Ein neuer Lieblingsautor?
Ihr sitzt im Café, genießt gerade eure Pause. Plötzlich setzt sich ein Mann neben euch, den ihr nicht kennt. Er erzählt euch von einem zweijährigen Kind, das vor über 20 Jahren in einem anderen Land verschwunden ...
Ihr sitzt im Café, genießt gerade eure Pause. Plötzlich setzt sich ein Mann neben euch, den ihr nicht kennt. Er erzählt euch von einem zweijährigen Kind, das vor über 20 Jahren in einem anderen Land verschwunden ist. Er zeigt euch Bilder. Als ihr ihm sagt, dass ihr das bedauert, aber nicht helfen könnt und fragt, was das überhaupt mit euch zu tun hat, behauptet er plötzlich, dass ihr das verschwundene Kind seid.
Heftig oder? Genauso passiert es der Hauptfigur Kim in "Das andere Mädchen". Das alles wäre vielleicht auch noch gar nicht so schlimm, aber Kim hat ein ungutes Bauchgefühl. Es gibt keine Babyfotos von ihr. Ihr Stiefvater reagiert sehr sonderbar, als Kim ihm von der Begegnung erzählt. Ihre Mutter ist gestorben. Kim kann sie nicht mehr fragen. Ist vielleicht doch etwas an der Geschichte dran? Ist ihre Mutter eine Entführerin gewesen? Ist sie bei der falschen Familie aufgewachsen?
Für mich wäre das eine psychisch total an die Nieren gehende Situation, die ich mir nicht weiter ausmalen möchte. Kim muss nun verständlicherweise aber für sich unbedingt die Wahrheit herausfinden und reist von Australien in die USA, um den Spuren des verschwundenen Mädchens zu folgen.
Neben den Kapiteln in der Gegenwart, die in Melbourne beginnen und aus Kims Sicht geschrieben wurden, führt uns der Autor Christian White in die Vergangenheit der US-Kleinstadt Manson. Man begleitet dort durch einen neutralen Erzählstil die Familie Went, deren kleine Tochter Sammy verschwinden wird, und einige andere Einwohner, die etwas mit dem Verschwinden zu tun gehabt haben könnten.
Das Stilmittel der wechselnden Zeitebenen und Perspektiven ist nicht neu, gefiel mir aber auch hier wieder richtig gut, um den Geschehnissen auf die Spur zu kommen. Toll gesetzte Cliffhanger ließen mich immer mindestens ein bis zwei Kapitel mehr lesen, als meine Müdigkeit eigentlich vertragen hätte.
Das Besondere an Manson sind die Pfingstkirchler der "Church of the Light within", auch Fundis genannt. Das ist eine religiöse Gemeinschaft, die sektenartig agiert und zum Beispiel mit Schlangen (und ihren Bissen) arbeitet, um herauszufinden, wer von Gott gesegnet ist. Ziemlich verrücktes Zeug sag ich euch! Viele der Einwohner sind Anhänger dieser Kirche, unter anderem auch Sammys Mutter. Einige der Einwohner, die nicht zu den Fundis gehören. verdächtigen die Kirche, etwas mit dem Verschwinden der kleinen Sammy zu tun zu haben. Spannend!
Ich kann euch sagen, dass mich der Autor immer wieder überraschen und auf falsche Fährten führen konnte, ob es nun Sammys Verschwinden oder aber auch einzelne Figuren und ihre Beziehungen betraf. Den meisten Figuren war einfach nicht, bzw. alles zu (-zu)trauen. Sie waren aber trotzdem (oder gerade deswegen) unheimlich interessant.
Das Finale stand dem restlichen Buch in nichts nach. Schöne Twists, spannende, actionreiche Szenen, logische Auflösung… hach, so mag ich das! Ein tolles Debüt, was durch eine religiöse Vereinigung, Geheimnisse und atmosphärischer Schreibweise durchaus überzeugte. Christian White bleibt mir nach diesem Debüt auf jeden Fall im Gedächtnis und ich bin gespannt, wann ein neues Buch von ihm erscheinen wird. „Das andere Mädchen“ ist mein Highlight im Mai!