Ben Aaronovitch lässt es in diesem Band mit Peter Grant mal wieder krachen. Die Handlung ist rasant, man hat seine helle Freude an Nightingales Ungreifbarkeit und Leslies doppeltem Spiel. Überdiues habe ...
Ben Aaronovitch lässt es in diesem Band mit Peter Grant mal wieder krachen. Die Handlung ist rasant, man hat seine helle Freude an Nightingales Ungreifbarkeit und Leslies doppeltem Spiel. Überdiues habe ich mich mit Freuden in den Schlamm der Archäologen unterhalb Londons gegraben und beim Sortieren von Knochen, Speeren und Geistern mitgemischt.
Die Serie holpert mitunter, aber die "Glocke von Whitechapel" trifft den richtigen Ton.
„Und Nietzsche weinte“ ist ein erstaunlicher Roman des amerikanischen Psychoanalytikers Irvin Yalom, in dem die wechselseitige Behandlung Friedrich Nietzsches und Josef Breuers zentrales Handlungselement ...
„Und Nietzsche weinte“ ist ein erstaunlicher Roman des amerikanischen Psychoanalytikers Irvin Yalom, in dem die wechselseitige Behandlung Friedrich Nietzsches und Josef Breuers zentrales Handlungselement ist. Warum erstaunlich? Weil es Yalom gelingt, in ausholenden, lebendigen und tiefgründigen Dialogen zu erzählen, ohne das gesprochen Wort öfter als nötig zu verlassen, um etwa die Umgebung zu beschreiben. Auf diese Weise liefern die Personen scheinbar von sich aus alle Informationen, die sie ausmachen - notfalls ergänzt durch einen inneren Monolog. Selbstredend kann Yalom nicht „den ganzen Nietzsche“ referieren oder „die komplette Geburt der Psychoanalyse“ - sollte er auch besser nicht -, aber dennoch lernt man beides gut kennen. Dabei fühlt man sich keineswegs schulmeisterlich belästigt, sondern stets auf lehrreiche und humorvolle Weise unterhalten. Das Erstaunlichste aber war für mich: Nitzsche und Breuer haben sich wahrscheinlich nie getroffen. Der Roman ist von vorn bis hinten das, was ein Roman sein sollte: gelungene Fiktion. Chapeau!
Mary MacLane war eine außergewöhnlich Frau - halb It-Girl ihrer Zeit, halb Ikone der sexuellen Erweckung in er Vor-Revolutionszeit, halb politische Streiterin der Frauenrechte. Wer rechnen kann, kommt ...
Mary MacLane war eine außergewöhnlich Frau - halb It-Girl ihrer Zeit, halb Ikone der sexuellen Erweckung in er Vor-Revolutionszeit, halb politische Streiterin der Frauenrechte. Wer rechnen kann, kommt jetzt auf 1,5 Hälften und nähert sich damit der Größe ihres Egos, das in ihrem ersten Text „Ich erwarte die Ankunft des Teufels“ aus jedem Absatz platzt: Eine Neunzehnjährige zwischen Pubertät und Erwachsenendasein, zwischen Provinz und Kultur, zwischen Schlaf und Erweckung und mit dem unbedingten Willen zu Ruhm und einem prallen Leben lässt dröhnend alle Emotionen heraus, die sie erfüllen.
Ihr Programm: „Ich bin eine Phantasie – eine Absurdität – ein Genie!“ (S. 154) Ihr Geniebegriff ist dabei von umfassender Gestalt, aber naiv, wie überhaupt der ganze Text ein unermesslich gesteigerter naiver Aufschrei nach dem Beginn des „eigentlichen“ Lebens ist. Dabei ist MacLane weder so außergewöhnlich noch so einzigartig, wie ihr Text tut. Ganz im Gegenteil erscheint es sehr modern, wie eine junge Frau alles will, Ruhm und ein glühendes Leben, ohne dafür viel zu tun. Letztlich wartet sie auf den Teufel, weil sie sich verspricht, von diesem alles geschenkt zu bekommen. Sie verhält sich wie jemand, der wahnsinnig gern Klavier spielen können möchte, aber wegen der Mühen keinesfalls Klavier spielen lernen will. Damit charakterisiert MacLane wunderbar den Moment des Atemholens, ehe sich der Mensch für die Richtung seines Lebens entscheidet, ohne eine Ahnung davon zu haben, was das bedeutet: Richtung, Leben oder Entscheidung. Deshalb ist das Buch auch kein Roman, aber auch keine Darstellung, wie MacLane es will (S. 11, 154, 175 u.ö.), sondern am ehesten ein Bekenntnis.
Obwohl MacLane behauptet, sie „habe keine Botschaft“ (S. 57), steckt ihr Bekenntnis doch voller sowohl drastischer wie subtiler Botschaften und legt das Seelenleben, einer an sich verzweifelnden (oder verzweifeln wollenden?) jungen Frau offen. Sie beobachtet dabei sehr genau das noch nicht ausgebildete Vermögen, sich selbst in den Kontext des Lebens setzen zu könne, das Unvermögen etwa, die Zeit oder die eigene Endlichkeit wahrnehmen zu können: „Neunzehn Jahre fühlen sich an wie eine Ewigkeit, wenn man neunzehn ist.“ (S. 92) Auch dass es der Teufel sein soll, ein „Mann-Teufel“ voll Virilität und ausgemalter Kraft und Herrlichkeit, ist ein Teenietraum. Mittels starker Emphasen und fortwährender Wiederholung sowie reihende Wiederaufnahme desselben Gedankens oder anderer Gedanken in derselben sprachlichen Form gibt MacLane ihrem Text den beschwörenden, starken und die Lektüre enthusiasmierenden Ton, der einen weiterlesen und offenen Mundes staunen lässt über die Frechheit und Unverfrorenheit der Jugend, Denn nur dieser fehlen alle Grenzen, auch die Grenzen des Egos - und das ist auch gut so.
MacLane findet in der inszenierten Übergröße ihres Egos nur megalomanische Vergleiche, sie etwa sei ein „Napoleon, wenngleich in einer weiblichen Version“. (S. 15) Napoleon ist auch öfter der Fixpunkt des Vergleichs, wenn sich MacLane zum Beispiel ihr lustbetontes, erfolgreiches Leben vorstellt, dann ist das pubertär, wie auch Napoleons Ich-Bezogenheit etwas Pubertäres hatte - oder mit Mary MacLane: „… man bekommt den Verdacht, dass Napoleon Bonaparte nur lebte, um Napoleon Bonaparte zu befriedigen.“ (S. 134 f.)
Es stimmt schon, dass die Mary MacLane ihres Ego-Pamphlets nicht immer sympathisch ist. Oftmals wirkt sie vielmehr pubertär, verzogen und immer überheblich. Doch gibt sie viele humorvolle Hinweise darauf, dass es ihr nicht ganz so ernst ist mit ihrer Koketterie. Das Lob auf die MacLane-Leber, der exquisiten Eigenschaften sie hervorheben würden (S. 23), ist ein ironisches Lob pars pro toto. Und auch der Zustand des Jetzt wird in ein iornisches Verhältnis gesetzt: Denn „die Welt ist noch ein reizvoller Ort, solange ich nur mein feines, blutiges Porterhouse-Steak aus Omaha habe.“ (S. 37) Wohlgemerkt: Im Ironischen wird beides gleichzeitig gesagt, die Aussage und ihr Gegenteil, und diese Ambivalenz speist den Text mit einer spannenden Würze, die ihn unwiderstehlich macht.
Ein Wehrmutstropfen mengt sich nicht etwa durch die Übersetzung in die hervorragende Ausgabe des Reclam-Verlages, sondern durch die Übersetzerin Ann Corton. Ihr naseweises Nachwort hat zu viel von Mary MacLane. Wie sich die Übersetzerin in den Vordergrund schiebt, indem sie zum Beispiel ihr „polnisches Gendering“ verordnet, eine unlesbare Buchstabenkombination aus allen für alle Geschlechter notwendigen Buchstaben (S. 186), empfinde ich als übergriffig und unpassend. Auch das zweite Nachwort von Juliane Liebert liefert nur flachen Kontext und kaum biographische Informationen, die über den hervorragenden Anmerkungsapparat hinausgehen.
Bis Seite 183 ein außergewöhnlicher, mitreißender Text voll Aktualität, Emotion und Anregung!
In Abbas Khiders Büchern gibt es zwei unverwechselbare Besonderheiten: Das ist zum einen die Innensicht in einen Menschen, der Diktatur, Haft und Folter erlebt und überlebt hat. Und das ist zum anderen ...
In Abbas Khiders Büchern gibt es zwei unverwechselbare Besonderheiten: Das ist zum einen die Innensicht in einen Menschen, der Diktatur, Haft und Folter erlebt und überlebt hat. Und das ist zum anderen eine ganz besonderes Deutsch, das in seiner ungekünstelten Direktheit, dem schnörkellos Einfachen die orientalische Lust am Erzählen locker rüberbringt.
„Der Palast der Miserablen“ erzählt das Leben von Shams und seiner Schwester Qamer in einem Familienroman. Die Handlung begleitet die Familie aus der südirakischen Provinz in das elende Blechviertel Bagdads und Shams Weg vom Jungen zum Mann. Gegliedert sind die Kapitel durch den Blick in die Zelle, in der Shams sitzt und zurückblickt.
Überzeugend ist die Erzählperspektive „von unten“ und „von innen“. Die Auswirkungen der großen Politik, der Diktatur, der Irak-Kriege und des Embargos werden wirksam in Shams‘ Familie: Fernab des Geschehens und ohne es begreifen zu können leidet die Familie unter den Militärdiensten der Männer, den Verstümmelungen und Soldatentode. Raketen schlagen in dem Dorf ein, in dem Shams zur Welt kam, aber dass es gegen Kuweit geht und welchen Verlauf der Krieg nimmt, das ist so fern wie die Märchengeschichten des Großvaters, die aber mehr orientalische Weisheit und Wahrheit enthalten als die engherzigen, rationalen Haltungen der Entscheidungsträger im Dorf. Der Umzug in den Bagdader Slum, ins Blechviertel zeigt die liebevollen Bemühungen der Familie um Normalität, um ein trautes Heim. Diese Bemühungen werden durch gestaltlose Gefahren und gefährliche Gestalten bedroht: durch Armut und Krankheit sowie durch Banditen und den Geheimdienst.
Was wissen wir über die Irakkriege und wie bewerten wir es? Dass Saddam Hussein ein Diktator war, sein Regime korrupt und seine Söhne keine Menschenfreunde, ist bekannt. Aber haben wir beim Eingreifend der Amerikaner im ersten Golfkrieg an die Auswirkung des Bombardements auf die Familien im Südirak nachgedacht? Haben wir das 13-jährige Embargo gegen den Irak nicht eigentlich gut gefunden, weil es den Aggressor kleinhielt? Dass zwischen 1991 und 1996 hunderttausende Kinder im Irak verhungerten und sich die Lage erst durch das „Öl-gegen-Lebensmittel-Programm“ etwas verbesserte, ist heute kaum allgemeiner Wissensstand, auch wenn man es problemlos googeln kann. In Khiders Roman wird der abstrakte Hinweis auf die „notleidende Zivilbevölkerung“ beklemmend lebendig und erhalten Gesichter: die von Hussein und Zahrra, Qamer und Shams.
Der Text enthält sich Vorwürfen, bleibt gelassen und konzentriert sich auf ein anders Ziel: Shams innerer Weg und beschrittener äußerer Pfad heraus aus dem Elend - nicht dem materiellen, wohlgemerkt, sondern dem seelischen und dem intellektuellen. Literatur und lesen öffnen Shams - und seinem Autor - die Pforten in das irdische Paradies und ermöglichen ihm, sich befruchten zu lassen, auszutauschen und auszudrücken. Die Bagdader Kapitel sind eine Liebeserklärung an das Lesen und kontrastierenden seine wohltuende Wirkung mit dem erstarkenden Druck von Armut und staatlicher Repression. „Wir lachten wesentlich mehr als früher, vermutlich, weil wir sonst die ganze Zeit geweint hätten.“ (S. 252).
Khiders einfacher Tonfall verrät noch immer die angenommene Sprache. Seine Muttersprache ist Arabisch, seine Literatursprache ist Deutsch. In einem Interview äußerte er einmal, dass vom Schrecken auf Arabisch zu erzählen, für ihn zu schwer wäre. Auf Deutsch aber sei ihm die Möglichkeit gegeben. Das tut der Wahrheit seiner Geschichte keinen Abbruch, auch nicht der Glaubwürdigkeit seiner Dialoge oder dem Humor der vielen Einfälle. Im Gegenteil.
Das Erzählte zeichnet sich durch eine teilnehmende Beobachtung aus, in der eine Sanftheit und Menschlichkeit mitschwingt, die einer charakterlichen Grundhaltung des Autors entspringen dürfte. Die Lehre aus dem Erlebten lautet wie der Grundsatz für den Historiker: Erzählt „ohne Zorn und Eifer“. Bleibt anständig und sanftmütig und lest mehr Bücher.
Der Berliner Autor Franz Hessel, ins Exil getrieben von den Nazis, hat der Welt neben diesem Kleinod weitere verschollene Texte hinterlassen – und einen mächtigen Sohn, nämlich Stephane Hessel, dessen ...
Der Berliner Autor Franz Hessel, ins Exil getrieben von den Nazis, hat der Welt neben diesem Kleinod weitere verschollene Texte hinterlassen – und einen mächtigen Sohn, nämlich Stephane Hessel, dessen Essay „Empört Euch!“ 2010 nicht nur Frankreich aufgerüttelt hat. 93 Jahre alt war dieser Urgroßvater Gretas zu diesem Zeitpunkt, ein Wanderer zwischen den Welten und darin sowohl seinem Vater als auch diesem Roman ähnlich.
„Heimliches Berlin“ spielt in der Weimarer Zeit in Berlin, zugleich in den Boudoirs der verarmten Aristokraten wie in den Ateliers der Künstler und den Cafés der Bohème.
Wendelin von Domrau ist jung, sieht gut aus und ist auf dem Sprung aus Berlin, weil die Mutter ihn ruft – oder eben nicht. Der Roman begleitet die Protagonisten 24 Stunden lang durch Berlin, verweilt nirgends lange, dient sich keiner Figur vollständig an und ist – in einer modernen, leichten Sprache – ganz und gar in Bewegung und stets „dazwischen“.
Ich lese den Text und die Figuren als Repräsentanten einer Zeit, „dazwischen“, in der sich der Adle noch nicht ganz von seiner Bedeutung verabschiedet, die Wissenschaft aber noch nicht angekommen ist; in der sich Eheleute zueinander bekennen, aber dennoch Gefühle dazwischen zulassen; in denen sich der Jüngling nicht festlegen will und flatternd von einem Zustand in den nächsten gerät, andere bestäubend oder von ihnen bestäubt werdend. Das ist ein schönes, lebendiges Bild eines Berlins der „Goldenen 20er“ ohne die verruchten Skandale, die man damit auch verbindet, mithin also ein realistischerer Text, der gleichwohl in seinen dreizehn Episoden Exemplarisches literarisch ummünzt.
So kurz der Roman (die Novelle?), so anregend ist sie.