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Veröffentlicht am 23.08.2021

Ein etwas anderer Nachkriegsroman

Ritchie Girl
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„Ritchie Girl“ von Andreas Pflüger ist ein etwas anderer Nachkriegsroman. Etwas anders in dem Sinne, dass Nachkriegsgeschichte aus einer mir bis dato ungewöhnlichen Perspektive präsentiert wird.

Es wird ...

„Ritchie Girl“ von Andreas Pflüger ist ein etwas anderer Nachkriegsroman. Etwas anders in dem Sinne, dass Nachkriegsgeschichte aus einer mir bis dato ungewöhnlichen Perspektive präsentiert wird.

Es wird aus der Sicht von Paula Bloom erzählt. Sie ist Amerikanerin, die ihre Kindheit und Jugend als Tochter eines Geschäftsmannes in privilegierten Verhältnissen in Deutschland verbracht hat – bis in die Nazizeit hinein. Noch vor dem Krieg ist sie nach Amerika gegangen, hat dort studiert, ist zum Ende des Krieges in die US Army eingetreten, wo sie es bis zum Lieutenant gebracht hat. Nun kommt sie zurück nach Deutschland und erhält eine Art Geheimdienst-Auftrag. Sie soll herausfinden, ob Johann Kupfer wirklich der legendäre Agent „Sieben“ ist.

Der Roman ist eine Verflechtung von Fiktion und Geschichtsfakten und es findet darin eine Menge politisches, zum Großteil moralisch fragwürdiges, Geplänkel statt, das bestimmt leider sehr realistisch ist. Der Autor ist ein Experte der Kriegs und Nachkriegsgeschichte und versteht es, in Wortbildern zu erzählen – eine sehr gute Kombination.

Die einzelnen Kapitel sind meistens relativ kurz und ihre Überschriften selbst sind z. T. interessante Wortbilder. Das ist es, weshalb mir der Schreibstil des Autors besonders aufgefallen ist. Ich möchte behaupten, dass sich Andreas Pflüger dabei vor allem selbst erfundener, sehr treffender Metaphern bedient.

Am Ende des Buches erklärt der Autor, was an seinem Roman Fiktion ist und was der Wirklichkeit entstammt. Trotzdem muss ich als Laie, was die geschichtlichen Ereignisse und Nazigrößen angeht, dazu sagen, dass es für meinen Geschmack einfach zu viele Einzelheiten sind. Die meisten davon habe ich ganz sicher ein paar Zeilen später schon wieder vergessen. Für ein belletristisches Werk sind es zu viele Fakten, die darin verwoben sind. Ein paar weniger hätten dem Roman keinen Qualitätsverlust beschert, sondern ihn etwas zu seinem Vorteil gestrafft.

Trotzdem habe ich mich auf keiner Seite gelangweilt, was an dem wortgewandten Schreibstil und der gesamten Komposition dieses Buches lag. Neben der zentralen Aufgabe um den Agenten „Sieben“ hatte Paula Bloom einige persönliche Fragen zu klären. Die sind alle im Laufe des Buches zufriedenstellend beantwortet worden.

Mein Fazit: Ein sehr guter, unterhaltsamer Nachkriegs-Roman.

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Veröffentlicht am 10.08.2021

London ist nur der Anfang

Das Auktionshaus (Die Auktionshausserie 1)
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Sehr einfühlsam beschreibt Amelia Martin am Anfang dieses Romans das Leben der Unterschicht in London vor dem ersten Weltkrieg. Ihre Protagonistin Sarah Rosewell ist dort in prekären Verhältnissen aufgewachsen. ...

Sehr einfühlsam beschreibt Amelia Martin am Anfang dieses Romans das Leben der Unterschicht in London vor dem ersten Weltkrieg. Ihre Protagonistin Sarah Rosewell ist dort in prekären Verhältnissen aufgewachsen. Es ist bewundernswert, wie sie es schafft, sich ein besseres Leben zu erstreiten, ohne sich dabei charakterlich zu verbiegen. Natürlich hat sie dabei auch etwas Glück. Aber als Leser gönnt man es der jungen Frau von Herzen.

Es macht Freude, Sarah in ihre „neue Welt“ zu Lady Sudbury und dann ins Auktionshaus zu begleiten. Ich konnte auch vollkommen nachvollziehen, dass die Dienstboten der Lady sich gegenüber Sarah sehr missgünstig verhalten. Trotzdem war ich beim Lesen immer auf Sarahs Seite.

Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung von Kunst, außer dass ich sagen kann, was mir gefällt und was nicht. Trotzdem haben mir die fachlichen Schilderungen, welche in diesem Roman im Zusammenhang mit dem Auktionshaus vorkommen, sehr gut gefallen. Sie zeugen davon, dass die Autorin selbst Sachkenntnis besitzt und in der Lage ist, diese recht unterhaltsam herüberzubringen.

Es hat mir das ganze Buch hindurch Spaß gemacht, Sarahs Werdegang aus ihrer eigenen Sicht zu verfolgen bis in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Manche Ereignisse sind sehr spannend geschildert. Auch die Zerrissenheit ihrer Gefühle ist nach meinem Geschmack sehr gut dargestellt, ohne dass es kitschig wird.

So bietet das Buch dem Leser einiges an Abwechslung. Es ist in sich ein geschlossenes Werk aber es bleibt ein kleiner Cliffhanger, der neugierig auf die Fortsetzung macht, welche mit „Die Träume Wiens“ untertitelt sind.

Wer historische Romane mit Gefühl lesen mag, wird „Das Auktionshaus - der Glanz Londons“ mögen und bestimmt auch die Fortsetzung gern lesen.

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Veröffentlicht am 27.07.2021

Gute-Laune-Produkt mit Slapstick-Einlagen

Ruslan aus Marzahn
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Das hier ist eine sehr lustige Geschichte, zum größten Teil „Klamauk“, aber durchaus mit ein paar besinnlichen Momenten und Gedanken.

Die Hauptfigur Ruslan lernen wir zusammen mit seinem Bruder Tascho ...

Das hier ist eine sehr lustige Geschichte, zum größten Teil „Klamauk“, aber durchaus mit ein paar besinnlichen Momenten und Gedanken.

Die Hauptfigur Ruslan lernen wir zusammen mit seinem Bruder Tascho kennen, und zwar wie sie sich in ihrer Kindheit und Jugend gegenseitig Streiche gespielt haben. Diese Streiche waren zum Teil recht deftig, aber kamen dennoch von Herzen.

Inzwischen sind sie erwachsen. Ihre Wege haben sich getrennt. Wie es dazu kam, ist auch eine Geschichte voller Tragikomik. Jahre sind vergangen. Ruslan hat einen kleinen Sohn. Mit dessen Mutter ist er nicht mehr zusammen. Die Mutter hat auch das alleinige Sorgerecht – aus gutem Grund: Sein Lebenswandel passte einfach nicht zum Vatersein.

Aber inzwischen ist Ruslan auf dem besten Weg, ein halbwegs anständiges Leben zu führen, so dass er seinen Sohn, den er über alles liebt, regelmäßig sehen kann. Das ist gar nicht so einfach. Denn Ruslans Bruder Tascho und Onkel „Zwergej“ tauchen bei ihm auf und verursachen eine Menge Wirbel und Verwicklungen, mittendrin Ruslans Sohn Johnny, den alle gleich ins Herz schließen. Und mit dabei ist auch Puschkin, ein total lieber Kampfhund, der eigentlich Hunni, einem Kriminellen gehört. Ruslan kümmert sich um den Hund, während sein Herrchen im Knast sitzt.

Was Ruslan und seine Gefährten alles erleben, ist zum Teil grotesk, aber äußerst witzig und spannend erzählt. Das Ganze wird gelesen von Shenja Lacher und ist untermalt mit passender Musik von Sebastian Stuerz, dem Autor der Geschichte. Dadurch wirkt es wie ein Hörspiel und ist noch lebendiger, als wenn man es selbst lesen würde.

Es sind ein paar kleine Ungereimtheiten in der Geschichte, aber da diese ohnehin sicher nicht als hochanspruchsvolles Werk gedacht ist, sondern einfach nur der Unterhaltung dient, lässt sich darüber hinwegsehen. Der Humor aus peinlichen und grotesken Situationen und die zum Teil an Slapstick erinnernden Erlebnisse sind es, die dieses Gute-Laune-Produkt ausmachen.

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Veröffentlicht am 07.09.2020

Trotzdem begeistert

Schwarzer Jasmin
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In einer Vorankündigung dieses Buches stand „Ein vielschichtiger Thriller zwischen Arabischem Frühling und europäischem Lifestyle“. „Klingt spannend“, dachte ich.

Die Geschichte fängt ganz allmählich ...

In einer Vorankündigung dieses Buches stand „Ein vielschichtiger Thriller zwischen Arabischem Frühling und europäischem Lifestyle“. „Klingt spannend“, dachte ich.

Die Geschichte fängt ganz allmählich an, spielt zunächst in Tunesien, dann in Deutschland. Zuerst sieht es überhaupt nicht nach einem Thriller aus, sondern nach einem Roman mit verschiedenen Lebenserfahrungen, die hier abwechselnd dargestellt werden. Ich fand es trotzdem überaus interessant und war sofort gefesselt von den Charakteren und dem, was sie erlebten.

Da sind die Tunesier: Der Junge Eymen, Haupt-(Anti-)Held, denn seine Handlungen sind nicht heldenhaft, sondern eher kriminell. Dann ist da sein Freund Ahmed – das ganze Gegenteil von ihm. Bei den „krummen Dingern“ fühlt der sich eigentlich gar nicht wohl, die macht er nur aus Loyalität zu seinem Freund mit. Die beiden flüchten dann nach Europa.

In Berlin lernen wir Jakob, einen aus Österreich stammenden Weinexperten, kennen – und seine Freundin oder Ex-Freundin oder eben auch nicht – Julia. Deren Probleme erscheinen zunächst ziemlich banal zu sein im Vergleich zu denen der Tunesier oder überhaupt der Flüchtlinge.

Die Handlung wechselt zuerst zwischen Tunesien und Deutschland, aber nicht nur örtlich, sondern auch zeitlich. In Tunesien ist gerade der Arabische Frühling ausgebrochen. In Deutschland ist es die Zeit kurz vor dem Anschlag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt am 19. Dezember 2016.

Das Ganze gewinnt recht schnell an Dynamik. Es wird zum Thriller. Als weitere Hauptpersonen kommen Polizisten aus einer speziellen Anti-Terror-Abteilung hinzu. Eine ziemlich bunte und sympathische Truppe. Unkonventionell professionell, denn leider bekommen sie so etliche politisch motivierte Knüppel „von höherer Stelle“ zwischen die Beine geworfen.

Die Handlungsstränge überschneiden sich immer mehr. Die Wechsel werden dramatischer. Die Personen sind überzeugend dargestellt. Der Autor schafft es, dass ich regelrecht in den Kopf der handelnden Personen hineinsehen kann und von jedem auch eine menschliche Seite sehe, auch wenn ich mich ansonsten nicht mit der Person identifiziere.

Zum Ende hin werden die Wechsel immer schneller. Die Zeit, in der die beschriebenen Szenen spielen, mäandert sich regelrecht an den 19. Dezember 2016 heran. So viel darf ich sagen: Es geht letzten Endes nicht um den Anschlag aus der Realität. Aber am Ende gibt es durchaus ein „Wow!“.

Was ich allerdings überaus schade finde und dem Autor übelnehme, ist seine nachlässige Recherchearbeit. Durch einen Blick auf einen alten Kalender von 2016 hätte sich der Fehler mit den Wochentagen, der sich durch das ganze Buch zieht, vermeiden lassen. Der 19. Dezember 2016 war ein Montag und kein Sonntag, wie im Buch dargestellt. Dementsprechend war der 17. Dezember ein Samstag und kein Freitag usw. Hinzu kommt noch, dass man aus dem Skykitchen in der Landsberger Allee, wo Jakob und Julia gespeist haben, doch eher den Berliner Fernsehturm als den Funkturm sieht. Ich habe den Eindruck, der Autor kennt den Unterschied nicht.

Dass ich dennoch vier von fünf Sternen vergebe, spricht für die sonstige Qualität, die dieser Thriller in meinen Augen hat. Denn ich bin trotzdem begeistert davon.

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Veröffentlicht am 19.06.2020

Eine Sammlung außergewöhnlicher Geschichten

Ozelot und Friesennerz
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In „Ozelot und Friesennerz“ erzählt Susanne Matthiessen Geschichten aus dem Sylt der 70er Jahre. Das macht sie ziemlich gekonnt. Sie selbst ist auf Sylt geboren und hat in genau der Zeit dort ihre Kindheit ...

In „Ozelot und Friesennerz“ erzählt Susanne Matthiessen Geschichten aus dem Sylt der 70er Jahre. Das macht sie ziemlich gekonnt. Sie selbst ist auf Sylt geboren und hat in genau der Zeit dort ihre Kindheit verlebt. Ihre Geschichten sind witzig und schockierend zugleich. Sie erzählt sowohl aus der Sicht eines Kindes als auch mit dem augenzwinkernden Verstand eines Erwachsenen. Sie charakterisiert oft mit nur wenigen Worten sehr treffend, z. B. „Schenkelschande und Bauchblamage“.

Ich selbst habe keinerlei Beziehung zu Sylt. Deshalb war ich zunächst skeptisch, ob mich dieses Buch wirklich unterhalten oder berühren könnte. Ich lese jedoch gern spannende und kuriose Geschichten aus anderen Zeiten, und genau die habe ich hier gefunden und ganz nebenbei eine Menge über Sylt erfahren.

Als zentraler Ort – oder besser gesagt als zentrale Institution – fungiert dabei das elterliche Pelzgeschäft in Westerland, in dem alles einkauft, was Rang und Namen hat. Alle Kapitel tragen die Überschrift „Die Sache mit dem/der …“, wobei jeweils eine bestimmte Pelzsorte genannt wird, z. B. „Die Sache mit dem Seelöwenpelz“, „Die Sache mit der Luchskatze“ und so weiter. Diese spielt dann zwar meistens im Verlauf der Geschichte eine wichtige Rolle, lässt jedoch genügend Raum für viel mehr. Die Pelze bilden also einfach den roten Faden für das Buch.

Die Geschichten basieren auf wahren Begebenheiten und nebenbei schweift die Autorin immer wieder in historische Fakten ab – nach meinem Geschmack in passender Dosierung. Sie nimmt jeweils rechtzeitig die Kurve zurück zur Story. Schon das erste Kapitel „Die Sache mit dem Seelöwenpelz“ – fast ein Krimi – ist ein gutes Beispiel dafür.

Allerdings würde ich dieses Buch nicht wirklich als Roman bezeichnen, wie der Untertitel „Roman einer Sylter Kindheit“ ausweist. Die Kapitel sind in meinen Augen eher einzelne Geschichten. Und so ausgesprochen gut mir die auch gefallen, so schwach finde ich Prolog und Epilog. Diese hat die Autorin offensichtlich als Klammer gedacht, um alles zusammenzuhalten.

Sie beschreibt im Prolog, wie sie heute Sylt besucht, dort an einer typischen Feierlichkeit teilnimmt und alte Freunde und Bekannte wiedertrifft. Nach acht Kapiteln mit den eigentlichen Storys aus ihrer Kindheit kommt sie im Epilog wieder auf die Gegenwart zurück und beschwert sich seitenweise über die heutige Sylter Lokalpolitik. Ich kann verstehen, dass ihr das alles sehr am Herzen liegt und dass da die Journalistin „durchbricht“. Aber meiner Meinung nach schmälert es die Wirkung der tollen Storys.

Fazit: Dieses Buch ist eine Sammlung außergewöhnlicher Geschichten, die den Leser auf eine kurzweilige Reise ins Sylt der 70er Jahre mitnehmen. Wer gern unterhaltsame Geschichten liest, wird es lieben. Den Prolog und den Epilog kann man getrost weglassen.

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