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Veröffentlicht am 14.06.2020

Das Schweigen brechen

Nein
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Mutig, schmerzhaft und teilweise quälend ist «Nein». Die Erzählung einer Frau, deren Leben sich nach einer Vergewaltigung dramatisch ändert - und des Täters, der immer noch glaubt, sie habe es doch nicht ...

Mutig, schmerzhaft und teilweise quälend ist «Nein». Die Erzählung einer Frau, deren Leben sich nach einer Vergewaltigung dramatisch ändert - und des Täters, der immer noch glaubt, sie habe es doch nicht anders gewollt.

Mit «Nein» hat die amerikanische Schriftstellerin und Filmproduzentin Winnie M. Li einen wichtigen Beitrag zur «#MeToo»-Debatte um sexuelle Gewalt geleistet. Mit ihrem Roman über Vivian, eine Amerikanerin mit chinesischen Wurzeln, die in einem Park von Belfast von einem 15-Jährigen brutal vergewaltigt wird, dürfte sie auch ein persönliches Trauma aufgearbeitet haben. Denn auch Li wurde wie ihr literarisches Alter Ego in Belfast vergewaltigt, auch in ihrem Fall war der Täter ein 15-Jähriger aus der irischen Traveller Community.
Schon wenige Wochen nach der eigenen Vergewaltigung sei der Gedanke zu dem Buch entstanden, schreibt Li in dem Nachwort. Damit entschloss sie sich zu Offenheit, wo viele Opfer einer Vergewaltigung häufig schweigen, manchmal für Jahre oder gar Jahrzehnte - als ob das Schweigen die Tat irgendwann einmal aus der Erinnerung drängen könnte.
Li erspart sich und dem Leser nichts - die Angst, die Panik, die Erniedrigung, Schmerz und Brutalität, blanken Überlebensinstinkt und das tiefe Loch, in das Vivian, ein aktive, reiselustige und aufgeschlossene Frau, nach der Vergewaltigung fällt. Plötzlich ist sie nur noch ein Schatten ihrer selbst, verkriecht sich in ihrem Schlafzimmer, leidet unter Übelkeit und Panikattacken. Und trotzdem nimmt sie es auf sich, im Prozess gegen ihren Vergewaltiger auszusagen, im Gerichtssaal ihm in die Augen zu sehen und ihm zu zeigen: Bei allen Tränen - sie hat überlebt.
Das Besondere an «Nein»: Li schreibt aus zwei Perspektiven, aus der Sicht Vivians und aus der Sicht des Täters, Johnny. Der Jugendliche, der Frauen bevorzugt als «Schlampen» tituliert und bis zuletzt betont, Vivian habe freiwillig mit ihm Sex gehabt. Die 39 Verletzungen, die bei der medizinischen Untersuchung dokumentiert wurden, seien eben darauf zurück zu führen, dass sie es «hart» wollte.
Mit einem prügelnden Vater und einem kriminellen älteren Bruder in einem Wohnwagen lebend, ist Johnny klar einer der Verlierer der Gesellschaft, hat ein hartes Leben. Die Reaktionen der Nachbarn auf dem Wohnwagenplatz machen aber deutlich: Nichts rechtfertigt sein Verbrechen. Auch Li betont, sie wolle keinerseits zur Pauschalisierung der Traveller beitragen.
Wie lange hat die Tat gedauert? Vielleicht eine halbe Stunde, schätzt Vivian in ihrer Aussage vor Gericht. Doch das war eine halbe Stunde, die ihr Leben radikal veränderte und noch Jahre nachwirkt. Der Prozess, allen voran die Vernehmung durch den Verteidiger Johnnys, reißt die vorsichtig verheilenden Wunden wieder auf. «Müssen wir Frauen wirklich all diese Erniedrigungen über uns ergehen lassen, damit uns Gerechtigkeit widerfährt?» fragt Vivian sich.
An einer anderen Stelle heißt es: «Wie oft muss sie dieses Spießrutenlaufen noch über sich ergehen lassen? Um Gerechtigkeit zu erfahren, wird sie sich öffentlich so lange entblößen müssen, bis nichts mehr von ihr übrig ist.»
Das Urteil kann nur eine gewisse Erleichterung verschaffen: Der Täter kann vorerst weder Vivian, noch anderen Frauen gefährlich werden. Dass er Einsicht zeigt, sich zu seiner Verantwortung bekennt und tatsächlich ändern kann - das scheint fraglich. Vivian wiederum fällt es trotz des Urteils schwer, daran zu glauben, dass ihr Leben irgendwann einmal wieder so sein wird wie früher.
Vielleicht war das Schreiben des Buches ein Ventil für Li. Ganz bestimmt ist es ein wichtiger Beitrag für Frauen, die nach einer Vergewaltigung selber den Weg zum Weiterleben suchen, aber auch für ihre Freundinnen, Schwestern, Mütter, die sich fragen, wie sie am besten Unterstützung leisten können. Zu wünschen wäre, dass dieses Buch aber auch den Weg zu Männern findet die das «Nein» einer Frau bisher nicht ernst nehmen wollten.

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Veröffentlicht am 25.05.2020

Ein Buch wie ein Nollywood-Film von Tarrantino

Meine Schwester, die Serienmörderin
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Oops, she did it again! Kann Krankenschwester Korede nach dem Anruf ihrer kleinen Schwester Ayoola nur denken. Sie hat es schon wieder getan. Denn während manche die Modedesignerin aufgrund ihres Äußeren ...

Oops, she did it again! Kann Krankenschwester Korede nach dem Anruf ihrer kleinen Schwester Ayoola nur denken. Sie hat es schon wieder getan. Denn während manche die Modedesignerin aufgrund ihres Äußeren als männermordendes Traumgeschöpf bezeichnen können, rammt Ayoola Männern in der Tat gerne mal eine 20 Zentimeter lange Klinge zwischen die Rippen. Nun auch ihrem gegenwärtigen beziehungsweise ehemaligen Freund.

Das ist nun bereits der dritte – und damit erfüllt Ayoola ganz offiziell die FBI-Standards für Serienmörder. Doch auch wenn die Schwester eine Serienmörderin ist – Blut ist nun einmal dicker als Wasser. Und so macht sich Korede mit Bleiche und anderem Material als Reinmachen, um Tatspuren zu beseitigen und die Leiche zu entsorgen. Ayoola mag schnell mit der Klinge sein, mit dem gründlichen Aufräumen nach der Tat hat sie es nicht so, da verlässt sie sich lieber auf die große Schwester.

Es ist schon eine ganz besondere Schwesternbeziehung und Familiengeschichte, die die nigerianische Autorin Oyinkan Braithwaite in ihrem Debütroman „Meine Schwester, die Serienmörderin“ beschreibt. Ältere Geschwister kennen das seit ihrer Kindheit: Wenn die Kleinen Mist bauen, bekommen die Älteren Vorwürfe: Warum hast du nicht besser aufgepasst? Wobei die Konsequenzen bei Mord und Beihilfe ein bißchen ernster sind. Schon aus Eigeninteresse muss Korede also aufpassen, dass Ayoola nicht auffliegt. Dabei ist die Familiendynamik schon ohne Serienmorde nicht ohne Probleme.

Denn Korede mag die Ältere sein, diejenige, die nach einem neuen Mord nicht den Kopf verliert und als Oberschwester im Krankenhaus auch beruflich respektabel dasteht. Doch im Leben und in der Liebe wird alles überschattet durch Ayoola, die durch ihre Schönheit allen Männern den Kopf verdreht und dank ihres Äußeren auch sonst im Leben offene Türen findet. Selbst die eigene Mutter zieht die schöne jüngere Tochter eindeutig der unauffälligen Korede vor. Als dann auch noch der Klinikarzt, in den Korede heimlich verliebt ist, sich in Ayoola verliebt, reagiert sie nicht nur eifersüchtig, sondern auch besorgt. Schließlich haben die Männer in Ayoolas Leben eine kurze Verweildauer.

Der einzige Mensch, dem sich Korede in ihren Nöten anvertraut, ist ein Komapatient. Der wacht dann entgegen aller Prognosen nicht nur auf, er kann sich auch an die Monologe der Krankenschwester erinnern. Ein vergleichbare kleines Problem angesichts der sprunghaften Ayoola, die die Aufmerksamkeit der Polizei und der Angehörigen ihrer Opfer auf sich zu ziehen droht. Da ist es fast schon wieder von Vorteil, dass in der Mega-Metropole Lagos Korruption zum Alltag gehört.

Erst nach und nach wird in diesem mit hohem Erzähltempo und bissigem Humor geschriebenen Roman klar, dass Gewalt in der Familie Wurzeln hat: Das Messer, mit dem Ayoola ihre Männer umbringt, gehörte einst dem Vater, einem brutalen und gewalttätigen Patriarchen. Gerade Ayoola musste unter seinen Launen leiden – und wurde als die Schönheit der Familie zugleich Geschäftspartnern regelrecht „angeboten“. Welche Rolle die Schwestern beim Unfalltod des Vaters spielen, bleibt offen – doch ich könnte mir gut vorstellen, dass es sich buchstäblich um einen Befreiungsschlag gehandelt haben könnte.

In manchen Szenen ist „Meine Schwester die Serienmörderin“ so grell und dramatisch wie ein Nollywood-Film, in anderen zeigt dieses Buch das widersprüchliche und doch unzerreißbare Band, das so vielleicht nur zwischen Schwestern besteht – komme, was wolle. Und so manche aberwitzige Situation strapaziert die Lachmuskeln. Dieser Debütroman macht neugierig auf mehr von Oyinkan Braithwaite.

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Veröffentlicht am 02.05.2020

Etwas ist krank im Staate Dänemark

Glasflügel
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Ein ungewöhnliches Mordwerkzeug, eine Mordserie, die Kopenhagen aufschreckt und viele Fragen nach Verantwortung und Missbrauch im Gesundheitswesen - mit ihrem Thrille "Glasflügel" hat die dänische Autorin ...

Ein ungewöhnliches Mordwerkzeug, eine Mordserie, die Kopenhagen aufschreckt und viele Fragen nach Verantwortung und Missbrauch im Gesundheitswesen - mit ihrem Thrille "Glasflügel" hat die dänische Autorin Katrine Engberg einen weiteren Roman um das Ermittlerduo Jeppe Korner und Anette Werner geschrieben, der in sich abgeschlossen ist, aber auf Entwicklungen der Vorgänger basiert.

So setzt Korner seine heimliche Beziehung zu seiner Kollegin Sara fort und grübelt weiterhin: Ist es nur Sex oder ist es Liebe? Ist er bereit für eine Beziehung, die auch zwei Kinder einschließt, Patchworkfamilie statt Ungebundenheit? Wobei es auch mit der Ungebundenheit nicht weit her ist - nach seiner Scheidung ist Korner erst einmal wieder bei seiner Mutter eingezogen, die nun auch während der Arbeit an einem Fall ständig anruft. Als Erwachsener zurück im Kinderzimmer - gar nicht so einfach.

Vor allem, da die mütterlichen Anrufe erst recht störend sind, seit täglich eine nackte Leiche in einem Brunnen gefunden wird, gespenstisch weiß, da buchstäblich ausgeblutet. Der Täter benutzte ein Schröpfmesser, ließ seine Opfer verbluten. Alle von ihnen haben einmal in einem Heim für psychisch kranke Jugendliche gearbeitet. Ein Mädchen, das dort Aufnahme gefunden hatte, hatte sich einst die Pulsadern aufgeschnitten. Liegt hier der Schlüssel zu dem Fall?

Bei seinen Ermittlungen muss Körner ohne seine Partnerin Werner auskommen, eigentlich - denn die ist in Elternzeit. Wirklich glücklich ist die Polizistin in ihrer Mutterrolle allerdings nicht - während ihr Ehemann völlig im Vatersein aufgeht, ist sie zunehmend genervt. Warum schreit das Kind ständig? Das Stillen hätte sie sich auch nicht so anstrengend vorgestellt und vor allem möchte sie endlich mal wieder ausreichend schlafen. Muttergefühle wollen sich da nicht so recht einstellen, statt dessen verfolgt Werner heimlich aus dem trauten Heim Hinweise und stellt eigene Ermittlungen an.

Es geht also ziemlich vielfältig um Familien, ihre Dynamik und ihre Altlasten. Kaputte Familien, zerstörte Familien, Familien, die sich erst noch zusammenfinden müssen, Familienersatz - kurz, die ganz besonderen Bande von Liebe, Nähe, aber auch Enttäuschung oder Hass, die in anderen sozialen Zusammenhängen selten so intensiv sind. Wie heißt es schließlich? Blut ist dicker als Wasser.

Es ist aber auch etwas faul im Staate Dänemark, genauer gesagt in seinem Gesundheitssystem, wie die Ermittlungen zeigen. Wer kontrolliert eigentlich, wie gut psychisch Kranke, gerade auch Jugendliche, betreut werden? Was passiert, wenn sie mit 18 Jahren sozusagen aus der Zuständigkeit der Behörden fallen? Kann es wirklich noch sein, dass Patienten mit Medikamenten ruhig gestellt werden ? Engberg schafft es, spannend und empathisch zu schreiben und findet die richtige Mischung aus einem interessanten Plot und der persönlichen Entwicklung ihrer Hauptfiguren, die lebensnah und glaubwürdig wirken. Die Lösung ist ebenso überraschend wie stimmig.

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Veröffentlicht am 05.04.2020

Seilschaften, blutige Abrechnung und ein Pharma-skandal

Die Toten von Marnow
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s ist der Sommer 2003 und noch immer müssen Ost und West im wiedervereinigten Deutschland zusammenwachsen - das gilt auch für das Ost-West-Duo bei der Kriminalpolizei in Rostock. Lona Mendt und Frank Elling. ...

s ist der Sommer 2003 und noch immer müssen Ost und West im wiedervereinigten Deutschland zusammenwachsen - das gilt auch für das Ost-West-Duo bei der Kriminalpolizei in Rostock. Lona Mendt und Frank Elling. Ein scheinbarer Routinefall zu einem in einem Plattenbau ermordeten Mann wirft schon bald Fragen auf: In die Stirn des Toten wurde das Wort "Kinderficker" geritzt, auf seinem Rechner ist einschlägiges Material gespeichert.

Alles deutet auf einen Racheakt hin - bis ein Kriminaltechniker feststellt, dass diese Daten erst nach dem Tod des Mannes auf den Rechner gespielt wurden. Wer versucht, die Ermittler hinters Licht zu führen? Und was hat ein zweiter Mord mit ganz ähnlicher Ausführung mit dem ersten Fall zu tun. Klar scheint nur: die Antwort muß in dem idyllisch an einem See gelegenen Städtchen Marnow zu finden sein. Die Arbeit an dem Fall bedeutet vor allem für Elling schon bald eine Bedrohung der eigenen Integrität.

Mit den Ermittlern Mendt und Elling hat Autor Holger Karsten Schmidt zwei ganz unterschiedliche Hauptfiguren geschaffen: Der Ostdeutsche Elling ist eher ein gemütlicher Familienmensch, ein wenig spießig, der seiner Frau und seiner Tochter alles bieten will und dabei über seine Verhältnisse lebt. Doch nicht nur die wachsenden Schulden bedrücken den Polizisten, der großen Wert auf pünktlichen Feierabend legt. Mendt dagegen ist für ihre Kollegen eine unbekannte Größe - erst vor einem Jahr aus Hannover in den Osten gekommen, eine eher verschlossene Einzelgängerin, die sich über Privates ausschweigt, in einem Wohnmobil lebt und immer wieder mal den Standort wechselt. Elling bewundert seine Kollegin, die für ihn einer der freiesten Menschen ist, die er kennt. Und auch Mendt versteht sie geradezu wortlos mit dem Kollegen, trotz aller Unterschiede.

Schmidt ist auch Drehbuchautor, und irgendwie ist das dem Buch anzumerken. Ein wenig wirken die Szenenwechsel und Rückblenden geradezu filmisch-dynamisch. Neben einem gerade durch die Gegensätze reizvollem und interessanten Ermittlerduo führt der Plot in die deutsch-deutsche Vergangenheit, in schmutzige Machenschaften der Pharmaindustrie und zu Stasi-Seilschaften, die bis in die Gegenwart andauern. "Die Toten von Marnow" ist ein spannender, anspruchsvoller Krimi mit Protagonisten, die im Laufe ihrer Ermittlungen auch privat in harte Grenzsituationen geraten. Am Ende des Buches steht nicht nur die Klärung des Falls, sondern auch die Frage, wie es für Mendt und Elling wohl weiter geht. "Die Toten von Marnow" macht neugierig auf mehr.

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Veröffentlicht am 22.03.2020

Gegen das Vergessen

Rote Kreuze
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Von der Sowjetunion und ihren schlimmsten Phasen während des Stalinismus hat Sasha Filipenko nicht viel mitbekommen. Der weißrussische Autor wurde 1984 geboren. Seine Kindheit fiel in die Zeit von Glasnost ...

Von der Sowjetunion und ihren schlimmsten Phasen während des Stalinismus hat Sasha Filipenko nicht viel mitbekommen. Der weißrussische Autor wurde 1984 geboren. Seine Kindheit fiel in die Zeit von Glasnost und Perestroika, seine Jugend in den Zerfall der UdSSR. Sein Buch "Rote Kreuze" ist dennoch eine literarische Reise in die stalinistische Vergangenheit, zu den Prozessen gegen angebliche Volksfeinde, durch Folter erzwungene Geständnisse, Sippenhaft und Lagersystem.

"Rote Kreuze" ist auch die Geschichte einer untypischen und anfangs ungewollten Freundschaft zwischen dem verwitweten Alexander und seiner 91-jährigen Nachbarin Tatjana, die an Alzheimer leidet. Anfangs ist Alexander vom Mitteilungsbedürfnis der alten Frau genervt, er hat genügend eigene Probleme. Die Frau, deren Kurzzeitgedächtnis bereits gelitten hat und die durch Erzählen auch die Erinnerungen an eine dramatische Vergangenheit, an ihre Toten und die Zeit des Terrors bewahren will, findet erst nach und nach Zugang zu dem jungen Mann.

Sie ist ein eher herber Charakter, diese Tatjana Alexejewna, noch vor der Revolution in London geboren und von Gouvernanten erzogen. Der oft eher lakonische Erzählstil Filipenkos passt zu dieser Figur.

Trotz des privilegierten Hintergrundes hat sich ihr Vater der Idee des Kommunismus verschrieben und zieht kurzerhand nach Moskau, wo Tatjana zum neuen, sowjetischen Menschen heranwachsen soll.

Der jugendliche Idealismus hält an, die mehrsprachige junge Frau tritt eine Stelle im Außenministerium an. Dass immer wieder Kollegen verschwinden, dass in den Wohnblocks der Funktionäre nachts Menschen abgeholt werden, von denen man nie wieder hört - das weiß sie zunächst erfolgreich zu verdrängen. Sie hat die Illusion, all dem entkommen zu können, konzentriert sich auf das private Glück mit Mann und kleiner Tochter, selbst noch zu Beginn des Zweiten Weltkriegs. Wozu die Tschekisten fähig sind, muss sie nur allzu bald an eigenem Leib erfahren.

Gesäumt ist diese Lebensgeschichte mit tatsächlichen Dokumenten und Briefwechseln zwischen dem Internationalen Roten Kreuz und dem Außenministerium, geben dem Roman eine dokumentarischen Rahmen.

Von einer Freundschaft und einem Pakt gegen das Vergessen ist im Klappentext die Rede, doch angesichts der dramatischen Lebensgeschichte Tatjanas bleibt Alexander trotz seiner eigenen, persönlichen Tragödie als Ich-Erzähler eine eher blasse Figur und auch die Dyamik der sich entwickelnden Feundschaft ist beim Lesen nicht wirklich überzeugend. Eine bitterböse Pointe hat "Rote Kreuze" angesichts Tatjanas Bemühen, sich vor sich selbst zu rehabilitieren und ein vermeintlich begangenes Unrecht wiedergutzumachen.Hier schließt sich auch ein Kreis, denn es ist Alexander, der die Antwort findet, die Tatjana so lange gesucht hat. Eines ist klar: Tatjanas Erinnerungen können überdauern.

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