Drei "Pflegefälle" auf Problemsuche
Was Nina wussteVera, Nina und Gili - Großmutter, Mutter und Enkelin - kommen nicht miteinander klar. Schuld daran ist jeweils natürlich die Mutter. Dazu gibt es noch Einblicke in ein Lager des Tito-Regimes, eine Alzheimer-Diagnose ...
Vera, Nina und Gili - Großmutter, Mutter und Enkelin - kommen nicht miteinander klar. Schuld daran ist jeweils natürlich die Mutter. Dazu gibt es noch Einblicke in ein Lager des Tito-Regimes, eine Alzheimer-Diagnose und eine Reise durch das ehemalige Jugoslawien.
Dieser Roman ist für mich hauptsächlich überflüssig. Auch wenn mir einige Passagen zwischendurch gefallen haben, ist das wesentliche Gefühl, das bleibt, Langeweile. Der Roman hinterlässt den Eindruck, dass hier einem Problem, das längst aufgearbeitet sein sollte, überproportionale Aufmerksamkeit geschenkt wird. Dieser Eindruck entsteht dadurch, dass für mich der Handlungsaufbau nicht stimmt, das Erzähltempo korreliert nicht mit der Aussage, die der Roman eigentlich tätigen will. So bereiten wir uns gefühlte 345 Seiten darauf vor, was Nina wusste, wie ihr Trauma entstand, etc. und werden dann mit ein paar Winzigkeiten abgespeist, die das ganze Drama nicht sonderlich nachvollziehbar machen, sondern zumindest bei mir ein Schulterzucken und "who cares" hervorrufen. Wie man aufgrund dessen, was passiert ist, auch nach über sechzig Jahren so traumatisiert und wenig verzeihend sein kann, sich so konsequent auf die verbockte, schmollende Position zurückziehen kann, wie Nina, ist kaum verständlich und sehr anstrengend und nur mit mangelndem Erwachsenwerden zu erklären.
Aber nicht nur Nina ist so eine anstrengende Figur, auch ihre Tochter Gili (mittlerweile fast vierzig), gefällt sich am besten in der Rolle des die Mutter ablehnenden Teenagers. Sie ist dazu noch die Erzählinstanz, wird aber vom Autor kaum mit spannenden Eigenschaften ausgestattet und tritt in der erzählerischen Vermittlung auch oft sehr weit in den Hintergrund, manchmal muss man sich fast bewusst daran erinnern, dass es sie noch gibt.
Die Handlung selbst, die um einen Roadtrip durch Veras Vergangenheit kreist, ist eigentlich nur der Aufhänger, um die drei Frauen aufeinander loszulassen, und die Verletzungen und Mutter-Tochter-Geflechte in den Mittelpunkt zu stellen. Merkwürdigerweise sollte der Leser spätestens jetzt doch so etwas wie emotionale Nähe spüren, eine Betroffenheit in sich erkennen. Mir ist das selbst bei den Szenen auf der Lagerinsel nicht gelungen, wohl deshalb, weil Großmutter Vera fast fröhlich und energiegeladen wie bei einem Klassentreffen durch die alten Baracken streift, während Nina nun noch einmal endlich abschließend und umfassend der überzogenen Dramatik huldigt.
Stilistisch hat mir der Roman leider auch nicht gefallen. Zum einen werden auf der Ebene der Erzählinstanz umgangssprachliche Orthographie und Formulierungen verwendet. Das ist in Ordnung und sinnvoll, wenn es konsequent durchgehalten wird - hier wird es sporadisch genutzt und wirkt deshalb störend. Vera hingegen spricht mit Akzent. Um dies zu betonen, wird bei ihrer direkten Rede fehlerhafte Grammatik verwendet. Das ist am Anfang noch amüsant, nach einigen Seiten aber nur noch enervierend. Dazu wird Vera auf diese Weise "entmündigt". Der Leser hat Schwierigkeiten, sie weiter ernst zu nehmen.
Ich kann diesen Roman leider nicht empfehlen: Drei unsympathische Frauenfiguren, die sich daran machen, ein Problem zu lösen, dass nach sechzig bzw. fünfunddreißig Jahren keins mehr sein sollte, sich verhalten wie schmollende Teenager und sich selbst unglaublich wichtig nehmen, finden sich in einer eher langweiligen Handlung wieder, die politischen Anspruch zu vermitteln versucht (allerdings weiß ich nach der Lektüre eigentlich immer noch nichts über die Tito-Ära), dabei aber leider sehr anstrengend geschrieben ist.