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Veröffentlicht am 15.09.2016

Wer war Alice: Komplex und außergewöhnlich mit einigen Schwächen

Wer war Alice
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Gillian Flynn (Gone Girl) und Paula Hawkins (Girl on the Train) - und zahlreiche weitere Autorinnen - haben mit ihren Romanen ein neues Genre eröffnet: Domestic Noir. Und ich wage zu behaupten, dass auch ...

Gillian Flynn (Gone Girl) und Paula Hawkins (Girl on the Train) - und zahlreiche weitere Autorinnen - haben mit ihren Romanen ein neues Genre eröffnet: Domestic Noir. Und ich wage zu behaupten, dass auch T.R. Richmonds Debüt Wer war Alice sich in dieses neue Genre einreiht. Wer war Alice ist ein Roman, ein Thriller, ein Krimi. Man darf jedoch keine zusammenhängende Handlung erwarten wie bei einem normalen Thriller. Beim Lesen hatte ich das Gefühl wie eine Polizistin eine alte Fallakte durchzugehen - Briefe, Zeugenvernehmungen, E-Mails, Chat-Verläufe. Schnipsel, die von Alice Leben übrig geblieben sind (deshalb finde ich auch den englischen Originaltitel What She Left um einiges treffender). Die einzelnen Fragmente springen in der Zeit hin und her, dass ich manchmal nochmals nachgucken musste in welchen Jahr sich die "Handlung" nun befindet. Dennoch hatte ich den Eindruck, dass diese Episoden einem roten Faden folgten und man der Wahrheit Stück für Stück immer näher kommt. Allerdings muss man auch sagen, dass sich eine richtige Spannungskurve nicht recht entwickeln mag. Die ungewöhnliche Erzählweise, die der Autor gewählt hat, ist interessant und hält zu Beginn auch die Spannung aufrecht. Je weiter man jedoch in der Handlung voranschreitet, bleibt sie allmählich auf der Strecke. Mir waren zum Beispiel die seitenlangen Briefe von Professor Jeremy Cooke zu langwierig und ermüdend. Auf der anderen Seite war die Rekonstruktion von Alice' Leben anhand ihrer digitaler Spuren faszinierend. Daher musste ich unbedingt wissen, wie es weitergeht. Was sich wirklich hinter Alice und ihrem Tod verbirgt.

Es fällt mir schwer dieses Buch zu beschreiben, ohne es genau auseinander zu nehmen, in seine Einzelteile zu zerlegen. Wer war Alice ist definitiv eine Geschichte über die man stundenlang diskutieren kann, über die Bedeutung des Lebens und die Entscheidung, dem ein Ende zu setzen, über Melancholie, Depressionen, Sehnsucht und Verlangen. Vielleicht macht gerade diese Facetten das neue Genre Domestic Noir interessant: Weil diese Autoren hinter die Fassade des Alltags schauen - in den Kopf, die Seele und das Herz der Charaktere.

Fazit: Wer Girl on the Train mochte, ungewöhnliche Erzählweisen und Psychologie spannend findet, für den kann auch Wer war Alice etwas sein. Für mich war T.R. Richmonds Debüt eine außergewöhnliche und einzigartige Geschichte, die gnadenlos die Schattenseite des Alltags beleuchtet, die jeder schon einmal kennen gelernt hat. In vielen Dingen habe ich mich in Alice gesehen. Wer war Alice ist ein außergewöhnlicher Blick auf das Leben in unserer heutigen Zeit und die Spuren, die wir auf ewig in ihr hinterlassen. Am besten schnappt man sich einfach die Leseprobe und liest in das Buch rein. Einen klassischen Thriller darf man allerdings nicht erwarten.

4 von 5 Sternen

Veröffentlicht am 15.09.2016

Wie Monde so silbern: Trotz einiger Schwächen ein schöner Auftakt, der neugierig macht

Die Luna-Chroniken 1: Wie Monde so silbern
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Das klassische Aschenputtel in die Zukunft zu versetzen und die Titelheldin in einen Cyborg zu verwandeln ist originell und vielversprechend. Logisch, dass alle unabdingbaren Zutaten des bekannten Vorbilds ...

Das klassische Aschenputtel in die Zukunft zu versetzen und die Titelheldin in einen Cyborg zu verwandeln ist originell und vielversprechend. Logisch, dass alle unabdingbaren Zutaten des bekannten Vorbilds sich Marissa Meyers Geschichte wiederfinden: Die familiäre Konstellation, die Romanze zwischen Aschenputtel und dem Prinzen, der königliche Ball, der verlorene Schuh. Aber die Autorin macht aus der Grundlage etwas ganz Eigenes: Der Prinz ist ein Regent zwischen den Stühlen der politischen Machenschaften verschiedener Regierungen. Die Trost spendenden Vögel, die bei den Arbeiten helfen, ein kleiner Android, die Kutsche ein altertümliches Auto. Der verlorene Schuh eine Fußprothese. Die Zukunft hat einige Änderungen gebracht. Die Länder der Erde haben sich in zu Staatenbündnissen zusammengeschlossen. Die Technik ist weit voran geschritten. Dennoch haben Umwelt und Natur die bisherige Ausbeute der Menschen Schaden davongetragen, Armut und Kastenbildung sind nach wie vor gesellschaftliche Probleme. Eine Außenkolonie der Erde auf dem Mond hat sich von der Menschheit abgekapselt und bildet eine eigenständige Monarchie. Das ist die Welt von Cinder, eine begabte Mechanikerin, die zusammen mit ihrer Ziehmutter und deren Töchtern in Neu-Peking lebt.

Eine große Stärke des Romans sind die Beziehungen zwischen den Charakteren in Cinders Familie. Das Verhältnis zwischen Stiefmutter und -tochter, zwischen den Stiefgeschwistern oder Cinders Freundschaft mit dem Haushalts-Androiden Iko sind authentisch und sehr detailliert ausgearbeitet. Adri und Peony sind wohl meine Lieblinge unter den Nebenfiguren. Adri als "Stiefmutter" ist zwar märchenkonform unfair und ruppig gegenüber Cinder, aber nicht komplett herzlos und böse. Adris jüngste Tochter Peony ist lebensfroh und aufgeweckt, und hat mit ihrer jugendlich unbeschwerten Art Cinders eher mürrischen Charakters gut ausgeglichen. Die beiden Schwestern waren ein tolles Gespann, jedoch hätte in meinen Augen die tiefe Bindung der beiden noch deutlicher ausgearbeitet werden können. Ebenso wie Cinders Bestürzung, als Peony an der Blauen Pest erkrankt, war irgendwie nicht greifbar. Darum ging es doch eigentlich, oder nicht? Umso schöner hätte die Freundschaft und Liebe zwischen Kai und Cinder sein können, wenn sie sich viel mehr gegenseitigen Halt geboten hätten, schließlich haben beide einen geliebten Menschen, der an der Blauen Pest erkrankt ist. Genau aus diesem Grund ist die Beziehung zwischen Kaito und Cinder in meinen Augen ein wenig verunglückt. Die beiden haben bis auf die Tatsache, dass Cinder etwas für Kai reparieren soll, wenig Berührungspunkte. Warum ich Kaito also von Cinder angezogen fühlt, lässt sich so nur erahnen und was genau sie an ihm - außer seinem Aussehen - ebenfalls.

Cinder ist vor allem eines: tapfer. Seit sie denken kann, hat sie gelernt sich anzupassen, zu verbergen, dass sie ein Cyborg ist, denn die sind in der zukünftigen Welt nicht gerne gesehen und werden allgemein verachtet. Obwohl Cinder die Erzählerin und Titelheldin dieser Geschichte ist, kann ich ihren Charakter nicht so recht (be)greifen. Sie ist sehr zurückhaltend und vorsichtig, kann aber ebenso impulsiv und aufbrausend sein. Hier hat die Autorin in meinen Augen das Potenzial ihrer Idee nicht konsequent ausgeschöpft und mir fehlt ein wichtiger Schlüssel in Cinders Charakter. Warum sind Cyborgs in der Gesellschaft so verachtet? Warum wurden ihnen offensichtlich die Menschenrechte aberkannt, egal ob sie zu 90% ein Cyborg sind oder nur zu 1%? Warum wird der Wert ihres Lebens geringer eingeschätzt als das eines Menschen ohne Technik im Körper?

Auch empfand ich das Timing der Geschichte als nicht ganz rund. Levana, Königin von Luna, tauchte für meinen Geschmack viel zu früh in der Geschichte auf. Die Autorin hätte die gewonnenen Seiten spielerisch leicht darauf verwenden können, die Beziehung zwischen Kai und Cinder zu stärken und die Forschungen von Dr. Erland sowie die Cyborgs mehr zu thematisieren. Für mich war das besonders ärgerlich, da Königin Levana als angedachte Gegenspielerin Cinders viel mehr tut, als durch die Räume des Palastes zu streifen und regelmäßig Wutanfälle zu bekommen. Ich fand es sehr schade, dass Levana so lieblos gestaltet wurde und ihr Charakter über den eines bockigen Kleinkindes nicht hinausging. Als Staatsoberhaupt hätte ihr ein kühles und berechnendes Auftreten besser zu Gesicht gestanden. So macht sie sich mit ihrem Verhalten in meinen Augen nur lächerlich. Trotzdem war das Ende unglaublich spannend und dank Marissa Meyers angenehmen Schreibstil sind die Seiten nur so an mir vorbei geflogen.

Fazit: Wie Monde so silbern ist ein gutes Debüt mit einer einzigartigen Idee, stellt sich aber manchmal selbst ein Bein. Marissa Meyers Geschichte entwickelt trotz des guten Tempos und des unterhaltsamen Plots überraschenderweise keinen allzu starken Sog. Die Autorin nutzt leider nicht das ganze Potenzial ihrer Idee und so bleibt Cinders Welt leider etwas hinter ihren tollen Möglichkeiten zurück. Nichtsdestotrotz war Wie Monde so silbern ein interessantes Abenteuer, das für die kommenden Bände noch sehr viel Luft nach oben lässt.

3,5 von 5 Sternen

Veröffentlicht am 15.09.2016

Girl on the Train: Ein spannendes und fesselndes Verwirrspiel

Girl on the Train - Du kennst sie nicht, aber sie kennt dich.
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Rachel ist eine Träumerin und sie liebt das Zugfahren. Da ist es nur verständlich, wenn sie sich das Leben derjenigen in den schönsten Farben ausmalt, die sie tagtäglich in den Gärten der Londoner Vorstadthäusern ...

Rachel ist eine Träumerin und sie liebt das Zugfahren. Da ist es nur verständlich, wenn sie sich das Leben derjenigen in den schönsten Farben ausmalt, die sie tagtäglich in den Gärten der Londoner Vorstadthäusern beobachtet. Jeden Morgen und jeden Abend, wenn der Zug an immer dem gleichen Signal auf der alten Strecke stehen bleibt. Und immer wieder fällt ihr das junge Paar auf, das dort vor einem Jahr eingezogen ist. Jess und Jason, wie Rachel sie in Gedanken nennt. So sehr sie aber in die beiden vernarrt ist, umso sehr beneidet sie das Paar um ihr (scheinbares) Glück.

"Die beiden sind wirklich füreinander geschaffen, sie sind ein gutes Gespann. Sie sind glücklich, das sehe ich ihnen an. Sie sind das, was ich früher war. Sie sind Tom und ich vor fünf Jahren. Sie sind, was ich verloren habe; alles, was ich gern wäre." S. 23

Paula Hawkins arbeitet in ihrem Roman gekonnt mit Schein und Trug. Jess ist nicht der Engel zu dem Rachel sie stilisiert, Jason ist auch nicht der perfekte Ehemann. Und auch manche anderen Charaktere verbergen ihr dunklen Seiten.

Das Buch über begleiten wir nicht nur Rachel, sondern auch Megan alias Jess, die uns an ihrer Vorgeschichte teilhaben lässt bis zu dem Tag an dem sie plötzlich spurlos verschwindet und Anna, die neue Frau an der Seite von Rachels Exmann Tom. Leider war mir keiner der Frauen sonderlich sympathisch – bis auf Rachels Mitbewohnerin/Vermieterin Cathy, die als geduldige und verständnisvolle Freundin auftritt.

Rachel versinkt in Selbstmitleid, Trauer und Alkohol um das Leben, das sie nicht mehr haben kann. Natürlich kann ich sehr gut nachvollziehen, dass es eine Katastrophe ist, wenn der Mann, den man liebt und den man geheiratet hat, einen mit einer anderen Frau betrügt und diese Frau dann auch noch den Platz im eigenen Haus einnimmt und ein Kind bekommt, das man selber nicht bekommen konnte. Natürlich ist man dann für die nächsten Monate am Boden zerstört, sieht erstmal keinen Sinn mehr im Leben und möchte sich nur noch verkriechen. Jedoch verkriecht sich Rachel seit 2 Jahren in ihrem Selbstmitleid und kann Tom nicht loslassen. Das ist mir unsympathisch.

Megan ist Rachel in manchen Dingen nicht unähnlich. Sie kann sich ebenfalls nicht mehr aufraffen, nachdem ihre Kunstgalerie bankrott gegangen ist. Sie lässt sich gehen, sucht weder nach einem neuen Job noch nach einem Hobby und betrügt ihren Mann, der ihr hinterher spioniert, ihre E-Mails liest und den Browserverlauf durchstöbert. Und Anna ist der Albtraum einer jeden verheirateten Frau. Eine, die es genießt die Geliebte zu sein, das Heimliche und Verbotene zu erleben und dabei auch kein schlechtes Gewissen hat, das Leben einer anderen zu zerstören.

Trotzdem hab ich mit Spannung verfolgt, wie sich die Charaktere im Laufe der Handlung verändert haben – manche zum positiven andere zum negativen. Genauso spannend wie die Entwicklung der Charaktere war das Mysterium um Megans (Jess') Verschwinden. Ich habe im Laufe der Handlung wirklich fast jeden verdächtigt sie umgebracht zu haben. Doch am Ende war der eigentliche Täter jemand ganz anderes.

Das Ende war mit das Beste am Buch - neben dem flüssigen, angehnehmen Schreibstil und der ungewöhnlichen Erzählperspektive ("Morgens" und "Abends"), bei der man viel Raum zum eigenen Spekulieren hatte durch die Momentaufnahme von Handlungen, Gedanken und Rückblenden der Charaktere.

Fazit: Paula Hawkins ist ein grandioser Mix aus Roman und Thriller gelungen, ein spannendes und fesselndes und sogleich psychologisches Verwirrspiel. Klare Lesempfehlung für "Girl on the Train"!

4 von 5 Sternen

Veröffentlicht am 15.09.2016

Eona: Das Abenteuer geht weiter! Spannend und Berauschend!

EONA - Das letzte Drachenauge
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Auch im zweiten Band nimmt uns wieder Eona mit auf ihre Reise und wieder beweist die Autorin Alison Goodman ihr ganzes Können. Eona - Das letzte Drachenauge knüpft nahtlos an den ersten Teil an und es ...

Auch im zweiten Band nimmt uns wieder Eona mit auf ihre Reise und wieder beweist die Autorin Alison Goodman ihr ganzes Können. Eona - Das letzte Drachenauge knüpft nahtlos an den ersten Teil an und es lassen sich neue Elemente in der Geschichte erkennen und weitere Facetten der Charaktere werden geschliffen.

Allerdings wird in diesem Buch eine vollkommen andere Seite von Eona und dem Reich der Himmlischen Drachen gezeigt. In Eona -Drachentochter wird der Fokus vor dem Hintergrund von Politik und Intrigen auf das Schicksal eines mutigen Mädchens gelenkt, das durch die Entdeckung ihrer Verschleierung den Tod fürchten muss. In der Fortsetzung nimmt der nahende Krieg immer schärfere Formen und Kontraste an, die durch Alison Goodmans großartigen Schreibstil mich wieder einmal in den Bann von Eonas Geschichte zieht. Allein von der Thematik und der Atmosphäre her, konnte ich mich allerdings mit dem ersten Teil mehr anfreunden und identifizieren.

Damit die Spannung bei ungefähr 600 Seiten nicht verloren geht, baute die Autorin eine weitere raffinierte Komponente ein, die mir regelmäßig Schauer über den Rücken jagte: Das klassische Liebesdrama, in dem ein Mädchen von zwei Männern angezogen fühlt, die sich um sie streiten und man weiß, dass dies kein gutes Ende nehmen wird. Wer jetzt denkt, dass dieses Begebenheit schon lange überholt sei, der irrt sich gewaltig. Denn Alison Goodman wirft nicht einfach zusammenhangslos eine komplizierte Liebesgeschichte in die Handlung nur um die Spannung hoch zu halten. Alles ist miteinander verflochten und die Autorin bringt die verschiedensten Inhalte miteinander in Abhängigkeit, so auch das Liebesdrama, dass zu Anfang sanft unter der Haut kribbelt. Mit jedem Kapitel eröffneten sich mir neue Aspekte, an denen ich meine wahre Freude hatte und mich dazu brachte, das Buch nicht mehr aus der Hand zu legen.

Fazit: Eona - Das letzte Drachenauge ist eine gelungene Fortsetzung, in der Alison Goodman eine weitere Seite ihres Könnens zeigt und vollkommen neue Elemente aufleben lässt. Eine unglaublich faszinierende Geschichte einer jungen Frau gefangen zwischen dem Begehren zweier Männer und der Macht der Drachen. Ein Abenteuer, das ich nur jedem empfehlen kann!

4 von 5 Sternen

Veröffentlicht am 25.02.2017

Zwischen Recht und Gerechtigkeit ...

Wer Furcht sät
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Selbstjustiz - ein ebenso brisantes und interessantes Thema, geradzu perfekt für einen Krimi oder Thriller. Ähnlich hat Autor Tony Parsons gedacht und die Frage der Gerechtigkeit zum Thema des neuen Falls ...

Selbstjustiz - ein ebenso brisantes und interessantes Thema, geradzu perfekt für einen Krimi oder Thriller. Ähnlich hat Autor Tony Parsons gedacht und die Frage der Gerechtigkeit zum Thema des neuen Falls von Detective Max Wolfe. In London nimmt eine Gruppe Erwachsener das Gesetz in die eigene Hand, film ihre Taten und stellt diese online. Schon bald werden sie von der Öffentlichkeit gefeiert und zum "Club der Henker" getauft. Sie töten den Abschaum der Gesellschaft - Mörder, Pädophile, Hassprediger, Junkies. Und nur Vollständigkeit halber möchte ich die Rechtfertigung des ersten Angeklagten zitieren:

Huren, sagte er. Billige Huren, die Schnaps und Drogen wollten. Schlampen, die sich selbst zur Schau stellten. Mädchen, die Männer mögen. Viele Männer. Typische Mädchen dieses Landes. (S. 14)

Man wird als Leser sofort in den Konflikt zwischen Recht und Gerechtigkeit geworfen. Ja, ich wollte Mahmud Irani hängen sehen, weil es mir gerecht erscheint. Ich Recht bin ich deswegen nicht. Ich verurteile Selbstjustiz in jedem Fall aufs Schärfte. Gerade der Anfang von Wer Furcht sät war gut geschrieben, die Spannung dicht und die Thematik stürzte mich in den ersten Gewissenskonflikt. Nach diesem starken Anfang verflog die Euphorie jedoch. Das Thema Selbstjustiz wurde für meinen Geschmack zu oberflächlich behandelt, nahm viel zu wenig wirklichen Raum ein, um die Charaktere und mich als Leser wirklich in eine tiefer gehende Auseinandersetzung zu zwingen, zu hinterfragen, was ist Recht und Gesetz, was Gerechtigkeit? Und schon bin ich mit der Tür ins Haus gefallen ...

... und mache direkt weiter: Auch die Charakter haben in Bezug auf das Thema viel zu wenig über ihre Handlungen nachgedacht und diese reflektiert. Es kam mir so vor als habe Tony Parsons auf Biegen und Brechen versucht, Detective Wolfe dazu zu bringen, am eigenen Leib zu erfahren, wie schmal der Grat zwischen der Ausübung von Recht und Gesetz und der Selbstjustiz ist - und das ist auf ganzer Länge misslungen, sei es nun die Gerichtsverhandlung im ersten Kapitel, bei der drei Jugendliche beinahe nur verwarnt werden, die einen Mann zu Tode prügelten oder die Tatsache, dass der Sohn von Max' Chefin durch eine Attacke in einem Club erblindet ist und der Täter straffrei davongekommen ist. Die Grundlage - die Ereignisse und die Konflikte waren ohne Frage da, wurden aber nicht aufgegriffen: Ist das Gleichgewicht zwischen Verbrechen und Strafe gerechtfertigt und ausgeglichen? Was spricht für und was gegen die Todesstrafe? Die Stimmung der Bevölkerung und der Politik deren Meinungen zu den Morden und dem Thema sind zudem vollkommen unter den Tisch gefallen.

Wenden wir unseren Blick nun den Ermittlern im Fall des "Clubs der Henker" zu: Detective Max Wolfe wirkte auf mich in seinem privaten Leben sehr authentisch und liebenswert. Er ist eher ein Durchschnittstyp und ein allein erziehender Vater. Wie er mit seiner Tochter Scout umgegangen ist und sich darüber freute, dass sie beide das erste Schuljahr unbeschadet überstanden haben, war sehr süß und sympathisch. Ich hätte sehr gene mehr Vater-Tochter-Momente erlebt. Sobald Max jedoch in seiner Arbeitswelt als Ermittler auftritt, verblasst er gerade zu. Rückblickend kann ich noch nicht einmal sagen, was Max großartig zur Ermittlung beigetragen hat.

Um ihn herum wuselten gefühlt tausende Kollegen umher die mich schlichtweg einfach überforderten. Hier ein Kollege, dort eine Kollegin und hier eine Stimmenanalytekerin, die mir als einzige langfristig im Gedächtnis geblieben ist, dort der Rechtsmediziner, ein Psychologe, Historiker, PR-Agentin, und noch mehr Kollegen und Kolleginnen, die alle mehr oder weniger gleichzeitig im Ermittlungsraum herumstanden, angestrengt auf ihre Laptops starrten und praktisch nichts zu Tage förderten. Wurde da überhaupt ermittelt? Auch meine liebste Figur, Tara, die Stimmenanalytekerin hat nichts zur Aufklärung des Falls beigetragen. Sie war, so schien es mir, nur als kleiner Love Interest für zwischendurch eingeplant. Dabei war sie das Interessanteste am ganzen Buch.

Der Schreibstil war besonders zu Anfang sehr gewöhnungsbedürtig. Man merkt, dass Tony Parsons früher als Journalist gearbeitet hat. Er schreibt sehr kühl und distanziert, wenig detailliert, was entschieden dazu beigetragen hat, dass weder Charaktere noch Schauplätze wirklich hängen bleiben. Unterhaltsam, wissenswert und durchweg gelungen war die Einflechtung der zahlreichen Informationen zu Londons historischen und blutigen Vergangenheit in die Handlung des Buches.

Fazit: Wer Furcht sät arbeitet mit einer interessanten und brisanten Grundthematik, die jedoch nur oberflächlich behandelt wurde. Die Charaktere blieben unterstützt durch den kühlen distanzierten Schreibstil blass, die Handlung hatte mit einigen Logiklücken, nicht nachvollziehbaren Aktionen der Figuren und Ermittlungen zu kämpfen, die nicht voran kamen. Tony Parsons wird seinem eigenen Anspruch, einen Kriminalroman mit Herz, Gefühl, Lachen und Tränen, Spannung und Nervenkitzel zu schreiben, nicht gerecht. Es hapert dafür an zu vielen Ecken.

2,5 von 5 Sternen