Mit ihren 110 Jahren ist May Rosevere geistig noch sehr rege, wenn es auch körperlich das eine oder andere Zipperlein gibt. Sie lebt im Cornwall’schen Dörfchen Pengelly und ihr erklärtes Ziel ist es, ihren 111. Geburtstag zu erleben. Das Geheimnis ihres hohen Alters ist die Verwertung von Erinnerungsstücken, die oftmals nicht einmal ihr selbst gehören. Als ihre jahrelange Erzfeindin und Nachbarin Julia von ihrer 33-jährigen Enkelin Emily Besuch bekommt, reift in May ein Plan, diese mit dem netten Witwer Andy aus der Nachbarschaft zu verkuppeln. Ganz uneigennützig ist die Sache allerdings nicht, denn May spekuliert auf den Inhalt alter Briefe, die Julias verstorbener Ehemann Don hinterlassen hat, um nicht nur ihre Lebenszeit zu verlängern, sondern vielleicht auch eine alte Schuld zu begleichen und einer neu gewonnenen Freundschaft eine Chance zu geben…
Celia Anderson hat mit „Die kleinen Geheimnisse des Herzens“ einen interessanten Debütroman vor der malerischen Kulisse Cornwalls vorgelegt, der nicht nur mit einem wunderschönen Setting, sondern auch mit einer außergewöhnlichen Idee zur eventuellen Lebensverlängerung zu unterhalten weiß. Der flüssige, bildhafte und einnehmende Schreibstil lässt den Leser schnell in der Geschichte versinken und in das Leben von May und den Bewohnern von Pengelly eintauchen, wobei auch die feinsinnig und farbenfroh geschilderten Beschreibungen von Cornwall ihr Übriges dazutun. Die besondere Stärke der Autorin liegt allerdings in der Darstellung ihrer Protagonisten. Mit wechselnden Perspektiven und tiefen Einblicken in Gedanken- und Gefühlswelten einzelner Personen verwächst der Leser schnell mit der Gemeinschaft und nimmt Anteil an unterschiedlichen Schicksalen. Auch die Idee des Leihoma-Projektes ist ein schöner Ansatz, den man vielleicht einmal selbst ausprobieren sollte, weil es die Menschen gerade in der heutigen Zeit näher zusammenrücken lässt und damit die Einsamkeit so mancher vertreibt. Das fiktive Mittel zur Lebensverlängerung, dessen sich May bedient, wäre zu schön, um wahr zu sein. Allerdings sind Mays Aktionen in dieser Hinsicht auch recht fragwürdig zu nennen, denn andere aus selbstsüchtigen Gründen um ihre Erinnerungen zu bringen, zeugt nicht gerade von Mitmenschlichkeit.
Die Charaktere sind sehr divers angelegt, besitzen Ecken und Kanten, die glaubwürdig in Szene gesetzt wurden. Der Leser ist hier eher unsichtbarer Beobachter, doch als Mitglied der Gemeinschaft, der seine Sympathien gleichmäßig verteilen kann. May ist eine eigenwillige alte Dame, die ihr Leben mit Hilfe von anderen verlängert ohne Rücksicht auf Verluste. Das mag recht egoistisch klingen, trotzdem bekommt May im Verlauf der Handlung Gewissensbisse, was ihr gut zu Gesicht steht. Julia hat den Tod ihres Mannes noch nicht verwunden und hängt an alten Erinnerungen, die ihr nach und nach entschwinden, was sie an ihrem Verstand zweifeln lassen. Andy ist ein sympathischer Mann, der sich als Witwer rührend um Tochter Tamsin kümmert. Emily ist eine freundliche und verantwortungsbewusste Frau, die Schwierigkeiten damit hat, für sich die richtigen Entscheidungen zu treffen. Aber auch so manch anderer Bewohner spielt innerhalb der Handlung eine wichtige Rolle.
„Die kleinen Geheimnisse des Herzens“ ist eine fesselnde Geschichte über alte Schuld, den unbändigen Lebenswillen, Geheimnisse, das Miteinander, die Liebe und neue Freundschaften. Schön miteinander verwoben ergeben sie einen unwiderstehlichen Mix, der den Leser von Anfang bis Ende in den Bann zieht. Verdiente Leseempfehlung!