Wenn die Protagonisten in den Hintergrund rücken und die Dorfidylle für grossen Lesegenuss sorgt...
Die Liebe kommt auf ZehenspitzenInhalt:
Lucy, eine sich in der Grossstadt einsam fühlende Liebesromanautorin und Ben, ein Arzt, der sich in seinem Job in der Klinik überfordert gefühlt hat, lernen sich auf einer Autofahrt kennen und ...
Inhalt:
Lucy, eine sich in der Grossstadt einsam fühlende Liebesromanautorin und Ben, ein Arzt, der sich in seinem Job in der Klinik überfordert gefühlt hat, lernen sich auf einer Autofahrt kennen und werden gemeinsam auf dem Hof der älteren Dame Dorle eingeschneit. Als diese kurz darauf stirbt, vermacht sie ihren Hof den damals überraschend aufgetauchten Übernachtungsgästen unter der Bedingung, dass Lucy und Ben diesen gemeinsam bewohnen und nach Möglichkeit bewirtschaften sollen.
Weil beide so oder so keinen Halt mehr in ihrem alten Leben haben, stürzen sie sich in dieses neue Abenteuer und werden von der an einem Strick ziehenden Dorfgemeinschaft mit offenen Armen und Herzen empfangen.
Meine Meinung:
Kristina Günak ist es gelungen, mich von Anfang an für sich und ihre Figuren einzunehmen, was mich sehr gefreut hat. Ich habe es geliebt, wie Lucy und Ben sich auf dem Hof einleben (und sich dabei nicht selten auch ein wenig umständlich anstellen) und wie die Bewohner des kleinen Dorfes sich den beiden Stadtbewohnern annehmen. Besonders gut gefallen hat mir als überzeugte Katzenliebhaberin übrigens der träge, liebenswerte Hofhund Helmut, den Lucy und Ben von Dorle übernommen haben und dessen bedächtige Art im ganzen Buch für sehr viele herzerwärmende Momente gesorgt hat.
In zahlreichen amüsanten Szenen hat Kristina Günak gezeigt, wie humorvoll und feinfühlig sie schreiben kann. Da wären zum Beispiel Dorffeste, der kauzige Nachbar Fredo mit seinem grossen Herz, der Kochkurs, bei dem Lucy so gar nichts lernt, aber um so mehr Spass hat oder auch die kleinen und grösseren Arbeiten rund um den Hof. Die sich zwischen Lucy und Ben anbahnende Romanze rückte dabei mehr und mehr in den Hintergrund und hätte in meinen Augen dann auch eigentlich gar nicht mehr sein müssen. Zu unklar ist Bens Vergangenheit und auch nach mehr als 300 Seiten kann ich mir nicht vorstellen, wie die "Protagonisten" aussehen und eigentlich waren alle anderen im Buch vorkommenden Figuren wesentlich interessanter, präsenter und mit mehr Entwicklungspotenzial ausgestattet. Ich würde es mir deshalb wünschen, noch einmal in dieses kleine Dorf zu reisen und mehr über Millie, Fredo, Esat und wie sie alle heissen zu erfahren.
Schreibstil:
Auch wenn das Landleben natürlich ein wenig gar idyllisch daherkommt, hat sich vor allem da gezeigt, wie besonders gut Kristina Günak (be-)schreiben kann. Ich habe die Blüten der Obstbäume, Millies Kuchen und den Jägermeister riechen und fast schon schmecken können und hätte mich am liebsten zu Esat auf die blau gestrichene Bank am Wegrand gesetzt, mit ihm geplaudert, die Post sortiert und auf den nächsten Gemütsausbruch von Fredo gewartet. Auch ist es Günak gelungen, Bens psychische Erkrankung feinfühlig in die Handlung einzuflechten, ohne sie ins Lächerliche zu ziehen oder - umgekehrt - pathetisch zu werden.
Weniger gut hat mir gefallen, wie Lucys Schreiballtag beschrieben ist. Ihre anfängliche Romanidee verkommt zu einer Farce und muss komplett umgekrempelt werden und auch sie als Figur wirkt für ihr Alter viel zu unbeständig, unreif und auch ein wenig gar unsicher, kann aber dafür mit ihrer feinfühligen Art auftrumpfen.
Fazit:
Obwohl die eigentlichen Protagonisten eine stets kleiner werdende Rolle einnehmen und letztendlich gänzlich in den Hintergrund rücken, Lucys Romanidee sehr an den Haaren herbeigezogen wirkt und wir über Bens Vergangenheit immer noch ganz wenig erfahren, hat Kristina Günak eine herzerwärmende Sommerlektüre geschrieben, welche das idylissche Landleben und den Zusammenhalt einer Dorfgemeinschaft feinfühlig beschreibt. Das Buch kann man lesen, muss es aber nicht, deshalb gibt es keine Empfehlung von mir, sondern einen Wunsch:
Ich wünsche mir eine Fortsetzung, die sich vor allem mit den anderen Bewohnern des kleinen Dorfes befasst und würde sehr gerne in die kleine Dorfgemeinschaft zurückkehren. Evtl. sind sogar genug Ideen für eine Frühling-Sommer-Herbst-Winter-Romanreihe da?