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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 15.07.2020

Ein Genuss für jede Jahreszeit.

Alle meine Wünsche
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Die Geschichte dieses ruhigen, besinnlichen Romans ist schnell erzählt. Jo hat einen kleinen Kurzwarenladen. Hin und wieder verirren sich Kunden dorthin. Sie hat also viel Zeit. Deshalb beginnt sie im ...

Die Geschichte dieses ruhigen, besinnlichen Romans ist schnell erzählt. Jo hat einen kleinen Kurzwarenladen. Hin und wieder verirren sich Kunden dorthin. Sie hat also viel Zeit. Deshalb beginnt sie im Internet-Zeitalter einen kleinen Blog und gibt dort Tipps zu Nadel, Faden und Stoffe. Sie erzählt aus ihrem Leben, von ihren Kindern, von ihrem Mann, den sie trotz aller männlichen Eigenheiten sehr liebt. Sie weiß zwar nicht warum, aber sie liebt ihn. Auch ein Flirt schafft es nicht, sie von ihrem Mann wegzuziehen. Sie träumt davon, ihrem Mann vielleicht einmal alle seine Wünsche erfüllen zu können: einen Porsche, eine teure Armbanduhr, eine Kreuzfahrt. Alles solche Sachen, von denen Männer träumen, wenn sie als kleiner Arbeiter oder Angestellter in einem großen Konzern arbeiten, bei dem sie nie das Geld zur Verwirklichung ihre Träumen verdienen werden. Da passiert etwas Unvorhergesehenes: Jo gewinnt in der Lotterie 18 Millionen Euro. Die Katastrophe nimmt ihren Lauf. Der 1960 geborene Delacourt hat einen besinnlichen Roman geschrieben. Als Mann hat er die Geschichte aus der Sicht der Protagonistin erzählt und daher eine nüchterne, beinahe naive Sprache gefunden. Viele Sätze klingen wie belanglos dahin geredet, lassen aber um so mehr Tiefe zu. Sicherlich trägt auch die Übersetzerin Claudia Steinitz einen Anteil daran, wenn die schlichten Worte so wirkungsvoll klingen, wie beispielsweise in dem Abschnitt, in welcher Jo von ihrem Ehemann Jo erzählt: „Wir machten lange Spaziergänge auf der Steilküste und hielten uns bei den Händen; manchmal, wenn keine Spaziergänger da waren, drückte er mich an den Felsen und küsste mich auf den Mund, seine freche Hand verirrte sich in meine Unterhose. Er hatte schlichte Worte, um sein Verlangen zu beschreiben. Schinken ohne Schwarte. Ich kriege einen Ständer. Du machst mich geil. Und an einem Abend …“ Übrigens erfährt der Leser natürlich im Roman, warum der Ehemann von Jo ebenfalls Jo heißt. Doch auch ein zweites Zitat soll Auskunft darüber geben, wie schön so manche Tatsache beschrieben werden kann. Als die Protagonistin von dem Freund ihrer Tochter erzählt und eigentlich nur aussagt, dass sie eine Nebenrolle in einem Film spielen durfte: „Einmal war er mit uns in Bristol und zeigte mir das Ardman Studio, wo er arbeitet; er gab der Blumenverkäuferin, an der Gromit im Film vorbeirennt, mein Gesicht. Ein Tag so schön wie die Kindheit.“ Der Schriftsteller zeigt mit viel Feingefühl, dass Besinnlichkeit nicht bedeutet, humorlos zu sein. Denn immer wieder platzen der Hauptfigur Worte heraus, die dem Leser ein Lächeln auf das Gesicht zaubern. Ein kurzer (127 Seiten), beinahe zu kurzer Roman, der den Leser an viele Alltäglichkeiten erinnert und ihn in eine kleine Welt zieht. Ein Genuss für jede Jahreszeit.

Veröffentlicht am 16.06.2020

Val McDermid: eine Meisterin ihres Fachs

Der Knochengarten
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Es ist ein weiterer Fall für Carol Jordan und Tony Hill. Einmal mehr führt die Autorin die Leser in die Abgründe der menschlichen Psyche.

Der Polizeipsychologe Tony Hill wurde zu einer Haftstrafe verurteilt ...

Es ist ein weiterer Fall für Carol Jordan und Tony Hill. Einmal mehr führt die Autorin die Leser in die Abgründe der menschlichen Psyche.

Der Polizeipsychologe Tony Hill wurde zu einer Haftstrafe verurteilt und sitzt nun im Knast. Seine Partnerin Carol Jordan ist aus dem Polizeidienst entlassen, hat mit dem Trinken aufgehört und versucht nun, sich aus dem depressiven Sumpf zu befreien. Das Team der Sondereinheit ReMIT von den beiden hat einen neuen Chef bekommen, der zudem eine wenig praxisgewohnte Mitarbeiterin mitgebracht hat. Er selbst ist nur auf sein Ansehen und seine Karriere fixiert. Nach seinem Einstieg bei dieser Truppe fällt ihm nichts anderes als eine Teambuilding-Maßnahme zum „besseren Kennenlernen“ ein. Doch dann werden an einem ehemaligen Kloster dreißig Leichen gefunden. Der neue Chef vom ReMIT hofft auf ein Prestigeobjekt und reißt die Ermittlungen an sich. Dann muss er weitere Überraschungen erleben.

Wie in vielen modernen Thrillern und Krimis geht es in diesem Roman nicht um eine geradlinige Ermittlung, nicht um einen einzigen Fall. Die verschiedenen Stränge erwachsen aus den einzelnen Figuren. Zwar bilden die Leichen einen Schirm, aber die einzelnen Geschichten um die Figuren machen erst den gesamten Roman spannend und fesselten mich beim Lesen. Denn keinem der Beteiligten geht es zu Beginn so richtig gut. Nicht einmal zum Ende des Romans, aber da gibt es wenigstens Hoffnungsschimmer zur Versöhnung. Val McDermid ist halt eine Meisterin ihres Fachs.

Jedes Kapitel beginnt mit einem Zitat aus dem fiktive Sachbuch des Kriminalpsychologen Dr Tony Hill. Hier nennt er Regeln zum Profiling. Diese Gestaltung ist sehr passend, denn Tony Hill will im Gefängnis ein Buch schreiben, wofür er zuvor nie die Zeit hatte.

Die gesamte Geschichte selbst wird jeweils aus der Sicht der für den Strang forcierten Protagonisten erzählt. Dies geschieht in den einzelnen Kapiteln. Nach jedem Kapitel wechselt die Perspektive und erzählt wird die Handlung der jeweiligen Hauptfigur. Natürlich aber bedingen die Kapitel einander. Es wäre zu simpel anzunehmen, man könne sich alle Kapitel beispielsweise um Carol Jordan heraussuchen, nacheinander lesen und dann hätte man eine Geschichte innerhalb der Geflechts abgeschlossen. Das wäre zu einfach. Dafür werden zu viele Informationen zu dieser parallelen Geschichte auch in den anderen Kapiteln hinterlassen.

Das Thema der verbuddelte Mädchenleichen ist eines, wie sich herausgestellt hat, das die britische Literatur schon lange beschäftigt. In den letzten drei Jahrzehnten gab es immer wieder entsprechend spekulative Enthüllungen. Zwar spricht McDermid vom Orden der „Seligen Perlen“, aber tatsächlich sind diese Vorfälle unter dem Namen der „Barmherzigen Schwestern“ – so auch ein Filmtitel- bekannt. Wer mehr über diese Verbrechen in unterhaltendes Romanform erfahren möchte, sollte einmal einen Blick in die Bücher »Auf den den zerbrochenen Flügeln der Freiheit« von Rebecca Michéle und »Das Haus der Verlassenen« von Emily Gunnis werfen.

»Der Knochengarten« ist sehr zu empfehlen, wenn man nicht immer geradeaus ermitteln sondern viel über Menschen erfahren möchte. Schicksale und Beziehungen sowie Konflikte von Val McDermid in vollendeter Form spannend präsentiert!

© Detlef Knut, Düsseldorf 2020

Veröffentlicht am 07.06.2020

Late Show als Strafversetzung

Late Show
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»Late Show« von Michael Connelly ist der erste Fall seiner neuen Protagonistin Renée Ballard, einer Polizistin in Los Angeles, die gebürtig aus Hawaii stammt und in die Abteilung der Late Show strafversetzt ...

»Late Show« von Michael Connelly ist der erste Fall seiner neuen Protagonistin Renée Ballard, einer Polizistin in Los Angeles, die gebürtig aus Hawaii stammt und in die Abteilung der Late Show strafversetzt wurde. Nach einem persönlichen Zoff mit ihrem Teamleiter glaubte ihr kein Mensch. Man versetzte sie in den Nachtdienst.

Late Show ist die Bezeichnung, die jeder Absolvent der Police Academy (Rookie) für den Nachtdienst kennt. Sie ist vergleichbar mit dem Kriminaldauerdienst in Deutschland. Die Polizisten dieser Abteilung werden als Erste an die Tatorte gerufen, das Verbrechen aufzunehmen. Der Leute der Late Show kennen keinen Tagdienst, so kommt die Versetzung in dieser Abteilung einer Strafversetzung gleich kommt.

Ich möchte an dieser Stelle keine Inhaltsangabe zu dem Buch machen, einen besonderen Hauptstrang gibt es nicht. Dieser Plot ist viel zu komplex. Ballards Job sorgt für mehrere parallele Fälle. Sie müssen gleichzeitig abgearbeitet und gelöst werden. Ballard wird mit ihrem Partner in einer Nacht an mehrere Tatorte gerufen. Sie versucht, die Täter festzusetzen, aber eigentlich muss sie die Fälle bei Schichtende am frühen Morgen abgeben. So gibt es in einem Club die Hinrichtung von drei Gangstern samt weiteren Toten als Kollateralschäden, die brutale Vergewaltigung einer Lady und den Diebstahl einer Handtasche. Dem Roman bleibt vorbehalten, ob diese Fälle oder Teile davon zusammenhängen oder nicht. (Viel Spaß beim Lesen!)

Ballard trägt viele persönliche Probleme mit sich herum. Das erschwert zusätzlich die Ermittlungen und erhöht die Spannung.

Michael Connelly ist der Erschaffer von Bosch. Als ehemaliger Kriminalreporter der Los Angeles Times hat er sich auf Polizeikrimis in Los Angeles spezialisiert. So wundert es nicht, das auch Ballard in Los Angeles ermittelt. Der vorliegende Roman liest sich wie eine topaktuelle Fernsehserie. Wer Serien wie Bosch, S.W.A.T., The Rookie oder 19-2 mag, wird von »Late Show« sehr begeistert sein.

Der Leser hetzt mit der Surferin, die am Strand von Santa Monica und Ventura mit ihre Hündin Lola in der Pacificmetropole lebt, durch die Straßen von L.A.. Er lernt die verschiedensten Abteilung der Polizei kennen, er sieht die menschlichen Abgründe in den abgelegenen Straßenzügen. Connelly fährt außerdem ein vielschichtiges und großartiges Figurenensemble auf. Menschen aller Couleur kommen zu Wort, Forensiker von der Universität, Rechtsanwälte, Autoverkäufer, Großmütter, korrekte und korrupte Cops. Sympathische und unsympathische Figuren sind auffindbar.

Ein begeisternder Roman, der die Leser in die heutigen Straßen von Los Angeles zieht. Sehr empfehlenswert. Ich möchte ihn nicht missen!

© Detlef Knut, Düsseldorf 2020

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Veröffentlicht am 29.05.2020

Detailliert wie eine Dokumentation

Jahre des Jägers
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Wieder ein Roman, welcher gerne als Krimi oder Thriller bezeichnet wird, aber eigentlich viel mehr als dieses Genre beinhaltet. Es ist ein dermaßen fundamentaler Roman über den Drogenhandel, den Drogenkrieg ...

Wieder ein Roman, welcher gerne als Krimi oder Thriller bezeichnet wird, aber eigentlich viel mehr als dieses Genre beinhaltet. Es ist ein dermaßen fundamentaler Roman über den Drogenhandel, den Drogenkrieg und dessen Globalisierung, dass man fast schon meint, eine Dokumentation vor sich zu haben.

Hauptfigur ist der Drogenfahnder Art Keller. Der Roman beginnt mit seiner letzten Schlacht in diesem Milieu. Anders als eine Schlacht kann man seine Einsätze kaum bezeichnen. Endlich hat er den Drogenbaron geschlagen, den er mehrere Jahrzehnte gejagt hat. Nun will er aussteigen und sein Leben etwas ruhiger angehen lassen. Eigentlich ist schon alles dafür geregelt. Doch dann tritt ein Politiker auf ihn zu und bietet ihm den Posten des Chefs der obersten Drogenbehörde DEA an. Das ist die Chance für Keller, die Drogen auf andere Art zu bekämpfen. Effektiver als zu seiner „Soldaten“-Zeit, mit einer neuen Struktur der DEA.

Winslow beleuchtet dieses Thema so umfassend und vielschichtig, wie man es selten präsentiert bekommt. Dazu in einer solch spannenden und dramatischen Weise, dass der Roman einem unter die Haut geht wie kein anderer. Er ist aufgeteilt in mehrere Bücher bzw Teile, die jeweils aus mehreren Kapiteln bestehen. Die verschiedenen Stränge werden teils wie eigene, geschlossene Geschichten gelesen. Sie sind vom Setting her sehr unterschiedlich. Einige sind im alltäglichen US-amerikanischen Business angesiedeltt, andere Szenen spielen ausschließlich im mexikanischen Orten innerhalb der Kartelle, von denen es reichlich gibt und die sich gegenseitig bekriegen. Eine gemeinsame Front gegen die mexikanische oder US-Behörden gibt es nicht. Wiederum andere Geschichten spielen in den Startsgefängnissen und Hochsicherheitstrakten, von denen aus so manche Drogenboss sein Kartell führt.

Winslow schafft es, wohl die Brutalität in diesen Bevölkerungsgruppen als auch das friedliebende Miteinander darzustellen. Zu jeder Schattenseite gibt es auch eine leuchtende Seite.

»Jagd des Jägers« ist der dritte Band einer Trilogie dieses Bestsellerautors, die sich mit dem amerikanisch-mexikanischen Drogenkrieg befasst. Die vorhergehenden beiden Bände muss man nicht zwingend gelesen haben, um auch den letzten Band verstehen zu können. Ein Roman, der tief unter die Haut geht.

© Detlef Knut, Düsseldorf 2020

Veröffentlicht am 17.05.2020

Wenn die Gängster dazwischen funken

Die Schuld der Väter
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Mit »Die Schuld der Väter« hat es James Lee Burke erneut geschafft, mich in seinem Bann zu ziehen. Und wieder habe ich etwas Neues am Stil entdeckt.

Eine 16 jährige Schülerin ist vergewaltigt und mit ...

Mit »Die Schuld der Väter« hat es James Lee Burke erneut geschafft, mich in seinem Bann zu ziehen. Und wieder habe ich etwas Neues am Stil entdeckt.

Eine 16 jährige Schülerin ist vergewaltigt und mit einer Schrotflinte erschossen worden. Schnell gerät ein junger Musiker wegen seiner Fingerabdrücke in den Verdacht. Doch Dave Robicheaux zweifelt an dessen Schuld und ermittelt weiter. Nach einem Gespräch mit der Großmutter des Musikers führen Spuren in die Vergangenheit und auf einen ehemaligen Plantagenaufseher. Hier kommt die Schuld der Väter ins Spiel. Erst recht, nachdem die Tochter eines Mafiosos getötet worden war. Robicheaux hat alle Hände voll zu tun, die unwillkommene Jagd der Gangster nach einem Täter Einhalt zu gebieten.

In diesem Roman hat mir ganz besonders die Komplexität gefallen. Es wird nicht nur an einem, zwei oder drei parallenen Strängen oder Verbrechen ermittelt. James Lee Burke eröffnet ganz viele Stränge, die jeder ein massiven Konflikt beinhalten, der gelöst werden will.

Mit Faszination habe ich mich auf das miese Wetter in New Iberia eingelassen und versucht, meine eigenen Theorien bestätigt zu bekommen. Aber es sollte nicht sein. Die Verstrickungen mit der Vergangenheit und die verschiedenen Gangsterszenen in Louisiana bieten so viele Möglichkeiten an Verdächtige. Hinzu kommt ein ominöser Obdachloser, der behauptet Robicheaux in Vietnam gerettet zu haben. Außerdem schafft sein Freund Clete Purcel zusätzlich Unruhe in die Ermittlungen. Cletes Liebesleben scheint ihn momentan besonders herauszufordern.

Zwar bekommt Robicheaux auch in diesem Roman wieder sein Fett weg, habe es wird dennoch gezeigt, dass es auch für ihn ein normales Leben gibt. Dies geschieht über seine Frau Bootsi und seine Tochter Alafair. Er unternimmt etwas mit ihnen gemeinsam.

Während Burke gelegentlich, aber besonders in anderen Romanen, vom Sonnenuntergang in Louisiana schwärmt, zieht in diesem Roman die meiste Zeit ist sehr schlechtes Wetter bei diesen Ermittlungen heraus. Ein wiederkehrendes Moment: Blitz, Donner, Regen! Dies zieht sich durch den gesamten Roman, so dass man als Leser meint, man müsse vielleicht einen Regenschirm beim Lesen aufspannen.

»Die Schuld der Väter« ist ein fulminanter Roman, mit dem man sich bestens in den hintersten Sessel der Wohnung zurückziehen und ihn genießen kann.

© Detlef Knut, Düsseldorf 2020

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