Charmant, humorvoll, besonders!
Der erste Teil der Reihe - Kissing Lessons - stürzte mich in einen typischen Herz-Kopf Widerspruch. Mein Leseherz war verliebt und wollte eindeutig mehr, während mein kritischer Verstand nicht über einige ...
Der erste Teil der Reihe - Kissing Lessons - stürzte mich in einen typischen Herz-Kopf Widerspruch. Mein Leseherz war verliebt und wollte eindeutig mehr, während mein kritischer Verstand nicht über einige Mängel hinwegsehen wollte. Dieser zweite Teil, auf den ich mich jetzt schon seit Wochen gefreut habe, nimmt dieselben Zutaten wie Band 1 - zwei liebenswerte Protagonisten, ein kulturelles Durcheinander, Anziehungskraft und Autismus und ein gesellschaftliches Gefälle als Hindernis - macht aber definitiv mehr daraus als eine amüsante, unterhaltsame Liebesgeschichte. Die Autorin schreibt in ihrem Nachwort, dass die Protagonistin Esme an ihre eigene Mutter angelehnt ist, die sich aus dem Nichts nach der Einwanderung von Vietnam in die USA mit mehreren Kindern vier erfolgreiche Restaurants aufgebaut hat und es nur durch Arbeit und ihre eigene Willenskraft zu etwas gebracht hat. Und in jeder Seite der Geschichte spürt man den Respekt der Autorin für diese unglaubliche Leistung und so scheinen beide Komponenten der Geschichte direkt aus dem Herzen der Autorin zu kommen: sie erzählt zum einen von den Irrungen und Wirrungen der Liebe wenn man (wie sie selbst) Autist ist, ist aber gleichzeitig auf einer tieferen Ebene eine Liebeserklärung an ihre Mutter, an die Stärke und den Mut von Immigranten, die in einem fremden Land ihren eigenen Amerikanischen Traum schaffen.
"Sie war auf keine Weise beeindruckend, die man sehen oder messen konnte, aber sie hatte dieses Feuer. Sie spürte es. Das war ihr Wert. Sie würde für ihre Familie kämpfen. Und sie würde für sich selbst kämpfen. Weil sie zählte."
Das Cover ist wie Band 1 ein wirklicher Hingucker! Diesmal ist der Hintergrund nicht grau sondern apricot und die kunstvollen Blumen und Ranken heben sich in Weiß-, Orange-, Grün- und warmen Gelbtönen ab. Der Titel glänzt in Türkis und der Autorentitel ist verschnörkelt. Besonders nett ist auch, dass in den Leselaschen der Broschierten Ausgabe wieder ein Interview mit der Autorin abgedruckt ist und die Blüten der Gestaltung auch innerhalb des Buches die Kapitelanfänge zieren. Mit der Gestaltung passt der zweite Teil der "Kiss, Love & Heart"-Reihe wunderbar zu seinem Vorgänger, hat aber durch die andere Farbgebung eine eigene, tropischere, fruchtigere Note, die gut zu Esme und Khai passt.
Wieder ist die Geschichte abwechselnd aus der personalen Er-Perspektive der beiden Protagonisten erzählt, wodurch der Leser wieder von Beginn an in alle Geheimnisse und verborgenen Gefühle der beiden eingeweiht ist. Man weiß also genau, was man zu erwarten hat, sobald man die ersten Seiten umblättert. Man weiß, worauf die Geschichte hinauslaufen wird, man kennt das altbekannte Schema und durchschaut die Protagonisten schnell. Aber das ist vollkommen in Ordnung, denn nichtsdestotrotz eroberte die Geschichte mein Herz. Es gibt hier kein Rätselraten, keine unvorhergesehenen Wendungen, keine großen Überraschungen sondern einfach nur eine prickelnde, unterhaltsame, etwas andere Liebesgeschichte, die mich von der ersten Seite an gefesselt hat.
Erster Satz: "Khai sollte eigentlich weinen."
Als erstes lernen wir im kurzen Prolog Khai kennen, den wir ja im ersten Teil schon flüchtig getroffen haben, da er mit Michael befreundet ist. Er befindet sich gerade auf einer Beerdigung, der Beerdigung seines besten Freundes um genau zu sein, und findet heraus, dass er nicht lieben kann. Denn wenn er nicht so trauert wie die anderen Gäste, muss doch sein Herz aus Stein sein, oder nicht? Um diese Meinung zu ändern und ihren Jungen endlich zu verheiraten hat sich seine Mutter auf den Weg gemacht um in Vietnam eine geeignete Braut für ihn zu suchen. Fündig wird sie ausgerechnet auf einer Toilette eines Hotels in Ho-Chi-Minh und wir lernen unsere Protagonistin Esme kennen. Als mittellose Putzkraft, die zusammen mit ihrer kleinen Tochter, ihrer Mutter und ihrer Großmutter in einem Ein-Zimmer-Apartment wohnt und auf dem Boden schläft erscheint sie auf den ersten Blick sehr anders und rief in mir eine Art kleinen Kulturschock hervor. Ihren Wunsch, nach einer Chance, einer Perspektive, etwas auf ihrem Leben zu machen, der sie antreibt dem Deal, den Khais Großmutter ihr vorschlägt, zuzustimmen, erscheint hingegen sehr nachvollziehbar und so begleiten wir unsere Protagonistin auf dem Weg in ein neues Land, ein neues Leben, eine neue Liebe...
"Sein Name, Khải, bedeutete Sieg, aber so wie er es sagte, flach, ohne Betonung, bedeutete es öffnen. Das war genau das, was sie tun musste. Er war verschlossen, und sie musste ihn öffnen. Ihrer Erfahrung nach machte man das, was man öffnen wollte, erst sauber, damit man sehen konnte, womit man es zu tun hatte, und danach bearbeitete man es wirklich hart. Esme war nicht in vielen Dingen gut, aber sie war gut im Saubemachen und Hartarbeiten. Sie konnte es schaffen. Vielleicht war sie dafür gemacht."
Auch wenn auf der reinen Handlungsebene häufig nicht besonders viel passiert - die beiden leben zusammen, arbeiten und gehen ab und zu auf eine Hochzeit - sorgt Helen Hoangs lockerer, packender Schreibstil dafür, dass es keine Sekunde langweilig wird und man es kaum schafft, sich loszureißen. So habe ich die Geschichte an einem einzigen Nachmittag gelesen und mich komplett in der Handlung und den Gefühlen der Protagonisten verloren. Dabei schafft die Autorin immer eine angenehme Balance zwischen düsteren Gedanken und lustigen, sarkastischen Dialogen, sodass ich - ständig schniefend, schmachtend oder grinsend - von meinem Umfeld etwas schräg angesehen wurde (vielen Dank dafür, Helen). Ebenfalls litt ich durch das Suchtpotential der Geschichte leider an einem typischem In-einem-Rutsch-durchlesen-und-danach-ärgern-dass-man-es-so-schnell-gelesen-hat-Dilemma (ebenfalls vielen Dank dafür, Helen ^^). Die Sensibilität, mit der sie dem Leser einen Blick ins Innere ihrer Protagonisten gewährt, die Grausamkeit, mit der sie uns und ihre Geschöpfe konfrontiert und die viele Liebe, mit der sie ihre und unsere Herzen heilt, sind wirklich erstaunlich. So schafft sie den Spagat zwischen zuckersüßem Märchen-Flair und Bitterkeit der Realität, sodass die Geschichte locker und leicht daherkommt.
"Sie war erneut gekommen, um ihn zu suchen. Niemand suchte nach ihm. Alle wussten, dass er allein sein wollte. Nur dass es nicht immer so war. Manchmal war er aus Gewohnheit alleine. Manchmal kostete es Mühe, sich von der wachsenden Leere in seinem Inneren abzulenken."
Besonders toll ist die Dynamik zwischen den beiden Protagonistin dargestellt, die beide auf ihre Art im Umgang mit dem anderen gehandicapt sind. Während Khai durch seinen Autismus eine andere Sicht auf die Welt und Menschen hat und ihm deshalb viele Dinge entgehen und er andere ohne Absicht verletzt, ist Esme in einer ganz anderen Kultur aufgewachsen und muss sich deshalb an eine neue Sprache, eine andere Art zu Leben und Khais besondere Eigenarten gewöhnen. Wie die Beiden immer wieder aneinander vorbeireden und sich in seltsame Situationen und Missverständnisse manövrieren ist zugleich witzig und liebenswert. Auch wenn von Anfang an klar ist, dass die beiden wunderbar zusammenpassen und sich am Ende auch finden werden, ist es sehr spannend zu verfolgen, wie Khai seine Befürchtung, er könne niemanden lieben und Esme ihre Komplexe, nicht schlau, gebildet, reich oder schön genug für ihn zu sein, überwindet. Etwas gestört hat mich, dass Khai von Anfang an einen total sexualisierten Blick auf Esme hat und sie das gar nicht zu kümmern scheint (ja gut, es ist vielleicht scheinheilig das zu sagen weil es bei dieser Art von Büchern normalerweise immer andersrum ist und der männliche Love-Interest nur als Objekt der Begierde dargestellt ist) aber das hat für mich nicht wirklich gepasst, vor allem weil sich Esme als unabhängige Frau versteht und Khai eigentlich nicht oberflächlich angelegt ist.
"Sie lag in seinen Armen, wandte sich an ihn, vertraute ihm, genau wie damals, als sie den Albtraum gehabt hatte. Es war furchteinflößend. Es war wundervoll. (…) Innerhalb eines Augenblicks veränderte sich alles. Der Wind wurde zu Samt, und die einzigen Geräusche waren das Pochen seines Herzens und das Rauschen seines Bluts. Die Farben wurden strahlender und tanzten. Das Grün ihrer Augen, das Gelb ihres Shirts, das Blau des Sommerhimmels, all das ließ das Rosa ihres Mundes aufleuchten."
Davon abgesehen hatte ich das Gefühl, zwei sehr runde Charaktere kennengelernt zu haben. Besonders genial ist, dass die Protagonistin hier nicht "verwestlicht" angelegt ist, wie die meisten anderen Protagonistinnen des Genres. Stattdessen ist sie jemand, auf den ich (und das ist wirklich traurig, falsch und ich schäme mich, dass erkennen zu müssen) wahrscheinlich im echten Leben herabgeschaut hätte: schlechte Schulbildung, alleinerziehende Mutter und keinerlei Selbstachtung. Dennoch schleicht sie sich mit ihrer strahlenden, direkten Art sofort ins Herz des Lesers und zwingt einen dazu, die Vorbehalte gegenüber ihr fallen zu lassen. Denn wie sie trotz ihrer fehlenden Bildung, der Sprachbarriere, der kulturellen Hürden und der Verantwortung für ihre Familie ein eigenes Ziel, Träume, den Wunsch nach Unabhängigkeit und eine tiefe Stärke in sich selbst entdeckt, ist wirklich beeindruckend. Sie arbeitet hart und kämpft zielstrebig für ihre Zukunft, hat aber gleichzeitig Prinzipien und geht unglaublich liebevoll mit den Menschen um, die ihr am Herzen liegen. Dabei ist sie erstaunlich modern und auf eine unaufdringliche Art und Weise clever, sodass sie bald zu einer der natürlichsten Power-Frauen wird, von der ich jemals gelesen habe.
Und Khai… Khai ist toll, auch wenn man ihm wegen seiner Unwissenheit, seiner Tollpatschigkeit und seiner Unbeholfenheit im Umgang mit anderen oftmals gerne etwas an den Kopf geworfen hätte. Er ist nicht so perfekt wie sein Romanvorgänger Michael, glaubt selbst ein Herz aus Stein zu haben, ist manchmal sehr unsensibel, verletzt Esme alle Nase lang und hält seine Gefühle für sie für eine "Sucht" aber genau das macht ihn so natürlich. Er ist nicht der strahlende Held der Geschichte (diesen Part übernimmt Esme für ihn) sondern die unsichere, süße Identifikationsfigur, die sich an jedem Klischee vorbei in unser Herz schleicht. Apropos Michael: als kleiner schöner Bonus dürfen wir hier seine und Stellas Hochzeit miterleben
"Liebst du mich auch? Vielleicht nur ein bisschen." Ihm wurde kalt. Nicht diese Frage. Warum hatte sie diese Frage gestellt? Er konnte ihr alle Dinge geben, die sie wollte, eine Green Card, echte Diamanten, seinen Körper, aber Liebe? Herzen aus Stein liebten nicht."
Das Ende hat dann leider ein bisschen etwas von einer romantischen Komödie (ihr wisst schon, die üblichen "Flughafen-Renn"- und "Hochzeit-auf-den-letzten-Drücker-Verhinderungs"-Szenen...) und war mir definitiv zu überstürzt. Dennoch will ich noch ein kurzes Hoch auf die Autorin aussprechen, dass sie von einem typischen Prä-Happy-End-Breakdown abgesehen und die Lösung einer durchgängigen Problematik vorgezogen hat. So wird die Geschichte trotz Kitsch am Ende sehr schön abgerundet und ich kann mich auf Band 3 freuen!
Fazit:
Dieser zweite Teil verarbeitet dieselben Zutaten wie "Kissing Lessons" - zwei liebenswerte Protagonisten, ein kulturelles Durcheinander, Anziehungskraft und Autismus und ein gesellschaftliches Gefälle als Hindernis - macht aber definitiv mehr daraus als nur eine amüsante, unterhaltsame Liebesgeschichte. Helen Hoang erzählt hier zum einen von den Irrungen und Wirrungen der Liebe wenn man (wie sie selbst) Autist ist, hat hier aber gleichzeitig auch eine Liebeserklärung an ihre Mutter geschrieben, an die Stärke und den Mut von Immigranten, die in einem fremden Land ihren eigenen Amerikanischen Traum schaffen.