Diener der idealen Gerechtigkeit
Das Haus des Windes„Und wie seltsam, wie merkwürdig, dass etwas so mächtig werden kann, wenn es am falschen Ort Wurzeln schlägt. Ideen auch, murmelte ich. Ideen.“
Inhalt
Joe Coutts steht an der Schwelle zur Pubertät und ...
„Und wie seltsam, wie merkwürdig, dass etwas so mächtig werden kann, wenn es am falschen Ort Wurzeln schlägt. Ideen auch, murmelte ich. Ideen.“
Inhalt
Joe Coutts steht an der Schwelle zur Pubertät und verbringt seine Nachmittage gerne draußen im Indianerreservat in Gesellschaft seiner Freunde, mit denen er alle Gedanken teilt, die sich ihm aufdrängen. Bis eines Tages seine Mutter Opfer einer Vergewaltigung wird und sich wie ein Häufchen Elend in ihr Zimmer verzieht und fortan weder für den Vater, noch den Sohn ansprechbar ist. Für Joe bricht eine Welt zusammen, nicht nur weil die Erwachsenen mehr zu wissen scheinen als er, sondern vor allem weil sein geordneter, friedvoller Familienalltag vollkommen auf den Kopf gestellt wurde. Langsam nähert sich der Heranwachsende einer Wahrheit, die er zwar eigentlich nicht kennen möchte, die ihm aber hoffentlich die Mutter zurückbringt, deren körperliche Hülle mittlerweile wieder durchs Haus eilt, die aber dennoch eine gebrochene Frau ist. Als der mutmaßliche Vergewaltiger wieder ganz in der Nähe auftaucht, reift in Joe ein mörderischer Plan, denn Gerechtigkeit, die nicht vollzogen wird, macht nichts ungeschehen und wenn kein anderer dazu fähig ist, Rache zu üben, dann wird er eben selbst die Dinge, die getan werden müssen, in die Hand nehmen …
Meinung
Der vorliegende Roman der amerikanischen Bestsellerautorin, die hiermit den National Book Award für den besten Roman des Jahres erhielt, thematisiert nicht nur die Vergewaltigung und Selbstjustiz, sondern zeigt ein buntes Leben zwischen der Tradition und der Moderne in den Indianerreservaten von North Dakota. Während die Handlung des Buches im Jahre 1988 angesiedelt ist, schildert der Erzähler die Dinge aus seiner Erinnerung, die durchsetzt ist mit zahlreichen Momentaufnahmen, zwischen dem ganz normalen Leben als Teenager, seiner Identität und Herkunft im Reservat und den Handlungen, denen er sich schuldig gemacht hat. Es sind also eine Menge Hintergründe und viele Jahre des Lebens, die sich hier auf eine relativ kurze Zeitspanne erstrecken und an deren Ende ein abgeschlossener Reifungsprozess steht, bei dem ein Junge zum Mann geworden ist.
Das Buch stand nun schon etliche Jahre ungelesen im Regal, da ich aber nach dem Werk „Der Gott am Ende der Straße“, welches ich im Erscheinungsjahr gelesen habe, unbedingt noch ein weiteres Buch der Autorin kennenlernen wollte, habe ich nun dieses hier in Angriff genommen und bin mit einer bestimmten Erwartungshaltung an die Lektüre herangegangen. Erhofft habe ich mir einen emotional-intensiven Roman über die Frage der Schuld und die Fallen der Entscheidungsgewalt in Verbindung mit dem Leben eines Jungen, der Rache üben möchte und dem es auch gelingt – jedoch mit der Ambivalenz widerstreitender Gefühle, die die Grenzen zwischen Recht und Gerechtigkeit verwischen lassen. Und dieser Sachverhalt wird im vorliegenden Text stiefmütterlich behandelt, weil er eigentlich nur der Aufhänger für die Story ist und das eigentliche Setting ganz andere Prioritäten setzt.
Viel intensiver und konkreter wird das alltägliche Leben im Reservat beleuchtet, ebenso wie die Gefühlswelt heranwachsender Jungen, die sich plötzlich fürs weibliche Geschlecht interessieren und heimlich Bier trinken. Es geht um Freundschaft und Zusammenhalt, um ein Leben in einem Grenzgebiet, wo es klare Richtlinien und unterschiedliche Gesetze gibt und die Menschen sehr genau darauf achten, wer mit wem Umgang pflegt. Tatsächlich hat mir dieser ausufernde, umfassende Stil, der so viele Aspekte aufgreift am allerwenigsten gefallen, denn der Text mäandert und kommt vom Hundertsten ins Tausendste, ohne eine klar erkennbare Linie, eine zielgerichtete Struktur. Die Inhalte, die der Klappentext verspricht, sind dabei eher Nebensächlichkeiten und gehen irgendwo zwischen der Stimmung und den Menschen der Geschichte verloren.
Sprachlich hingegen habe ich kaum etwas zu meckern. Louise Erdrich schreibt formschön, lässt Bilder lebendig werden und bündelt Gefühle an der richtigen Stelle, dass die Inhalte dabei schwanken, ist für die Geschichte rund um Joe Coutts nicht störend, wohl aber für die Gesamtausrichtung des Romans. Für mich war das Lesen ein ständiges Auf und Ab, ein Wechsel zwischen langatmigen, uninteressanten Passagen und dann wieder dem Aufblitzen genialer Gedankengänge, denen ich voller Eifer folgen konnte. Die Story ist also weder langweilig noch absolut spannend, sie entspricht nur nicht meinen persönlichen Ansprüchen.
Fazit
Ich vergebe 3 Lesesterne für diesen Roman über das Erwachsenwerden eines jungen Mannes, der von Rachegelüsten gequält wird und der in einer Welt aufwächst, die sehr genau zwischen Gut und Böse unterscheidet. Leider konzentriert sich das Buch vielmehr auf das Leben im Indianerreservat als auf die tatsächlichen Ereignisse zwischen Vergewaltigung, Rachegedanken und Mord und dadurch hat es mir diesbezüglich eindeutig zu wenig Input geliefert. Die fehlende Ausrichtung und die verschwimmenden Konturen sind Kritikpunkte, die mich ebenfalls sehr gestört haben, so dass ich ein im Kern gutes Buch eher als enttäuschend empfand und es nur bedingt weiterempfehlen kann.
Zunächst dachte ich, dass ich mit „Der Gott am Ende der Straße“ ein inhaltlich schwächeres Buch der Autorin erwischt hätte, doch nun merke ich, dass auch dieses hier nicht ganz meinen Geschmack trifft. Im Regal wartet nun noch „Ein Lied für die Geister“ auf mich, sollte auch dieses nur eine mittelmäßige Bewertung schaffen, dann werde ich die Autorin von meiner Liste streichen, nicht weil sie schlecht schreibt, sondern weil mir die Bücher zu wenig Gedankenfutter liefern und mich emotional nicht erreichen können.