Rockstar-Romanze mal ganz anders...
Auch wenn die Geschichte einige Schwächen hatte, hat mir sehr gut gefallen, dass sie sich anders als das Genre häufig vorgibt, vor allem auf eine zerbrechliche Vater-Tochter-Beziehung konzentriert und ...
Auch wenn die Geschichte einige Schwächen hatte, hat mir sehr gut gefallen, dass sie sich anders als das Genre häufig vorgibt, vor allem auf eine zerbrechliche Vater-Tochter-Beziehung konzentriert und eine zarte Liebesgeschichte nur am Rande vorkommt. Wer glühende Leidenschaft sucht, wird hier enttäuscht werden. Wir erhalten aber eine einfühlsame Charakterstudie und eine ganz andere Version der typischen Rockstar-Romanzen.
"Gute Nacht", flüstere ich. Er streicht mir über die Haare. "Gute Nacht, meine Liebste." Ich liege noch eine Weile wach und frage mich, ob es wohl möglich ist, vor Glück zu sterben. Doch stattdessen schlafe ich ein."
Das Cover ist mal wieder ein typischer LYX-Traum in Weiß mit rosa-lila Akzenten und einem großen Titel. Die zarten Blattstrukturen und der helle Hintergrund lassen an einen verregneten Herbsttag denken und erscheinen gleichzeitig edel und spritzig. Auch wenn mir die Gestaltung wirklich gefällt, bin ich ein bisschen enttäuscht, dass sich der Verlag hier nicht ein bisschen mehr von der Originalausgabe hat inspirieren lassen, auf dem man ein Mädchen mit Gitarre vor Notenblättern sieht. Im Vergleich dazu, ist dieses Cover hier sehr nichtssagend und könnte auch zu jedem beliebigen anderen Roman gehören. Ebenso ist es mit dem Titel. "Never Let Me Down" passt zwar grundsätzlich zu einer verkorksten Vater-Tochter-Beziehung (und man könnte munkeln, dass er eine Anspielung auf den Song von David Bowie ist). Warum der Originaltitel "The Accidentals" jedoch nicht beibehalten wurde, wenn sich der Verlag schon für einen englischen Titel entscheidet, ist mir nicht ganz klar. Denn "The Accidentals" passt in zweierlei Hinsicht wunderbar zur Story. Auf der einen Seite wird hier der Musikbezug sofort klar, da "Accidentals" für Versetzungszeichen steht, auf der anderen Seite ist Rachels Leben stark von Zufällen geprägt. Schön ist jedoch, dass der Verlag die englischen Songtexte nicht übersetzt hat und die abgedruckte Musik so ihr Originalflair behält.
Erster Satz: "Als ich in der dritten Klasse war, fand ich heraus, dass der Mann aus dem Autoradio, der "Wild City" sang, derselbe war, der meiner Mutter jeden Monat einen Scheck schickte."
Als wir die junge Rachel kennenlernen, steht sie am Tiefpunkt ihres Lebens. Schlimm genug, dass ihre Mutter überraschend verstorben ist und sie deshalb die letzten Wochen bis zu ihrem 18. Geburtstag in einem kirchlichen Kinderheim verbringen muss - da taucht kurz vor ihren Abschlussprüfungen auch noch ihr Vater auf. Freddy Ricks, der berühmte Rockstar, den sie noch nie getroffen hat. Auch wenn er für sie im Grunde ein Fremder ist, zieht sie seine Gesellschaft dem Heim vor und kommt mit ihm nach LA, wo sie in eine komplett neue Welt aufgenommen wird. Doch bleibt er auch bei ihr, wenn sie nach Clairborne aufs Internat geht? Kann sie auf seine Unterstützung zählen, wo er sie doch 18 Jahre im Stich gelassen hat? Es beginnt eine Zeit voller Verwirrung, Musik, Trauer, Hoffnung und neuer Liebe...
"Dein Leben ist jetzt ein Märchen", fährt Aurora fort. "Die Mutter stirbt, und du wirst zu deinem Vater geschickt, der in einem fernen Land König ist." "Und jeden Moment kommen die Trolle und Drachen an", füge ich hinzu. "Das kann schon sein", bestätigt Aurora und dreht sich im Bett um. "Und böse Stiefmütter. So eine habe ich auch." Sie schweigt einen Augenblick. "Aber Märchen gehen immer gut aus, Rachel, das kann ich dir garantieren."
Ich lache in der Dunkelheit und hoffe, dass sie recht hat."
Anders als erwartet - das fasst meinen Eindruck zu dieser Geschichte relativ treffend zusammen. Nach dem Klapptext hatte ich eine College-Liebesgeschichte mit einem Rockstar-Thema erwartet. Anders als der Klapptext impliziert, sind die Protagonisten aber noch auf der High-School und der Love Interest Jake taucht erst nach 150 Seiten auf. Das ist jedoch keinesfalls ein Problem, denn hier steht weniger die Liebesgeschichte im Vordergrund, sondern viel mehr die Vater-Tochter-Beziehung zwischen Freddy und Rachel, die sich erstmal kennenlernen müssen. Hier geht es vorrangig um Verlust, Entwurzelung, Träume, Familie, Heimat und Trauerbewältigung und es ist sehr herzergreifend mit anzusehen, wie die beiden ungleichen Verwandten um gegenseitiges Vertrauen ringen und versuchen, eine gemeinsame Basis aufzubauen. Die zarte Liebesgeschichte ist mehr ein nettes Plus am Rande, die Rachels hoffnungsvoller Blick nach vorne versinnbildlicht. Auch der Schreibstil ist anders als erwartet: statt wie so oft leidenschaftlich zu sein, führt uns Sarina Bowen eher kühl und distanziert in Rachels Innenleben ein und bringt uns ihre Gedanken und Gefühle einfühlsam aber nicht intensiv nahe.
"Du bist wie eine doppelte Verneinung. Was vorher negativ war, wird positiv."
"Jedenfalls irgendwann. Und was ist das Problem mit doppelten Verneinungen?"
"Sie sind verirrend."
Eine wichtige Säule, auf der die Geschichte neben der Vater-Tochter-Beziehung steht, ist die Entwicklung der Protagonistin selbst. Gerade weil sie mit ihrer zurückhaltenden, ernsten Art, die sie gerne mal selbst als "Braves-Mädchen-Komplex" bezeichnet, nicht die typische vorlaute Draufgänger-Protagonistin des Genres ist, hat sie mir gut gefallen. Ihre Unsicherheit, ihr freundliches Entgegenkommen und ihre Unfähigkeit, ihre Emotionen auszudrücken, lässt sie zwar ab und ab etwas rückgradlos erscheinen, dennoch beeindruckt sie mit ihrem reifen Umgang der Situation. Leider erhält außer Rachel keiner der total liebeswerten Nebenfiguren wirkliche Tiefe. Freddys Motive und Innenleben blieben mir bis zum Ende ein Rätsel, Jake profiliert sich in seinen Emails zu Beginn mehr als in allen weiteren Szenen, Rachels Kindheitsfreund Haze taucht nur ab und zu als Verursacher eines Konflikts auf und auch Rachels Freundin Aurora scheint nur eine nette Randfigur zu sein. Was die Protagonisten angeht, wäre also weitaus mehr drin gewesen!
"In Spanien sagen wir: "No hay mal que por bien no venga." Aus jedem Übel entsteht noch irgendetwas Gutes."
Die Handlung des Buches erstreckt sich über fast ein Jahr hinweg und auch wenn wir dadurch genügend Zeit bekommen, um Rachels Entwicklung beizuwohnen, ist die große Zeitspanne einer meiner Hauptkritikpunkte. Denn nach einem beeindruckenden Beginn verliert sich die Geschichte in einem leider recht ereignislosen Mittelteil, der durch große zeitliche Sprünge gekennzeichnet ist, die ich immer wieder als Bruch empfunden habe. Statt einen angefangenen Konflikt zu Ende zu erzählen, springen wir plötzlich mehrere Wochen in der Handlung nach vorne und übergehen somit Lösung, die ins Off verbannt wird. Das empfand ich als sehr schade, da so viele Szenen mit Potential wegfallen und spannende Themen nur kurz angerissen werden. Auch die Auflösung am Ende geht sehr schnell, was zur Folge hat, dass wir die Protagonisten fast mitten im Geschehen verlassen müssen und sich das typische "Das-Buch-ist-jetzt-zu-Ende"-Gefühl nicht einstellt. Hier hätte ich mir eine intensivere Auseinandersetzung und mehr emotionale Tiefe gewünscht.
Fazit:
Rockstar-Romanze mal ganz anders: "Never Let Me Down" ist mehr eine einfühlsame Charakterstudie eines Mädchens, das sich nach dem Tod ihrer Mutter neu orientieren muss, als ein Liebesroman. Trotz Schwächen in Mittelteil und Ende überzeugten mich Rachels Entwicklung, ihre Beziehung zu ihrem Vater und die zarte neue Liebe zu Jake.