Hugo-Award Gewinnerin? Eine vielköpfige Fangemeinde? Auf der anderen Seite des großen Teiches stellt Jemisin eine Größe in der fantastischen Literatur dar, die nicht mehr wegzudenken ist. Bei uns ist sie weitestgehend unbekannt. Wegen dieser großen amerikanischen Popularität schlug ich die erste Seite mit Spannung und hoher Erwartung um.
War ich begeistert? Nein. Ich war viel eher erschlagen von dem ganzen neuen Input, der dieser erste Band liefert. Ich fahnde gerade nach Adjektiven um dieses Buch zu beschreiben, und doch tue ich mich schwer mit dieser Aufgabe. Sperrig? Komplex? Ausladend? Genial? Kompliziert? Das stimmt alles mit meiner Gefühlslage überein, wenn ich an das Buch zurückdenke. Auch eine Empfehlung auszusprechen, ob positiv oder negativ, fällt mir sehr schwer. Ich kann es schlicht und einfach nicht – da sich jeder mit Jemisins Werk selbst auseinandersetzen und für sich selbst ein Urteil fällen sollte. Der Auftakt der Trilogie ist sehr speziell, auf seine Art aber auch wunderbar und faszinierend – für mich. Letztendlich ist es dem Buch gelungen mich zu packen und mitzunehmen und mich etappenweise wirklich zu begeistern.
Wodrum geht’s eigentlich? Grob gesagt: Der Kontinent hat ein paar kleinere tektonische Problemchen, die immer wieder dazu führen, dass Städte wie Kartenhäuser in sich zusammenstürzen und mit Magma gefüllte, aschespuckende Krater sich in der Erde auftun. Kein Wunder, dass die Menschen dort ein wenig anders denken als in unseren Kulturkreisen. Die Kultur hat sich eigentlich rund um die Tektonik strukturiert und ist auf das Überleben ausgerichtet. Einerseits war es spannend, die Andersartigkeiten zu entdecken und mit der westlichen abzugleichen. Andererseits ermüdete es auch bisweilen, wenn ein kompliziertes Detail in den Raum geworfen wurde, dass erst später von Bedeutung war und auch erst an dem Punkt erklärt wurde. Genauso verhielt es sich mit dem Magiesystem. Plattentektonik beeinflussen? Erdbeben verursachen? Kein Problem. Schicken wir mal ein paar Orogenen aus dem Fulchrum hin. Die werden es schon richten. Mir standen zunächst einige Fragezeichen im Gesicht, die so schnell nicht weichen wollten – vergleichbar mit einem komplizierten Puzzle, bei dem der Kopf schon beim Rand anfängt zu rauchen, der Spieler aber in hohem Maße stolz auf sich ist, je mehr Teile aneinanderpassen. Ich begann in etwa in der Mitte, diesen Stolz zu spüren.
Gleich zu Beginn ist auffällig, dass Jemisin eine sehr ungewöhnliche Kombination von Perspektiven wählt. Sie hat drei unterschiedliche Protagonisten, deren Schritte verfolgt. Zum einen die Damaya, die ihre Kräfte lernen muss zu zügeln, zum anderen Syenit, die ihre Zeit im Fulchrum schon hinter sich hat und nun Aufträge erfüllt. Und dann haben wir noch eine Protagonistin, die ein übergeordneter Erzähler direkt anspricht – es ist beinahe so, als würde der Erzähler in einem Fotoalbum blättern und sich gemeinsam mit der Figur an alte Tage erinnern. Für mich war die Erzählstruktur neu und gewöhnungsbedürftig, aber auch eine völlig andere Art, in eine Story einzusteigen. „Hey du, lass uns vom Ende der Welt reden.“ – verwirrend, aber nach einiger Zeit fand ich das auch sehr gut gemacht vom Storytelling her.
Dadurch, dass immer wieder zwischen den drei Protagonisten hin und her geswitchet wird, wird ein hohes Maß an Komplexität aufgebaut und ich für meinen Teil merkte auch nach einigen Seiten, dass ich gespannt auf das nächste Kapitel war. Was mag Essun in der Zwischenzeit geschehen sein? Und was ist mit Damaya? Zu Beginn hatte ich wirklich meine Probleme mit dem Buch, vor allen Dingen da der Stil von N.K. Jemisin gewollt sperrig ist. Er wirkt durchdacht, aber ich habe meine Zeit gebraucht, ehe ich wirklich drin war und Querverbindungen knüpfen konnte und ehe ich meine Verbindung zu den Charakteren aufgebaut hatte. Dafür ist nämlich auch Geduld vonnöten.
Im Stil bleiben vor allen Dingen die tiefgehenden Erklärungen von Jemisin im Bereich Plattentektonik und das darin verwobene magische System hängen. Man spürt, dass dahinter wirklich tiefgründige Recherche steckt. Und dass sie die Magie, die ohne Zauberei und Lichteffekte auskommt, so gekonnt darin verankert, finde ich wirklich genial. Sie stellt jedoch solchen Erklärungen auch eine geballte Ladung Action entgegen. Manchmal kam es mir so vor, dass eine Passage ihre Längen hatte, und dann wurde ich gefangen genommen von einem Erdbeben oder von einem Kampf – vollkommen überrumpelt wäre wohl der bessere Ausdruck. Auch an Geheimnissen sparte die Autorin nicht – ich sehe sie in meinem Geist händereibend vorm PC sitzen.
Jemisin schafft in „Zerrissene Erde“ eine düstere Welt – aber je weiter ich in dem Buch vorgedrungen bin, desto mehr wurde ich emotional mitgerissen. Sie spielt mit einer zunächst kühlen Betrachtung der Charaktere – deshalb kommen die Emotionen auch nur durch eine Eiswand beim Leser an. Aber irgendwann durchbricht er diese und ich fand mich plötzlich ganz verwirrt wieder, wie ich weinte, lachte und anfeuerte – und bei mir dachte: „Moment – fandest du das Buch nicht emotionslos?“.
Eine Beurteilung fällt mir unglaublich schwer. Der erste Teil der Trilogie stieg in meiner Achtung während des Lesens von „mies“ über „faszinierend“ zu „genial“ – und ich glaube, dass wollte N.K. Jemisin erreichen. Ich gebe keine Empfehlung. Mit dem Buch muss sich jeder Leser selbst auseinandersetzen – da es eben kein Mainstream ist, in keiner Art der Betrachtung – und zudem jede Art von Schreibregel bricht.
Ich betrachte es nunmehr als stark geschrieben, unheimlich kraftvoll und auf eine andere, entrückte Art emotional.