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Veröffentlicht am 06.07.2020

Leon Ritters packender sechster Fall

Dunkles Lavandou (Ein-Leon-Ritter-Krimi 6)
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INHALT
Strahlender Sonnenschein und jede Menge Touristen versprechen den Beginn einer perfekten Sommersaison. Die Stimmung in Le Lavandou könnte nicht besser sein, doch eines Morgens wird unter einer Brücke ...

INHALT
Strahlender Sonnenschein und jede Menge Touristen versprechen den Beginn einer perfekten Sommersaison. Die Stimmung in Le Lavandou könnte nicht besser sein, doch eines Morgens wird unter einer Brücke die Leiche einer Frau gefunden. Leon Ritter findet durch die Obduktion heraus, dass sie nicht freiwillig in den Tod gesprungen ist. Vieles deutet auf eine rituelle Tötung hin. Während Leon und seine Lebensgefährtin Isabelle verschiedenen Verdächtigen nachspüren, scheint die Polizei den Fall schleifen zu lassen – bis eines Tages die Tochter des französischen Kultusministers samt einer Freundin verschwindet. Sie wurden zuletzt in Le Lavandou gesehen …
(Quelle: Ullstein)

MEINE MEINUNG
Mit seinem Krimi „Dunkles Lavandou“ hat der deutsche Autor Remy Eyssen bereits den sechsten Fall seiner Leon-Ritter-Krimi-Reihe vorgelegt, die vor dem wundervollen Setting der südfranzösischen Provence angesiedelt ist, und in deren Mittelpunkt der sympathische, aus Deutschland stammende Rechtsmediziner Leon Ritter und seine Lebensgefährtin Capitaine Isabelle Morell stehen. Es ist aber nicht notwendig die vorherigen Bände dieser Krimi-Reihe gelesen zu haben, denn der Autor hat zum Verständnis wichtige Vorkenntnisse geschickt in die Handlung eingebunden.
Eyssen versteht es erneut hervorragend, das stimmungsvoll eingefangene provenzalische Lokalkolorit und obligatorische südfranzösische 'Savoir-vivre' mit einer spannenden Handlung zu verbinden. Gekonnt entführt uns der Autor mit seinen lebendigen, anschaulichen Schilderungen in den kleinen, idyllischen Fischerort Le Lavandou an der Mittelmeerküste während der Vorsaison und weckt in uns Lesern Reiselust. Mühelos tauchen wir ein in das quirlige Treiben in den Gassen des beliebten Touristenorts an der Côte d’Azur, genießen das wunderschöne Urlaubsflair und die malerische Landschaft zwischen dem blauen Meer und den dicht bewaldeten Hügeln des Massif des Maures. Man merkt an den detaillierten Beschreibungen der Schauplätze und der authentischen Atmosphäre deutlich, dass der Autor diese Gegend gut kennt und er Land und Leute sehr mag. Insbesondere der Kontrast zwischen der Beschaulichkeit und Idylle des Touristenorts und den dunklen, unheilvollen Geheimnissen, die in der Einsamkeit des wilden Hinterlands lauern, konnte mich sehr fesseln.
Die Handlung ist sehr wendungs- und abwechslungsreich angelegt, so dass sich die Spannung trotz des recht ruhigen Erzähltempos bis zum rasanten Finale zunehmend steigert. Insbesondere die ominösen Hinweise auf einen religiös-rituellen Hintergrund und die eingestreuten Kapitel aus Sicht der Opfer, die über ihr qualvolles Martyrium berichten, sorgen für zusätzlichen Nervenkitzel. Die Ermittlungsarbeit zum verzwickten Fall gestaltet sich äußerst schwierig und liefert viele widersprüchliche Spuren und zahlreiche Verdächtige. Somit eignet sich der Krimi ideal zum Mitermitteln und vielfältigen Kombinieren. Zudem versteht es der Autor hervorragend, uns auf so manche falsche Fährte zu locken.
Auch das Privatleben der beiden Hauptfiguren kommt zwischendrin nicht zu kurz und lockert die Handlung immer wieder auf. Die verschiedenen Charaktere sind glaubhaft und lebensnah angelegt und haben mir gut gefallen. Sehr gelungen ist vor allem die sehr sympathische Hauptfigur Leon Ritter, der auch dieses Mal an allen Fronten zu kämpfen hat und mit seinen Theorien über den Täter kaum Unterstützung findet. Faszinierend fand ich es, ihn bei seiner gewissenhaften Arbeit und seiner einfühlsamen Vorgehensweise mitzuerleben; wie es ihm gelingt, den Toten die Wahrheit über ihre letzten qualvollen Stunden zu entlocken und mögliche H. Selbst ungewöhnliche Spuren und winzigste Details entgehen seinem besonders scharfen Blick nicht. Auch die Nebenfiguren wurden abhängig von ihrer Rolle mit ausreichend Tiefgang ausgearbeitet.
Zum Ende hin überschlagen sich die Ereignisse und halten so manche Überraschung für uns bereit. Die Auflösung des Falls und die Aufklärung der Hintergründe sind in sich schlüssig und glaubhaft. Schade nur, dass auf einige Details und Zusammenhänge nicht mehr eingegangen wurde und auch das Motiv des Täters sehr nebulös bleibt.

FAZIT
Ein fesselnder, recht düsterer Krimi mitten in einer der schönsten Urlaubsregionen Frankreichs - mit viel provenzalischem Lokalkolorit, einem verzwickten brutalen Fall und dem sehr sympathischen Rechtsmediziner Leon Ritter.

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Veröffentlicht am 02.06.2020

Aufwühlendes Porträt von Virginia Woolfes letzten Tagen

Ach, Virginia
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MEINE MEINUNG
In seinem jüngsten Roman "Ach, Virginia" nimmt sich der deutsche Autor Michael Kumpfmüller mit Virginia Woolf (1882-1941) einer der bedeutendsten britischen Schriftstellerin des 20. Jahrhunderts ...

MEINE MEINUNG
In seinem jüngsten Roman "Ach, Virginia" nimmt sich der deutsche Autor Michael Kumpfmüller mit Virginia Woolf (1882-1941) einer der bedeutendsten britischen Schriftstellerin des 20. Jahrhunderts und Ikone der feministischen Literatur an, deren Werke zur Weltliteratur zählen. Äußerst einfühlsam und kenntnisreich erzählt Kumpfmüller in einer interessanten Mischung aus Außen- und Innenansicht über die letzten zehn, recht ereignisarmen Tage im Leben von Virginia Woolf, an deren Ende der Freitod dieser so großartigen, talentierten und erfolgreichen Frau steht. Gekonnt lässt er ihr Leben nochmals vorbei ziehen, beleuchtet dabei ihr Wirken, die für sie wichtigen Beziehungen und Freundschaften und ihre große Liebe, lässt sie Resümee ziehen. Es ist ein faszinierender, tiefgründiger und wundervoll poetisch geschriebener Roman, der in seiner Tragik und Düsternis aber keine leichte Kost darstellt.
Mit viel Feingefühl versucht sich der Autor in die wirre, oftmals erschreckend düstere Gedankenwelt der außergewöhnlich sensiblen Schriftstellerin hineinzuversetzen und uns ihr angeschlagenes Innenleben und innersten Beweggründe anschaulich zu vermitteln. In sorgfältig ausgewählten Episoden, einem Tagebuch gleich, erleben wir sehr unmittelbar mit, wie Woolf immer tiefer in ihre schon länger bestehende, schwere Depression abgleitet, wie sie mit ihrem Leben ringt, leidet und von inneren Zweifeln zerrissen ist. Ihr liebevoller Ehemann Leonard bemüht sich vergeblich, seiner Frau Lebensmut und -freude zu vermitteln. Sehr aufwühlend dokumentiert der Autor Woolfs Kampf gegen sich selbst und ihre inneren Dämonen und beleuchtet zugleich die bitteren Erfahrungen der Vergangenheit und qualvollen Erinnerungen an die Schatten ihrer Familiengeschichte, die sie einfach nicht losließen. So begleiten wir sie schließlich bei ihrem tragischen Entschluss, die erhoffte Erlösung für ihre ausweglos erscheinende Lage im Fluss nahe ihres Hauses zu finden.
Ein überaus schwieriges und anspruchsvolles Unterfangen diesem so vielschichtigen Menschen gerecht zu werden, basiert das Geschilderte letztlich auf reinen Spekulationen, denn in ihren hinterlassenen Tagebücher vermied Woolf es, über ihre körperlichen und psychischen Zusammenbrüche zu schreiben. Dennoch ist dem Autor meiner Ansicht nach dieser Balanceakt recht gut gelungen und doch bleibt nach der Lektüre ein gewisses Unbehagen zurück. Schade, dass er auf die Angabe seiner Quellen verzichtet hat und somit auch der Wahrheitsgehalt seiner geschilderten Ereignisse etwas spekulativ bleibt.
FAZIT
Ein faszinierender und aufwühlender Roman! Feinfühlig und facettenreich versucht sich Kumpfmüller an einem Portrait der berühmten Schriftstellerin Virginia Woolf in den letzten Tagen vor ihrem tragischen Freitod.

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Veröffentlicht am 31.05.2020

Ein interessanter Krimi ganz im Zeichen der Mathematik

Die Oxford-Morde
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INHALT
An einem lauen Sommerabend in Oxford findet ein argentinischer Mathematik-Doktorand die Leiche seiner Vermieterin. Kurz darauf geschehen weitere Morde, und kein Geringerer als Arthur Seldom, der ...

INHALT
An einem lauen Sommerabend in Oxford findet ein argentinischer Mathematik-Doktorand die Leiche seiner Vermieterin. Kurz darauf geschehen weitere Morde, und kein Geringerer als Arthur Seldom, der berühmte Professor für Logik, erhält jedes Mal eine Nachricht mit einem rätselhaften Symbol. Schnell ist klar: Wenn sie den nächsten Mord verhindern wollen, müssen Seldom und der junge Doktorand die logische Reihung der Symbole entschlüsseln ...
(Quelle: Eichborn Verlag)

MEINE MEINUNG
Für seinen Roman „Die Oxford-Morde" wurde der argentinische Autor und promovierte Mathematiker Guillermo Martínez 2003 mit dem Premio Planeta ausgezeichnet – dem höchstdotierten Literaturpreis der spanischsprachigen Welt. Die deutsche Erstausgabe des Krimis erschien bereits 2005 unter dem Titel “Die Pythagoras-Morde”. Zudem gibt es eine Verfilmung des Romans aus dem Jahr 2008, bei der sich Regisseur Álex de la Iglesia weitgehend an der literarischen Vorlage orientierte. In seinen Kriminalroman, der in der altehrwürdigen britischen Universitätsstadt Oxford angesiedelt ist, geht es um einen interessanten, sehr mysteriösen Kriminalfall, bei dem die Mathematik und das Lösen von mathematischen Rätseln eine große Rolle spielen. In solider klassisch-britischer Manier erzählt der Autor die Geschichte aus der Perspektive des jungen, namenlos bleibenden Protagonisten und Ich-Erzählers, einem argentinischen Mathematikdoktoranden über dessen Hintergrundgeschichte man im weiteren Verlauf aber kaum etwas erfährt. Nach einem recht unmittelbaren Einstieg zieht die linear und eher gemächlich voranschreitende Handlung einen schnell in ihren Bann, denn gekonnt baut der Autor eine überaus geheimnisvolle Atmosphäre auf, die über den ganzen Geschehnissen liegt und beim Leser Ahnungen auf die künftigen Ereignisse aufkommen lässt. Besonders angetan haben es mir die stimmungsvollen Beschreibungen von Oxford mit seinen tollen Schauplätzen - eine fantastische Kulisse für diesen etwas altmodisch, ganz in der Tradition Agatha Christies erzählten Krimi, der immerhin in den 1990er Jahren angesiedelt ist. Man merkt deutlich, dass Guillermo Martinez selbst einen Teil seiner Doktorandenzeit in Oxford verbrachte. Die Geschichte weitet sich bald zu einer rätselhaften Mordserie aus, die die Protagonisten durch Entschlüsselung einer mit den Morden in Verbindung stehenden Symbolreihe sogar beenden könnten. Dennoch mag atemberaubende Spannung - von wenigen kurzen spannungsvollen Momenten abgesehen - nicht aufkommen. Obwohl die mathematischen Rätsel und Hintergrundinformationen eigentlich höchst interessant sind, bremst der Autor seinen Spannungsaufbau leider immer wieder durch seitenlange, unrealistisch wirkende Monologe, die mathematische Theorien oder logisch-philosophische Betrachtungen beinhalten, aus. Wer sich für Mathematik interessiert und schon mal etwas von den Pythagoreern, Wittgensteins Theorien oder Gödels Unvollständigkeitstheorem gehört hat, wird sicher Gefallen an diesen ausführlichen, lehrreichen und unterhaltsamen Abhandlungen finden. Zusätzliche Informationen zu den in seinem Roman erwähnten Mathematikern und Philosophen hat der Autor im Anhang zusammengestellt. Für alle eher wenig an Mathematik interessierten Leser werden die vielen Exkurse in die verwirrende und hochkomplexe Welt der Zahlen und Theoreme eher langweilig bis quälend werden. So hat man insgesamt den Eindruck, dass Martínez den Kriminalfall eher als Rahmenhandlung um sein beeindruckendes mathematisches Fachwissen herum angelegt hat, das er uns in seinem Roman näherbringen möchte. Im Verlauf der Handlung lernen wir nur recht wenige Figuren kennen, die allerdings vom Autor nur sehr zurückhaltend charakterisiert werden. Da Einblicke in ihre Gefühls- und Gedankenwelt weitgehend fehlen, wirken auch die Hauptfiguren wie der junge Ich-Erzähler oder der charismatische, etwas egozentrische Mathematikprofessor Arthur Seldom insgesamt recht blass und sehr distanziert, was vielleicht auch ein bisschen der Kürze des Romans geschuldet ist. Wenig überzeugend fand ich auch die Liebesbeziehung zwischen den Ich-Erzähler und der attraktiven, resoluten Krankenschwester Lorna dargestellt. Schade, dass der Autor nicht etwas mehr Augenmerk auf seine Figuren gelegt hat. Die Auflösung des Falls erfolgt sehr überraschend, ist aber in sich schlüssig und nachvollziehbar dargestellt. Etwas überstürzt erfahren wir Leser schließlich die Hintergründe der rätselhaften Mordserie, über die leider erneut sehr detailliert referiert wird. Dennoch bin ich gespannt, wie sich das Verhältnis zwischen Ich-Erzähler und der Mathematikkoryphäe Arthur Seldom im Nachfolgeband "Der Fall Alice im Wunderland" weiterentwickeln wird, und welche mathematischen Rätsel uns bei dem neuen Fall erwarten werden.

FAZIT
Ein solider, recht konventionell erzählter Krimi, bei dem die eigentlich interessante Krimihandlung leider des Öfteren von den mathematisch-philosophischen Abhandlungen in den Hintergrund gedrängt wird. Für Knobelei- und Mathe-Liebhaber dennoch ein kurzweiliges Lesevergnügen!

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Veröffentlicht am 10.05.2020

Lesenswertes, eindrucksvolles Zeitdokument

Die Schule am Meer
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INHALT
Juist, 1925: Tatkräftig und voller Ideale gründet eine Gruppe von Lehrern am äußersten Rand der Weimarer Republik ein ganz besonderes Internat. Mit eigenen Gärten, Seewasseraquarien und Theaterhalle. ...

INHALT
Juist, 1925: Tatkräftig und voller Ideale gründet eine Gruppe von Lehrern am äußersten Rand der Weimarer Republik ein ganz besonderes Internat. Mit eigenen Gärten, Seewasseraquarien und Theaterhalle. Es ist eine eingeschworene Gemeinschaft: die jüdische Lehrerin Anni Reiner, der Musikpädagoge Eduard Zuckmayer, der zehnjährige Maximilian, der sich mit dem Gruppenzwang manchmal schwer tut, sowie die resolute Insulanerin Kea, die in der Küche das Sagen hat.
Doch das Klima an der Küste ist hart in jeder Hinsicht, und schon bald nehmen die Spannungen zu zwischen den Lehrkräften und mit den Insulanern, bei denen die Schule als Hort für Juden und Kommunisten verschrien ist. Im katastrophalen Eiswinter von 1929 ist die Insel wochenlang von der Außenwelt abgeschlossen. Man rückt ein wenig näher zusammen.
Aber kann es Hoffnung geben, wenn der Rest der Welt auf den Abgrund zusteuert?
(Quelle: Kindler Verlag)

MEINE MEINUNG
Bei dem historischen Roman „Die Schule am Meer“ der deutschen Autorin Sandra Lüpkes handelt es sich um einen groß angelegten, sehr interessanten Gesellschaftsroman, in dessen Mittelpunkt die wechselvolle Geschichte der titelgebenden „Schule am Meer“ steht, einem reformpädagogischen Landerziehungsheim, das zur Zeit der Weimarer Republik von 1925 bis 1934 auf der Nordseeinsel Juist existierte. Es ist zugleich eine bewegende Geschichte über Freundschaft, Enthusiasmus, Leidenschaft und Mut, aber auch über Missgunst, Verrat, Verlust und Scheitern.
Gekonnt verwebt die Autorin die sorgsam recherchierten Fakten zur Reformschule auf Juist, Details aus dem Leben der historischen Personen und dem Zeitgeschehen mit ihrer fiktiven Geschichte zu einem fesselnden historischen Roman. In ihrem sehr aufschlussreichen Nachwort widmet sich Lüpkes der Entstehungsgeschichte ihres Romans, erläutert ausführlich interessante Hintergründe zu ihren umfangreichen Recherchen und nimmt Stellung zu den realen Geschehnissen und den künstlerischen Freiheiten, die sie sich in ihrem fiktiven Roman genommen hat.
Untermalt wird das Ganze von den sehr ansprechenden, im Vorsatz abgedruckten Original-Schwarz-Weiß-Fotografien, die das Umfeld der Schule und viele der geschilderten Personen lebendig werden lassen. Sehr hilfreich ist zudem die dem Roman vorangestellte Skizze des Schulgeländes. Hervorragend ist es der von der Nordseeinsel Juist stammenden Autorin gelungen, die besondere Atmosphäre auf der Insel stimmungsvoll einzufangen, die örtlichen Begebenheiten und die einzigartige Landschaft authentisch und anschaulich darzustellen.
Eingebettet in eine kurze, einen Prolog und Epilog umfassende Rahmenhandlung, die im Schweizer Tessin im Jahre 1962 angesiedelt ist, erstreckt sich der zeitgeschichtliche Haupt-Handlungsstrang über einen Zeitraum von 1925 bis 1934 und deckt eine Zeitspanne von immerhin neun Jahren ab. Mit einem angenehmen, leicht zu lesenden Schreibstil schafft es die Autorin, ihre Leser direkt von der ersten Seite mitzunehmen.
Erzählt wird die eher beschaulich verlaufende Geschichte mit vielen überlieferten Anekdoten und interessanten Episoden aus unterschiedlichen, ständig wechselnden Perspektiven. Zum einen erlebt der Leser die Ereignisse rund um die Schule am Meer aus der Sicht der historisch verbürgten Persönlichkeiten wie der jungen Lehrerin Anni Reiner, die aus reichem jüdischen Elternhaus stammt und als Gründungsmitglied gemeinsam mit ihrem Ehemann Paul an der Schule unterrichtet, oder dem jungen Pianisten und Dirigenten Eduard Zuckmayer, der eher zufällig als Musiklehrer engagiert wird. Zum anderen wird die Handlung auch aus der Perspektive einiger fiktiver Figuren wie Kea, der Hauswirtschafterin der Schule, oder den beiden jungen Schülern Moskito und Marje, Keas cleverer Patentochter, erzählt. Zudem sind auch Passagen aus Sicht der jungen Hotelierstocher Therese und ihrem Geliebten, dem Kellner Gustav Wenniger eingestreut, die als eingefleischte Insulaner der modernen Bildungseinrichtung keineswegs wohlwollend gegenüber stehen und der Lehrerschaft später als Anhänger des Nationalsozialismus das Leben schwer machen.
Dank der sehr anschaulichen und lebendigen Schilderungen können wir mühelos in den damaligen Schulalltag eintauchen. Neben Schilderungen von den kleinen und großen Problemen im zwischenmenschlichen Miteinander, witzigen Anekdoten und allerlei alltäglichen Kleinigkeiten haben wir auch Anteil an wichtigen Entwicklungen in der Schulgemeinschaft und an zeitgeschichtlich verbürgten Geschehnissen wie beispielsweise der harte, folgenschwere Eiswinter im Jahr 1929. In den unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet die Autorin die Beziehungen zwischen Lehrern und Schülern, die durch ein gleichberechtigtes Miteinander geprägt waren, und gibt zudem eher beiläufig interessante Einblicke in das besondere reformpädagogische Konzept dieser einzigartigen Schule, das einen Schwerpunkt auf dem praktischen Lernen im Einklang mit der Natur legte und auch großen Wert auf bildende Kunst, Schauspiel und Musik legte. Gelungen zeigt die Autorin aber auch auf, dass die enthusiastischen Gründungsmitglieder immer wieder mit einigen Widrigkeiten, persönlichen Rückschlägen und dem mehrfach drohenden finanziellen Ruin zu kämpfen hatten. Durch den Wechsel der verschiedenen Sichtweisen, Handlungsstränge und Schauplätze versteht es Lüpkes ihre Geschichte abwechslungsreich zu gestalten und den Leser trotz der ruhigen Erzählweise mit kleineren, spannungsvollen Höhepunkten zu unterhalten. Zudem hat die Autorin das politische Geschehen in Deutschland sehr anschaulich in ihre Geschichte eingearbeitet und thematisiert den heraufziehenden Antisemitismus und Nationalsozialismus, der allmählich bei immer mehr Insulanern Anklang findet und zunehmend die Schulgemeinschaft als „Hort für Kommunisten und Juden“ bedroht.
Leider werden einige Ereignisse und Themen im Handlungsverlauf nur angerissen, sehr oberflächlich abgehandelt oder bleiben sogar unausgesprochen, während andere Passagen gewisse Längen aufweisen.
Lüpkes lässt in ihrem Roman eine Fülle von interessanten Charakteren auftreten, über die man glücklicherweise stets den Überblick behält. Insgesamt ist ihr die einfühlsame, tiefgründige Zeichnung vieler Charaktere gelungen, die authentisch und lebendig wirken und einem im Laufe der Geschichte an Herz wachsen. Bei einigen Figuren ist es mir allerdings etwas schwer gefallen, mich in ihr Innenleben hineinzuversetzen und ihre Entwicklung nachzuvollziehen.
FAZIT
Ein eindrucksvoller und lehrreicher historischer Roman über die wechselvolle Geschichte der „Schule am Meer“ - einer faszinierenden, reformpädagogischen Schule auf der Nordseeinsel Juist zu Zeiten der Weimarer Republik.

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Veröffentlicht am 10.05.2020

Unterhaltsamer historischer Roman

Der Sommer, in dem Einstein verschwand
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INHALT
Göteborg im Sommer 1923:
Zum 300. Gründungsjubiläum findet eine große Ausstellung statt, und über der gesamten Stadt hängt eine magische Atmosphäre der Euphorie und des Umbruchs.
Die junge Journalistin ...

INHALT
Göteborg im Sommer 1923:
Zum 300. Gründungsjubiläum findet eine große Ausstellung statt, und über der gesamten Stadt hängt eine magische Atmosphäre der Euphorie und des Umbruchs.
Die junge Journalistin Ellen ergattert ihren ersten Job bei einer Zeitung und kann ihr Glück kaum fassen: Sie wird als Reporterin die Aufregung der Ausstellung einfangen. Als sie eines Nachts eine alarmierende Entdeckung macht, bittet sie den Polizisten Nils Gunnarsson um Hilfe.
Zur gleichen Zeit sitzt Albert Einstein in seinem Berliner Arbeitszimmer. Sein Privatleben steht Kopf, seine Finanzen sind miserabel und er erhält Morddrohungen aus rechten Kreisen. Und ausgerechnet jetzt muss er nach Göteborg reisen, um seine Nobelpreisrede zu halten. Doch es gibt ungeahnte Kräfte, die diese Rede um jeden Preis verhindern wollen ...
(Quelle: Insel Verlag - Erscheinungsdatum: 8.3.20 - ISBN: 9783458178460 - Übersetzung aus dem Schwedischen: Regine Elsässer)
MEINE MEINUNG
Der jüngste Roman der schwedischen Autorin Marie Hermanson „Der Sommer, in dem Einstein verschwand“ spielt vor dem Hintergrund der grandiosen Jubiläumsausstellung in Göteborg im Sommer 1923, bei der die schwedische Stadt zugleich ihr 300-jähriges Gründungsjubiläum feierte. Im Mittelpunkt des spannenden historischen Romans stehen jede Menge abenteuerliche Verwicklungen um den Besuch des weltberühmten, aber wegen seiner Relativitätstheorie nicht unumstrittenen Physikers Albert Einstein, der in der Stadt seine Nobelpreisrede halten soll.
Vor der faszinierenden, stimmungsvollen Kulisse der Göteborger Jubiläumsausstellung lässt die Autorin die bewegten „Goldenen Zwanziger“ auferstehen und uns in die aufregende Aufbruchsstimmung zwischen Ende des Ersten Weltkriegs, der herannahenden Weltwirtschaftskrise und dem erstarkenden Nationalsozialismus eintauchen.
Sehr schön hat sie den Geist des allgemeinen Optimismus und der Zukunftsgläubigkeit unter der Bevölkerung eingefangen. Doch wird die positive Stimmung auch durch kritische Stimmen zur Ausstellung getrübt, die hierin ein Symbol der Klassenunterschiede sahen und die sozialen Ungerechtigkeit anprangerten. Im Vorfeld der Eröffnung streiken die Arbeiter und zudem werden gerissene Betrüger auf den Plan gerufen. Den gut recherchierten, zeitgeschichtlichen Rahmen setzt die Autorin sehr anschaulich mit vielen informativen historischen Details um. Aus vielen historischen Begebenheiten sowie Fakten zu zeitgeschichtlichen Persönlichkeiten wie Albert Einstein und seinem erbitterten Widersacher Paul Weyland, einem zwielichtigen Betrüger, der die antisemitischen Hasskampagnen gegen Einstein anführte, hat die Autorin eine spannende und äußerst unterhaltsame, fiktive Geschichte gesponnen. Sehr ausführlich geht sie in ihrem hochinteressanten und sehr lehrreichen „Kommentar der Autorin“ auf die verwendeten historischen Fakten, ihre Quellen und die erfundenen bzw. modifizierten Anteile in ihrem Roman ein.
Der Schreibstil der Autorin ist recht einfach und schnörkellos gehalten, wodurch sich das Buch sehr zügig und angenehm lesen lässt. Fast wie eine turbulente, heitere Karussellfahrt entwickelt sich die vielschichtig angelegte Geschichte mit ihren verschiedenen Handlungssträngen. Erzählt wird hauptsächlich aus der personalen Erzählperspektive und so erleben wir die Geschehnisse abwechselnd aus den unterschiedlichen Sichtweisen von Albert Einstein, der jungen Journalistin Ellen, die für die Ausstellungszeitung Artikel verfassen darf, und des sympathischen Polizisten Nils. Zudem wechselt die Autorin aber auch immer wieder zu den im Jahr 2002 aus der Ich-Perspektive verfassten Erinnerungen von Otto, der auf seine Erlebnisse als 12-jähriger Junge während der Ausstellung zurückblickt, als er mit seiner Eselin Bella zur großen Attraktionen wurde.
Durch geschickte Perspektiv- und Schauplatzwechsel wird sehr behutsam Spannung aufgebaut. Neben amüsanten Episoden sorgen auch unerwartet eintretende Ereignisse für Abwechslung und lassen bisweilen eine unheilvolle Stimmung aufkommen. Zudem erfahren wir als Leser auch einiges aus Albert Einsteins Privatleben, über die offenen Anfeindungen, denen er als jüdischer Wissenschaftler damals ausgesetzt war und vielfältigen Intrigen rund um seine Nobelpreisverleihung. Insgesamt werden die angeschnittenen Themen aber nie sehr tiefgründig und problembehaftet behandelt, so dass die Geschichte ihre unterhaltsame, leicht beschwingte Grundstimmung stets behält.
FAZIT
Ein unterhaltsamer und kurzweilig erzählter historischer Roman mit einem wundervoll eingefangenen Zeitkolorit der „Goldenen Zwanziger“, einer spannenden Kriminalgeschichte und interessanten Episoden aus dem bewegten Leben Albert Einsteins.

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