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Veröffentlicht am 09.05.2020

"Es gibt keinen Mut ohne Angst." (Isländisches Sprichwort)

Der Sommer der Islandtöchter
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2018. Nicht nur ihre Ehe mit dem Dirigenten Nils ist in die Brüche gegangen, auch ihren Beruf als Geigerin kann Hannah Leipold nicht mehr ausüben. All dies belastet sie so sehr, dass sie mit ihrem kleinen ...

2018. Nicht nur ihre Ehe mit dem Dirigenten Nils ist in die Brüche gegangen, auch ihren Beruf als Geigerin kann Hannah Leipold nicht mehr ausüben. All dies belastet sie so sehr, dass sie mit ihrem kleinen Sohn Max für ein Jahr nach Island zieht, um sich über ihr zukünftiges Leben klar zu werden. Auf dem Dachboden des gemieteten Häuschens findet sie eine alte Truhe, die mit einer blassen Malerei verziert ist, die an Hannahs Erinnerung kratzt. Durch ihre Vermieterin Freya lernt sie den wortkargen Jòn kennen, der in ihr eine Saite zum Klingen bringt. Die beiden treffen sich immer öfter bei Freya im Café, wo Hannah einen Job gefunden hat. Auch Jòn besitzt eine Truhe mit dieser seltsamen Malerei, die Hannah immer wieder an die alten Bilder ihrer Mutter erinnert…
1978. Monika fährt mit ihren gutbetuchten Eltern für drei Sommerwochen zu Freunden nach Island, während ihr Verlobter lieber arbeitet. Ihre Eltern möchten zwar, dass Monika zukünftig das Familienunternehmen leitet, doch sie will lieber malen und hofft, doch noch ein Kunststudium machen zu können. Schon bald nach ihrer Ankunft trifft Monika auf den zurückhaltenden Fabrikarbeiter Kristjan und verliebt sich Hals über Kopf in ihn. Doch der junge Mann ist ihren Eltern ein Dorn im Auge, so spielen sie Schicksal für ihre Tochter.
Karin Baldvinsson hat mit „Der Sommer der Islandtöchter“ einen sehr unterhaltsamen und gefühlvollen Roman vorgelegt, der dem Leser von der ersten Seite an ein wunderbares Kopfkino beschert. Der Erzählstil ist locker-flüssig, farbenfroh und wartet mit einigem an Emotionen auf. Die Autorin lädt nicht nur auf eine Reise ins raue und bildhaft dargestellte Island ein, sondern beschenkt den Leser zusätzlich mit einer Geschichte, die sich über zwei Handlungsstränge verteilt. Durch die wechselnden Perspektiven lernt der Leser nicht nur Hannah und ihr Schicksal in der Gegenwart kennen, sondern erlebt auch Monikas ereignisreichen Islandsommer mit, der weitreichende Folgen für ihr gesamtes Leben haben soll. Durch die sich abwechselnden Zeitebenen steigert sich die Spannung immer weiter in die Höhe und lässt den Leser lange zappeln, bis die Geheimnisse sich endgültig entfaltet haben. Besonders sind auch die Schilderungen der isländischen Landschaft und ihrer Bewohner, die nie ihre Häuser abschließen, unendlich gastfreundlich sowie auch sehr neugierig und hilfsbereit sind, so dass man sich als Gast sofort bei ihnen wohl, aufgehoben und nicht alleingelassen fühlt.
Die Charaktere sind mit viel Liebe zum Detail ausgestaltet, wandeln mit Ecken und Kanten sehr lebendig durch die Handlung. Der Leser fühlt sich sofort mit ihnen wohl und nimmt an ihren einzelnen Schicksalen Anteil, kann mit ihnen fiebern, bangen und hoffen. Hannah musste so einiges einstecken, vor allem der Abschied vom Geigenspiel setzt ihr seelisch sehr zu. Sie ist eine eher zurückhaltende und misstrauische Frau, liebt ihren Sohn über alles und fasst sich immer wieder ein Herz, um die Dinge voranzutreiben. Jòn verbirgt seine Wunden, indem er mundfaul und abweisend agiert, sich aber als talentierter Künstler entpuppt. Er ist hilfsbereit und sagt, was er denkt. Freya ist eine fröhliche und herzensgute Frau, die immer ein offenes Ohr hat. Monika ist als junge Frau rebellisch und eine Träumerin. Doch das Leben hat aus ihr eine verbitterte und in sich gekehrte Frau gemacht, die verlernt hat zu lieben. Aber auch Max, Kristjan, Magnus und Karitas haben gewichtige Rollen in dieser Handlung.
„Der Sommer der Islandtöchter“ ist ein wunderbarer Roman, der angefüllt ist mit Tragik, Liebe, Selbstfindung und Geheimnissen, die sich endlich an die Oberfläche bahnen, um das Leben einiger zu verändern. Ein Buchgenuss der besonderen Art, der einen das hier und jetzt während der Lektüre vergessen lässt. Toll gemacht – absolute Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 08.05.2020

"Es gibt überall Blumen für den, der sie sehen will." (Henri Matisse)

Die Gartenschwestern
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Gittas Einladung zum Geburtstagsbrunch wird zu einer traurigen Angelegenheit, als sie ihren Freundinnen Marit und Constanze erzählt, dass ihr Mann Ralf sich wegen einer anderen von ihr scheiden lassen ...

Gittas Einladung zum Geburtstagsbrunch wird zu einer traurigen Angelegenheit, als sie ihren Freundinnen Marit und Constanze erzählt, dass ihr Mann Ralf sich wegen einer anderen von ihr scheiden lassen will. Da die bisher gemeinsam bewohnte Villa mit großem Garten, den Gitta all die Jahre liebevoll gehegt und gepflegt hat, Ralf gehört, muss sie sich eine neue Bleibe suchen und auch ihr Gartenparadies zurücklassen. Marit und Constanze geben der Freundin nicht nur seelischen Halt, der Zufall will es auch, dass das Frauenkleeblatt eine Schrebergartenparzelle mit Laube in der Nähe des Teufelsbergs im Berliner Grunewald ergattert, in dem sie sich fortan gemeinsam austoben können. Schon bald wird gegraben und gepflanzt, was das Gartencenter hergibt und nebenbei lüften sie das Geheimnis der alten Laube…
Ella Kordes alias Tania Krätschmar hat mit „Die Gartenschwestern“ einen sehr unterhaltsamen und warmherzigen Roman vorgelegt, der von Beginn an beim Lesen eine Wohlfühlatmosphäre verbreitet, so dass der Leser mit den ersten Worten regelrecht zwischen den Seiten abtaucht. Der eingängige flüssige und bildhafte Schreibstil sowie eine Handlung auf zwei unterschiedlichen Zeitebenen lässt den Leser das Buch kaum aus der Hand legen. Dabei bedient sich die Autorin der wunderbaren Sprache der Blumen, die immer wieder wie ein Gleichnis die Situation der Frauen beschreibt und somit den Zusammenhang zur Gartenarbeit und dem Pflanzen herstellt. Die wechselnden Perspektiven lassen ihn zum einen an der Gegenwart von Gitta, Marit und Constanze teilhaben, zum anderen erfährt er von einer alten Geschichte nach Kriegsende 1945, in der Elisabeth auf der Flucht vor den Russen nach Berlin kommt und was sie dort erlebt. Geschickt miteinander verknüpft, schlängeln sich die beiden Handlungsstränge umeinander, folgen den Jahreszeiten mit den verschiedenartigen Pflanzmöglichkeiten und bilden dabei das Schicksal der vier Frauen ab. Der Spannungsbogen steigert sich dadurch ebenso und erschließt dem Leser nach und nach, gleich einem Puzzle, das Geheimnis der Laube.
Die Charaktere sind mit Liebe zum Detail skizziert und mit menschlichen Zügen lebendig inszeniert. Sie wirken glaubwürdig und authentisch, was es dem Leser leicht macht, sich auf sie einzulassen und mit ihnen zu leiden, zu hoffen und zu fiebern. Gitta wird gerade vom Schicksal gebeutelt. Sie besitzt einen grünen Daumen, wenn ihre Phantasie bis dahin auch nur für Grün und Weiß im Garten reichte. Doch der Verlust ihres Pflanzenparadieses ist für sie fast schlimmer als der Abgang des Ehemannes. Zum einen wirkt sie wie ein Hausmütterchen, zum anderen doch recht unselbständig. Constanze ist überzeugte Singlefrau, kommt eher forsch und selbstbewusst daher, doch auch sie trifft mal Amors Pfeil. Marit ist die Bodenständige, die vermittelt und die goldene Mitte des Trios gibt. Elisabeth hat einiges erlebt und findet Glück sowie einen sicheren Hafen. Albert ist ein Goldstück mit großem Herzen. Aber auch andere Nebendarsteller machen die Geschichte mit ihren Auftritten kurzweilig und interessant.
„Die Gartenschwestern“ ist ein wunderschöner, warmherziger und anrührender Roman über zwei Handlungsebenen, die sich perfekt ineinander fügen und die Seiten nur so dahinfliegen lassen, während man den Frauen auf Schritt und Tritt beim umgraben, pflanzen, ernten und gestalten folgt. Zauberhaft erzählt – dafür gibt es eine absolute Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 03.05.2020

Ein Leben mit Augenzwinkern

Wie uns die Liebe fand
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Die 92-jährige Madam Nanon hat ihr ganzes Leben in dem kleinen elsässischen Ort Bois-des-Val verbracht. Nun bereitet sie sich langsam auf den Tod vor und blickt nochmals auf ihr Leben zurück. Besonders ...

Die 92-jährige Madam Nanon hat ihr ganzes Leben in dem kleinen elsässischen Ort Bois-des-Val verbracht. Nun bereitet sie sich langsam auf den Tod vor und blickt nochmals auf ihr Leben zurück. Besonders das Jahr 1979 lässt sie ins Schwärmen geraten, hat sie doch als 52-jährige Witwe mit den vier Töchtern Anne, Chloé, Marie und Coraline von ihrem Nachbarn Monsieur Boberschram, mit dem Madam Nanon eine besondere Freundschaft verband, ein kleines Ladenlokal geschenkt bekommen. Mit Hilfe einer Erfindung ihrer Töchter, die im Laden verkauft wird, wächst nicht nur der Umsatz, sondern verändert sich auch das Leben im Dorf…
Claire Stihle hat mit „Wie uns die Liebe fand“ einen sehr unterhaltsamen Debütroman vorgelegt, der neben einem flüssigen, gefühlvollen und humorigen Erzählstil mit einer so lebendigen Protagonistin besticht, an deren Lippen der Leser vom Beginn der Geschichte an hängt und sich kaum von ihnen lösen kann. Von Anfang an wird dem Leser das Gefühl vermittelt, mit der alten Madam Nanon bei einem Likörchen auf dem Sofa zu sitzen und sich ihre Lebensgeschichte oder Lebensbeichte anzuhören. Während der Lektüre hat man leise ihre Stimme im Ohr, die so allerlei aus dem Nähkästchen ihres Lebens plaudert, das Geheimnis der Liebesbomben und den durch diese entstehenden Aufruhr im Dorf zum Besten gibt – und alles mit einem Augenzwinkern, denn Madame Nanon nimmt sich selbst nicht zu ernst und hat trotz einiger Schicksalsschläge weder ihren Humor noch ihren Optimismus verlernt. Ihre Beziehung zu Monsieur Boberschram hört sich nach einer Amour Fou an, doch verliert sich diese leider irgendwann wieder, wenn sie auch für Monsieur so unvergesslich war, dass er ihr den Laden vermachte. Auch die Geschäftstüchtigkeit der alten Dame und ihren Töchtern ist zu bewundern, denn eigentlich halten sie mit ihrem Laden das Ortsgeschehen aufrecht, fördern sogar den Zusammenhalt der Bewohner. Die Autorin beweist mit ihrer Geschichte eine wunderbare Beobachtungsgabe, was Menschen betrifft. Mit liebevoll hingestreuten kleinen Details erweckt sie diese zum Leben und macht es dem Leser leicht, sich als Teil der Gemeinschaft zu fühlen.
Die Charaktere sind so facettenreich wie raffiniert arrangiert, glaubwürdig und authentisch bilden sie das tägliche Leben in Bois-des-Val ab, jeder von ihnen eine eigenständige Persönlichkeit mit Sorgen und Nöten, die nachvollziehbar sind. Der Leser fühlt sich in ihrer Mitte wohl und schwelgt mal in Erinnerungen, mal wälzt er mit den Protagonisten Probleme, aber alles in so menschlicher und natürlicher Form, dass es eine Freude ist. Madame Nanou ist dabei die Königin, eine alte Dame voller Lebensweisheit, Schalk im Nacken und einem Optimismus, der das Herz leicht macht. Ihre Töchter haben sich einiges von ihr abgeguckt, gehen ebenso leichtfüßig durchs Leben und lassen sich durch Misserfolge nicht entmutigen. Auch Malou schleicht sich schnell ins Leserherz, denn als Außenstehender gelingt es ihm im Handumdrehen, mit seiner ruhigen und besonnenen Art, sich in die Familie einzufügen.
„Wie uns die Liebe fand“ ist ein wunderschönes Debüt mit viel Herz, das einem bei der Lektüre mit Wohlgefühl überschüttet, während man ein Dauerlächeln im Gesicht hat. Zauberhaft und jede Zeile wert! Absolute Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 02.05.2020

Licht und Dunkel des Lebensfunken

Der Funke des Lebens
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Jackson in Mississippi gerät an einem heißen Herbsttag in den Fokus der Polizei, als sich ein Abtreibungsgegner Zutritt zu einer Abtreibungsklinik verschafft, dort um sich schießt, einige Menschen tötet ...

Jackson in Mississippi gerät an einem heißen Herbsttag in den Fokus der Polizei, als sich ein Abtreibungsgegner Zutritt zu einer Abtreibungsklinik verschafft, dort um sich schießt, einige Menschen tötet und den Rest als Geiseln nimmt. Als erfahrener alter Hase ist es die Aufgabe von Polizeiunterhändler Hugh McElroy, mit dem Amokschützen zu verhandeln, um einen größeren Schaden zu verhindern und die Gefangenen zu befreien. Doch dann erfährt er, dass seine eigene 15-jährige Tochter Wren sowie seine ältere Schwester Bex zu den Geiseln in der Klinik gehören. Normalerweise müsste er sofort wegen Befangenheit von dem Fall zurücktreten, doch will er unbedingt das Leben seiner Lieben retten. Ob Hugh Erfolg haben wird?
Jodi Picoult hat mit „Der Funke des Lebens“ einen sehr unterhaltsamen, gefühlvollen und spannenden Roman vorgelegt, der wieder einmal mit einem aktuellen Thema und kontroverser Sichtweise zu fesseln weiß. Der flüssige und bildhafte Erzählstil schlägt den Leser sofort in den Bann und lässt ihn das Buch kaum noch aus der Hand legen. Von jetzt auf gleich findet der Leser sich mal innerhalb der Klinik mit dem Amokläufer und den Geiseln wieder, mal schaut er Hugh McElroy über die Schulter, erlebt seine Gewissenskonflikte mit, während er versucht, die Situation für alle Beteiligten zu entschärfen und dabei die Nerven zu bewahren. Stilistisch außergewöhnlich wählt die Autorin für den Beginn ihrer Geschichte den Jetztzeitpunkt, um dann Schritt für Schritt die Stunden zurückzugehen, wobei sie Einzelschicksale hervorhebt und auch die Gründe des Täters offenlegt. Picoult schafft es einmal mehr, mit ihrer ausgezeichnet recherchierten Geschichte den Finger auf die Wunde zu legen und allen den Spiegel vorzuhalten. Sie hat sich für ihr Handlungssetting den Süden der USA ausgesucht, der für seine extremen Abtreibungsgegner berühmt und berüchtigt ist, wo man sich als Frau am besten nur mitten in der Nacht in die Klinik begibt, um nicht gebrandmarkt und bespuckt zu werden. Picoult schlägt sich mit ihrem Roman auf niemandes Seite, sondern legt mit viel Empathie einfach nur die jeweiligen Situationen dar und lässt dabei dem Leser genügend Freiraum, sich seine eigenen Gedanken zu den einzelnen dargestellten Positionen zu machen.
Die Charaktere sind sehr detailliert und lebendig in Szene gesetzt, jeder einzelne besticht durch individuelle Eigenschaften, wirkt glaubwürdig und authentisch. Der Leser kann seine Sympathien gleichmäßig verteilen, ebenso auch die verschiedenen Gedankengänge und Gefühle gut nachvollziehen, die sich ihm im Handlungsverlauf darbieten. Hugh ist ein erfahrener Polizist, den normalerweise nichts aus der Ruhe bringen kann, doch diesmal ist er persönlich betroffen, was es ihm nicht leicht macht, eine objektive Sichtweise der Lage einzunehmen und alles andere auszublenden. Aber gerade jetzt ist ein kühler Kopf gefragt und keine adrenalingeschwängerte Gefühlsreaktion. George projiziert seine ganze Wut auf die Klinik, deren Ärzte, Besucher, Schwestern und Patienten. Er will Rache nehmen für die Tat seiner Tochter, doch statt diese selbst zu bestrafen, gilt seine Vergeltung anderen. Auch die Sichtweise von Ärzten, Aktivisten und weiteren Betroffenen sowie Hughs Tochter Wren werden hier offenbart und geben dem Leser genügend Material, das Gedankenkarussell kreisen zu lassen.
Mit „Der Funke des Lebens“ hat Picoult wieder einmal ein aktuelles Thema auf wunderbare und äußerst spannende Weise aufbereitet, ohne selbst Position zu beziehen. Die Autorin zeichnet sich immer wieder dadurch aus, dass sie dem Leser Gedankenanstöße zu den verschiedensten Thematiken bietet, die sie mit ihren Geschichten wunderbar präsentiert. Auch dieser Roman trifft wieder einmal den Nerv der Zeit, ist fesselnd und gleichzeitig sehr berührend. Absolut verdiente Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 01.05.2020

Der hohe Preis für Freiheit

Die Hölle war der Preis
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Seit ihrer Freundin Eileen die Flucht in den Westen gelungen ist, träumt Gisa Stein ebenfalls davon, sich mit ihrem Mann Edgar auf und davon zu machen, den Grenzzaun der verhassten DDR zu überwinden, wo ...

Seit ihrer Freundin Eileen die Flucht in den Westen gelungen ist, träumt Gisa Stein ebenfalls davon, sich mit ihrem Mann Edgar auf und davon zu machen, den Grenzzaun der verhassten DDR zu überwinden, wo sie ihr Leben unter dauerhafter Spitzelei und Unterdrückung fristen und sich mehr und mehr wie im Gefängnis fühlen. So planen sie 1974 die Flucht in die BRD und werden dabei erwischt. Die Konsequenzen des DDR-Regimes sind drastisch, Gisa und ihr Ehemann werden am Kontrollpunkt Marienborn verhaftet, wegen Republikflucht verurteilt und inhaftiert. Für Gisa beginnt im Frauengefängnis Hoheneck die Hölle auf Erden…
Hera Lind hat mit „Die Hölle war der Preis“ einen sehr emotional-berührenden Roman vorgelegt, der auf tatsächlichen Begebenheiten beruht und dem Leser schonungslos darlegt, wie in der ehemaligen DDR Fahnenflüchtige behandelt wurden und welches Märtyrium sie erwartete. Der einnehmende flüssige und bildhafte Erzählstil der Autorin lässt von der ersten Zeile an das Kopfkino des Lesers anspringen, versetzt ihn knapp ein halbes Jahrhundert zurück in die Zeit und lässt ihn teilhaben an Gisas Leben vor und nach dem Fluchtversuch, wobei ihm das komplette Ausmaß dessen während der Lektüre erst nach und nach bewusst wird. Mit viel Empathie, aber auch ungeschönter Ehrlichkeit macht Lind deutlich, welchen Repressalien sich Gisa sowie ihr Ehemann und die Mitgefangenen ausgesetzt sahen, die nur aufgrund eines anderen Lebenswunsches oder einer anders gefassten und geäußerten Meinung zu Strafen verurteilt werden, die ihre Anschauungen und Träume brechen sollen, um wieder gemäß eines Unterdrückungsregimes zu funktionieren und uneingeschränkt zu gehorchen. Das gegenseitige Bespitzeln durch Freunde und Nachbarn wird ebenso offen thematisiert wie der Gefängnisalltag, wo Gisa sowie die übrigen Gefangenen durch die Wärter erniedrigt, gequält und unterdrückt werden. Die Schilderungen sind so lebensnah, dass der Leser nur fassungslos nach Luft schnappt und einmal mehr einen Dank gen Himmel schickt, in einer freien Demokratie zu leben. Die Autorin schafft wunderbar den Spagat, eine sehr persönliche Lebensgeschichte in Romanform wiederzugeben, dabei den Spannungsbogen immer weiter in die Höhe zu treiben und ganz nebenbei noch das Gedankenkarussel des Lesers zum Rotieren zu bringen.
Die Charaktere verkörpern das wahre Leben, wirken aufgrund ihrer individuellen Eigenschaften und ihren Erfahrungen glaubwürdig und sehr authentisch. Inzwischen hat man als Leser schon so einige Schicksalsverläufe durch Literatur oder auch durch persönliche Begegnungen kennengelernt, deshalb trifft die Geschichte von Gisa und ihrem Mann einen sofort mitten ins Herz. Gisa ist eine Frau mit einem Traum. Als begabte Tänzerin möchte sie mehr von der Welt, mehr vom Leben und kann die Enge der DDR kaum ertragen. Nur mit viel Mut und innerer Stärke gelingt es ihr, die Qualen zu ertragen, ohne völlig an ihnen zu zerbrechen. Aufgrund der Liebe zu ihrem Mann und ihren eisernen Lebenswillen steht sie mehr als zwei Jahre die grausamen Erniedrigungen und Repressalien durch, um am Ende gemeinsam mit ihrem Mann Edgar in den Westen abgeschoben zu werden.
„Die Hölle war der Preis“ ist ein fesselnder emotionaler Roman basierend auf den wahren Erlebnissen von Gisa Stein, deren unsägliche Reise sehr lange gedauert hat und deren Narben auf der Seele ewig anhalten werden. Was Freiheitsmangel und Unterdrückung ist, lernt man anhand der Geschichte von Gisa Stein. Absolute Leseempfehlung für alle, die gerade in diesen Corona-Zeiten über mangelnde Bewegungsfreiheit lamentieren.