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Veröffentlicht am 31.07.2020

Belfast Child

Alter Hund, neue Tricks
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Der „katholische Bulle“ Sean Duffy schiebt 1992 eine ruhige Kugel. Er lebt als Familienvater im (vergleichsweise) ruhigen Schottland. Die „Troubles“ in Belfast scheinen Geschichte zu sein, die IRA ist ...


Der „katholische Bulle“ Sean Duffy schiebt 1992 eine ruhige Kugel. Er lebt als Familienvater im (vergleichsweise) ruhigen Schottland. Die „Troubles“ in Belfast scheinen Geschichte zu sein, die IRA ist zwar groß im Kino, aber in der Realität weniger präsent auf den Straßen, da viele Mitglieder ins Exil gegangen sind.
Sean arbeitet nur wenige Tage im Monat beim Carrickfergus CID. Das ruhige Leben hat ein Ende, als ein Landschaftsmaler bei einem Autodiebstahl stirbt. Duffy und sein sidekick Crabbie sind wieder gefragt: Ihre Ermittlungen ergeben, dass der Beruf des Landschaftsmalers das wahre Wesen der Agitation des Toten verschleiern sollte – eine heiße Spur führt ins „Mutterland“ Irland, die IRA existiert noch…
Ich liebe die Reihe rund um den Ermittler Sean Duffy. Der Roman „Alter Hund, neue Tricks“ bietet beste Unterhaltung, der Protagonist ist kein Hitzkopf mehr und gehört trotzdem nicht zum alten Eisen. Ich mochte auch die popkulturellen Bezüge sehr gern, ich kann mich noch gut an die Schwemme der „IRA – Blockbuster (mit Brad Pitt oder Harrison Ford in den Hauptrollen)“ im Hollywood der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts erinnern. Wie in manchen Filmen hat der amerikanische Geheimdienst auch in „Alter Hund, neue Tricks“ seine Finger im Spiel, was für Spannung sorgt.
Vom eigentlichen Handlungsverlauf will ich an dieser Stelle nichts verraten, um nicht zu spoilern. Die Lektüre lohnt sich aber nicht nur für Fans. En passant bekommt man auch Einblick in die anglo-irische Zeitgeschichte. Der Krimi bietet also nicht nur schnöde Unterhaltung, und die trockene Art des „katholischen Bullen“, der als Ich-Erzähler durch das Geschehen führt, ist einfach klasse:

„Als Teilzeitinspector, der dienstfrei hatte, war es wohl meine Pflicht, nachzuschauen, ob ich helfen könnte, oder nicht?Scheiß drauf.Ich bestellte mir noch ein Pint Guinness und kehrte an meinen Platz zurück. Ich las die Gedichte von Ciaran Carson, die ich gekauft hatte, und einen neuen Versband von Paul Muldoon. Eine angenehme Art, eine Stunde zu verbringen: Guinness trinken, während sich die Polizisten und Randalierer draußen gegenseitig bewarfen.Als ich mein Bier ausgetrunken hatte und die Crown Bar verließ, war es unheilvoll still draußen.“
Adrian McKinty gelingt es, mit sprachlichen Mitteln eine ganz bestimmte Atmosphäre zu evozieren; daher hebt sich „Alter Hund, neue Tricks“ angenehm von der Krimi – Massenware, die momentan auf den Markt geworfen wird, ab.
Fazit: „Alter Hund, neue Tricks“ ist der mittlerweile achte Band rund um Sean Duffy, auch sein Kollege Crabbie ist wieder mit von der Partie. Ein Thriller ganz nach meinem Geschmack! Gerne spreche ich eine Leseempfehlung
aus.

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Veröffentlicht am 26.06.2020

Binge - Watching in Buchform

Daisy Jones and The Six
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„Daisy Jones and The Six“ ist die Geschichte über den Aufstieg einer fiktiven Rockband im Amerika der Seventies.
Anfangs war ich von der Erzählung etwas genervt, da ich irgendwie ein Déjà-Vu hatte. Manches ...

„Daisy Jones and The Six“ ist die Geschichte über den Aufstieg einer fiktiven Rockband im Amerika der Seventies.
Anfangs war ich von der Erzählung etwas genervt, da ich irgendwie ein Déjà-Vu hatte. Manches war mir auch fast zu dick aufgetragen: „Ich meine, Daisy ist erschreckend talentiert. Sodass man einen Schrecken bekommt, wenn man sich in ihrer Nähe aufhält. In der Nähe ihres Talents. […]“
Der Roman liest sich, als würde man ein Biopic oder eine Band – Doku auf Netflix gucken, der Interviewstil ist naturgemäß sehr dialoglastig, die wechselnden Perspektiven fand ich aber interessant und man liest sich schnell „fest“, es ist unglaublich unterhaltsam. Seit Erfindung der Oral History in der Geschichtswissenschaft ist dieser Stil allerdings bekannt. Die Autorin zeigt, dass Erinnerungen trügerisch sein können. Von Anfang an fand ich die story packend, es geht Schlag auf Schlag, im Zentrum steht das „Naturtalent“ Daisy Jones, eine Frau in der Männerdomäne Glam/Folk/Rockmusik. Als Groupie steigt sie ins Musikbusiness ein, das arme, reiche Mädchen ist den Eltern egal, gibt vor, älter zu sein, als es ist, verliert seine Jungfräulichkeit an einen alten Rocker, der das nicht zu schätzen weiß und auch noch seine Lyrics stiehlt. Aber Daisy Jones, das wunderschöne, barfüßige Mädchen mit „Creolen“ (die Charakterisierung fand ich zu Beginn recht klischeehaft) will mehr- sie will eine Sängerin sein, die ihre selbstkomponierten Lieder singt:
„Ich hatte absolut kein Interesse daran, jemandes Muse zu sein. Ich bin nicht die Muse. Ich bin der Jemand.“
Schließlich wird sie ein Teil der Band „The Six (Ex - Dunne Brothers)“. Die Band prägt eine ganze Dekade, bis es Ende der 1970er Jahre zum Bruch kommt. Drogen und die Folgen des exzessiven Konsums spielen auch eine Rolle; ich frage mich aber, ob nicht durch solche Romane Drogen in gewisser Weise glorifiziert werden? Die Figuren im Roman sind aber richtig gut charakterisiert, ich hatte sie förmlich vor Augen, man trifft neben der Band – Entourage auch auf Daisys beste Freundin, Simone. Oft gelingt es der Autorin, starke, selbstbestimmte Frauen mit unterschiedlichen, aber durchaus gleichwertigen Lebensentwürfen zu zeigen. Die Hausfrau ist nicht weniger wert als die Frontfrau. Wenn man die Memoiren der real existierenden Groupies/Stars Bebe Buell und Pamela des Barres („I’m with the Band“ ) gelesen hat oder auch „Girl in a Band“ von Kim Gordon oder „Just Kids“ von Patti Smith, wirkt „Daisy Jones and the Six“ anfangs wie eine clevere Fiktionalisierung von Erfahrungen realer Rockmusiker. Die Erzählung ist meines Erachtens aber nicht vorhersehbar. Sie ist lustig, tragisch und romantisch. Entwicklungen werden im Verlauf der Geschichte subtiler als zu Beginn beschrieben.
Die plot twists mochte ich sehr! Der Stil macht den Roman zu etwas Besonderem, ich habe mich an keiner Stelle gelangweilt. Die story ist perfekt strukturiert – es gibt keine Längen, und es ist meines Erachtens alles absolut stimmig erzählt, bis hin zur Tracklist am Ende.
Fazit:
„Daisy Jones and The Six“ ist kein Sachbuch. Die Erzählweise der Autorin ist absolut fesselnd, ich konnte den Roman nicht mehr aus der Hand legen. Der „Film in Buchform“ funktioniert erstaunlich gut! „Daisy Jones and the Six“ von Taylor Jenkins Reid bietet beste Unterhaltung, man sollte sich vom Stil nicht abschrecken lassen, denn hier passen Stil & Inhalt perfekt zusammen.

DaisyJonesandTheSix

NetGalleyDEChallenge

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Veröffentlicht am 21.05.2020

Leben und lieben im Elsass

Wie uns die Liebe fand
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„Wie uns die Liebe fand“ ist ein Debutroman von Claire Stihlé, in welchem im Wesentlichen eine Familiengeschichte erzählt wird. Ein flüssiger Stil und fein gezeichnete Figuren machen das Buch aus.
Mit ...


„Wie uns die Liebe fand“ ist ein Debutroman von Claire Stihlé, in welchem im Wesentlichen eine Familiengeschichte erzählt wird. Ein flüssiger Stil und fein gezeichnete Figuren machen das Buch aus.
Mit einem Augenzwinkern führt eine Ich – Erzählerin durch das Geschehen:
Hier wird eine Geschichte vor dem Hintergrund der wechselhaften deutsch-französischen Historie erzählt, was besonders anhand dieser Sätze deutlich wird:
„Wie oft mussten meine Kinder den Satz Je ne parle plus l’alsacien [Ich spreche kein elsässisch mehr] niederschreiben[…]“
Die Elsässer mussten sich also immer dem jeweiligen Machthaber unterwerfen. Mal war ihr Idiom „zu deutsch“, mal „zu französisch“:
„Oft wissen die jungen Leute von heute gar nicht mehr, dass es uns auch während der Besatzung verboten war, elsässisch zu sprechen.“
Madame Nanon („Nan“) ist zweiundneunzig Jahre alt und lebt in einem kleinen Ort im Elsass, Bois-de-Val, sie lässt das Leben Revue passieren.
Madame Nan ist wohl das, was man heutzutage eine „Powerfrau“ nennen würde, denn sie zog allein vier Töchter groß, da ihr Ehemann Bertrand früh verstarb. Wie nehmen als Leser am Dorfleben teil, werden Zeugen von Trennungen und Liebesaffären, Neuerungen und Moden. Maries (Madame Nans Tochter) „Liebesbomben“ sind bei ihrer Erfindung der „Hit“ bei der Dorfbevölkerung.
Auch die Liebe tritt noch einmal in das Leben der Elsässerin, als sich die Hauptprotagonistin in ihren Nachbarn Monsieur Boberschram verliebt. Wieso ist dieser jedoch so zurückhaltend? Der Schlüssel zu seinem Verhalten liegt (wie so oft) in der Vergangenheit…
„Wie uns die Liebe fand“ ist meines Erachtens eine Wohlfühllektüre, trotz ernster Untertöne! Eine Familiengeschichte, die mit mystischen Elementen angereichert ist – mehr sei an dieser Stelle nicht verraten.
Sehr gut gefielen mir auch die beigefügten Rezepte und die mundartlichen Einsprengsel.

Fazit:
„Wie uns die Liebe fand“ ist ein richtig schöner Schmöker, den ich gerne gelesen habe.

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Veröffentlicht am 20.05.2020

Lese-Tipp

Das Museum der Welt
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Bartholomäus wächst 1854 in einem Waisenhaus in Bombay auf, er ist mindestens zwölf Jahre alt. Der Leiter des Waisenhauses, ein katholischer Geistlicher, fördert den altklugen Jungen. Die anderen Kinder ...

Bartholomäus wächst 1854 in einem Waisenhaus in Bombay auf, er ist mindestens zwölf Jahre alt. Der Leiter des Waisenhauses, ein katholischer Geistlicher, fördert den altklugen Jungen. Die anderen Kinder (der Protagonist nennt sie nur „die Anderen“) piesacken ihn.
Eines Tages tauchen die bayerischen Brüder Schlagintweit in Bombay auf. Der sprachbegabte Dolmetscher Bartholomäus soll die Forscher, die im Auftrag des preußischen Königs und der britischen East India Company unterwegs sind, auf ihrer Reise durch Indien begleiten. Während der Expedition wird das Waisenkind, das zu Höherem berufen scheint (das Stilmittel erinnert an Dickens) erwachsen. Es dokumentiert die Reise in seinem Notizbuch – Bart nennt es „Museum“, und so muss man sich als Leser/in auf den Ich – Erzähler verlassen. Ist Bartholomäus gar ein unzuverlässiger Erzähler?
Für „Das Museum der Welt“ muss man als Leser/in schon über etwas Sitzfleisch verfügen, aber es lohnt sich!
Für viele Menschen ist code – switching ganz normal, daher habe ich mich über die Hindi – Einsprengsel im Text sehr gefreut! Zwar gibt es kein Glossar, man kann sich die Bedeutung der Worte jedoch aus dem Kontext „zusammenreimen“.
Ich habe den Roman sehr gerne gelesen, da mich die Erzählung nicht nur inhaltlich, sondern auch stilistisch „packen“ konnte. Der Kolonialismus wird äußerst kritisch beleuchtet – gut so! Es ist sicher kein Zufall, dass auch die indische Unabhängigkeitsbewegung eine nicht unerhebliche Rolle im Roman spielt. Gerade in Zeiten von „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“ ist ein Buch wie „Das Museum der Welt“ wichtig.
Bartholomäus ist meines Erachtens ein absolut „runder“, da ambivalenter Charakter. Die Figurenzeichnung ist eine große Stärke des (Abenteuer)Romans. Der indische Vielvölkerstaat mit seinem Kastenwesen trifft auf das chauvinistisch-rassistische Überlegenheitsgefühl der Kolonialherren. Und es gab zu der Zeit viele! Man kann während der Lektüre unheimlich viel lernen, es lohnt sich also, das Buch zu lesen. Die Brüder Schlagintweit waren mir vor der Lektüre unbekannt und ich wusste nicht, dass es auch dänische Kolonien in Indien gab. Jeder wollte ein Stück vom Kuchen, nicht nur die Briten und Portugiesen.

Fazit:
Stichwort Kolonialismus – zuerst denkt man an „Deutsch – Südwestafrika“, an die Herero und Nama im heutigen Namibia.
Dass die Deutschen aber auch in Indien zumindest als Forschungsreisende präsent waren (Alexander von Humboldt hielt große Stücke auf die bayerischen Gebrüder Schlagintweit), ist im kollektiven Gedächtnis nicht so verankert.
Christopher Kloeble präsentiert mit „Das Museum der Welt“ einen gelungenen Genremix und kombiniert reale historische Ereignisse und Personen mit fiktionalen Figuren. Trotz kleiner Schwächen ist dieser historische Roman absolut lesenswert!

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Veröffentlicht am 11.03.2020

Dankbarkeiten

Dankbarkeiten
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„Es kam plötzlich. Von einem Tag auf den anderen. Ich will nicht behaupten, dass es keine Vorzeichen gab.“

In Delphine de Vigans „Dankbarkeiten“ wird die Geschichte von Michelle („Michka“) ...


„Es kam plötzlich. Von einem Tag auf den anderen. Ich will nicht behaupten, dass es keine Vorzeichen gab.“

In Delphine de Vigans „Dankbarkeiten“ wird die Geschichte von Michelle („Michka“) erzählt. Eines Tages beginnt Michka, die Orientierung zu verlieren. Die kinderlose alte Dame kann ihren Alltag nicht mehr selbständig organisieren. Ängste plagen sie. Sie, die stets aktive Frau in jungen Jahren, wird von einer engen Vertrauten -Marie- ins Seniorenheim gebracht. Michka möchte jedoch unbedingt noch die Menschen finden, denen sie in tiefer Dankbarkeit verbunden ist …
Der liebevolle Ton der Autorin Delphine de Vigan hat mich besonders berührt, auch wenn ich die Lektüre bedrückend fand. Wenn Menschen alt und krank werden, müssen sie ins Heim, diese traurige Realität von westlichen Gesellschaften wird in „Dankbarkeiten“ perfekt abgebildet. Das macht betroffen und auch wütend, und mit „Dankbarkeiten“ regt de Vigan zum Nachdenken an, sie liefert eine längst fällige Geselllschaftskritik, die jedoch durch manche Figuren etwas abgemildert wird. So gibt es etwa einen Logopäden im Pflegeheim, der sich rührend um Michelle kümmert (die Sprache kommt ihr abhanden). Sollten wir nicht alle geduldig mit alten Menschen sein?
Alternierende Perspektiven führen den Leser durch’s Geschehen, der Stil der Autorin ist klar und präzise, was im Gegensatz zu Michelles unpräziser Wortwahl steht. Die Geschichte ist zuweilen tragikomisch, etwa wenn Michka, die unter Aphasie leidet, Phantasiewörter erfindet, das Ganze driftet aber nie in Kitsch ab, vielmehr werden philosophisch – ethische Fragen aufgeworfen, und die Autorin zeigt, dass im Leben nicht nur das Materielle zählt.

Fazit:

„Dankbarkeiten“ ist ein absolut lesenswerter Roman.

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