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Veröffentlicht am 08.02.2021

Die Zeit der Frauen

Glückskinder
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Auch wenn es hier - wie die Autorin selbst im Nachwort herausstellt - um sieben Glückskinder geht und die Männer eine nicht unerhebliche Rolle spielen, gilt ihr liebevolles Augenmerk, ihre Achtsamkeit ...



Auch wenn es hier - wie die Autorin selbst im Nachwort herausstellt - um sieben Glückskinder geht und die Männer eine nicht unerhebliche Rolle spielen, gilt ihr liebevolles Augenmerk, ihre Achtsamkeit doch insbesondere den jungen Frauen, um deren Wohl und Wehe sie sich besonders bemüht.

Wir befinden uns in München unmittelbar vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs, vor der Befreiung durch die Amerikaner. Nein, falsch - zunächst befinden wir uns auf einem Marsch von Zwangsarbeiterinnen aus dem KZ Giesing auf der Höhe von Wolfratshausen - dort lernen wir die Holländerin Griet van Mook kennen, die im Widerstand verhaftet wurde. Sie bemüht sich besonders um ihre polnische Freundin Leni, die kurz vor der NIederkunft steht und kaum mehr weiterkommt. Wir erleben, wie diese Frauen eine erste Unterkunft im Frieden erhalten und sich allmählich ein ganz kleines bisschen berappeln können.

Schauplatzwechsel in die herrschaftliche Wohnung von Tante Vev, Großtante der jungen Toni Brandl, die gemeinsam mit ihrer Mutter und der kleinen Schwester ausgebombt wurde und nun bei der Tante eine Unterkunft gefunden hat, ebenso wie ihr Cousin Benno mit seiner Mutter. Das ist gar nicht so angenehm, denn während Tante Vev und Tonis Zweig der Familie überzeugte Hitlergegner sind, war Benno ein strammer Nazi, der dem Einmarsch der Amerikaner mit Grauen entgegen sieht.

Es ist spannend zu beobachten, wie sich die Situation in dem unruhigen München allmählich konsolidiert und bald treffen Griet und Toni und ihre Leute aufeinander: Griet wird von Capitain Dan Walker, einem schnittigen Amerikaner, der ein Herz für sie hat, bei Tante Vev einquartiert, was der Familie, die sowie eng aufeinander hockt, gar nicht zupass kommt.

Doch allmählich - die Handlung erstreckt sich über die ersten Nachkriegsjahre - bewegen sich die Fronten, allen voran Toni und Griet, aufeinander zu. Wir lernen Tonis Bruder Max kennen, der aus der französischen Kriegsgefangenschaft zurückkehrt, auch den etwas windigen Lebenskünstler Louis.

Zunächst befremdet hat mich der flotte Männerwechsel der jungen Frauen Toni und Griet, die alles andere als zurückhaltend sind, doch steht dieser wohl auch sinnbildlich für eine neue Zeit, für die Suche nach dem Sinn , nach sich selbst - und eben nach einem neuen Miteinander.

Theresa Simon versteht es einmal mehr darzustellen, dass vieles nicht so ist wie gedacht, dass sich manche Vorurteile im Wind auflösen, während anderes, was man nie für möglich gehalten hätte, plötzlich bittere Wahrheit wird.

Ein warmherziger und zutiefst bewegender Roman, der mich sehr berührt hat!

Veröffentlicht am 06.01.2021

Ein Mann der Bücher

Vati
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Das ist Josef, der invalide Exsoldat. Also Vati, Monika Helfers Vater, den Grete Moosbrugger, ihre Mutter, sich im Lazarett schnappt und vom Fleck weg heiratet. So kommt er zur "Bagage", deren Teil Grete ...

Das ist Josef, der invalide Exsoldat. Also Vati, Monika Helfers Vater, den Grete Moosbrugger, ihre Mutter, sich im Lazarett schnappt und vom Fleck weg heiratet. So kommt er zur "Bagage", deren Teil Grete ist, eines der vielen Geschwister dieser Familie, die im Fokus des Vorgängerromans der Autorin steht. Auch er kommt vom Rand der Gesellschaft, auf eine andere Art und Weise allerdings. Und er liebt Bücher auf eine bedingungslose Art und Weise. Ihm geht es nicht nur ums Lesen, sondern auch ums Berühren, ums Besitzen.

Das Schaffen einer Bibliothek ist sein großes Werk, fast könnte man sagen, sein Lebenswerk, auch wenn es nicht für die Ewigkeit Bestand hat. Er wird nämlich zum Verwalter eines Kriegsopfer- Erholungsheimes, das über Jahre nur im Sommer belegt ist und so wachsen Monika Helfer und ihre Geschwister zunächst in schöner Natur und mit viel Platz auf. Sie können sich aussuchen, wo sie schlafen möchten - die meiste Zeit des Jahres jedenfalls. Josef leitet das Heim mit fester, aber nicht zu strenger Hand - sein Ein und Alles ist die von ihm begründete Bibliothek. Wer ihm da nicht rein redet bzw. sogar unterstützt, der hat anderweitig durchaus freie Hand.

Und dann ändert sich alles, die Mutter stirbt und auch das Erholungsheim verschwindet. Und leider auch Vati - zumindest aus dem Leben seiner Kinder Kinder - er wird zum Abwesenden.

Vati ist ein ganz schöner Brocken: einer, der seinen Kindern Wichtiges und Schönes näher bringt, Bücher vor allem. Doch er ist auch einer, der nicht immer zu ihnen steht, es in bestimmten Lebenslagen offenbar nicht kann. Ob es seiner eigenen Geschichte wegen ist? Denn auch seine Kindheit war keine einfache. Und er macht es seinen Kindern auch nicht gerade leicht.

Die Atmosphäre ist es, die mich als Leserin dies es eindringlichen Romans bis ins Innerste trifft und verfolgt, das Wiedererkennen nämlich. Das Erkennen von Aspekten des Lebens unter Kriegsversehrten, von bestimmten Ansätzen, die ich gar nicht so genau benennen kann, die mich eher emotional treffen und wohl in meine früheste Kindheit zurückführen ist, denn auch mein Vater war einer von ihnen. Dieser Punkt vor allem macht diesen Roman zu einem ganz besonderen Buch für mich, doch auch der Zugang der Autorin zum alles andere als einfachen Thema hat mich tief beeindruckt. Gewissermaßen gibt sie sich und ihre Familie ihren Lesern preis. Somit ist dieses Buch eine ganz besondere Art von Denkmal, das sie ihrem Vater setzt, eines mit Ecken und Kanten, aber auch mit viel Wärme!

Veröffentlicht am 07.10.2020

Eine Nobelpreisträgerin wie aus dem Märchen

Selma Lagerlöf - Die Liebe und der Traum vom Fliegen
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Eine Frau, die Anfang des 20. Jahrhunderts für ihre märchenhafte Prosa den Literaturnobelpreis erhält, die bereits vor der Jahrhundertwende die Grenzen Europas überwindet, auf Eseln und Kamelen reitend ...

Eine Frau, die Anfang des 20. Jahrhunderts für ihre märchenhafte Prosa den Literaturnobelpreis erhält, die bereits vor der Jahrhundertwende die Grenzen Europas überwindet, auf Eseln und Kamelen reitend die Welt dahinter erkundet - und die Frauen liebt. Hat es so etwas tatsächlich gegeben in der so steifen, von der viktorianischen Ära und dem Kaisertum geprägten engen europäischen Welt?

Die Antwort ist ja. Nämlich Selma Lagerlöf. Die ein ganz besonderer Mensch war, die aber auch das Glück hatte, in einer Art geschützten Enklave aufzuwachsen, nämlich inmitten einer warmherzigen Großfamilie in Europas Norden, nämlich in Schweden. Da, wo sich der Geist schon ein kleines bisschen mehr geöffnet hatte, als dies in vielen anderen Ländern - so auch den deutschsprachigen - der Fall war.

Maria Regina Kaiser hat ein ganz besonderes Werk über sie geschaffen, nämlich eine Romanbiografie, in der sie versucht, das Wesen und die Sehnsüchte der großen Autorin zu ergründen. Auch wenn ihr eine Riesenmenge an Dokumenten - sowohl Primär- als auch Sekundärliteratur- zur Verfügung stand, ist dies aus meiner Sicht ein außerordentlich bewundernswertes Unterfangen - und dazu ein sehr gelungenes. Auch wenn in einer Romanbiografie die subjektive Sicht ausdrücklich erlaubt ist, schafft Autorin Kaiser einen ebenso liebevoll wie sorgfältig gestalteten Rahmen für den Leser, in dem er sich bequem bewegen, sich weiter informieren und seine eigene Meinung herausbilden kann. Dieser besteht aus einem ausführlichen Nachwort und aus einem noch ausführlicheren Anhang mit Zeittafel, Auflistung der wichtigsten Personen und Orte um Selma Lagerlöf und einer Literaturliste.

Ich bin wirklich begeistert von diesem Werk, auch wenn ich es manchmal zu stark in eine Richtung gehend, andererseits wieder in anderen Fällen zu wenig ausführlich empfinde. Doch die Autorin hat hier so sorgfältig gearbeitet, dass sie mir über die von ihr geschaffene Romanbiografie hinaus die Möglichkeit gibt, mein Bild von Selma Lagerlöf selbst zu vervollständigen, es in die ein oder andere Richtung weiter zu entfalten. Ein Buch, mit dem ich letztendlich wunschlos glücklich bin!

Veröffentlicht am 01.07.2020

Familie, wohin man blickt!

Vaters Wort und Mutters Liebe
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Wie sollte es auch anders sein bei einer zweistelligen Zahl von Kindern/Geschwistern. Die Familie von Pentti und Siri hat sich im Nachkriegsfinnland entwickelt, die Kinder sind in einer Zeitspanne von ...

Wie sollte es auch anders sein bei einer zweistelligen Zahl von Kindern/Geschwistern. Die Familie von Pentti und Siri hat sich im Nachkriegsfinnland entwickelt, die Kinder sind in einer Zeitspanne von etwa 30 Jahren geboren, nicht alle haben überlebt.

Eine Familie voller Eigenarten, voller unterschiedlicher Charaktere und Interessen - die Autorin widmet sich jedem Mitglied, auch den beiden jüngsten, die noch im Grund- und Vorschulalter sind.

Schnell zeigt sich: kompliziert und unversöhnbar ist Pentti, der Vater. Nur wenige Kinder stehen ihm einigermaßen nahe, die meisten sind ganz klar ihrer Mutter Siri zugewandt. Denn schnell wird deutlich: dies ist eine Familie mit Fronten. Die sich zwar von Zeit zu Zeit verschieben, immer jedoch klar sind. Der Zusammenhalt der ganzen Riesenfamilie, der ist irgendwann, vor langer Zeit, verschütt gegangen.

Autorin Nina Wähä hat einen ganz eigenen Stil, der mal eher locker flockig, dann wieder ernsthaft ist - sie hat ihren Roman strukturiert wie einen Kriminalfall oder ein Bühnenstück, spricht die Leser durchaus auch mal direkt an und zeigt ganz deutlich, dass sie selbst im Hier und Jetzt verwurzelt ist. Nichtsdestotrotz gibt sie jedoch einen tiefen Einblick in die Vergangenheit Finnlands - auch das in einem eher leichtfüßigen Stil.

Inhaltlich allerdings ist dieses Buch alles andere als oberflächlich. Schon jetzt bin ich überzeugt, dass dies eines der Bücher sein wird, an die ich mich mein Leben lang erinnern werde, auf das ich mich beziehen bzw. verweisen werde. Gewissermaßen eine Perle, wenn auch eine mit ein paar unebenen Stellen. Aber hier schreibt eine Autorin, die ihren eigenen Weg geht und hoffentlich auch noch mehrfach gehen wird, soviel ist mal sicher!

  • Einzelne Kategorien
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  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 16.06.2020

Klein-Hannah war ein freches Ding

Hannah Arendt
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So hätte man das in den Jahren ihrer Kindheit gesagt: aufmüpfig und störrisch hätte man sie genannt! Denn es waren andere Zeiten als heute! Ein Mädchen hatte sich anzupassen, brav zu sein und nicht nach ...

So hätte man das in den Jahren ihrer Kindheit gesagt: aufmüpfig und störrisch hätte man sie genannt! Denn es waren andere Zeiten als heute! Ein Mädchen hatte sich anzupassen, brav zu sein und nicht nach Wissen zu streben.

Nein, sie hatte eine gute Hausfrau zu sein und wenn sie unbedingt glänzen wollte, dann mit einem leckeren Sonntagsbraten oder einer sauberen Stickarbeit. Das alles war jedoch sowas von weit weg von Hannah Arendt, schon in den Jugendjahren ging sie ihren eigenen Weg. Sie hat sich echt was getraut, nämlich sich zu wehren: wenn sie etwas falsch fand, riskierte sie mal eben einen Aufstand. Und flog dafür von der Schule.

Damit nicht der Eindruck entsteht, ich wolle hier jemanden aufhetzen: das sollte man nur dann nachmachen, wenn man sich sicher ist, dass man auch so seinen Weg macht. War Hannah sicher nicht, aber sie hat das Abi auch so gemacht und auch ein Studium gewuppt.

Hannah war also immer eine, die bereit war, den schwereren Weg zu gehen, wenn nötig. Auch, als sie bereits die große Hannah war.

Ein Kinderbuch, das man den Kindern präsentieren sollte, denen man wünscht, dass sie sich zu eigenständigen Wesen mit einer eigenen Meinung entwickeln - also eigentlich allen, hoffe ich! Aber ich könnte mir vorstellen, dass auch Erwachsene Freude an diesem ganz besonderen Bilderbuch haben werden! Mit Zeichnungen, die Hannahs Lebensweg nachgehen, der vielleicht gar nicht sooo interessant ist für die ganz Kleinen. Aber das macht nichts, denn sie können mit dem Buch wachsen und es auch in späteren Jahren nochmal lesen. Das ist nämlich eines, das (zunächst) kleine Leser ihr Leben lang begleiten kann. Und auch ihren erwachsenen Verwandten jede Menge Freude bescheren wird! Einfach toll!