„Nicht alle Häuser träumen.“ Two Oaks aber träumt, weil es selbst als Traum eines Ölmillionärs erbaut wurde und mehrere Generationen hier die Dramen ihres Daseins erlebt haben. Zwei Frauen vor allem inspirieren ...
„Nicht alle Häuser träumen.“ Two Oaks aber träumt, weil es selbst als Traum eines Ölmillionärs erbaut wurde und mehrere Generationen hier die Dramen ihres Daseins erlebt haben. Zwei Frauen vor allem inspirieren Two Oaks zum Träumen: June, die Nichte des Millionärs, und Cassie, deren Enkelin. An zwei besonderen Momenten im Leben der beiden Frauen nimmt der Leser Anteil: Als Hollywood in den kleinen Ort in Ohio kommt und mit ihm der Urknall der Liebe zwischen dem Filmstar Jack Montgomery und June und als Cassie überraschend zur Erbin von Jacks Millionen wird. Zwischen diesen Momenten liegen sechzig Jahre, in denen viel passiert: June heiratet Cassies Großvater, sie bekommen einen Sohn, Cassies Vater, der allerdings bei einem Unfall mit der Familie sich und seine Frau umbringt - und Jack Montgomery hat mehrere Ehen, zwei Töchter und eine Hollywoodleben.
Beide Frauen sind umringt von wichtigen Personen ihres Lebens: June wird von ihrer jüngeren Freundin Lindie verehrt, von der schwarzen Haushälterin Apatha still geliebt und von der Mutter Cheryl Ann in die arrangierte Hochzeit mit dem wohlhabenden Artie gedrängt. In der Woche vor der Hochzeit bricht Hollywood mit seinem Filmteam und den Stars über das Städtchen herein, von denen Jack Montgomery der berühmteste ist. der Frauenschwarm und June kommen sich näher … aber wie nahe? So nahe, dass sechzig Jahre später die fünfundzwanzigjährige Cassie zu Recht Jacks Millionen erbt, weil sie seine Enkelin ist?
Vor allem Jacks Tochter Tate, selbst ein Hollywoodstar, kann das nicht glauben, und zieht bei Cassie in Two Oaks ein, ihr kalifornisches Assistententeam im Gefolge: der schöne Nick und die blonde Hank. Cassie ist selbst in einer Lebenskrise und fühlt sich ähnlich heruntergekommen wie Two Oaks, weshalb sie mit dem möglichen Erbe eines unvermuteten möglichen Großvaters und vor allem mit den Enthüllungen über das Leben ihrer geliebten Großmutter nicht klar kommt, von er sie zeit Lebens ein ganz anderes Bild hatte, als die Ereignisse vermuten lassen.
Das Ende wartet mit einigen Überraschungen auf, verblüfft jedoch nicht, denn zu klischeehaft sind die Muster, denen Personenkonzepte und Handlung folgen. Die Zeichnung Junes als selbstbewusste Vertreterin ihrer Generation mit Opferwillen und Prinzipien ist gelungen, die Cassies als ziellose moderne Frau zwischen Allem und Nichts hingegen nicht. Die Personifizierung des Hauses Two Oaks wird überstrapaziert: Was am Anfang wie eine charmante Allegorie wirkte, entwickelt sich zu einer manierierten fixen Idee, die bei manchen vielleicht sogar ankommt. Der in der Ankündigung des Romans versprochene plötzliche Todesfall geschieht auf S. 487 und ist ein symptomatisches Indiz für das Lesegefühl: Man wird die ganze Zeit hingehalten, die Handlung wird verzögert, die Ereignisse gehemmt. Alles entwickelt sich im gewünschten Drama der Intrigen und Eifersüchteleien viel zu spät. Dabei ist der Erzählton gefällig, das Warten ist nicht über die Maßen langweilig, aber unter dem Strich eher etwas für Verzögerungsgenießer.
Julia Phillips hat sich in ihrem Debütroman viel vorgenommen, wie sie im Interview mit ihrem Verlag verrät. Nicht nur will sie „das Spektrum von Gewalt in den Leben von Frauen zu untersuchen“ (S. VI), ...
Julia Phillips hat sich in ihrem Debütroman viel vorgenommen, wie sie im Interview mit ihrem Verlag verrät. Nicht nur will sie „das Spektrum von Gewalt in den Leben von Frauen zu untersuchen“ (S. VI), sondern auch das Verständnis ihrer Leser darüber weiterentwickeln, dass die Vereinigten Staaten von heute auch ein Produkt der Systemauseinandersetzung „mit und in Abgrenzung zur Sowjetunion“ sei (S. VI f.), wozu ihre Roman auf der Folie der postsowjetischen Region Kamtschatka angesiedelt ist. Frauen und Politik sind zwei der drei Pole dieses Romans, dessen Anliegen nichts geringeres sein solle, als eine „Gelegenheit, die größeren Zusammenhänge unserer Welt zu verstehen“. (S. V) Es haben sich schon bessere Autoren mit weniger Aufgaben beladen – und verhoben.
Phillips setzt ihre Ideen nun in einer Geschichte um, deren Auswahl das Grundproblem ihres Romans konstituieren und ihrer eigentlichen Idee im Weg stehen: In ihrer Begeisterung für „Märchen über Mädchen in Gefahr“ (S. V) konstruiert sie als Dreh- und Angelpunkt ihres aus 14 Kapiteln bestehenden Episodenromans eine Kriminalhandlung über das Verschwinden der beiden Mädchen Aljona und Sofija. Als dritten Pol der Erzählung gehrt es Phillips darum zu „verstehen, wer, abgesehen von dem engen Kreis aus Opfer, Täter und Ermittler, eine Rolle dabei spielt (…) und wer noch davon betroffen ist.“ (S. V)
Das ist klug gedacht, denn mit diesem Ansatz kann es gelingen, sich einem Kriminalfalls aus vielen Richtungen zu nähern und Spannung aus den unterschiedlichen Wissensständen der mit dem Fall zusammenhängenden Menschen zu erzeugen. Alle Personen haben auch mit den Mädchen zu tun, aber meist eher mittel- als unmittelbar. Wenn man bei der Lektüre auf Seite 268 nach kapitelweisen Exkursionen wieder einmal auf die beiden Mädchen gestoßen wird, die so lange nicht Thema gewesen sind, dann wird klar, dass die Kriminalhandlung eine falsche Autorenentscheidung gewesen ist. Sie lenkt die Leseerwartung zu sehr auf eine spannende Geschichte (verschärft durch die Verlagsentscheidung, auf dem Buchrücken irreführende Zitate über einen „literarischen Thriller“ oder ein „Meisterwerk (…) fiebernd, atemlos“ abzudrucken). Aber spannend ist „Das Verschwinden der Erde“ nun gerade nicht.
Den beiden Mädchen werden das erste und das letzte Kapitel gewidmet, die anderen zwölf ebenso vielen Frauen aus dem Umfeld der Handlung. Umfeld? Ja – zum Beispiel geht es um die Gattin des ermittelnden Polizisten oder die Patientin einer Tante eines anderen verschwundenen Mädchens. Gäbe es jetzt diese Kriminalhandlung nicht, wären die gesellschaftskritischen Ambitionen des Textes weniger verschüttet. Man erfährt so einiges über die Stellung der Frau im Sowjetreich und in der Umbruchszeit danach; über die Doppelgesichtigkeit der Ehemänner in nüchternem oder betrunkenem Zustand – und überhaupt über den grassierenden Alkoholabusus aller Russen und Ureinwohner; und natürlich so manches über die Spannungen zwischen den Ureinwohnern Kamtschatkas und den als imperialistische Eroberer zugewanderten „Weißen“, den Russen – aber nicht so viel, wie mich interessiert hätte. Rassismus in der Sowjetrepublik ist meines Erachtens ein noch unterbelichtetes Thema, immerhin heißt es doch im Artikel 123 (Kapitel X) der Verfassung der UdSSR, die mir gerade zufällig (wirklich!) vorliegt: „Die Gleichberechtigung der Bürger der UdSSR auf sämtlichen Gebieten des wirtschaftlichen, staatlichen, kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Lebens, unabhängig von ihrer Nationalität und Rasse, ist unverbrüchliches Gesetz.“ War das je glaubhaft? Oder hat sich da etwas geändert seit Ende des kalten Krieges, was ja durchaus sein kann? Dazu hätte ich gern mehr gewusst als die Gegenüberstellung von Folklore (Tanztruppe, ewenische Sprache) und „weißen Polizisten“.
Die Gestaltung der Episoden stellt stets eine neue Figur vor, und zwar mit Vorgeschichte, inneren Wünschen und Enttäuschungen, Wendepunkten des Lebens und (manchmal) Beziehung zu den verschwundenen Mädchen. Was in einem französischen Episodenfilm funktioniert, weil man nämlich die Personen, die eine Szene betreten, sofort an den Gesichtern wiedererkennen kann, funktioniert im Roman nicht, wenn nicht explizit erläutert wird, das übrigens diese Polizistin da schon vier Kapitel vorher gemeinsam mit irgendeiner Mutter irgendeiner Cousine Whisky und Wodka getrunken hat. Sich immer wieder an eine neue Figur gewöhnen zu müssen, strengt an. Warum musste das sein? Um möglichst viele Facetten der eingangs geschilderten Ansprüche der Autorin ansprechen zu können. Ist das gelungen? Nein.
Warum nicht? Zum einen kann man „die größeren Zusammenhänge unserer Welt“ (S. V) nicht erklären, wenn man die Hälfte der Menschheit weglässt, die Männer zum Beispiel. Außerdem ist es eine weitere fehlerhafte Autorenentscheidung, so viele Akademiker auftreten zu lassen: Die Zahl der Studentinnen, Forscherinnen, Mitarbeiter einer Geologischen Forschungsstation, Journalisten ist derartig groß, dass man sich fragt, wo eigentlich die ganzen weniger Gebildeten abgeblieben sind – gerade in der für ihre Universitätsdichte nicht gerade bekannten, unzugänglichen Polarhalbinsel Kamtschatka. Hier schlägt sich Phillips‘ Rechercheumfeld nieder, denn die Autorin hat ein Studienjahr in Petropawlowsk zugebracht. Aber mir fehlt noch viel mehr der Einblick in die schlimmen Verhältnisse der verrenteten Werktätigen, deren pure Existenz jeden tag bedroht ist. Hierzu muss man wahrscheinlich besser eine russische Autorin lesen.
Dennoch hat der Roman seine Stärken, wenn sie auch nicht in der Grundkonstruktion oder der ausgewählten Kiminalhandlung liegen.
Phillips erzählt ihre Episoden gut. Ihr gelingt es, zwölf Frauenbiographien kurzgeschichtenartig aufleben zu lassen, deren spezifischen Probleme zu schildern. Zwar scherte mich der innere Zusammenhang zur Kernhandlung nicht mehr, aber es gelang mir dennoch, Allgemeingültiges aus den Kapiteln zu ziehen (mit der Einschränkung des vorvergangenen Absatzes). Vor allem deutlich geworden ist eine melancholische Grundstimmung auf Kamtschatka, die erstens die Ureinwohner betrifft, die einem diffusen und wahrscheinlich sehr nachvollziehbaren Verlustgefühl anhängen, was ihre Kultur und Stellung in Russland betrifft. Zweitens ein ähnlich geartetes Verlustgefühl, das sich nach dem Zusammenbruch der sowjetischen Ordnung eingestellt hat und alle jene befallen hat, denen es in der „guten alten Zeit“ besser gegangen ist.
Und schließlich drittens – aber das dauert bis zum Kapitel, in dem sich die Mütter der verschwundenen Mädchen endlich treffen und ihre Episode bekommen – wird der ganze Abgrund aufgerissen, der sich auftut, wenn Kinder vermisst werden, zumal die eigenen.
Dreimal stellt sich Phantomschmerz über eine verschwundene Welt ein, die angesichts der Naturschilderungen des Werkes zurecht mit der verschwindenden Erde gleichgesetzt – wird einer „Disappearing Earth“ (Originaltitel).
Leider hat man nur eine Gelegenheit zu einem ersten Eindruck, aber mich würde es nicht wundern, wenn der Roman trotz seiner völlig überladenen Anliegen besser funktioniert hätte, wäre mir nicht ein „Thriller“ angekündigt worden, sondern ein die Gesellschaft des postkommunistischen Kamtschatkas beschreibender Episodenroman.
Dave Eggers ist ein politischer Autor, der seinen seismographischen Finger auf Entwicklungen unserer postmodernen Welt legt. Sowohl der moralische Verfall der viel gerühmten amerikanischen Gesellschaft ...
Dave Eggers ist ein politischer Autor, der seinen seismographischen Finger auf Entwicklungen unserer postmodernen Welt legt. Sowohl der moralische Verfall der viel gerühmten amerikanischen Gesellschaft im Angesicht des Hurrikans Catrina in „Zeitoun“ als auch die Folgen der allesfressenden digitalen Welt der (a)sozialen Medien in „Der Circle“ waren engagierte Romane aus aktuellem Anlass und über die Gegenwart hinausweisendem literarischen Wert. „Der größte Kapitän der aller Zeiten“ ist dies nicht.
Dave Eggers ist ganz offensichtlich entnervt und erschüttert über die Wahl Donald Trumps zum us-amerikanischen Präsidenten und von dessen Amtsführung. „Der Kapitän“ ist kein Schlüsselroman, sondern nennt sich zurecht eine Satire, die den notorischen Lügner Trump in vollkommen unverstellter Pose als Kapitän des Schiffes „Glory“ aufs Korn nimmt. Er stellt sich vor allem die Frage, welche innere Haltung dazu führte, dass dieser menschenfeindliche Fantast Kapitän/Präsident werden konnte und welche Sorte Mensch ihm dient und folgt. In der ersten Hälfte breitet Eggers das ganze Versagen Trumps auf der Kommandobrücke aus, um dann in eine drastische, grobe – ja: plumpe Warnung vor dem Abgleiten in antidemokratische und faschistoide Zustände abzugleiten. Die feindliche Übernahme durch fremde Schiffe/Mächte gehört hier ebenfalls zu den aus den folgenlosen Untersuchungsberichten abgeleiteten Satiremerkmalen.
Eggers nimmt sich viel Zeit, die persönliche Erbärmlichkeit des Kapitäns darzustellen, der die Portraits seiner Vorgänger (u.a. des „Admirals“, der offensichtlich aus Obama und John McCain zusammengesetzt ist) verunstaltet und schmäht oder drastische sexuelle Gelüste nach seiner Tochter hat. Hier offenbart der Autor, mit wie viel innerem Zorn und Ingrimm er erfüllt ist – und sich in der Leidenschaft der Verachtung dazu hinreißen lässt, seine Satire nicht elegant mit Stilett auszugestalten, sondern pump mit dem Holzhammer.
Das führt dazu, dass die Lektüre sicherlich nur die erreicht, die Trump eh schon grauenhaft fanden, aber in keinem Zweifler den letzten Schritt zum Urteil herbeiführen wird. Schade.
Im Übrigen ist es bemerkenswert, dass sowohl Eggers als auch schon 90 Jahre vor ihm Sinclair Lewis in „Das ist bei uns nicht möglich“ eine populistisch beginnende Präsidentschaft in Faschismus enden lassen. Die Warnung schadet nicht.
Das kennt jeder: Man sitzt im Zug, möchte in Ruhe lesen, aber das Gegenüber verwickelt einen in ein Gespräch und erzählt einem die ganze Lebensgeschichte. Ungefragt. Kaum ist der Störenfried ausgestiegen, ...
Das kennt jeder: Man sitzt im Zug, möchte in Ruhe lesen, aber das Gegenüber verwickelt einen in ein Gespräch und erzählt einem die ganze Lebensgeschichte. Ungefragt. Kaum ist der Störenfried ausgestiegen, kommt der nächste und drängt einem erneut seine Lebensgeschichte auf. Es gibt Tage, da ist das in Ordnung; es gibt aber auch welche, da möchte ich am liebsten unhöflich sein: "Interessiert mich nicht."
Mit Hartischwilis Roman ging es mir genauso. Ich mochte die Geschichte, weil sie sich nach einem Racheplot anhörte, der ausgefallen wirkte, zudem vor dem Tschetschenienkrieg, also einem brisanten Thema einschließlich kaukasischem Völkergemisch. Und dann drängt uns die Autorin ständig die Lebensgeschichten ihrer Nebenfiguren auf, verliert sich in der Verzweigungen der Vergangenheit und verlässt immer wieder ihren eigenen Erzählfluss.
Alexandre Yersin verdanken wir die Entdeckung des Pesterregers, er heißt sogar nach ihm „Yersinia pestis“. Alexandre wer? Genau! Yersin gehört zu den unbekannten großen Entdeckern der Medizin, den an eine ...
Alexandre Yersin verdanken wir die Entdeckung des Pesterregers, er heißt sogar nach ihm „Yersinia pestis“. Alexandre wer? Genau! Yersin gehört zu den unbekannten großen Entdeckern der Medizin, den an eine breitere Öffentlichkeit zu bringen, auf einen von der Sonne beschienenen Sockel das erklärte Ziel dieses Romans von Patrick Deville ist. Das hat schon einen fast politischen Impetus, zu dem sich überdies ein historischer Antagonismus gesellt, der sich ganz unpassend im Buch wiederfindet, nämlich der zwischen Louis Pasteur und Robert Koch bzw. deren jeweiligen Schülern und Trabanten. Deville scheint sich bemüßigt zu fühlen, gegen Koch und für Pasteur immer wieder Stellung zu nehmen.
„Pest & Cholera“ ist ein biographischer Roman, der im Präsens geschrieben ist und das Leben des Entdeckers Yersin verfolgt. Es geschieht alles in „Jetztzeit“, wird aber aus der Distanz des Beobachters, fast schon des Biographen geschrieben, was dem Buch etwas Dokumentarisches gibt. Die schlechteren Bücher von Alex Capus sind auch so geschrieben. Die ständigen Wiederholungen hätten dem Lektorat nicht entgehen dürfen (Joseph Meister ist der erste Mensch, der von der Tollwut geheilt wurde ...).
Im großen und ganzen ist der Roman eigentlich misslungen. Er ist vor allem langweilig. Warum? Da könnte ich kalauern:
Ein Schweizer als Held - noch Fragen?
Aber das ist es nicht. Yersin war ein Allrounder, ein Autodidakt, der zunächst auch buchstäblicher Entdecker war, etwa der vietnamesischen Hochebene, die er als Erster durchwandert und kartographiert hat. Das ist schon ein etwas bemühter Superlativ; ich beispielsweise habe keinen Verlust gespürt, dass ich von der vietnamesischen Hochebene zuvor nichts geahnt habe. Deren Vermessung lässt mich vergleichsweise kalt. Das ganze erste Drittel des Buches widmet sich der Zeit vor der Pest und ist langweilig.
Dann setzt sich Yersin in Hongkong an sein Zeiss-Mikroskop und entdeckt den Pesterreger, während sein japanischer Kontrahent, ein Koch-Schüler, völlig daneben liegt. Yersins Beitrag zur Medizingeschichte ist bedeutend – aber: Erstens hat damals jeder Pasteurschüler durch irgendein Mikroskop gelinst und nach Erregern gesucht, das ist nicht gerade originell oder das Ei des Kolumbus. Zweitens hat Paul-Louis Simond den Übertragungsweg entdeckt, die Behandlung ist erst mit Paul Ehrlich und Alexander Fleming gelungen. Yersin ist also eigentlich nur eine Viertelsensation.
Eigentlich berichtet Deville wehmütig von einer Zeit der großen Entdeckungen, die deshalb spannender war, weil eine Welt nach den Entdeckungen weniger Geheimnisse und deshalb weniger Helden besitzt. Das ist deshalb absurd, weil ja die Entdeckung als solche das Thema des Romans ist, ein sentimentaler Tonfall hat hier nichts zu suchen (S. 90).
Ich war enttäuscht und lese lieber einen dokumentarischen Roman über Pasteur oder Koch, nicht über einen Epigonen der beiden.