Profilbild von wortgeflumselkritzelkram

wortgeflumselkritzelkram

Lesejury-Mitglied
offline

wortgeflumselkritzelkram ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit wortgeflumselkritzelkram über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 30.01.2017

Spannender Lesegenuß ....

Das Walmesser
0

"Das Walmesser" von C. R. Neilson ist 2017 im Heyne Verlag erschienen.

Zum Inhalt: Der Schotte John Callum versucht seiner Vergangenheit zu entkommen, als er auf die kleine Inselgruppe, die Färöer-Inseln, ...

"Das Walmesser" von C. R. Neilson ist 2017 im Heyne Verlag erschienen.

Zum Inhalt: Der Schotte John Callum versucht seiner Vergangenheit zu entkommen, als er auf die kleine Inselgruppe, die Färöer-Inseln, im Nordatlantik flüchtet. Doch als er eines Morgens mit einem blutigen Messer in der Tasche erwacht, ohne Erinnerung an den vergangenen Abend, wird ihm schnell klar, dass dies nicht so einfach ist. Dann wird er des Mordes angeklagt und er muss sich der Gegenwart und der Vergangenheit stellen …

Direkt zu Beginn wird man als Leser in die Spannung hinein geworfen, als Callum nass und frierend erwacht und sich fragt, was er mit einem blutigen Messer in der Tasche macht, das sonst zur Waljagd benutzt wird. Erinnern kann er sich an einen Streit mit dem Exfreund seiner neuen Freundin. Aber was passierte danach? Schon zweifelt er an sich selbst …

„Das kleine Messer lag tonnenschwer in meiner Tasche, die Last des Zweifels zerrte mich nach unten.“

Nach diesem ersten Kapitel kommt eine Rückblende, in denen erzählt wird, was in den drei Monaten zuvor – beginnend mit der Ankunft von Callum auf den Inseln – passiert ist. Und hier erlebt man Spannung auf hohem Niveau: Immer wieder fallen Andeutungen zu Callums Vergangenheit, in denen auch eine gewisse Brutalität zu Tage kommt. Callum scheint jähzornig und aufbrausend und schreckt immer wieder aus wiederkehrenden, blutrünstigen Alpträumen hoch. Alles deutet schon fast auf ihn als Täter …..

„Hoch oben im Heideland über dem Hotel Föroyar trug der Wind meinen Geist fort, zurück in eine andere Zeit und an einen Ort, wo ich mich für das Falsche und gegen das Richtige entschieden hatte, wo ich zugelassen hatte, dass ich von der Gewalt verschlungen, kontrolliert, nach ihrem Bild geformt wurde.“

Neben der Spannung beschreibt der Autor die Insel in wunderschönen Worten, so dass ich trotz der angeblich 300 Regentagen im Jahr den tiefen Wunsch verspüre, dort hinfahren zu wollen und die schroffe Wildheit selbst auf mich wirken zu lassen.

„Wir fuhren parallel zu Fjorden, gegenüber von grünen Hügeln, die bedrohlich zu uns hinüberstarrten, ihre Spitzen bekränzt von tief hängenden Wolken. Riss der Nebel auf, sah man Hügel über Hügel und Gipfel über Gipfel, das endlos dahinrollende Werk gefräßiger Vulkankräfte, längst bewachsen von Wiesen.“ …… „Auf meinen Trecks durch die Hügel leisteten mir nur die Rufe der Dreizehenmöwen und das Kreischen der Eissturmvögel Gesellschaft, schrill krähende Varianten von Wagner- und Sousa-Kompositionen, die das Vorrücken der Zeit und den Wandel des Terrains markierten. Sonst gab es hier nichts.“

Und nicht nur die Natur wird dem Leser nahe gebracht, sondern auch die Mentalität der Inselbewohner. Trinkfest und offen, aber auch der Waljagd verpflichtet.

„Es wird von allen Männern der Insel erwartet, dass sie beim Töten mitmachen.“

Und die Szenen, die dort beschrieben werden, sind nicht für jeden geeignet.

„Das Meer war rot. Ein dunkles Blutrot.“ (Auf die ausführliche Beschreibung habe ich hier bewußt verzichtet.)

Immer wieder werden mir viele kleine Puzzleteilchen entgegen geschleudert, die mich auf Höchstspannung halten und die dann, kurz vor Ende des Buches, ihren richtigen Platz finden und ein stimmiges und unerwartetes Bild ergeben.

Die dichte Atmosphäre und die hohe Spannung, die der Autor erzeugt, und als Untermalung die wilde und schroffe Natur, begleitet von den offenen und liebenswerten Färingern, machen dieses Buch zu einem äußersten Lesegenuß. Ich kann es allerdings auch nur denjenigen Lesern empfehlen, die nichts gegen ein wenig Blut und Brutalität einzuwenden haben ….

Hier hat meine Reise richtig Spaß gemacht – habe ich doch auch einiges über dieses Völkchen und die kleine Inselgruppe im Nordatlantik, die aus 18 Inseln besteht, erfahren dürfen. Die Färinger sehen sich als autonomes Volk, unabhängig von der dänischen Krone, unter der sie stehen. Und sie bilden seit 2005 auch eine „gleichberechtigte Nation“ innerhalb Dänemarks.
Gespickt mit der hohen Spannung war dies wirklich eine Lesereise vom allerfeinsten!

Einen herzlichen Dank an den Verlag, der mir das Buch als Rezensionsexemplar kostenlos zur Verfügung gestellt hat. Ich gebe hier – trotz kostenlosem Exemplar – meine eigene, ehrliche Meinung wieder …

Veröffentlicht am 26.01.2017

Ein Wahnsinnsbuch!!!

Geister
0

"Geister" von Nathan Hill ist 2016 im Pieper Verlag erschienen.

Zum Inhalt laut Verlagshomepage: Ein Anruf der Anwaltskanzlei Rogers & Rogers verändert schlagartig das Leben des Literaturprofessors Samuel ...

"Geister" von Nathan Hill ist 2016 im Pieper Verlag erschienen.

Zum Inhalt laut Verlagshomepage: Ein Anruf der Anwaltskanzlei Rogers & Rogers verändert schlagartig das Leben des Literaturprofessors Samuel Anderson. Er, der als Kind von seiner Mutter verlassen wurde, soll nun für sie bürgen: Nach ihrem tätlichen Angriff auf einen republikanischen Präsidentschaftskandidaten verlangt man von ihm, die Integrität einer Frau zu bezeugen, die er seit mehr als zwanzig Jahren nicht gesehen hat. Ein Gedanke, der ihm zunächst völlig abwegig erscheint. Doch Samuel will auch endlich begreifen, was damals wirklich geschehen ist. – Ein allumfassender, mitreißender Roman über Liebe, Unabhängigkeit, Verrat und die lebenslange Hoffnung auf Erlösung, ein Familienroman und zugleich eine pointierte Gesellschaftsgeschichte von den Chicagoer Aufständen 1968 bis zu Occupy Wall Street.

Über den Autor: Nathan Hill ist 38 und lebt in Chicago und St. Paul, Minnesota, wo er an der University of St Thomas Englische Literatur unterrichtet. Seine Erzählungen erschienen in zahlreichen Magazinen und Zeitungen, sie waren nominiert für den Pushcart und den Barthelme Preis. »Geister« ist sein erster Roman und wird derzeit in über zwanzig Sprachen übersetzt.

Es fällt mir unglaublich schwer, einen Beitrag zu diesem Buch zu schreiben. Einfach, weil es so vielschichtig und komplex und dabei so unfassbar gut geschrieben ist. Insofern schreibe ich jetzt einfach mal drauf los – alles, was mir so zu dem Buch einfällt …..

Erzählt wird dieses Buch in verschiedenen Zeitebenen, beginnend im Jahr 2011 und mit Rückblenden in das Jahr 1968 sowie 1988. Da diese Abschnitte immer gut gekennzeichnet sind, kommt man jedoch überhaupt nicht durcheinander. Und all die ganzen verschiedenen Personen und Fäden der Geschichte fügen sich am Ende zu einem großen Ganzen, das mich nochmal überrascht und sehr mitgenommen hat.

Samuel lebt das typische Leben eines alleinstehenden Professors, der sich mit seinem Leben irgendwie arrangiert hat. Glücklich ist er nicht. Er ist durch die Tatsache geprägt, dass seine Mutter ihn als Kind verlassen hat und dies zieht sich auch durch das Buch wie ein roter Faden. Immer wieder kommt er zu der Frage nach dem Warum zurück.

„“Ich brauche eine Antwort“, sagte Samuel. „Du weißt nicht, wie sehr ich eine Antwort brauche. Ich muss wissen, was passiert ist.“ (Seite 243)

Und so reisen wir mit Samuel und seiner Mutter Faye immer wieder zurück in die Vergangenheit und erfahren Stück für Stück, warum Faye damals gegangen ist und was in Folge mit ihr und Samuel so alles passiert.

Das ist nicht immer einfach und teilweise wirklich harte Kost, unterstützt durch eine wirklich spannende und dichte Atmosphäre. So tauchen Samuels ehemaliger bester (und einziger) Freund und deren Zwillingsschwester auf, die für den weiteren Verlauf eine nicht unerhebliche Rolle spielen. Und immer wieder werden Samuel Entscheidungen abverlangt, die er mit einem „Du-musst-dich-entscheiden“-Abenteuerbuch vergleicht (wenn du dich für das entscheidest, dann blättere weiter zu Seite xy…) . Nur dass Samuel bald merkt, dass er im wirklichen Leben die Seiten nicht zurück blättern und seine Entscheidungen neu treffen kann.

Auch Faye muss Entscheidungen treffen, die für den Rest ihres Lebens eine Rolle spielen werden. Und mit denen sie immer wieder hadert, sie hinterfragt und verzweifelt.

Aber auch gesellschaftliche Themen werden immer wieder angesprochen: Da ist die USA im Jahr 1968 mit den Studentenbewegungen, auf die ein Hauptaugenmerk gelegt wird. Da dies fast mein Geburtsjahr ist, fand ich das gerade spannend, etwas darüber lesen zu können. Aber auch das Jahr 2011 und v. a. der höchst konservative Präsidentschaftskandidat schaffen ungeplante Parallelen zum heutigen Stand.

Faszinierend fand ich gerade zu Beginn des Buches die Beschreibung der Presse: Wie es möglich ist, aus einem kleinen Ereignis einen Zustand zu inszenieren, der der Realität in keinster Weise mehr gerecht wird.

„Wie kann eine einzelne Schlagzeile all diese erstaunlichen Einzelheiten aufnehmen? Radikale Hippie-Prostituierte und Lehrerin trifft bei bösartigem Angriff Gouverneur Packers Auge!“ (Seite 25)

Hill schreibt in einfachen, beschreibenden Sätzen. Jede Person wird lebendig und mir nahe gebracht. Ich fühlte mich, als würde ich von oben auf das Geschehen blicken und trotzdem mittendrin im Erleben und Mitfühlen sein. Und das fand ich unglaublich ergreifend.

Und was ich unbedingt erwähnen möchte: Der Autor schafft es, einen einzigen Satz über ein ganzes Kapitel fortzuführen (S. 652 bis S. 668). Ich habe es mehrfach kontrolliert.

Dieses Buch hat mich beschäftigt, umgehauen, nachdenklich, traurig, sprachlos gemacht. Und diesmal war ich keine Bücherverschlingerin, sondern habe tatsächlich fast zwei Wochen an diesem Buch gelesen, zurück geblättert, nachgedacht. Und auch an diesem Beitrag sitze ich jetzt den dritten Tag. Dieses Buch passt in keine Schublade, einfach weil es so unendlich viele Themen anspricht und so vielschichtig ist.

Dieses Erstlingswerk dürfte den Autoren gewaltig unter Druck setzen – wie soll er ähnliches oder vergleichbares erneut schaffen? Mich hat Hill mit „Geister“ absolut überzeugt! Und es erfüllt und berührt mich immer noch! Und es ist tatsächlich eines der besten Bücher, die ich bisher gelesen habe!

Und folgenden Satz fand ich bezeichnend und wegweisend für das ganze Buch:

„Manchmal sind wir so sehr in unserer eigenen Geschichte verfangen, dass wir unsere Rolle in der Geschichte eines anderen nicht sehen.“ (Seite 856)

Veröffentlicht am 16.01.2017

Und das bei meiner Flugangst ...

Departure
1

... und trotzdem liebe ich solche Katastrophengeschichten und A. G. Riddle trifft mit seinem Roman "Departure" (erschienen 2016 bei Heyne) erstmal voll meinen Nerv.

Worum geht`s im groben: Ein Flugzeug ...

... und trotzdem liebe ich solche Katastrophengeschichten und A. G. Riddle trifft mit seinem Roman "Departure" (erschienen 2016 bei Heyne) erstmal voll meinen Nerv.

Worum geht`s im groben: Ein Flugzeug auf dem Weg von New York nach London stürzt im Nirgendwo ab. Vermuten die Überleben zunächst, dass sie irgendwo in der Einsamkeit Englands gestrandet sind, stellt sich bald heraus, dass sie sich in einer fernen Zukunft befinden. Anscheinend sind fünf von den Überlebenden auserkoren, die Welt zu retten oder endgültig zu vernichten ....

Was mich zunächst abgeschreckt hat, ist das Cover: Das finde ich etwas "billig" und irgendwie reißerisch gemacht. Meiner Meinung nach rutscht das Buch dadurch schnell in die Ecke "Schundliteratur" (wozu es meiner Meinung nach nicht gehört).

Erzählt wird die Geschichte aus Sicht zweier Überlebenden, zwischen denen sich auch eine kleine Liebesgeschichte anbahnt. Auch sehr schön und nicht zu übertrieben.

Riddles Schreibstil ist spannend. Seine Figuren bleiben zunächst geheimnisvoll und undurchsichtig - das mag ich. Seine Erklärungen über das Phänomen der Zeitreise und Einsteins Theorien habe ich - ehrlich gesagt - quer gelesen. Da brauche ich nicht so viel Details. Wen es aber interessiert, kommt auch hier auf seine Kosten.
In der Mitte des Buches hatte ich ein paar Schwierigkeiten. Es bleibt zwar spannend, m. E. nach übersehen die Akteure allerdings ein paar Hinweise, bei denen mir quasi das Nachfragen fehlt. Da hätte man evtl etwas genauer auf gewisse Dinge eingehen können. Allerdings erfährt man hier auch, wieso gerade diese fünf ausgewählt wurden, um in die Zukunft zu reisen. Es folgt einiges an Erklärkrams - zwischendurch etwas langatmig - aber noch im Rahmen.

Achtung Spoiler: Und dann wird geballert und gekämpft, Blut fließt und Menschen sterben. Das Ende löst Riddle m. E. nach logisch und für mich auch genau richtig.

Aber mehr verrate ich nicht ....

Zusammenfassend kann ich dieses Buch jedem empfehlen, der Dystopien und Science-Fiction mag und seinen Schwerpunkt in dem Falle auf Unterhaltungsliteratur legt.

Denn das ist es - wirklich gute und spannende Unterhaltung.

Veröffentlicht am 16.01.2017

Was für ein berührendes Buch

Tage mit Sam
0

"Tage mit Sam" von Keith Stuart ist 2016 im Manhattan Verlag erschienen.

Zum Inhalt: Keith Stuart, selber Vater zweier Kinder, von denen eines Autist ist, verarbeitet in diesem Roman seine eigenen Erlebnisse.
Alex ...

"Tage mit Sam" von Keith Stuart ist 2016 im Manhattan Verlag erschienen.

Zum Inhalt: Keith Stuart, selber Vater zweier Kinder, von denen eines Autist ist, verarbeitet in diesem Roman seine eigenen Erlebnisse.
Alex liebt seine Frau Jody und seinen achtjährigen Sohn Sam, allerdings verkriecht er sich in Arbeit und Überstunden. Zum einen, um sich nicht mit dem Autismus seines Sohnes auseinander zu setzen, zum anderen fühlt er sich immer noch schuldig an dem Tod seines älteren Bruders, der als Kind durch einen Unfall ums Leben kam. Als Jody ihn allerdings vor die Tür setzt, ist Alex gezwungen, sich einigen Dingen zu stellen. Und als er mit Sam zusammen das Spiel Minecraft auskundschaftet, entdecken die zwei einen Ort, an dem sie zueinander finden können….

Zunächst muss ich sagen: Das, was in diesem Buch beschrieben ist – nämlich die Annäherung zu seinem autistischen Kind über ein Videospiel – funktioniert bestimmt nicht bei jedem Autisten. Und diese Aussage fehlt mir zumindest schon mal (Allerdings kenne ich auch keine autistischen Menschen – es mag also sein, dass ich mich auch irre).

Ansonsten habe ich dieses Buch verschlungen. Es ist ein berührender Roman über einen Mann, der verzweifelt versucht, mit sich selbst ins Reine zu kommen und seine Familie nicht zu verlieren. Es ist authentisch und gewährt einen Einblick in eine Familie, in der eben nicht alles rund läuft. Hier gibt es keine Bilderbuch-Vorzeige-Familie, sondern es wird schonungslos ehrlich über das kräftezehrende Miteinander erzählt, wobei Stuart seinen ganz eigenen Humor in die Geschichte webt.

Über das Spiel Minecraft findet Alex endlich Zugang zu seinem Sohn, den er zwar liebt, aber weder versteht noch mit ihm umzugehen weiß.

„Und während wir so voll und ganz in Minecraft versunken sind, wird mir auf einmal etwas klar. Wenn wir uns mit anderen Spielen beschäftigen, fühlt es sich in den kostbaren Momenten, wo er überhaupt bereit ist, sich zu konzentrieren, immer so an, als wären wir gemeinsam einsam: ich sehe ihm dann zu, sage ihm, was er tun soll, und mache mir dauernd Sorgen. …. Aber bei diesem Spiel fühlt es sich ein paar Stunden lang so an, als würden wir tatsächlich etwas zusammen machen …“

Auf einmal entsteht ein Miteinander, ein Verständnis auf gleicher Ebene.

„Plötzlich muss ich an The King´s Speech denken, diesen Kinofilm über George VI., der sein Stottern dadurch überwand, dass er beim Sprechen Musik hörte. Vielleicht lenkt dieses seltsame Blockspiel Sam auf ganz ähnliche Weise ab. Vielleicht ist Minecraft ja seine Musik.“

Und über diese Einsichten und das zögerliche Annähern von Vater und Sohn, nähert Alex sich selbst auch wieder an, akzeptiert vergangenes und vor allem das, was gerade ist. Das ist wie ein leiser Befreiungsschlag.

Und schließlich begreift Alex:

„Und auf einmal trifft mich die seltsame und auch schockierende Erkenntnis, dass Sam ein Mensch ist – ein selbstständiges Individuum, unabhängig von mir und auch von Jody. Er ist kein Problem, das gelöst werden muss, kein lästiger Punkt auf meiner täglichen To-Do-Liste, den ich abhaken muss. … Ich kann nicht fassen, wie leicht es mir gefallen ist, das so lange zu übersehen und stattdessen jeden Tag als Schlacht zu begreifen, als Kampf mit dem Autismus …. Sam ist nicht bloß etwas, das mir zugestoßen ist.“

Und über diese Erkenntnis beginnt die Heilung….

Ein wunderbares Buch und ein sehr intensives Leseerlebnis!

Veröffentlicht am 16.01.2017

Tränen und Lächeln garantiert

Die Geschenke meiner Mutter
0

Das Buch "Die Geschenke meiner Mutter" ist 2016 im Penguin Verlag erschienen.

Zum Inhalt: Die Mutter der Autorin, die an Alzheimer erkrankt ist, muss ins Pflegeheim. Beim Ausräumen des Elternhauses findet ...

Das Buch "Die Geschenke meiner Mutter" ist 2016 im Penguin Verlag erschienen.

Zum Inhalt: Die Mutter der Autorin, die an Alzheimer erkrankt ist, muss ins Pflegeheim. Beim Ausräumen des Elternhauses findet Cecilie Zettel, auf denen die Mutter über viele Jahrzehnte alle Weihnachtsgeschenke aufgelistet hat, die gegeben und genommen wurden. Damit werden bei Cecilie teilweise lang vergessene Erinnerungen ausgelöst: Erinnerungen an geliebte Menschen, Schicksalsschläge, Glücksmomente.

Schon nach dem ersten Kapitel hat mich dieses autobiografisch angelegte Buch gepackt.

Zunächst muss ich ja sagen, dass das irgendwie mein Albtraum ist! Mal abgesehen von einer möglichen Alzheimer-Erkrankung denke ich nur mit Schrecken an den Zeitpunkt, wenn der Große, der Nachzügler und ich einmal die Häuser oder Wohnungen unserer Eltern leer räumen müssen. Und es ist so, wie Enger schreibt:

"Es ist, wie Seiten aus einem Tagebuch zu reißen. Es ist nicht nur ein Leben, das weggeworfen oder aufgeteilt wird, sondern mehrere."

Die Listen, die Cecilie findet, lassen sie in Erinnerungen eintauchen. Und die Geschenke, die auf den Listen aufgeführt sind, stehen quasi als Synonym dafür, wie reich man im Leben beschenkt wird. Und auch Cecilie bekommt durch diese Listen so viel geschenkt - nicht nur die Erinnerungen ihrer Mutter, sondern auch ihre eigenen kommen wieder hoch. Und dadurch schafft sie es, sich auch mit der Krankheit ihrer Mutter zu versöhnen.

"Als könnte sie ihre Sehnsucht berühren", beschreibt sie ihr Gefühl, wenn sie die Listen liest. Sehnsucht nach Wissen, Vergangenem, unwiderruflich verlorenem. Aber eben auch Aussöhnung. Wissen, was man hatte und hat.

Das lässt mich im positiven Sinne fassungslos mit durchnässten Taschentüchern zurück.

"Alle wissen, dass es eines Tages passieren wird. Es ist natürlich, den Tod unserer Eltern zu erleben. Aber wenn es so weit ist, ist es doch ganz anders als das, worauf man sich vorbereitet hat. Es ist eine leere Trauer, man fühlt sich wie ein verlassenes Kind und ist doch erwachsen. Es ist die Wehmut über eine verlorene Zeit, die Reue darüber, was gesagt und nicht gesagt wurde und die Dankbarkeit über alles, was schön war!"

Eine absolute Leseempfehlung!