Farina
Farina steht nicht nur für eine berühmte Kölner Parfum-Firma und deren Duft, sondern ist auch das italienische Wort für Familie. Und um Familien und deren Geschichten geht es auch in Teresa Simons neuem ...
Farina steht nicht nur für eine berühmte Kölner Parfum-Firma und deren Duft, sondern ist auch das italienische Wort für Familie. Und um Familien und deren Geschichten geht es auch in Teresa Simons neuem Buch „Die Lilienbraut“.
Liv ist Parfumeurin und stammt aus den Niederlanden. Als ihr Verlobter sie und ihren gemeinsamen kleinen Sohn verlässt, wagt sie dank dem Erbe ihrer Tante Wimmi einen Neuanfang in Köln Ehrenfeld und eröffnet eine kleine Parfumerie, in der sie Duftseminare gibt und individuelle Parfums für ihre Kundinnen herstellt. An ihrem neuen Wohnort fallen ihr immer wieder Hinweise auf die Edelweißpiraten auf, sie ist neugierig und fasziniert. Liv weiß, dass ein Teil ihrer Familie von hier stammt und Deutschland nach dem 2. WK verlassen hat, aber es wurde nie über die Gründe dafür geredet. Als sie dann von einer alten Dame beschimpft wird, weil diese sie für „Nellie“ hält, beginnt sie nachzuforschen und stößt auf ein altes Familiengeheimnis.
Köln in den 40er Jahren: Nellie arbeitet als Sekretärin bei 4711 und trägt damit maßgeblich zum Unterhalt ihrer Familie bei. Ihre Mutter betreibt seit dem Tod des Vaters die kleine Kölsch-Kneipe der Familie und ihr jüngerer Bruder Martin geht noch zur Schule. Die Familie ist streng katholisch und Nellie weiß, dass der Mann, in den sie verliebt ist, sie nie heiraten dürfen wird – aber „Liebe fragt nicht, Liebe ist“ … Trost findet sie in der Arbeit mit Luuk van Geeren, dem Chef-Parfumer von 4711. Als dieser entdeckt, dass Nellie ein Gespür für Düfte hat, bildet er sie entsprechend aus. Persönlich mag Nelli den Duft Farina am liebsten, der von der Konkurrenzfirma hergestellt wird und den sie durch ihre beste Freundin Greta seit ihrer Kindheit kennt.
Teresa Simon hat es wieder geschafft, dass mich die Schicksale der beiden Frauen sofort in ihren Bann gezogen haben. Ich habe mit ihnen mitgefiebert, gebangt und gehofft und gleichzeitig wieder viel Neues über die Entwicklung von Düften und über Köln und seine Vergangenheit im Nationalsozialismus gelernt.
Nellie und ihr Bruder Martin haben es als Katholiken in der damaligen Zeit besonders schwer. Köln ist eine Nazi-Hochburg, alles Andersartige soll ausgemerzt oder gleichgeschaltet werden. Die katholische Jugendbewegung als Gegenstück zur Hitlerjugend ist der Obrigkeit ein Dorn im Auge. Die Jugendlichen werden immer wieder überfallen und brutal misshandelt. Viele schließen sich aus Protest den Edelweißpiraten an. Auch Martin sucht deren Nähe, Nellie und ihre Mutter wissen kaum wohin mit ihrer Angst um ihn. Außerdem unterstützen sie heimlich ihre jüdischen Nachbarn und versuchen, wenigstens deren Kinder vor den Transporten in die Ungewissheit zu retten. Es ist diese Hilfe, der Widerstand im Kleinen, mit denen sie sich in Gefahr bringen, der mich besonders beeindruckt hat. Sie bleiben bei dem ganzen Wahnsinn ringsum mitfühlende, hilfsbereite Menschen.
Besonders bewegt hat mich auch das Schicksal von Nellies Freundin Greta. Ihre Familie stammt ursprünglich aus Italien und obwohl sie schon seit Generationen in Deutschland leben, werden sie immer noch als Ausländer angesehen. Um die Firma zu retten, fügt sich Greta pflichtbewusst in die Ehe mit einem ungeliebten Nazi-Funktionär. Die Beziehung droht sie zu zerbrechen, kann sie sich retten? Wenn ja, um welchen Preis?
In der heutigen Zeit kämpft die junge Muslima Nouria, Livs Freundin und Angestellte, um ein freies und selbstbestimmtes Leben. Sie will sich von ihrer Familie abnabeln, ohne deren Rückhalt und die Bindung zu verlieren – eine sehr interessante Persönlichkeit.
Neben den starken Frauenfiguren, die Theresa Simons Romane für mich immer so interessant und spannend machen, hat es mir diesmal auch eine männliche Nebenfigur angetan. David ist ein Sinto mit berühmten Vorfahren und Familienmitgliedern. Über die Geschichte seiner Familie hätte ich gern noch mehr erfahren – vielleicht spielt ja im nächsten Buch der Autorin die Hauptrolle?!
Leider habe ich auch die „Lilienbraut“ wieder viel zu schnell ausgelesen. Es war ein Wechselbad der Gefühle, sehr emotional und hat mich gleichzeitig traurig und froh zurückgelassen. Traurig, weil einige meiner Lieblingsfiguren nicht überlebt haben und froh, weil Teresa Simon in ihren Büchern auch zeigt, dass man die Hoffnung und seine Menschlichkeit nie verlieren soll. Ein Lesehighlight und besonderes Herzensbuch. #gegendasvergessen