Beeindruckende Auseinandersetzung mit einer außergewöhnlichen Persönlichkeit
Florence Nightingale „kannte“ ich bisher als berühmte Persönlichkeit nur vom Namen her. Was genau ihren Ruhm ausmachte sowie ihre zeitliche Verortung in der Geschichte war mir verborgen geblieben. Mit ...
Florence Nightingale „kannte“ ich bisher als berühmte Persönlichkeit nur vom Namen her. Was genau ihren Ruhm ausmachte sowie ihre zeitliche Verortung in der Geschichte war mir verborgen geblieben. Mit der zum 200. Geburtstag der Protagonistin erschienenen Biografie von Hedwig Herold-Schmidt wollte ich die mir sehr wohl bewusste Bildungslücke schließen.
Obwohl ich schon eine herausragende Persönlichkeit erwartet hatte, wurde ich dennoch von dem Ausmaß der Talente Florence Nightingales überrascht. Besonders beeindruckt haben mich neben ihrer Fähigkeit zum Netzwerken, ihre Überzeugungskraft und ihr Durchhaltevermögen. Dabei schien sie von Beginn an immer wieder eine längere Zeit auf verlorenem Posten zu kämpfen, wenn neue Themen zu platzieren waren. Schon das autodidaktische Schaffen einer Basis für ihr späteres Engagement für kranke Soldaten wurde von Teilen der Familie überaus kritisch betrachtet. Die Zeit, die Florence Nightingale mit umfangreicher Lektüre und auf (Bildungs-)Reisen verbrachte, hätte sie aus Sicht der familiären Kritiker wohl besser in einen späteren Ehemann investieren sollen.
Besonders gefallen hat mir an der Herangehensweise von Hedwig Herold-Schmidt, die Kombination aus Chronologie im Lebenslauf mit dem Herausheben der wichtigsten Themen Florence Nightingales. So lässt sich die Entwicklung der Protagonistin verfolgen. Die Prioritäten in ihrem Schaffen sind augenscheinlich klar.
Für das Verständnis ihrer Selbstfindungsphase, ihrer Suche nach einer Aufgabe im Leben, war der Einstieg über die viktorianische Familie essenziell. Nur so wird für uns heute der Weg über die Auseinandersetzung mit dem eigenen Glauben hin zur Pflege wirklich nachvollziehbar. Sehr wichtig darzustellen war darüberhinaus auch die Art wie Florence Nightingale kommuniziert, wie sie einerseits Daten mittels Befragungen gesammelt, grafisch aufbereitet und Wissen geschaffen, anderseits dieses Wissen geschickt einsetzt hat, um ihre Ziele zu verfolgen. Nur so avanciert sie zur „Governess of the Governors“. Erstaunlich, gleichzeitig offensichtlich, dass sie all dies per unzähliger Briefe und über persönliche Beziehungen - also über Besucher - getan hat, da sie nach dem Krimkrieg gesundheitlich eingeschränkt nicht mehr zu langen Reisen in der Lage war. So konnte Florence Nightingale sich beispielsweise ein recht detailliertes Bild über Indien innerhalb ihres Interessenhorizonts machen, ohne selbst je dort gewesen zu sein.
Glaubwürdigkeit erlangen sämtliche dezenten bewertenden Formulierungen durch die Betrachtung der Persönlichkeit Nightingale im historischen Kontext. Insgesamt hatte ich als Leser den Eindruck, dass wohl eher ich selbst Bewertungen vorgenommen habe. Damit diese nicht zu heroisch bzw. auf Basis heutigen Wissens und heutiger Möglichkeiten zu negativ ausfallen, war die historische Brille sehr hilfreich.
Insgesamt lässt mich die Biografie begeistert zurück. Ich habe eine überaus faszinierende Persönlichkeit kennen gelernt, in deren Werk ich nun noch tiefer einsteigen möchte. Dieser erste Kontakt zu Florence Nightingale wurde mir durch die verständliche, sehr gut nachzuempfindende Aufbereitung leicht gemacht. Diese Biografie ist sehr zu empfehlen.