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Veröffentlicht am 23.06.2020

Saudade und Poesie

Gebrauchsanweisung für Lissabon
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Ein Reisebuch wie „Gebrauchsanweisung für…“ kann man sich vor einer geplanten Reise besorgen, um schon einmal etwas über das Ziel zu erfahren – auch auf die Gefahr, dann später den Ort durch die Perspektive ...

Ein Reisebuch wie „Gebrauchsanweisung für…“ kann man sich vor einer geplanten Reise besorgen, um schon einmal etwas über das Ziel zu erfahren – auch auf die Gefahr, dann später den Ort durch die Perspektive des Autoren zu betrachten. Oder man greift zum Buch, um – gerade in Corona-Zeiten zum Hier-Bleiben gezwungen – einem vertrauten und geliebten Ort wenigstens auf diese Art nahe zu kommen, neugierig, wie andere ihn sehen und erleben.

So ging es mir mit Martin Zinggls „Gebrauchsanweisung für Lissabon“, wo ich eigentlich im Mai wieder einmal sein wollte. Aber nix da. Kein Pastel de nata, kein Abhängen an einem der zahlreichen Miradouros im magischen Licht des späten Nachmittags. Also statt dessen: ein Buch.

Einer der besten Sätze findet sich gleich in einem der ersten Kapitel: „Wäre Lissabon ein Mensch aus Fleisch und Blut, könnte die Stadt nur Leonard Cohen sein.“ Das trifft es perfekt, denn diese Mischung aus Eleganz, Poesie und Melancholie eint den kanadischen Sänger und Dichter und die Stadt am Tejo.

Zinggl beschreibt einiges, was für Erstbesucher zum Pflichtprogramm gehört, etwa die Fahrt mit der ruckelnden Tram durch die engen, steilen Gassenvon Alfama und Graca, die Miradouros, Chiado und Baixa, er schildert die Auswirkungen von Gentrifizierung und dem Verlust der authentischen Einwohnerschaft in den bei Investoren und Airbnb-Betreibern in Stadtteilen wie Alfama. Eine Entwicklung, die er ja selbst mitmachte (auch wenn das in dem Buch dann nicht so reflektiert wird), lebte er doch schließlich bei zwei längeren Aufenthalten in Lissabon selbst dort.

Klar, dass auch die kulinarischen Besonderheiten nicht fehlen dürfen, etwa der getrocknete Kabeljau oder eben die berühmten pastel de nata samt ihrer Entstehungsgeschichte. Wobei er die übrigen zahlreichen süßen Traditionen portugiesischer Backkunst leider unterschlagen hat. Dabei entgeht Süßmäulern so einiges, wenn sie sich ausschließlich auf die Blätterteig-Puddingtörtchen stürzen, die „man“ in Lissabon probieren muss.

Am besten ist „Gebrauchsanweisung für Lissabon“ da, wo hinter die Kulissen geblickt und Menschen vorgestellt wie die Kunsthistorikerin, die liebevoll alte Kacheln restauriert, der greise Hotelangestellte aus Estoril, der auch schon beim Bond-Film „Casino Royale“ eine Statistenrolle hatte, die Buchhändler, die Kellner und Lebenskünstler. Am überflüssigsten ist die Nabelschau über eigene versackte und verkiffte Kneipennächte, Liebeskummer und Lebenskrisen. Das lässt sich, wenn unbedingt nötig, ja auch in einem Roman verarbeiten.

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Veröffentlicht am 14.06.2020

Memoiren einer Aktivistin

#BlackLivesMatter
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Es wäre schön, wenn Patrisse Khan-Cullors zusammen mit der Journalistin Asha Bandele in ihrer Autobiografie Rückschau auf ihr Lebenswerk halten und zufrieden Bianz ziehen könte. Das Buch der Aktivistin ...

Es wäre schön, wenn Patrisse Khan-Cullors zusammen mit der Journalistin Asha Bandele in ihrer Autobiografie Rückschau auf ihr Lebenswerk halten und zufrieden Bianz ziehen könte. Das Buch der Aktivistin ist in deutscher Fassung bereits vor zwei Jahren erschienen und sein Thema hat leider nichts an Aktualität eingebüßt. Denn Khan-Cullors ist eine der Gründerinnen der Kampagne

BlackLivesMatter.

Als sie mit der Arbeit begann, war es der Schock über den Tod des 17 Jahre alten Trayvon Martin und nur wenige Monate später des 18-Jährigen Michael Brown in Ferguson. Die Männer, die sie töteten - ein "Neigborhood Watch-Angehöriger im Fall von Trayvon Martin, ein weißer Polizist im Fall von Michael Brown - gingen straffrei aus. Beide Fälle machten weltweit Schlagzahlen, brachten dem Thema institutionalisierter Rassismus breite Aufmerksamkeit.

Die Bürgerrechtsbewegung hatte schon seit Jahren thematisiert: Afroamerikaner und andere Minderheiten sind überproportional unter den Insassen von US-Gefängnissen vertreten, werden im Vergleich zu Weißen oft härter bestraft. Nun zeigte sich: Es kann genügen, ein schwarzer Mann in der "falschen" Umgebung oder Situation zu sein, um in Lebensgefahr zu geraten. Und der völlig sinnlose Tod dieser Männer hatte, zumindest juristisch, keine Konsequenzen.

BlackLivesMatter behandelt diese gesellschaftlichen Hintergründe nicht so ausführlich-analytisch, wie es mir persönlich lieb gewesen wäre, aber es handelt sich ja auch um eine Biografie, zeigt insofern den ganz persönlichen Blickwinkel von Patrisse Khan-Cullors, ihre Kindheit in einer von mexikanischen Einwanderern geprägten Nachbarschaft in Los Angeles, die Erfahrung von Armut und Marginalisierung, die Erfahrung mit Polizeiwillkür, die ihre älteren Brüder bereits in Teenagerjahren machten. Auch Patrisse wurde als zwölfjährige festgenommen. Allerdings hatte sie Marihuana geraucht, wie es an ihrer high school in einem wohlhabenden weißen Viertel gang und gäbe war.

Insgesamt hatte Patrisse Khan-Cullors im Vergleich zu anderen Kindern ihrer von den Behörden vernachlässigten Nachbarschaft allerdings trotz der Armut der Familie in mancher Hinsicht viel Glück: Zum einen das Stipendium für die "weiße" junior high school, in der es viele Möglichkeiten gab, sich kreativ zu entfalten, dann eine weiterführende Schule, die ebenfalls ein breites künstlerisches Programm und ein sehr tolerantes Umfeld hatte - um so wichtiger, als Patrisse mit 16 Jahren ihr Coming-Out als queere Person hatte. Ihre spätere Organisation ist denn auch nicht allein vom Kampf gegen Rassismus, sondern auch gegen Homo- und Transphobie sowie für Feminismus geprägt.

Khan-Cullors, die seit ihren Schulzeiten als Vollzeit-Aktivistin (oder Organisatorin, wie sie es nennt) gearbeitet hat, sieht in den Organisatoren die Speerspitze für Veränderung. Da schleicht sich allerdings mitunter einiges an selbstgerechtem Pathos ein. Und, wie könnte es anders sein, die Kritik an den "etablierten Medien", die heutzutage generell als Sündenbock herhalten dürfen.

#BlackLivesMatter offenbart aber auch Wut und Verletzlichkeit, bettet die Familiengeschichte in den "Drogenkrieg" der Reagan-Ära oder den Umgang mit Gefängnisinsassen oder psychisch Kranken in der privaten "Gefängnisindustrie" der USA ein. Lesenswert, auch wenn hier nur die Perspektive einer "Blase" der afroamerikanischen Community - urban, queer, gebildet, aktivistisch - dargestellt wird.

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Veröffentlicht am 09.06.2020

Von Mördern, Logik und Mathematik

Die Oxford-Morde
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Um Leichen, Rätsel und Mathematik geht es in Guillermo Martinez´Kriminalroman "Die Oxford-Morde", der in der Welt der englischen Universitätsstadt spielt. Der Erzähler, wie der Autor aus Argentinien stammend, ...

Um Leichen, Rätsel und Mathematik geht es in Guillermo Martinez´Kriminalroman "Die Oxford-Morde", der in der Welt der englischen Universitätsstadt spielt. Der Erzähler, wie der Autor aus Argentinien stammend, ist als Mathematik-Doktorand nach Oxford gekommen. Eigentlich will er sich ganz den mathematischen Rätseln verschreiben, doch dann findet er eines Abends die Leiche seiner Vermieterin, gemeinsam mit einem berühmten Professor für Logik. Der hatte eine geheimnisvolle Nachricht erhalten. Will ein Serienmörder den Professor mit einem Rätsel nach Art der Pythagoras-Anhänger herausfordern?

"Die Oxford-Morde" sind vor allem für Freunde klassischer Whodunits und der Klassiker britischer Kriminalliteratur zu empfehlen. Ein wenig scheint das Buch auch von seiner Erzählweise aus der Zeit gefallen und könnte ebenso gut in den 30-er Jahren angesiedelt sein zwischen Teestunden und Tennis-Matchs der akademischen Gesellschaft. Nur der Hinweis auf Handy, Kreditkarten oder Internetrecherche lässt dann merken, dass die Handlung in der Gegenwart spielt. Zudem gehörte die Vermieterin des Erzählers während des Krieges zu den jungen Frauen, die in Bletchley den legendären Codebrechern zuarbeiteten - und mittlerweile ist sie eine alte Dame.

Die England-Klischees jedenfalls werden mit den Augen eines Südamerikaners gründlich ausgeleuchtet - wohltemperiertes Miteinander, Gespräche, die niemandem wehtun sollen, Themen wie das Wetter. Und zwischendurch eben Mathematik und Rätsel. So mancher Charakter mit eigenen Motiven und Beweggründen wird ins Spiel gebracht, etwa der russische Gastwissenschaftler, der noch eine Rechnung mit ein paar gefeierten Oxford-Mathematikern offen hat und mit seinem stechenden Blick gleich als potenzieller Verdächtiger präsentabel ist. Oder ist es überhaupt ein Zufall, dass der Logik Professor - so sagt er es immerhin - Nachrichten des Mörders erhält.

Die Dissertation des Argentiniern muss jedenfalls vorübergehend warten, die Konzentration des jungen Wissenschaftlers ist auf Symbole, Reihen und die Frage nach dem nächsten Mord gerichtet. Schade nur, dass die handelnden Personen alle ein bißchen holzschnittartig sind. Vielleicht liegt es ja an der Universitätsatmosphäre, aber stellenweise ist es schon altmodisch-angestaubt. Was für Fans von Agatha Cristie und den Klassikern eben der liebenswert-exzentrischen Hobbydetektive ja nicht die schlechteste Empfehlung ist. Für Rätselfreunde und Codeknacker ist dies auf jeden Fall das richtige Buch.

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Veröffentlicht am 08.06.2020

Rechtsmediziner als Detektiv

Dunkles Lavandou (Ein-Leon-Ritter-Krimi 6)
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Bei aller Schönheit des südfranzösischen Sommers – von dem er an seinem Arbeitsplatz in den gekühlten Kellerräumen der Rechtsmedizin ohnehin nicht viel mitbekommt – scheint Leon Ritter erstaunlich häufig ...

Bei aller Schönheit des südfranzösischen Sommers – von dem er an seinem Arbeitsplatz in den gekühlten Kellerräumen der Rechtsmedizin ohnehin nicht viel mitbekommt – scheint Leon Ritter erstaunlich häufig mit serienmordenden Psychopathen zu tun zu haben. So auch in „Dunkles Lavandou“, dem 9. Band von Remy Eyssen über den deutschen Arzt, der nach dem Tod seiner Frau nicht nur ein neues Leben in Frankreich gefunden hat, sondern mit der Polizeikapitänin Isabelle auch eine neue Liebe. Der Beruf der Lebensgefährtin bringt es mit sich, dass Leon auch diesmal deutlich näher dran ist an den Ermittlungen, als nur mit der Obduktion der Leichen auf seinem Tisch genaue Angaben zur Todesursache machen zu können.

So auch nach einem Unfall, der – so wirkt es auf den ersten Blick – durch eine Selbstmörderin ausgelöst wurde. Doch der Arzt wird skeptisch: Die Frau war bereits vor ihrem angeblich tödlichen Sturz tot. Und sie muss vor ihrem Tod schrecklich misshandelt worden sein, wie auch eine weitere Frau, die ausgerechnet während der Schiffsprozession des Schutzheiligen von Lanvadou aus dem Hafenbecken gezogen wird. Dann verschwinden gleich zwei junge Frauen spurlos, eine von ihnen ausgerechnet die Tochter des Kulturministers. Ein deswegen aus Paris in den Süden geschickter Sonderermittler ist allerdings nur wenig hilfreich, wie Isabelle und ihre Kollegen feststellen müssen.

Als sei sie nicht schon mit den Ermittlungen reichlich beschäftigt, muss sich Isabelle mit gesundheitlichen Sorgen und ihrer zunehmend flügge werdenden pubertierenden Tochter beschäftigten. Leon wiederum hofft nicht nur, bei seinen „Patienten“, sondern auch bei einem Kirchenhistoriker Informationen zu finden, die zur Lösung des Falles beitragen. Denn manches an den Verletzungen der Frauen erinnert an die längst vergangenen Hexenprozesse der Inquisition – ist hier ein religiöser Fanatiker zu Gange? Und haben, wie die alte Veronique versichert, die Sterne etwas mit dem Fall zutun?

Eyssen legt in „Dunkles Lavandou“ dem Leser einige Spuren und Hinweise zurecht, die so früh kommen, dass sie eigentlich nur falsch sein können. Das Offensichtliche trifft denn auch nicht ein, doch bis die Welt in der Provence wieder halbwegs in Ordnung sein kann, sorgt der Autor für viel Action, manchen ermittlerischen Alleingang von Leon und Isabelle und einen dramatischen Showdown. Routiniert, aber spannend und Sehnsucht nach der Sonne und den Düften Südfrankreichs weckend.

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Veröffentlicht am 15.05.2020

Nonne mit Spürnase - Schwester Isabella ermittelt

Kloster, Mord und Dolce Vita - Folge 01
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Wer sagt, Nonnen in ihrem Kloster hätten der Welt, dem Weltlichen und allem Aufregenden entsagt? In dem toskanischen Kloster, das Schauplatz der Reihe "Kloster, Mord und Dolce Vita" ist, kann das Klosterleben ...

Wer sagt, Nonnen in ihrem Kloster hätten der Welt, dem Weltlichen und allem Aufregenden entsagt? In dem toskanischen Kloster, das Schauplatz der Reihe "Kloster, Mord und Dolce Vita" ist, kann das Klosterleben sogar gewaltsam tödlich sein - wie im Fall des "Tod zur Mittagstunde". So lautet der Titel des ersten Abenteuers der Hobby-Detektivin und Klosterschwester Isabella, die den jungen Carabiniere Matteo in dem Cozy Krimi von Valentina Morelli tatkräftig unterstützt. Schließlich ist es ja eine Mitschwester, die durch einen Turm vom Glockenturm zu Tode gekommen ist. War es ein tragischer Unfall, Mord oder - Dio mio! - gar Selbstmord?

Angesichts der ziemlich klaren Haltung der Kirche zum Suizid will Isabella diesen Makel auf ihrer Mitschwester nicht sitzen lassen. Die muntere Nonne nutzt ihren neuen Klosterjob als Marktverkäuferin, um Einwohnern auf den Zahn zu fühlen. Könnte in den Porzellanfiguren, die die tote Nonne gesammelt hatte, die Lösung zu finden sein? Ist das auffällige Interesse der deutschen Ordenschwester Hildegard an der Zelle der toten Nonne verdächtig? Gibt es Intrigen in der Ordensgemeinschaft, die die im Kloster noch neue Isabella aufklären muss, oder ist die Lösung des Falles in der Außenwelt zu finden?

In den von Chris Nonnast gelesenenen Hörbüchern bekommt jede der Handlungsfiguren ihre eigenen "Stimme" und auch die Bewohner des Städtchens Santa Catarina mit seinem pittoresken Markt, den engen Gassen, dem geschäftstüchtigen Bürgermeister und dessen schöner Tochter Nina hinterlassen in den kurzen Kapiteln Bilder im Kopf des Hörers.

Der Bürgermeister und seine Tochter sind auch im zweiten Band "Der Tote am Fluss" wesentliche Figuren. Kein Wunder, denn die schöne Antiquitätenhändlerin hat es Matteo schwer angetan. Zu dumm, dass der Bürgermeister zu jenen Vätern gehört, denen eh kein Mann gut genug für seine Tochter ist. Ein toter Landstreicher mit überraschender Vergangenheit und die Suche nach einem Motor für Matteos antike Vespa halten Polizisten und Nonne gleichermaßen auf Trab.

Wie es sich für Cozy-Krimis gehört, geht es eher humorvoll als blutrünstig zu, und abgesehen von denjenigen, die eines gewaltsamen Todes starben, stehen die Zeichen grundsätzlich auf happy end. Die Hügel und Weinberge, die engen Gassen und malerischen piazzas bilden die Kulisse der vergleichsweise knappen Hörbücher. Italienische Lebenskunst und Leichtigkeitgehört natürlich dazu. Das ist zwar manchmal ein wenig klischeebelastet, aber liebenswert und begleitet von einem Augenzwinkern. Leichte und beschwingte Unterhaltung für Freunde des Dolce Vita ohne allzu viele Blutspritzer.

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