Ich bin schon lange neugierig auf die Bücher von Jutta Maria Herrmann und habe mich deshalb sehr gefreut, dass ich bei einem Gewinnspiel ihr Debüt Hotline mit einer persönlichen Widmung der Autorin gewonnen habe.
Ich konnte es kaum erwarten, endlich mit dem Lesen zu beginnen und war von der Geschichte schon von der ersten Seite an so gefangen, dass ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen konnte. Anfangs hat mich dieser Thriller ein bisschen an Sorry von Zoran Drvenkar erinnert. Die Beicht-Hotline hat durchaus ein paar Parallelen zu der Agentur für Entschuldigungen in Drvenkars Thriller, unterscheidet sich allerdings in einem ganz entscheidenden Punkt und war mir deshalb ein bisschen sympathischer, da es den vier Freunden eben nicht darum geht, die Vergehen ihrer Klienten zu entschuldigen, sondern ihnen nur daran gelegen ist, dass sich die Anrufer ihre Sünden von der Seele reden können. Im Grunde handelt es sich dabei um eine Art Telefonseelsorge, denn Chris, der die Idee zu dieser Beicht-Hotline hatte, ist davon überzeugt, dass jedes Vergehen seine Ungeheuerlichkeit verliert, wenn man versucht, es in Worte zu fassen und dies der erste Schritt zur Einsicht sei. Da sich die vier Freunde aber immerhin nicht anmaßen, Absolution zu erteilen, konnte ich diesen Grundgedanken durchaus nachvollziehen. Fragwürdig ist jedoch der unumstößliche Grundsatz, niemals die Polizei einzuschalten, selbst wenn die Anrufer schwerste Verbrechen gestehen. Damit befinden sie sich jedoch in Übereinstimmung mit der nicht minder fragwürdigen Beichtpraxis der Kirche, denn nach geltendem Kirchenrecht darf das Beichtgeheimnis selbst dann nicht gebrochen werden, wenn ein Mord oder eine andere schwere Straftat gebeichtet wurde. Aber es soll ja nicht um theologische Grundsatzdiskussionen oder um meine Vorstellungen von Schuld und Sühne gehen, sondern um das Buch.
Was mich ebenfalls sehr an Drvenkars Sorry erinnert und mir ausgesprochen gut gefallen hat, ist, dass die Kapitel, die aus der Sicht der unbekannten Anruferin erzählt werden, in der zweiten Person Singular geschrieben sind, der Leser also direkt angesprochen wird. Da es sich dabei um die Täterin handelt, also um eine Frau, die nicht nur ankündigt, ein neugeborenes Kind lebendig begraben zu wollen, sondern noch weitaus Schlimmeres vorhat, ist es für den Leser äußerst befremdlich, von ihr direkt angesprochen zu werden, denn diese vertraute Anrede erzeugt eine Intimität, die etwas irritierend ist. Noch verstörender war für mich, dass ich ihre Gedanken, ihren Hass und ihre Wut manchmal geradezu erschreckend nachvollziehbar fand. Durch die Vertrautheit und diese unmittelbare Nähe erhält man tiefe Einblicke in ihre Psyche, spürt die Verletzungen und Demütigungen, die ihr zugefügt wurden und kann auch nachfühlen, warum sie ihren Schmerz niemals abstreifen konnte. Trotzdem spürt man natürlich auf jeder Seite die Bedrohung, die von dieser Frau ausgeht, sodass diese Nähe zur Antagonistin mitunter auch als sehr unbehaglich ist, denn man ahnt recht schnell, dass ihr Hass auf einen der vier Freunde geradezu bizarre Formen annehmen wird.
Die Geschehnisse werden aus der Sicht der Täterin und abwechselnd aus der Perspektive jeder der vier Hauptprotagonisten erzählt. Dabei wird die Lebensgeschichte jedes einzelnen beleuchtet, was mir sehr gut gefallen hat, denn die Autorin hat sehr interessante und vielschichtige Figuren geschaffen und sie sehr präzise und psychologisch tiefgründig ausgearbeitet. Jeder der vier Freunde hat mit seinen eigenen Dämonen der Vergangenheit zu kämpfen und steckt in einer recht schwierigen Familien- oder Beziehungskonstellation. Die individuellen Schicksale der Akteure waren teilweise sehr ergreifend und auch ihre Beziehungen untereinander bergen enormes Konfliktpotential. Das heißt jedoch nicht, dass sie mir alle gleichermaßen sympathisch waren. Nur Rick und Paula vermochten es, mir so ans Herz zu wachsen, dass ich mit ihnen mitfühlen konnte und hoffte, wenigstens sie blieben von den perfiden Racheplänen der mysteriösen Anruferin verschont. Doch die versteht es äußerst geschickt, die wunden Punkte jedes Einzelnen aufzuspüren und sich für ihre Zwecke zu Nutze zu machen. Obwohl sich ihr Hass eigentlich nur auf einen der vier Freunde richtet, sollen nun alle für seine Verfehlungen büßen.
Leider war mir recht früh klar, wer von ihnen dieser Frau in der Vergangenheit so viel Leid zugefügt hatte und auch, wer die Täterin ist. Allerdings war nicht vorhersehbar, welch grausame Formen ihr Plan noch annehmen wird und ob es ihr gelingt, ihn bis zum Ende auszuführen, sodass die Spannung trotzdem auf einem hohen Level gehalten werden konnte. Auch die Arglosigkeit der vier Freunde, die sich der Gefahr, in der sie schweben, häufig gar nicht bewusst sind, trägt dazu bei, dass die Geschichte bis zum Ende fesseln kann.
Allerdings ist es ein sehr ruhiges Buch. Die Spannung resultiert nicht aus brutalen oder tempogeladenen Szenen, sondern aus der atmosphärisch dichten Erzählweise der Autorin, dem psychologisch ausgefeilten Plot und den verstörenden Einblicken in die Seele einer zutiefst verletzten Frau, die vor nichts zurückschreckt, um sich für ihr verlorenes Lebensglück zu rächen.
Mir hat Hotline sehr gut gefallen, weil ich die eher gemächlichen und dafür tiefgründigen Psychothriller den brutalen und actiongeladenen vorziehe und mich die gut ausgearbeiteten Charaktere und Jutta Maria Herrmanns Erzählstil absolut überzeugen konnten.