Das Schweigen brechen
Mutig, schmerzhaft und teilweise quälend ist «Nein». Die Erzählung einer Frau, deren Leben sich nach einer Vergewaltigung dramatisch ändert - und des Täters, der immer noch glaubt, sie habe es doch nicht ...
Mutig, schmerzhaft und teilweise quälend ist «Nein». Die Erzählung einer Frau, deren Leben sich nach einer Vergewaltigung dramatisch ändert - und des Täters, der immer noch glaubt, sie habe es doch nicht anders gewollt.
Mit «Nein» hat die amerikanische Schriftstellerin und Filmproduzentin Winnie M. Li einen wichtigen Beitrag zur «#MeToo»-Debatte um sexuelle Gewalt geleistet. Mit ihrem Roman über Vivian, eine Amerikanerin mit chinesischen Wurzeln, die in einem Park von Belfast von einem 15-Jährigen brutal vergewaltigt wird, dürfte sie auch ein persönliches Trauma aufgearbeitet haben. Denn auch Li wurde wie ihr literarisches Alter Ego in Belfast vergewaltigt, auch in ihrem Fall war der Täter ein 15-Jähriger aus der irischen Traveller Community.
Schon wenige Wochen nach der eigenen Vergewaltigung sei der Gedanke zu dem Buch entstanden, schreibt Li in dem Nachwort. Damit entschloss sie sich zu Offenheit, wo viele Opfer einer Vergewaltigung häufig schweigen, manchmal für Jahre oder gar Jahrzehnte - als ob das Schweigen die Tat irgendwann einmal aus der Erinnerung drängen könnte.
Li erspart sich und dem Leser nichts - die Angst, die Panik, die Erniedrigung, Schmerz und Brutalität, blanken Überlebensinstinkt und das tiefe Loch, in das Vivian, ein aktive, reiselustige und aufgeschlossene Frau, nach der Vergewaltigung fällt. Plötzlich ist sie nur noch ein Schatten ihrer selbst, verkriecht sich in ihrem Schlafzimmer, leidet unter Übelkeit und Panikattacken. Und trotzdem nimmt sie es auf sich, im Prozess gegen ihren Vergewaltiger auszusagen, im Gerichtssaal ihm in die Augen zu sehen und ihm zu zeigen: Bei allen Tränen - sie hat überlebt.
Das Besondere an «Nein»: Li schreibt aus zwei Perspektiven, aus der Sicht Vivians und aus der Sicht des Täters, Johnny. Der Jugendliche, der Frauen bevorzugt als «Schlampen» tituliert und bis zuletzt betont, Vivian habe freiwillig mit ihm Sex gehabt. Die 39 Verletzungen, die bei der medizinischen Untersuchung dokumentiert wurden, seien eben darauf zurück zu führen, dass sie es «hart» wollte.
Mit einem prügelnden Vater und einem kriminellen älteren Bruder in einem Wohnwagen lebend, ist Johnny klar einer der Verlierer der Gesellschaft, hat ein hartes Leben. Die Reaktionen der Nachbarn auf dem Wohnwagenplatz machen aber deutlich: Nichts rechtfertigt sein Verbrechen. Auch Li betont, sie wolle keinerseits zur Pauschalisierung der Traveller beitragen.
Wie lange hat die Tat gedauert? Vielleicht eine halbe Stunde, schätzt Vivian in ihrer Aussage vor Gericht. Doch das war eine halbe Stunde, die ihr Leben radikal veränderte und noch Jahre nachwirkt. Der Prozess, allen voran die Vernehmung durch den Verteidiger Johnnys, reißt die vorsichtig verheilenden Wunden wieder auf. «Müssen wir Frauen wirklich all diese Erniedrigungen über uns ergehen lassen, damit uns Gerechtigkeit widerfährt?» fragt Vivian sich.
An einer anderen Stelle heißt es: «Wie oft muss sie dieses Spießrutenlaufen noch über sich ergehen lassen? Um Gerechtigkeit zu erfahren, wird sie sich öffentlich so lange entblößen müssen, bis nichts mehr von ihr übrig ist.»
Das Urteil kann nur eine gewisse Erleichterung verschaffen: Der Täter kann vorerst weder Vivian, noch anderen Frauen gefährlich werden. Dass er Einsicht zeigt, sich zu seiner Verantwortung bekennt und tatsächlich ändern kann - das scheint fraglich. Vivian wiederum fällt es trotz des Urteils schwer, daran zu glauben, dass ihr Leben irgendwann einmal wieder so sein wird wie früher.
Vielleicht war das Schreiben des Buches ein Ventil für Li. Ganz bestimmt ist es ein wichtiger Beitrag für Frauen, die nach einer Vergewaltigung selber den Weg zum Weiterleben suchen, aber auch für ihre Freundinnen, Schwestern, Mütter, die sich fragen, wie sie am besten Unterstützung leisten können. Zu wünschen wäre, dass dieses Buch aber auch den Weg zu Männern findet die das «Nein» einer Frau bisher nicht ernst nehmen wollten.