Transsilvanien ohne Vampire
Das dunkle Herz der WeltLange musste ich auf dieses Buch warten, aber das Warten hat sich gelohnt. Mehr als zehn Jahre hat die Historikerin Liliana Le Hingrat recherchiert, als sie eigentlich über das tatsächliche Leben von Vlad ...
Lange musste ich auf dieses Buch warten, aber das Warten hat sich gelohnt. Mehr als zehn Jahre hat die Historikerin Liliana Le Hingrat recherchiert, als sie eigentlich über das tatsächliche Leben von Vlad Draculea, der historischen Figur hinter Bram Stokers "Dracula", schreiben wollte. Dabei stellte sie fest, dass das bewegte Leben von Vlads Vater Vladislas Draco ebenfalls guten Romanstoff bietet, und entschied sich, zunächst über Vlads Eltern und ihre Zeit zu schreiben. Vlad selbst will sie laut Nachwort in einen weiteren Roman ins Zentrum stellen. Diesen werde ich auf jeden Fall lesen, denn "Das dunkle Herz der Welt" hat mir wirklich gut gefallen.
Überrascht hat mich zunächst der Beginn des Romans. Man wird mitten in die Geschichte geworfen, als Vladislav schon kein junger Mann mehr ist, sondern um die vierzig, verheiratet mit Vasilissa, und bereits einen Sohn, Mircea, hat. Im Grunde gefällt es mir gut, wenn man sich nicht erst endlos durch die Kindheit eines Protagonisten arbeiten muss. Hier gab es aber bereits so viele frühere historische Ereignisse, die in die Handlung des Buches hineinspielen, dass der Leser zunächst etwas Geduld aufbringen muss, bis er sich zurecht findet. Diese Geduld wird dann aber mit einer fesselnden Geschichte belohnt.
Vladiclav Draco steht in der Gunst des deutsch-römischen Kaisers Sigismund, an dessen Hof er aufwuchs. Dieser ernennt ihn daher zum Ritter des Drachenordens. Sehr passend schmückt denn auch das rote Cover des Buches ein Drachenemblem. Vladislav ist als Draculer Teil eines Diadochenkrieges um das Fürstentum der Walachei, den Draculer und Danen unter sich austragen. Anlässlich seiner Ernennung zum Ritter findet ein Turnier statt, bei dem er seinen alten Freund, den Ungar János Hunyadi, im Kampf besiegt. Unerwartet fliegt ihm dadurch die Gunst der schönen blutjungen Clara zu, auf die János ein Auge geworfen hatte. An dieser Stelle lag für mich der einzige echte Kritikpunkt des Romans: Ich fand es nicht nachvollziehbar, wie schnell die Freundschaft der beiden Männer auf Seiten János' in Neid und Missgunst umschlägt. Um Clara zu imponieren, auf die er zu diesem Zeitpunkt erst einen Blick geworfen hat, plant er sogar, falsch zu spielen und tritt im Turnier mit einer scharfen Kampfwaffe an statt einer Turnierlanze.
János ist ein äußerst zwiespältiger Charakter, das wiederum fand ich sehr gut gelungen. Er erfährt zu diesem Zeitpunkt auch, dass er ein illegitimer Sohn Sigismunds sein soll. Dass dieser ihn nie anerkennt, sondern nur fördert und für seine Zwecke einsetzt, schürt in ihm einen Ehrgeiz, der die beiden Freunde immer weiter trennt und zu erbitterten Gegnern werden lässt. Zumal Clara flieht, als sie mit János verlobt wird. Vladislav nimmt sie, nichtsahnend von der Verlobung, zu seiner Geliebten. Clara bekommt sogar einen Sohn von Vladislav, nachdem sie zwangsweise mit einem Kaufmann verheiratet wird. Die Schilderung von Gefühlen, von Liebe, bleibt hier äußerst lebensnah. So hat Vladisav trotz seiner Zuneigung zu seiner Ehefrau Vasilissa, die zwei Söhne und eine Tochter von ihm bekommt, keine Scheu, sein Leben lang Clara zu treffen und zu lieben. Vasilissa wiederum bekommt Radu, einen Sohn von einem burgundischen Ritter, der offiziell als Vladislavs dritter Sohn gilt. Wie gesagt wirkt das sehr realistisch, dennoch bleiben dem Leser dadurch die Protagonisten ein kleines bisschen fern, da mit Gefühlen so pragmatisch umgegangen wird. Das ist aber eigentlich ganz gut so, denn zum Teil geschieht ihnen Schlimmes, obwohl die Autorin Folterszenen sogar noch abgemildert hat.
Durch den ganzen Roman ziehen sich die Kämpfe um den Kaiserthron, um die Fürstentümer Walachei und Transsilvanien, den ungarischen Thron und die Türkenkriege. Die Bedrohung durch die Osmanen ist im Europa des 15. Jahrhunderts allgegenwärtig. Um sein Fürstentum und seine Familie zu schützen, sieht sich Vladislav immer wieder gezwungen, mit den Osmanen zu paktieren und sich dann wieder auf die christliche Seite zu schlagen, so dass er bald hier, bald dort, als Verräter gilt. Er selbst und sein Sohn Vlad sowie sein angeblicher Sohn Radu geraten in türkische Gefangenschaft. Zwar kann Vladislav nach langer Folter gerettet werden, doch Vlad und Radu müssen als Geiseln am türkischen Hof aufwachsen. Vor allem Vlad muss in der Gefangenschaft Schlimmes erleiden, und man ahnt bereits, wie er zu dem Mann wurde, der als "der Pfähler" in die Geschichte einging.
Mein Lieblingscharakter war eine der wenigen Figuren, die nicht auf historischen Vorbildern beruhen, der Hohepriester der heidnischen dakischen Götter, Roxolan. Mit seiner Geburt beginnt das Buch. Er ist ausersehen, Vladislav und seine Nachkommen stets zu beschützen, und bedient sich hierzu alter Magie. Dies ist aber auch das einzige übernatürliche Element, Vampire sucht man in diesem hervorragenden historischen Roman vergebens.
Die Szenen des Romans sind zum Teil relativ kurz, echte Längen konnte ich nicht feststellen. Das macht die Handlung sehr kurzweilig, aber auch etwas schlaglichtartig. Dennoch sind hier ca. 750 faszinierende Seiten zusammen gekommen.