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Venatrix

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 12.06.2020

Fesselnd bis zur letzten Seite

Totenfels
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Dieser vierte Krimi rund um POM Anna Krüger birgt sprichwörtlich einige Sprengkraft. Nach tagelangem Dauerregen legt ein Erdrutsch eine 5-Tonnen Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg frei. Helgoland ist ...

Dieser vierte Krimi rund um POM Anna Krüger birgt sprichwörtlich einige Sprengkraft. Nach tagelangem Dauerregen legt ein Erdrutsch eine 5-Tonnen Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg frei. Helgoland ist damals von der britischen Luftwaffe dauernden Bombenhagel ausgesetzt worden.

Die Entschärfung der Bombe ist denkbar schwierig und so muss die gesamte Insel evakuiert werden. Kein leichtes Unterfangen für Paul Freitag und sein Team, denn einige der Inselbewohner weigern sich Helgoland zu verlassen.

Die Lage spitzt sich weiter zu, als in unmittelbarer Nähe der Bombe eine Leiche in einer britischen Uniform gefunden wird und gleichzeitig jemand sein perfides Spiel mit Anna und ihrer Vergangenheit zu treiben beginnt, der die ohnehin labile Polizistin an den Rand des Wahnsinns bringt.


Meine Meinung:

Dieser Fall ist an Spannung kaum zu überbieten. Die Handlungsstränge, einer aus dem Jahr 1945, der andere in der Gegenwart, verschwimmen wie Realität und Wahnsinn bei Anna. An manchen Stellen ist der Unterschied kaum auszumachen. Der exzessive Medikamentenverbrauch der Polizistin, um ihre „Stalin“ genannte Migräne im Griff zu behalten, ist schier unglaublich. Diese rasenden Kopfschmerzen sind die Folge eines traumatischen Erlebnisses in der Jugend Annas. Erst in diesem vierten Teil werden Geschehnisse endgültig enthüllt. Bislang haben wir Leser immer nur Bruchstücke erfahren.

Sehr spannend und geschickt sind die Ereignisse von 1945 eingeflochten. Auch davon haben wir in „Sturmfeuer“ (Band 2) gelesen.
Dieser Kunstgriff, die Vergangenheit in mehreren Teilen serviert zu bekommen, finde ich ziemlich interessant.

Geschickt lenkt Tim Erzberg den Verdacht auf verschiedene Personen, jagt Anna kreuz und quer über die Insel und legt zahlreiche falsche Fährten. Der Druck, der durch die Bombe und deren Entschärfung entsteht, die Mordermittlung und die Evakuierung geben ein hohes Tempo vor.

Der Autor spinnt ein dichtes und raffiniertes Netz aus Lügen, Andeutungen, Verdächtigungen, echten und falschen Erinnerungen sowie Schuldzuweisungen. Erst der Showdown am Ende offenbart dem Leser das gesamte Konvolut aus aufgestautem Hass und unerfüllter, weil verbotener Liebe.

Den bekannten Charakteren wie Paul, Anna oder Saskia stellt Tim Freitag neue, nicht minder komplexe Typen zur Seite. Der Leiter des Entschärfungsteam, der nur seine Arbeit hochkonzentriert machen will und von Saskias Avancen beinahe abgelenkt wird oder die bei Kripo-Beamten, die sich nur halbherzig um die Leiche kümmern. Auch einige Insulaner, von denen zuvor wenig bekannt war, mischen mit. Vor allem jene, die die Insel nicht verlassen wollen, wie Dr. Rückert, Annes ehemaliger Lehrer.

Letztendlich wird auch noch das Geheimnis um Saskias sexbesessenes Verhalten geklärt, das in den vorangegangen Büchern nicht nur Paul sondern auch so manchen Leser vor den Kopf gestoßen hat. Ob es wohl einen weiteren Band geben wird?

Fazit:

Ein fesselnder Krimi, der schon fast ein Thriller ist, der durch die Einbindung des geschichtlichen Hintergrunds Helgolands punktet. Gerne gebe ich hier 5 Sterne.

Veröffentlicht am 11.06.2020

Ein etwas anderer Wanderführer

Widerstand. Verfolgung. Befreiung.
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Das Autorn-Duo Thomas Neuhold und Andreas Praher heften sich mit diesem Wanderbuch auf die Spuren von Widerständlern, Verfolgten, Befreiern und auch Nazi-Größen in Salzburg, Oberösterreich, der Steiermark ...

Das Autorn-Duo Thomas Neuhold und Andreas Praher heften sich mit diesem Wanderbuch auf die Spuren von Widerständlern, Verfolgten, Befreiern und auch Nazi-Größen in Salzburg, Oberösterreich, der Steiermark und Kärnten.
Wir lernen auf 35 Wanderrouten die Schicksale von unterschiedlichen Menschen kennen. Wir treffen auf bekannte Namen wie Stefan Zweig, Franz Jägerstätter, Rosa Hofmann, Sepp Plieseis und einer ganzen Reihe von nicht so geläufigen Namen von Gegnern, die ihren Mut im Kampf gegen das Regime mit ihrem Leben bezahlen mussten. Auch den vielen namenlosen Opfern in den diversen Lagern und/oder Rüstungsbetrieben wird so gedacht.

Ein Hotspot der NS-Vergangenheit und deren Folgen scheint die Stadt Salzburg zu sein. Gleich sieben Wanderungen beschäftigen sich mit diesem Thema. Dabei kommt so manches zu Tage, das ein wenig unverständlich ist: So wird dem Nazi-Künstler Josef Thorak nicht nur eine große Bedeutung beigemessen in dem man eine Straße nach ihm benannt hat, während um die Anbringung jedes Stolpersteins zu Erinnerung an ein Opfer des NS-Regimes gerungen werden muss, sondern auch, dass nach wie vor einige seiner Skulpturen im öffentlichen Raum ausgestellt sind.

Das Buch zeichnet die mühsamen, oft verschlungenen und gefährlichen Weg auf, die zu Verstecken oder in eine vermeintliche Freiheit geführt haben. Interessant sind auch die Geschichten der abgeschossenen Piloten der Alliierten.

Jede Wanderung beinhaltet einen kurzen Abriss der Lebensgeschichte des Porträtierten sowie eine fundierten historischen Kontext, einen Ausschnitt einer Wanderkarte sowie Angaben zu Länge, Schwierigkeitsgrad und Dauer der zeitgeschichtlichen Wanderung.
Fotos der Namensgeber bzw. von Gedenkstätten ergänzen die Beschreibung der Routen.

Wer sich noch weiter in das Thema vertiefen will, findet am Ende des Buches zahlreiche Anregungen und Tipps zu weiterführender Literatur.

Ich bin häufig in Salzburg-Stadt und werde mir als erstes den Spaziergang „Jüdisches Salzburg“ rund um den Bahnhof vornehmen.

Fazit:

Ein etwas anderer Wanderführer, der uns auf den Spuren von Widerständlern, Verfolgten, Befreiten und Tätern wandern lässt. Gerne gebe ich 5 Sterne.

Veröffentlicht am 11.06.2020

Eine satirische Hommage an Tirol

Tirol. Eine Landesvermessung in 111 Begriffen
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Was Sie immer schon über Tirol wissen wollten, und sich niemals zu fragen trauten ... Hier können Sie Nützliches einfach nachlesen.

Tirol - ein stolzes Bundesland, das mitunter missverstanden wird ...


Was Sie immer schon über Tirol wissen wollten, und sich niemals zu fragen trauten ... Hier können Sie Nützliches einfach nachlesen.

Tirol - ein stolzes Bundesland, das mitunter missverstanden wird (vor allem vom Rest Österreichs) wird hier sehr launig in 111 Begriffen beschrieben.

Aufgebaut wie ein Lexikon beginnt die Beschreibung bei A wie „Abgrenzung“ und endet bei Z wie „Zuagroaster“. Dazwischen dürfen wir über so manchen Begriff staunen und auch herzlich lachen.
So werden echte Berühmtheiten wie Andreas Hofer (leider ein Pustertaler, heute Südtirol), Ötzi (leider auch ein Südtiroler), Peter Anich (endlich ein echter Tiroler) oder Otto Grünmandl genannt. Niederschlag finden auch Pseudo-Promis wie Peter Schröcksnadel oder James Bond (ja, die Doppelnull) die vor allem durch ihr Macho-Gehabe bekannt sind.

Wie wir es vom traditionsbewussten, mitunter ziemlich konservativen Tirol gewöhnt sind, sind Frauen auch hier unterrepräsentiert. Es kommen Margarete Maultasch - Landesmutter(S.47) und Therese Mölk (S.51) - Erfinderin der Supermaktkette MPreis (an die sich vermutlich nicht einmal die Einheimischen erinnern) vor. Bekannter sind da schon Frau Hitt (S. 32), die mit dem Riesen HAymon und dem Bettelwurf Geist ein Trio Infernal der Tiroler Sagenwelt bildet und die Geier-Wally (S.28), deren reales Vorbild eigentlich „Adler-Anna“ heißt.

Natürlich kommt auch die lieblich, schroffe Landschaft vor, die dem Charakter mancher Einheimischer ähnelt.

Entzückend und grenzgenial sind die mit spitzer Feder gezeichneten Illustrationen geben diesem Glossar so richtig Pep.

Dieses entzückende Buch habe ich durch Zufall entdeckt und für mich als gelernte Landvermesserin mit zwei Chefs, die aus Tirol (Innsbruck und Reutte) stammen, ein unbedingtes must-have. Der Tyrolia-Verlag hat mir freundlicherweise gleich ein Rezensionsexemplar überlassen. Dazu gibt es eine passende Postkartenserie, die in Zeiten der elektronischen Kommunikation eine - durchaus zu Tirol passend - konservative Art Grüße zu übermitteln, darstellt.

Fazit:

Ein tolles, witziges Geschenk für Tiroler, Nicht-Tiroler und für Menschen mit Sinn für Humor. Doch Vorsicht, kann unerwartete Nebenwirkungen wie Lachkrämpfe und Horizonterweiterungen verursachen! Gerne gebe ich hier 5 Sterne.

Veröffentlicht am 09.06.2020

Eine gelungene Fortsetzung

Geisterfahrt
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Dieser Krimi ist der dritte nach „Hell-Go-Land“ und „Sturmfeuer“ mit Anna Krüger, der Polizistin auf Helgoland.

Anna und Kollegin Saskia besuchen mit dem gemeinsamen Chef Paul Freitag und dessen kleiner ...

Dieser Krimi ist der dritte nach „Hell-Go-Land“ und „Sturmfeuer“ mit Anna Krüger, der Polizistin auf Helgoland.

Anna und Kollegin Saskia besuchen mit dem gemeinsamen Chef Paul Freitag und dessen kleiner Tochter Pauline das größte Volksfest im Norden Deutschlands: den Hamburger Dom.

Anna findet gleich beim Eingang einen Ausweis, den sie einem der zahlreichen anwesenden Polizisten übergibt. Dass sie damit sich und den anderen Besuchern keinen Gefallen tut, erfährt sie wenig später. Denn der Name Marco Kovacs auf dem Dokument ist der eines mutmaßlichen Gefährders. Während die Polizei Großalarm auslöst, geht Pauline im Getümmel verloren ...

Meine Meinung:

Der Krimi ist sehr spannend und, dass sich die Ereignisse innerhalb von nur 2 Stunden abspielen, erzeugt Adrenalin pur. Doch nicht nur die hektische Suche nach der neunjährigen Pauline und dem Gefährder sorgen für das hohe Tempo. Daneben spielt sich eine tragische Liebesgeschichte ab und Pauline wird von einem Obdachlosen aufgelesen. Hier zieht der Autor alle Register und lässt die Leser an allerlei Horrorszenarien denken. Doch gleichzeitig zeigt Tim Erzberg auf, wie schnell Vorurteile Menschen in den Fokus der Behörden geraten lassen.

Saskia ist mir nach wie vor unsympathisch. Für ihre bisweilen aufdringliche Art Männern gegenüber habe ich wenig Verständnis. Selbst ihr Vorgesetzter, Paul, geht ihr auf den Leim. Ihre Arbeitsauffassung halte ich ebenfalls für fragwürdig. Sie lebt ein Leben wie auf dem Vulkan, ohne Rücksicht auf andere. Selbst das Verschwinden von Pauline kostet sie nur ein Achselzucken. Ich empfinde Saskia als krasses Gegenteil zu Anna, die rund um die Ur im Einsatz ist. Doch auch die Figur der Anna ist nicht ganz friktionsfrei. Der ausufernde Tablettenkonsum wegen ihrer Migräne, die eine posttraumatische Belastungsstörung ist, ist kaum zu tolerieren. Ich halte sie nicht für dienstfähig. Da lässt es Paul als Vorgesetzter ein wenig an Sorgfaltspflicht mangeln, denn ihr nur die Medikamente wegzunehmen ist zu wenig.

Geschickt sind einzelne kurze Rückblick in Annas Vergangenheit eingeflochten.

Das Setting - der Dom in Hamburg - flößt mir persönlich großes Unbehagen ein. Solche Menschenmassen kann ich so gar nicht leiden. Zur Spannung trägt dieser Vergnügungspark natürlich bei.
Ein bisschen hat mir die Insel Helgoland und ihre teilweise schrulligen Einwohner gefehlt.


Fazit:

Eine gelungene Fortsetzung, wenn ich auch die Insel Helgoland ein wenig vermisst habe.

Veröffentlicht am 09.06.2020

Ein wichtiger Zeitzeugenbericht

Ich traue dem Frieden nicht
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Wenn Werner von Kieckebusch dem Frieden nach dem Ende der Nazi-Diktatur nicht traut, so hat er damit Recht. Denn wenig später errichtet die Sowjetunion eine neue Diktatur, die Deutschland in West und Ost ...

Wenn Werner von Kieckebusch dem Frieden nach dem Ende der Nazi-Diktatur nicht traut, so hat er damit Recht. Denn wenig später errichtet die Sowjetunion eine neue Diktatur, die Deutschland in West und Ost teilt und erst 1989 mit dem Fall der Berliner Mauer zu Ende ist.

Der ehemalige Gutsherr Werner von Kieckebusch hat penibel Tagebuch geführt. Dieses hier umfasst die Zeit April 1945 bis Silvester 1946.

Trocken schildert er, den Alltag der Menschen in Potsdam und was sie in diesen Monaten erleben mussten: Sie wurden beraubt, vertrieben, gedemütigt, vergewaltigt und auch getötet. Allerdings schwelgt von Kieckebusch nicht im Selbstmitleid, denn er ist kein Anhänger des Regimes.

Interessant ist die Motivation, ein solches Tagebuch zu führen: Er schreibt es für seinen zweitgeborenen Sohn Burkhard, der seit Monaten vermisst wird. Sein Bruder ist bereits 1942 gefallen. Mit diesem Tagebuch sollen die Ereignisse für Burkhard nachzulesen sein. In seinen Eintragungen schwingt immer die Hoffnung mit, etwas über Burghards Verbleib zu erfahren. Die Ungewissheit ist schwerer zu ertragen, als die Nachricht vom Tod des Sohnes. Doch bis zu Werner von Kieckebuschs eigenem Tod 1975, wird die Suche nach der Gewissheit um Burkhards Schicksal erfolglos bleiben.

Trotz der vielen schrecklichen Erlebnisse und Ereignisse verliert Werner von Kieckebusch weder seinen Humor noch seine Hilfsbereitschaft.

Das Manuskript ist, wie Jörg Bremer, der mit Werner von Kieckebuschs Urenkelin verheiratet ist, ganz behutsam an die heutige Schreibweise angepasst. Der an manchen Stellen antiquiert wirkende Schreibstil lässt uns Leser direkt in diese Zeit eintauchen. Seine Zigarren nennt von Kieckebusch „Nasenwärmer“ - darüber musste ich schmunzeln.

Faszinierend finde ich auch die realistische Einschätzung des Autors, was das wirtschaftliche Fortkommen der ehemaligen großen Güter angeht. Die großangelegte Enteignung „Junkerland in Bauernhand“, Zerteilung in kleine Parzellen und die willkürliche Ansiedlung von Menschen, die keine Ahnung von der Landwirtschaft haben, konnte nur schief gehen. Als ehemaliger (und mäßig erfolgreicher) Gutsbesitzer hat Werner von Kieckebusch das Fiasko vorausgesehen.


„Das ist das Tagebuch von meinem Urgroßvater voller Schrecken, Trauer und Hunger – aber beim Lesen habe ich trotz allem auch gelacht.“ (Christiane Bremer, Urenkelin von Werner von Kieckebusch, im Vorwort)

Fazit:

Schnörkellos, aber mit einem Anflug von schwarzem Humor, erzählt Werner von Kieckebusch, in seinem Augenzeugenbericht, die Zeit zwischen zwei Diktaturen. Gerne gebe ich diesem wichtigen Zeugnis der Vergangenheit 5 Sterne und eine unbedingte Leseempfehlung.