sorgt für eine äußerst klaustrophobische Grundstimmung.
Das Buch wird aus der Ich-Perspektive von Liz, Jacob und auch einem der Täter und Hauptdrahtzieher dieses brutalen Reality-Games erzählt. Da die Kapitel jedoch nur durchnummeriert und nicht mit dem Namen des jeweiligen Charakters betitelt sind, erschließt sich erst nach den ersten Sätzen eines Kapitels, aus wessen Sicht gerade erzählt wird, was zunächst etwas gewöhnungsbedürftig ist.
Obwohl man diesen drei Charakteren durch die gewählte Ich-Perspektive sehr nahekommt, ist Jacob zu Beginn der Geschichte noch äußerst geheimnisvoll und nur schwer durchschaubar, gewinnt erst im weiteren Handlungsverlauf mehr Kontur, offenbart Stück für Stück seine tragische Vergangenheit und wurde mir dann auch zunehmend sympathischer. Anfangs war mir dieser junge Mann sehr suspekt, denn er weiß mehr als er zugibt, und man ahnt auch recht schnell, dass er für dieses Spiel nicht zufällig ausgewählt wurde. Er ist ein äußerst interessanter und auch facettenreicher Charakter.
Die zwanzigjährige Liz hingegen, wuchs mir schon auf den ersten Seiten ans Herz. Sie zeigt sich von dieser luxuriösen Villa eher unbeeindruckt und spürt sofort, dass mit diesem Ort etwas nicht stimmt. Ihr Schicksal berührte mich auch am meisten, denn sie ist schwer herzkrank, träumte von einer Karriere als Ballerina, die sie aufgrund ihrer Krankheit jedoch aufgeben musste, und will nun eine Weltreise machen, um etwas von der Welt zu sehen. Die Angst vor dem Tod ist ohnehin ihr ständiger Begleiter, aber sie hätte nie damit gerechnet, nicht an ihrer Krankheit, sondern in einem perfiden Reality-Game perverser Männer sterben zu müssen. Ihre Verzweiflung, Panik und ihre Ängste sind auf jeder Seite spürbar, aber dennoch gibt sie niemals auf und beeindruckte mich vor allem durch ihren Mut und Kampfgeist. Auch wenn ihre sich anbahnende Liebe zu Jacob in dieser nicht gerade romantisch aufgeladenen Atmosphäre auf den ersten Blick etwas befremdlich scheint, hat mich diese zarte Liebesgeschichte nicht gestört und zeigte, welche ungeahnten Kräfte Liebe zu mobilisieren vermag. Doch Jacob ist eben auch sehr undurchsichtig und rätselhaft, sodass man nicht weiß, ob man ihm tatsächlich trauen kann.
Doch nicht nur Liz‘ aufkeimende Liebe zu Jacob, sondern auch ihre Beziehung zu ihren Freunden wird während dieses grausamen Opferspiels immer wieder auf eine harte Probe gestellt, zumal die sechs Studenten jeden zweiten Tag entscheiden müssen, wer von ihnen geopfert werden soll. Alle Charaktere sind überaus präzise und auch glaubwürdig ausgearbeitet, und Christina Stein ist es sehr gut gelungen, die Emotionen und Verhaltensweisen, die unter ständiger Todesangst, in Gefangenschaft und während des vollkommenen Ausgeliefertseins an einen bzw. mehrere unbekannte Gegner in Erscheinung treten, sehr authentisch, nachvollziehbar und eindrucksvoll zu beschreiben. Und so fiebert man mit diesen sechs jungen Menschen unaufhaltsam mit, schwankt mit ihnen zwischen Hoffnung und Verzweiflung und durchlebt und durchleidet an ihrer Seite all die abscheulichen Grausamkeiten, die ihre Peiniger ihnen zufügen.
Besonders verstörend sind vor allem die Passagen, die aus der Sicht des Initiators dieses barbarischen Spiels geschildert werden, denn seine Gedanken, seine Ansichten über Frauen und auch die Beweggründe, die ihn und auch die anderen Männer zu solchen Taten veranlassen und sich im weiteren Verlauf der Geschichte allmählich offenbaren, waren überaus pervers, abstoßend und schockierend.
Doch so alptraumhaft dieses Szenario auch ist, schien es mir durchaus nicht vollkommen abwegig, dass Menschen, die es sich leisten können, jeden Preis zu bezahlen, um ihre Perversionen ungehindert ausleben zu können, auf solche bizarren Ideen kommen. Christina Stein schafft es zumindest, ihre Geschichte durchaus authentisch, realistisch und vorstellbar zu erzählen. Gerade das macht diesen Thriller auf geradezu erschreckende Weise glaubwürdig und schockierend.
Vor allem gelingt es der Autorin aber, schon nach wenigen Seiten ein sehr hohes Spannungslevel zu erzeugen und es kontinuierlich zu steigern. Wonderland ist ein rasanter Thriller, der den Leser nicht nur in die dunkelsten menschlichen Abgründe und Perversionen reißt, sondern ihn auch die Angst, den Schrecken und das Gefühl ausgelieferter Ohnmacht hautnah miterleben lässt. Ein absoluter Pageturner – schonungslos, tempogeladen und fulminant erzählt.