Profilbild von Miss_Page-Turner

Miss_Page-Turner

Lesejury Star
offline

Miss_Page-Turner ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Miss_Page-Turner über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 23.05.2020

Fantasy, wie ich sie liebe

Dornenthron
0

Dornenthron ist mir gleich bei den Neuerscheinungen aufgefallen, weniger wegen des Covers, sondern vielmehr wegen dem sehr interessant klingenden Inhaltstext. Als düstere Neuinterpretation von Dornröschen ...

Dornenthron ist mir gleich bei den Neuerscheinungen aufgefallen, weniger wegen des Covers, sondern vielmehr wegen dem sehr interessant klingenden Inhaltstext. Als düstere Neuinterpretation von Dornröschen wird das Buch angepriesen und für sowas, bin ich immer zu haben. Doch hält das Buch, was es verspricht?

Ein gelungener Aufbau
Das Buch ist der Auftakt zu einer Dilogie. Entgegen des Verlagstext begleiten wir als Leser aber nicht nur zwei Charaktere, sondern noch deutlich mehr. Die Kapitel wechseln dementsprechend die Perspektiven. Der Autor nimmt sich den Großteil des Romans die Zeit, seine Welt und die Figuren vorzustellen und in Position zu bringen, das klingt jetzt vielleicht langweilig, ist es aber überhaupt nicht.
Denn Boris Koch beherrscht die Kunst, nicht nur so beschreiben, sondern zu erzählen. Sein Stil ist einnehmend und fesselnd und ja, erinnert in der Struktur auch an das klassische Märchen. Obwohl eine Menge Figuren und Handlungsstränge in diesem Buch auftauchen, verliert der Roman nie den roten Faden. Er ist detailliert und komplex, aber niemals ausufernd oder abschweifend. So wünsche ich mir richtig gute Fantasy!

Auch mit seinen Charakteren kann das Buch für mich punkten. Sie glänzen durch Individualität und tatsächlich mochte ich in Dornenthron keine Perspektive mehr, als die andere, ich fand alle super spannend und alle Charaktere interessant. Das passiert mir selten und ist gerade im Hinblick auf die Fülle der Charaktere beeindruckend.

Von wegen "Und sie lebten glücklich bis an ihr Ende"
Kommen wir zu dem angepriesenen Märchen Aspekt. Titel und Verlagstext weisen ja ausdrücklich schon auf eine Adaption von Dornröschen hin und ja, das ist Dornenthron auch. Gleichzeitig ist es noch so viel mehr, denn nicht nur die schlafende Prinzessin hinter der Dornenhecke, nein, auch andere Märchen tauchen in diesem Roman auf. Vom Froschkönig, Rumpelstilzchen, den zertanzten Schuhen bis zu Hänsel und Gretel, aber auch Legenden, wie den Rattenfänger von Hameln. Sie alle werden gekonnt in die Handlung eingefügten. Manchmal nur als Nebensache, manchmal als größerer Handlungsstrang. Es war überaus amüsant, die mehr oder weniger verstecken Anspielungen zu entdecken.
Der Autor beweist auch viel Kreativität dabei die Märchen in seine Geschichte einzuarbeiten und verleiht ihnen all einen ganz eigenen Touch, sodass sie sich nahtlos in die Handlung einfügen. Er kopiert nicht nur einfach bekannte Elemente, sondern macht sie sich und seinem Werk zu eigen und interpretiert sie auf seine ganz eigene, düstere Art.

Fazit:


Dornenthron ist Fantasy, wie ich sie liebe! Die Welt und die Charaktere glänzen mit Individualität, klassische Märchen werden kreativ und düster verarbeitet und die Handlung ist trotz ruhigerem Tempo ausnehmend fesselnd. Ich warte nun sehnsüchtig auf Teil zwei!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 23.05.2020

Tiefgründig und mitreißend

Scythe – Die Hüter des Todes
0

Scythe lag schon eine Weile auf meinem SUB. Warum kann ich gar nicht genau sagen,d a ich mich sehr auf das Buch freute. Jetzt hatte ich es aber endlich in die Hand genommen und konnte es dann kaum wieder ...

Scythe lag schon eine Weile auf meinem SUB. Warum kann ich gar nicht genau sagen,d a ich mich sehr auf das Buch freute. Jetzt hatte ich es aber endlich in die Hand genommen und konnte es dann kaum wieder weglegen.

Eine perfekte Welt?
Die Welt, in die Autor Neal Shusterman seine Leser wirft, ist bemerkenswert. Alle Krankheiten wurden besiegt, die Menschen können ihr Alter, wenn sie wollen, zurücksetzten und alle Verletzungen können geheilt werden. Der Mensch ist praktisch unsterblich geworden. Zudem überwacht ein Supercomputer namens Thunderhead alle Ressourcen und verteilt sie gerecht. Es gibt keinen Hunger mehr, keine Slums, keine Armut, wodurch es auch keine Korruption und Verbrechen mehr gibt, da jeder das bekommt, was er braucht. Es gibt auch keine Klimakatastrophe mehr, da der Thunderhead genau berechnet, was der Planet verkraften kann und eins ist klar: der Planet verkraftet keine unbegrenzte Anzahl an unsterblichen Menschen. Der Tod darf also nicht völlig verschwinden uns es ist nun die Aufgabe der Scythe das Bevölkerungswachstum zu regulieren.

Kein 08/15 Jugendbuch
Wenn man dieses Setting betrachtet, wird einem schnell klar, dass da allerhand ethische Fragen aufkommen. Wie soll ausgewählt werden, wer stirbt? Wie sollen die Menschen getötet werden? Wer entscheidet das Ganze und wie leben die Scythe mit dieser Bürde? All diese Fragen wirft auch der Autor in diesem Buch auf und widme ihnen auch eine Menge Zeit und Raum. Die Fragen "Was ist ein Scythe?" und "Wie soll er sein?" sind eine zentrale Thematik in diesem Buch und regen den Leser zum Nachdenken über essenzielle Themen wie Ressourcenverwertung, Überbevölkerung, aber auch den Tod an sich, und wenn man weiterdenkt über Themen wie z.B Sterbehilfe, an. Auch die Gesellschaft wird infrage gestellt. Was ist der Sinn des Lebens, wenn das Leben unendlich ist? Ist der Mensch überhaupt noch Mensch, wenn ihm Gefühle wie wahre Liebe, Leidenschaft, Hass und Trauer fremd geworden sind? Das Buch hat damit eine Tiefe, wie ich sie bei Jugendbüchern selten erlebt habe und das begeistert mich enorm.

Interessant fand ich auch den Aspekt, dass in diesem Buch die künstliche Intelligenz tatsächlich gerecht zu sein scheint. Der Fehler im System ist mal nicht die wahnsinnig gewordene KI, die alle umbringen will, wie in so vielen Sci-Fi Büchern, sondern eben der Mensch mit all seinen Sehnsüchten und Trieben, im Guten, wie im Schlechten.

Auch sprachlich überzeugte mich das Buch auf ganzer Länge, traut es dem Leser doch auch mal anspruchsvollere Vokabeln zu, sollte aber dennoch problemlos von jedem Jugendlichen verstanden werden. Der Autor hat hier eine wunderbare Balance zwischen sprachlicher Raffinesse und eine, an ein junges Publikum angepasste Verständlichkeit erreicht.

Wer jetzt jedoch befürchtet, das Buch sei eine langweilige Aneinanderreihung von Moralfragen, den kann ich beruhigen. Denn auch wenn diese Auseinandersetzungen präsent sind und ein immer wiederkehrendes Thema darstellen, so nehmen sie nicht den gesamten Raum des Buches ein. Der Werdegang von Citra und Rowan steht im Vordergrund und die Handlung ist abwechslungsreich und spannend und wartet auch mit dem ein oder anderen Plottwist auf.

Fazit:


Scythe überzeugt nicht nur durch eine spannende Handlung, sondern vor allem mit einer Tiefe und Auseinandersetzung mit ethischen Fragen, wie sie im Jugendbuchbereich selten zu finden sind. Eine klare Leseempfehlung von mir und ich freue mich, schon bald die Fortsetzung zu lesen, die ich umgehend bestellt habe, denn ich MUSS wissen, wie es weiter geht.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 30.03.2020

Ein Jugendbuch, das mit Rollenklischees bricht

Der Prinz der Elfen
0

Diese Rezension ist schon lange überfällig, immerhin habe ich das Buch im Januar gelesen und nun haben wir Ende März. Ich weiß auch gar nicht so genau, warum ich sie so lange vor mir hergeschoben hatte, ...

Diese Rezension ist schon lange überfällig, immerhin habe ich das Buch im Januar gelesen und nun haben wir Ende März. Ich weiß auch gar nicht so genau, warum ich sie so lange vor mir hergeschoben hatte, denn Der Prinz der Elfen hat mir richtig gut gefallen.

Wenn das Böse um die Ecke wohnt
Als ich zu Lesen begann, wurde ich gleich überrascht. Beim Lesen des Inhaltstextes war ich irgendwie davon ausgegangen, dass das Buch in einer Fantasywelt spielen würde, stattdessen spielt es in der USA der Gegenwart. Doch normal ist das Städtchen Fairfold nicht, denn das Elfenreich liegt gleich im angrenzenden Wald verborgen und auf einer Lichtung schläft in einem gläsernen Sarg ein Elfenprinz.
Die Geschwister Hazel und Ben sind in dieser außergewöhnlichen Stadt aufgewachsen und schon lange von dem schlafenden Prinzen fasziniert, dass er eines Tages aufwachen würde, daran glauben die Beiden jedoch seit ihrer Kindheit nicht mehr, doch eines Morgens ist der Sarg leer.
Was das deutsche Cover nicht wirklich suggeriert: Dieses Buch ist düster. Die Elfen oder das kleine Volk, wie sie auch genannt werden, ist den Menschen alles andere als wohl gesinnt. Dass Menschen in Fairfold zu Tode kommen, ist nicht ungewöhnlich, doch mit jedem Jahr werden die Elfen blutrünstiger und grausamer. In dem Buch herrscht daher eine beklemmende, dunkle Atmosphäre, die ich super fand (wer eine Ahnung von der Atmosphäre haben möchte, sollte diesen Buchtrailer schauen, der vermittelt diese sehr gut). Ganz besonders gefreut hat es mit, dass sich in diesem Buch auch die Ballade des Erlkönig wiederfindet, ich liebe dieses schaurig schöne Werk und freue mich, es in einem amerikanischen Buch wiederzufinden. Spätestens jetzt solltet ihr auch eine Ahnung haben, mit was für eine Art von Elfen sich Hazel und Ben herum schlagen müssen.

Rollen erfrischend neu verteilt
Das was dieses Jugendbuch jedoch wirklich von der Masse abhebt, ist der erfrischende, unkonventionelle Umgang mit Rollenklischees. Viel kann und will ich aus Spoilergründen nicht verraten, aber vieles kommt anders als man denkt und folgt nicht dem typischen "Mädchen und Prinz verlieben sich" Muster. Diese Unvorhersehbarkeit wird auch durch die Charaktere unterstützt. Neben Hazel wird die Handlung auch zum großen teil von ihrem Bruder Ben getragen, womit ein homosexueller Charakter mal nicht nur eine Randfigur spielen muss.
Ebenfalls als positiv zu vermerken ist, dass niemand in diesem Buch den strahlenden Helden abgibt, jeder Charakter hat auch seien Schattenseiten, trifft falsche Entscheidungen, macht Fehler, doch gerade deswegen wirken sie umso menschlicher und sind mir tausendmal lieber als glatt gebügelte perfekte Helden.

Fazit:


Ein tolles Jugendbuch mit tollen Plottwists und düsterer Atmosphäre. Es bricht die gängigen Rollenklischees auf und hebt sich damit erfrischend von der Masse ab.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 30.03.2020

Absolut empfehlenswert!

Nachttiger
0

Im Dezember entdeckte ich mit Nebelinsel zum ersten Mal ein Wunderraum Buch für mich. Das Buch schaffte es auch prompt mein Monatshighlight zu werden und ich schaute mir daher das Programm des Verlages ...

Im Dezember entdeckte ich mit Nebelinsel zum ersten Mal ein Wunderraum Buch für mich. Das Buch schaffte es auch prompt mein Monatshighlight zu werden und ich schaute mir daher das Programm des Verlages weiter an. Nachttiger klang interessant und nach einer weiteren tollen Gelegenheit, meine Komfortzone zu verlassen. Doch war dieser Ausflug ins Ungewisse von Erfolg gekrönt?

Malaysia: Ein Potpourri der Kulturen
Wie der Klapptext schon verrät, spielt diese Geschichte in Malaysia bez. damals die Kolonie Britisch-Malaysia Anfang der 1930er. Ich persönlich kannte mich ehrlich gesagt bis dato überhaupt nicht mit diesem Land aus und so war das Lesen für mich ein Abtauchen in eine fremde, faszinierende Welt. Im Malaya, wie der historische Name des Landes ist, prallen drei Kulturen aufeinander. Zum einen die der Einheimischen, dann die britischen Kolonialherren und nicht zuletzt hat China mit einer enormen Zahl an Einwanderer enormen Einfluss und bringt, seine Traditionen und Kultur mit. Aus dieser Situation heraus entsteht eine faszinierende Vermischung von Kultur und Traditionen, so trifft zum Beispiel der malaiische Glaube an Geistertiger auf den chinesischen Zahlenaberglaube. Die Traditionen der Leute verschmelzen und bilden eine einzigartige Gesellschaft. Der Autorin gelingt es hervorragend diese Eigendynamik des Landes an den Leser zu vermitteln.

Die Odyssee eines Fingers
An diesem geheimnisumwitterten Ort verwebt die Autorin das Schicksal von fünf Menschen. Sie alle tragen eine der fünf konfuzianischen Tugenden im Namen:

Zhi – Weisheit
Yi – Rechtschaffenheit
Ren – Güte
Li – Ordnung
Xin – Aufrichtigkeit


Als Leser lernen wir die Namensträger aber erst nach und nach kennen, manche offenbaren sich sogar erst kurz vorm Ende des Buches. Zu Beginn handelt die Geschichte vor allem von dem jungen Ren, der den amputierten Finger seines toten Herren finden soll und Ji Lin, die durch Umstände ebenjenen Finger findet. Was folgt, ist eine fast schon aberwitzige, aber eben auch sehr amüsante Reise des Fingers, die man einfach nur als Odyssee bezeichnen kann. Mit voranschreiten der Handlung verweben sich die Schicksale der Figuren immer enger. Ich war absolut begeistert davon, wie die Autorin es schafft alles und jeden miteinander zu verbinden, diese Verbindungen aber immer erst nach und nach zu enthüllen. Stück für Stück die Fäden zu erkennen, die alles zusammenführen, stellte einen großen Lesegenuss dar und ließ das Buch zu keinem Zeitpunkt langweilig werden.

Die Grenzen verschwimmen
Doch die tolle Handlung, in der sich sogar Krimielemente finden lassen, ist nicht der einzige Grund, der dieses Buch zu einem Lesevergnügen macht. Ebenso gelungen fand ich die Vermischung von Mystik und Realität, von Traum und Wirklichkeit. In diesem Buch ist vieles nicht so, wie es scheint. Man fragt sich oft, was ist Legende und was ist wahr? Das Buch wandert dabei auf einem schmalen Grat zwischen Schein und Sein, hält aber exzellent die Balance.
Und auch bei den Charakteren selbst verschwimmen die Grenzen, viele haben Dinge getan, die nicht unbedingt gut waren, waren aber trotzdem keine schlechten Menschen. Es gibt kein schwarz oder weiß in diesem Buch und das ist immer ein Punkt, den man loben muss.

Fazit:


Mein zweites Buch aus dem Wunderraum Verlag und definitiv nicht mein Letztes! In Nachttiger entfaltet sich eine faszinierende Welt aus Mystik und Historik, aus Liebe, Verrat und Leidenschaft. Fünf Menschen, untrennbar verbunden durch die Odyssee eines Fingers. Witzig, mitreißend und betörend. Eine klare Leseempfehlung!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 10.03.2020

Einzigartig, neuartig und berührend, ein Jahreshighlight!

Lincoln im Bardo
0

Auf George Saunders wurde ich durch Fuchs 8 aufmerksam, dass mir sehr gefallen hatte. Da ich mir eh vorgenommen hatte mal meine Komfortzone zu verlassen und mich in anderen Genre umzuschauen, kam das ...

Auf George Saunders wurde ich durch Fuchs 8 aufmerksam, dass mir sehr gefallen hatte. Da ich mir eh vorgenommen hatte mal meine Komfortzone zu verlassen und mich in anderen Genre umzuschauen, kam das Buch wie gerufen. Wobei so ganz ohne phantastisches Element ist dieses Buch ja auch nicht, immerhin kommen hier mehr Tote, als Lebende zu Wort.

Eine Kakophonie aus Hunderte von Stimmen
Wie auch schon in seiner fuchsigen Kurzgeschichte, beschreitet George Saunders völlig neue Wege was die Art des Erzählens betrifft. Der Großteil des Buches ist in einer Art "Dialog" geschrieben, in den die Geister des Oak Hill Cemetery das Geschehen kommentieren. Wer gerade spricht, erfährt man durch einen Vermerk. Ich setzte Dialog in Anführungszeichen, da die Geister nicht zwangsläufig ein Gespräch miteinander führen. Vielmehr hat man den Eindruck, man würde in einem riesigen Raum voller Leute stehen und alle rufen einem gleichzeitig ihre Meinung zu.
Das mag im ersten Moment verwirren, doch mit der Zeit entfaltet sich ein vielstimmiger und interessanter Chor, denn all diese Geister hängen im Bardo fest und haben alle ihre eigene Geschichte. Das Bardo stammt aus dem Tibetischen Buddhismus, bei Saunders ist es eine Art Zwischenreich zwischen dem Tod und dem, was auch immer danach kommt. Menschen, die sich ihren eigenen Tod nicht eingestehen, oder sonst wie das Bedürfnis haben noch etwas zu erledigen, hängen hier fest. Dabei spiegelt sich ihre Lebensweise in ihrem Aussehen und Verhalten wider. Ein Jäger z. B. der sein Leben lang Tiere zum Spaß an der Jagd getötet hat muss nun mit jedem einzelnen getöteten Tier Freundschaft schließen. Hans Vollmann, einer der drei Geister, die die Geschichte maßgeblich erzählen, starb, als er sich gerade darauf freute endlich die Ehe mit seiner geliebten Frau zu vollziehen und läuft nun mit einem gewaltigen Ständer herum. An diesen Stellen beweist der Autor einen makabere, witzigen Sinn für Humor.

All diese Geister verbindet eines: Das Gefühl, noch nicht gehen zu können. Die Gründe dafür sind so vielfältig wie das Leben selbst und Saunders gibt sich sichtlich Mühe ein breites Spektrum an Menschen zu Wort kommen zu lassen. Nach eigenen Angaben kommen in seinem Buch 166 Geister vor. Er bildet damit einen Querschnitt durch die amerikanische Gesellschaft des 19. Jh. ab. Vom Säufer bis zum Kaufmann, Sklaven, wie Sklavenhalter, einfache Bauern und Junggesellen, Mütter, Priester und noch viele mehr, so gut wie jeder hat eine Stimme und auch wenn die meisten kaum eine Seite lang von sich selbst erzählten, berührten mich viele Schicksale.

Historische (Un)genauigkeiten
Doch die zahlreichen Geisterstimmen sind nicht das einzige Besondere an diesem Buch. Zusätzlich hat der Autor Kapitel mit Zitaten und Anekdoten aus historischen Quellen hinzugefügt und nimmt so ganz nebenbei die Subjektivität ebenjener aufs Korn. So führt er zwölf Quellen auf, die den Mond am Abend eines Festes im weißen Haus beschreiben. Je nach Quelle ist Vollmond, Sichelmond oder Neumond und er leuchtet weiß, gelb, blau, grün oder rot. Amüsanter kann man nicht verdeutlichen, das solche Berichte stets von Vergesslichkeit und persönlichen Intentionen des Erzählers getrübt sind. Herr Saunders legt sogar zu diesem Aberwitz noch einen drauf, indem er manche seiner Quellen (aber nicht alle!) frei erfunden hat.

Eine Geschichte vom Tod und dem Leben
Wahrscheinlich klingt das Alles, so wie ich es jetzt erzähle ziemlich chaotisch und eigentlich ist es das auch, aber uneigentlich hatte ich beim Lesen nie das Gefühl, dass der rote Faden fehlt. Dieser findet sich nämlich in zwei zentralen Themen: Präsident Lincoln und der Tod, die letztendlich beide aber gar nicht so deutlich voneinander zu trennen sind. Die historischen Quellen vermitteln das Bild des Präsidenten, wie ihn seine Zeitgenossen kannten, wir als Leser bekommen aber ein anderes Bild des Staatsmannes, nämlich nicht das des stolzen 16. Präsidenten, sondern vielmehr das, eines trauernden Vaters. Eines Vaters, der nicht Abschied nehmen kann und will von seinem heiß geliebten Sohn, dessen tief gehende Trauer nicht nur die Herzen der Geister von Oak Hill erweicht, sondern auch dem Leser nahe geht. Gleichzeitig ist dies keine reine Erzählung voller Trauer und Schatten, nein es findet sich auch Liebe, Licht und vor allem etwas Lebensbejahendes in dem Roman, sodass man das Buch am Ende mit einem guten Gefühl zuschlägt.

Fazit:


In einem neuem Erzählkonzept verarbeitet Saunders die Trauer der Zurückgeblieben ebenso, wie die unerfüllten Träume der Toten und füllt das ganze auch noch mit historischen Anekdoten an. Was auf den ersten Blick wie ein heilloses Chaos anmutet, entpuppt sich beim weiteren Lesen durch den roten Faden: Leben, Trauer, Tod, als grandiose Erzählkunst, die tief berührt. Schon jetzt ein Jahreshighlight!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere