Die Kinder unterm Königsnussbaum
Wir verlassenen Kinder„Eines Tages wird es alles nicht mehr geben hier. Es wird langsam sein, dass wir verschwinden. Wir werden es fast nicht merken. Irgendwann sind wir alle nicht mehr hier. Wir nicht, unsere Geschwister nicht ...
„Eines Tages wird es alles nicht mehr geben hier. Es wird langsam sein, dass wir verschwinden. Wir werden es fast nicht merken. Irgendwann sind wir alle nicht mehr hier. Wir nicht, unsere Geschwister nicht und das Dorf nicht und die Tiere nicht.“
Inhalt
Es herrscht Krieg, die Bomber kreisen über den Köpfen, doch immer ziehen sie weiter, die Eltern sind fortgegangen, um irgendwo ein neues, besseres Leben aufzubauen, die Alten blieben etwas länger, doch nun ziehen auch sie in den Krieg, der ebenso verloren scheint, wie der Rest der Welt. Zurück bleiben die Kinder des Dorfes, welches langsam zerfällt. Sie sind auf sich gestellt, es gibt kein Geld, keine Versorgung und niemanden mehr, der ihnen irgendetwas beibringen kann. Sie sind allein miteinander, mit ihren eigenen Regeln, ihren Sorgen und der kleinen Flamme der Hoffnung, das bald schon irgendwer an ihnen Interesse zeigt, sie holen kommt und wieder mitnimmt, in eine sehnsüchtig erwartete Heile-Welt, in der Kinder Menschen an ihrer Seite wissen, die sich um sie kümmern. Doch es kommt niemand und die Vorräte neigen sich dem Ende entgegen …
Meinung
Der Klappentext hat mich schon sehr neugierig gemacht auf den Debütroman der österreichischen Autorin, von dem ich mir eine berührende Geschichte über Einsamkeit und Verzweiflung erhofft habe. Und obwohl die komplette Handlung eher an eine Utopie erinnert, als an ein tatsächlich denkbares Szenario, liegt ihr großer Pluspunkt an einer fast erdrückenden Emotionalität, die selbst unrealistische Ereignisse und Entwicklungen nachvollziehbar werden lässt.
In kurzen Kapiteln erzählen diverse Protagonisten von einer Zeit, die geprägt ist von Ängsten und Hoffnungslosigkeit. In einem Ausmaß der Verwüstung begegnet der Leser einer gemischten Gruppe von Kindern, die allein auf sich gestellt sind und die ihre eigenen Gesetze aufstellen. Zwischen der Sorge, ihren Hunger zu stillen und der Möglichkeit ihre Eltern einmal wiederzusehen, erfüllt die Langeweile ihren Tag und es kommt zu Gewalthandlungen und Ausgrenzungen untereinander. Gerade Mila, eine der Älteren versucht sich die Kinderschaar vom Hals zu halten und gleichzeitig so etwas wie Normalität zu etablieren, indem sie unterrichten möchte. Auch die Eltern und andere Dorfbewohner kommen zu Wort, in Briefen an die Zurückgebliebenen, beschwichtigen sie und versuchen ihr Fortgehen irgendwie zu begründen, vielleicht eine Entschuldigung zu formulieren, die ihr Verhalten erklärt, auch wenn dieses unentschuldbar bleibt. Der Schreibstil ist wirklich klasse, weil er direkt ins Herz trifft und alles so lebendig und echt wirken lässt, selbst wenn herkömmliche Logik zu kurz kommt.
Fazit
Ich vergebe gute 4 Lesesterne für einen ungewöhnlichen Roman, der sich zu einem wilden Erlebnis mit vielen versteckten Botschaften entwickelt. Obwohl ich kein großer Fan von fiktiven Erzählungen in einer Welt kurz vor dem Untergang bin, konnte mich dieses Buch hier weitgehend überzeugen. Man muss sich auf die Geschichte einlassen und darf keine genaue Aussage und auch keine weitreichende, umfassende Erklärung erwarten, gerade das offene Ende aber auch die angerissenen Erzählstränge lassen sehr viel Interpretationsspielraum und man kann die Tatsachen auf alle möglichen Ursachen zurückführen, ohne eine zufriedenstellende Antwort zu bekommen. Sobald man sich aber gedanklich auf das literarische Experiment einlässt, entfaltet sich ein emotionaler, bedrückender, facettenreicher Entwurf einer gottverdammten Welt, der man eigentlich nur entkommen möchte und es dennoch nicht ohne weiters kann. Selbst für mich als Liebhaber gesellschaftskritischer aber authentischer Belletristik hat sich dieses Buch gelohnt, obwohl es im Nachhinein doch ein wenig abstrakt wirkte.