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Veröffentlicht am 22.06.2020

Ein höheres Erzähltempo, gereiftere Charaktere, größere Handlungsdimensionen und eine komplexere Storyline

Elias & Laia - Eine Fackel im Dunkel der Nacht
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Nachdem mich der erste Band der Reihe "Elais und Laia - Die Herrschaft der Masken" vor ein paar Tagen überraschenderweise total begeistert hat, war ich total erleichtert, gleich zum nächsten Band greifen ...

Nachdem mich der erste Band der Reihe "Elais und Laia - Die Herrschaft der Masken" vor ein paar Tagen überraschenderweise total begeistert hat, war ich total erleichtert, gleich zum nächsten Band greifen zu können (SuB sei dank ^^). Auch die Fortsetzung der ab Dezember 2020 vierbändigen Reihe konnte mich komplett überzeugen. Angst, Hoffnung, Verzweiflung, Hass, verrückte Pläne, Tod und Liebe am Abgrund - dies ist der Stoff, aus dem diese Geschichte gemacht ist.

Das Cover ist wieder ein ganz nett gestaltetes aber typisches Jugendbuch-Dystopie-Cover. Zu sehen sind ein Teil eines weiblichen Gesichts, sowie die Andeutung eines antiken Amphitheaters im unteren Teil des Bildes. Beide Elemente passen zur Handlung und durch die Hell-Dunkel-Kontraste und die warmen Farbtöne wird die düstere Atmosphäre des Wüstensettings gut transportiert. Ich bin wohl etwas verwöhnt von anderen Fantasy-Romanen, denn mit zunehmender Seitenzahl haben mir ein Glossar, ein Namensregister und vor allem eine Karte gefehlt, da ich vor allem über die geografische Lage der Handlung gerne mal den Überblick verloren habe.


Erster Satz: "Wie haben sie uns so schnell gefunden?"


Band 2 knüpft direkt an die Handlung vom ersten Teil an und erzählt im ersten Kapitel von Elias´ und Laias Flucht aus Serra, nachdem Laia Elias vor seiner Hinrichtung bewahrt und die Militärakademie Schwarzkliff zerstört hat. Auffallend ist, dass Sabaa Tahir nur wenige Rückblenden und Erinnerungshilfen miteinfließen lässt, was mich nicht gestört hat, da ich den ersten Teil erst einen Tag zuvor beendet hatte. Für Leser, die lange auf den zweiten Band gewartet haben, könnte ich mir den Einstieg ohne Handlungshilfe aber schwer vorstellen. Nach einer fragwürdigen Begegnung mit der Kommandantin beginnt die Reise der Beiden quer durchs Imperium, wobei sie viele gefährliche Abenteuer, blutige Begegnungen und fiese Verschwörungen überstehen müssen. Von der Wüste durch die Serraberge über die Stammesstadt Nur, in den Dämmerwald bis hin nach Kauf ganz im Norden des Imperiums, wo Laias Bruder Darin gefangen gehalten wird, reisen wir mit den beiden und lernen so das weitläufige Imperium besser kennen.

Dabei wird die Spannung auch durch viele Hindernisse und Probleme hochgehalten. Der zweite Teil besticht demnach nicht nur mit mehr Hintergrundinformationen zum Setting, der Geschichte des Landes und neuen Begegnungen, sondern ist auch deutlich temporeicher, als der erste Teil. Die Komplexität der Story leidet darunter aber mitnichten. Darin zu befreien ist nämlich lange keine rein familiäre Rettungsaktion mehr - da er das Geheimnis des Serrastahls kennt, das die Martialen stürzen könnte, sind auch die Kundigenrebellen und Stämme an seiner Rettung interessiert. Doch nicht nur der neue Blutgreif und Elias´ alte Freundin Helena sind Elias und Laia auf den Fersen - sie müssen auch mit den dunklen Plänen der Kommandantin umgehen, die eine blutige Spur durch das Imperium zieht und versucht, alle Kundigen auszulöschen. Als dann noch Elias durch ein tödliches Gift geschwächt mit dem Tod verhandelt und ein übernatürlicher Gegenspieler die Fährte der beiden aufnimmt, droht ihre Mission erneut fatal zu scheitern...


"Die meisten Menschen", sagt Cain, "sind nichts als Fünkchen in der großen Dunkelheit der Zeit. Aber du, Helena Aquilla, bist kein rasch verglühender Funke. Du bist eine Fackel im Dunkel der Nacht - wenn du den Mut hast zu brennen."


Durch das Hinzufügen einer neuen Erzählperspektive, wird die Geschichte abwechslungsreicher und zugleich komplexer. Wir fühlen gleichzeitig mit Laia, die auf die Rettung ihres Bruders hinfiebert, immer mehr ihre Stärke entfesselt und eine neue verborgene Fähigkeit entdeckt, kämpfen mit Elias gegen das Gift in seinen Adern und treffen an der Schwelle des Todes auf die Seelenfängerin und einige bereits verschiedene Protagonisten, und gehen mit Helena Aquilla auf die Jagd nach den beiden, spüren ihre innere Zerrissenheit nach, erfahren Schritt für Schritt mehr über die blutige Verschwörung der Kommandantin und die grausame Herrschaft des neuen Imperators Marcus. Insgesamt ermöglicht die Kombination der Erzählstränge einen umfassenden Blick auf verschiedene Geschehnisse im Imperium. Mit verschiedenen handelnden Agenten, Motiven, Geheimnissen, Prophezeiungen und einigen magischen Gegenspielern ist die Geschichte wieder so undurchsichtig, dass viele spannende Wendungen mir kurzfristig den Atem geraubt haben. Zusätzlich baut Sabaa Tahir die magischen Elemente, die sie im ersten Teil nur grob angerissen hatte, weiter aus. Ob nun das Totenreich im Dämmerwald, die Geschichte vom Niedergang der Dschinn, der Racheplan des Nachtbringers oder die erwachsenen magischen Fähigkeiten in einigen Protagonisten - auch der magische Aspekt der Handlung entwickelt sich weiter und bekommt neue Tiefe.


"Du bist mein Tempel", murmele ich, während ich mich neben sie knie. "Du bist meine Priesterin. Du bist mein Gebet. Du bist meine Erlösung."


Im Mittelteil kommt die Handlung kurzzeitig etwas schwer vom Fleck, da sich die Flucht ein wenig in die Länge zu ziehen scheint, auch wenn eigentlich ständig etwas passiert. Kaschiert wird das durch die Enthüllung von alten Geheimnissen wie der Verrat an Lais Eltern, die Identität der Köchin oder die Frage nach Elias´ Vater. Und als die Protagonisten dann schließlich alle in Kauf ankommen und sich die Handlungsstränge treffen beginnt ein wirklich unglaublicher Showdown, bei dem ich immer wieder schlucken musste. Denn diese Fortsetzung ist noch grausamer, brutaler und schonungsloser, als der erste Teil. Auch wenn die Protagonisten hier den Fängen von Schwarzkliff entflohen sind, sind die physischen und psychischen Qualen, die sie während der Reise erleiden müssen und mitansehen oftmals schockierend. Trotz der Ansiedlung des Settings im Orient kommt nur schwer ein Tausend-und-eine-Nacht-Feeling auf, dennoch war ich von der ersten Seite an fasziniert von dieser grausamen Welt, in der man verzweifelt nach einem Fünkchen Hoffnung sucht. Im Vorwort schreibt die Autorin, dass diese Geschichte von tatsächlichen Vorkommnissen inspiriert wurde, die sie als Auslandsredakteurin der Washington Post lesen musste. Neben großen Konstrukten wie Unterdrückung, Rassismus und Imperialismus, ist auch die konkrete Gewalt kaum auszuhalten. Egal ob an Konzentrationslager erinnernde Zellen in Kauf, Folter von Kindern, dem Homizid an den Kundigen oder der willkürlichen Hinrichtung von Familienmitgliedern - die Grausamkeit der fiktiven Szenen übersteigt bei Weitem das, was ich 14jährigen Lesern (Altersempfehlung des Verlags) zumuten würde.


"Das Leben braucht nur einen Sekundenbruchteil, um in eine furchtbar falsche Richtung zu laufen. Um das Durcheinander wieder zu ordnen, brauche ich tausend Dinge, die richtig laufen. Die Entfernung von dem einen bisschen Glück zum nächsten fühlt sich so groß an wie die zwischen zwei Ozeanen. Aber, beschließe ich in diesem Augenblick, ich werde diese Entfernung überbrücken, wieder und wieder, bis ich gewinne. Ich werde nicht wieder scheitern."


Dass die Autorin einen sehr eindrücklichen, plastischen Schreibstil hat, ist in dieser Hinsicht für den sensiblen Leser mehr Fluch als Segen. Da ist es dann eine willkommene Abwechslung, wenn sie statt einer Hinrichtung schillernde Sonnenaufgänge, bunte Märkte oder wilde Feste beschreibt. Neben dem unverändert bildreichen Setting und der düsteren Atmosphäre, sind auch die Protagonisten gewohnt einfühlsam charakterisiert. Laias Entwicklung von einem anfangs schwachen Opfer zu einer selbstbewussten und starken jungen Frau, die es versteht zu kämpfen und unsere Herzen zu bewegen, geht hier weiter. Sie erfährt auch hier wieder Verrat, Leid, Angst, Ungewissheit aber auch viel Liebe, Unterstützung und Bewunderung, was sie weiter wachsen lässt. Auch Elias wird immer mehr zu dem, was er selbst immer sein wollte: empathisch, gerecht, loyal und frei, auch angesichts seines Todes. Von der Maske in ihm ist schon bald nichts mehr als seine Stärke geblieben.


"Hast du je eine Geschichte über einen Abenteurer mit einem vernünftigen Plan gehört?"
"Äh... nein?"
"Und warum glaubst du wohl, ist das so?"
Ich bin ratlos. "Weil... weil..."
Sie lacht erneut. "Weil vernünftige Pläne niemals aufgehen, Mädchen", sagt sie. "Es klappt nur mit den verrückten."


Am spannendsten in diesem Teil fand ich jedoch die Entwicklung von Helena, in deren Kopf wir hier zum ersten mal blicken können. Sie ist zunehmend zwischen ihrer Loyalität, Freundschaft und Liebe zu Elias und ihrer Verantwortung gegenüber dem Imperium hin und her gerissen und weiß schon bald nicht mehr, wie sie als Blutgreif Stärke und Unbeugsamkeit repräsentieren, sich selbst aber treu bleiben soll. Insgesamt sind die drei sehr vielschichtigen Sympathieträger, deren Entwicklung sich über die 512 Seiten durchaus sehen lassen kann. Auch die neuen Nebenprotagonisten wie die Stammesfrau Ayfa, der Sklavenjunge Tas, der zwiespältige Hauptmann Harper oder die leidende Seelenfängerin bringen ordentlich Pepp in die Handlung und trösten und darüber hinweg, dass Sabaa Tahir auch hier wieder nicht gerade zaghaft mit liebgewonnenen Protas umgeht und der Verlust wieder groß ist. Zum Glück werden im Zuge dessen aber auch zwei der Liebesdreiecke mehr oder weniger aufgelöst, was die Glaubwürdigkeit der zarten Gefühle zwischen Elias und Laia für mich deutlich gesteigert hat.


"Das Imperium muss an erster Stelle kommen - vor deinen Wünschen, Freundschaften, Bedürfnissen. Sogar vor deiner Schwester und deiner Gens. Wir sind Aquilla, Tochter. Getreu bis zum Ende. Sag es."
"Getreu", flüstere ich.
Selbst wenn es bedeutet, dass meine Schwester zugrunde geht. Selbst wenn es bedeutet, dass ein Irrer das Imperium regiert. Selbst wenn es bedeutet, dass ich meinen besten Freund foltern und töten muss.
"Bis zum Ende."


Das Ende hat mich dann nochmal fast dazu gebracht, zu verzweifeln und ich musste mich bis kurz vor Schluss händeringend fragen, wie das denn noch gut ausgehen soll. Als dann doch noch relativ schnell alles in halbwegs geregelte Bahnen gerät und wir ohne miesen Cliffhanger auf den nächsten Band warten können, war ich mehr als erleichtert. Werde ich trotz des akzeptablen Halb-Happy-Ends den dritten Teil lesen? Da "Elias und Laia - Eine Fackel im Dunkel der Nacht" bis auf kleine Schwächen im Mittelteil noch einen Ticken besser war als Band 1 und ich schon seit längerem keine so gute Fantasy mehr gelesen habe (seit "Throne of Glass", by the way), die mich so mitgerissen hat, denke ich, erübrigt sich die Frage...



Fazit:


Ein höheres Erzähltempo, gereiftere Charaktere, größere Handlungsdimensionen und eine komplexere Storyline - "Elias und Laia - Eine Fackel im Dunkel der Nacht" ist sogar noch ein bisschen besser als sein Vorgänger und überzeugt wieder mit einem mitreißenden Mix aus einem orientalischen Setting, tollen Protagonisten, realitätsnaher Grausamkeit und einem atemberaubenden Schreibstil.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 22.06.2020

Ein höheres Erzähltempo, gereiftere Charaktere, größere Handlungsdimensionen und eine komplexere Storyline

Elias & Laia - Eine Fackel im Dunkel der Nacht
0

Nachdem mich der erste Band der Reihe "Elais und Laia - Die Herrschaft der Masken" vor ein paar Tagen überraschenderweise total begeistert hat, war ich total erleichtert, gleich zum nächsten Band greifen ...

Nachdem mich der erste Band der Reihe "Elais und Laia - Die Herrschaft der Masken" vor ein paar Tagen überraschenderweise total begeistert hat, war ich total erleichtert, gleich zum nächsten Band greifen zu können (SuB sei dank ^^). Auch die Fortsetzung der ab Dezember 2020 vierbändigen Reihe konnte mich komplett überzeugen. Angst, Hoffnung, Verzweiflung, Hass, verrückte Pläne, Tod und Liebe am Abgrund - dies ist der Stoff, aus dem diese Geschichte gemacht ist.

Das Cover ist wieder ein ganz nett gestaltetes aber typisches Jugendbuch-Dystopie-Cover. Zu sehen sind ein Teil eines weiblichen Gesichts, sowie die Andeutung eines antiken Amphitheaters im unteren Teil des Bildes. Beide Elemente passen zur Handlung und durch die Hell-Dunkel-Kontraste und die warmen Farbtöne wird die düstere Atmosphäre des Wüstensettings gut transportiert. Ich bin wohl etwas verwöhnt von anderen Fantasy-Romanen, denn mit zunehmender Seitenzahl haben mir ein Glossar, ein Namensregister und vor allem eine Karte gefehlt, da ich vor allem über die geografische Lage der Handlung gerne mal den Überblick verloren habe.


Erster Satz: "Wie haben sie uns so schnell gefunden?"


Band 2 knüpft direkt an die Handlung vom ersten Teil an und erzählt im ersten Kapitel von Elias´ und Laias Flucht aus Serra, nachdem Laia Elias vor seiner Hinrichtung bewahrt und die Militärakademie Schwarzkliff zerstört hat. Auffallend ist, dass Sabaa Tahir nur wenige Rückblenden und Erinnerungshilfen miteinfließen lässt, was mich nicht gestört hat, da ich den ersten Teil erst einen Tag zuvor beendet hatte. Für Leser, die lange auf den zweiten Band gewartet haben, könnte ich mir den Einstieg ohne Handlungshilfe aber schwer vorstellen. Nach einer fragwürdigen Begegnung mit der Kommandantin beginnt die Reise der Beiden quer durchs Imperium, wobei sie viele gefährliche Abenteuer, blutige Begegnungen und fiese Verschwörungen überstehen müssen. Von der Wüste durch die Serraberge über die Stammesstadt Nur, in den Dämmerwald bis hin nach Kauf ganz im Norden des Imperiums, wo Laias Bruder Darin gefangen gehalten wird, reisen wir mit den beiden und lernen so das weitläufige Imperium besser kennen.

Dabei wird die Spannung auch durch viele Hindernisse und Probleme hochgehalten. Der zweite Teil besticht demnach nicht nur mit mehr Hintergrundinformationen zum Setting, der Geschichte des Landes und neuen Begegnungen, sondern ist auch deutlich temporeicher, als der erste Teil. Die Komplexität der Story leidet darunter aber mitnichten. Darin zu befreien ist nämlich lange keine rein familiäre Rettungsaktion mehr - da er das Geheimnis des Serrastahls kennt, das die Martialen stürzen könnte, sind auch die Kundigenrebellen und Stämme an seiner Rettung interessiert. Doch nicht nur der neue Blutgreif und Elias´ alte Freundin Helena sind Elias und Laia auf den Fersen - sie müssen auch mit den dunklen Plänen der Kommandantin umgehen, die eine blutige Spur durch das Imperium zieht und versucht, alle Kundigen auszulöschen. Als dann noch Elias durch ein tödliches Gift geschwächt mit dem Tod verhandelt und ein übernatürlicher Gegenspieler die Fährte der beiden aufnimmt, droht ihre Mission erneut fatal zu scheitern...


"Die meisten Menschen", sagt Cain, "sind nichts als Fünkchen in der großen Dunkelheit der Zeit. Aber du, Helena Aquilla, bist kein rasch verglühender Funke. Du bist eine Fackel im Dunkel der Nacht - wenn du den Mut hast zu brennen."


Durch das Hinzufügen einer neuen Erzählperspektive, wird die Geschichte abwechslungsreicher und zugleich komplexer. Wir fühlen gleichzeitig mit Laia, die auf die Rettung ihres Bruders hinfiebert, immer mehr ihre Stärke entfesselt und eine neue verborgene Fähigkeit entdeckt, kämpfen mit Elias gegen das Gift in seinen Adern und treffen an der Schwelle des Todes auf die Seelenfängerin und einige bereits verschiedene Protagonisten, und gehen mit Helena Aquilla auf die Jagd nach den beiden, spüren ihre innere Zerrissenheit nach, erfahren Schritt für Schritt mehr über die blutige Verschwörung der Kommandantin und die grausame Herrschaft des neuen Imperators Marcus. Insgesamt ermöglicht die Kombination der Erzählstränge einen umfassenden Blick auf verschiedene Geschehnisse im Imperium. Mit verschiedenen handelnden Agenten, Motiven, Geheimnissen, Prophezeiungen und einigen magischen Gegenspielern ist die Geschichte wieder so undurchsichtig, dass viele spannende Wendungen mir kurzfristig den Atem geraubt haben. Zusätzlich baut Sabaa Tahir die magischen Elemente, die sie im ersten Teil nur grob angerissen hatte, weiter aus. Ob nun das Totenreich im Dämmerwald, die Geschichte vom Niedergang der Dschinn, der Racheplan des Nachtbringers oder die erwachsenen magischen Fähigkeiten in einigen Protagonisten - auch der magische Aspekt der Handlung entwickelt sich weiter und bekommt neue Tiefe.


"Du bist mein Tempel", murmele ich, während ich mich neben sie knie. "Du bist meine Priesterin. Du bist mein Gebet. Du bist meine Erlösung."


Im Mittelteil kommt die Handlung kurzzeitig etwas schwer vom Fleck, da sich die Flucht ein wenig in die Länge zu ziehen scheint, auch wenn eigentlich ständig etwas passiert. Kaschiert wird das durch die Enthüllung von alten Geheimnissen wie der Verrat an Lais Eltern, die Identität der Köchin oder die Frage nach Elias´ Vater. Und als die Protagonisten dann schließlich alle in Kauf ankommen und sich die Handlungsstränge treffen beginnt ein wirklich unglaublicher Showdown, bei dem ich immer wieder schlucken musste. Denn diese Fortsetzung ist noch grausamer, brutaler und schonungsloser, als der erste Teil. Auch wenn die Protagonisten hier den Fängen von Schwarzkliff entflohen sind, sind die physischen und psychischen Qualen, die sie während der Reise erleiden müssen und mitansehen oftmals schockierend. Trotz der Ansiedlung des Settings im Orient kommt nur schwer ein Tausend-und-eine-Nacht-Feeling auf, dennoch war ich von der ersten Seite an fasziniert von dieser grausamen Welt, in der man verzweifelt nach einem Fünkchen Hoffnung sucht. Im Vorwort schreibt die Autorin, dass diese Geschichte von tatsächlichen Vorkommnissen inspiriert wurde, die sie als Auslandsredakteurin der Washington Post lesen musste. Neben großen Konstrukten wie Unterdrückung, Rassismus und Imperialismus, ist auch die konkrete Gewalt kaum auszuhalten. Egal ob an Konzentrationslager erinnernde Zellen in Kauf, Folter von Kindern, dem Homizid an den Kundigen oder der willkürlichen Hinrichtung von Familienmitgliedern - die Grausamkeit der fiktiven Szenen übersteigt bei Weitem das, was ich 14jährigen Lesern (Altersempfehlung des Verlags) zumuten würde.


"Das Leben braucht nur einen Sekundenbruchteil, um in eine furchtbar falsche Richtung zu laufen. Um das Durcheinander wieder zu ordnen, brauche ich tausend Dinge, die richtig laufen. Die Entfernung von dem einen bisschen Glück zum nächsten fühlt sich so groß an wie die zwischen zwei Ozeanen. Aber, beschließe ich in diesem Augenblick, ich werde diese Entfernung überbrücken, wieder und wieder, bis ich gewinne. Ich werde nicht wieder scheitern."


Dass die Autorin einen sehr eindrücklichen, plastischen Schreibstil hat, ist in dieser Hinsicht für den sensiblen Leser mehr Fluch als Segen. Da ist es dann eine willkommene Abwechslung, wenn sie statt einer Hinrichtung schillernde Sonnenaufgänge, bunte Märkte oder wilde Feste beschreibt. Neben dem unverändert bildreichen Setting und der düsteren Atmosphäre, sind auch die Protagonisten gewohnt einfühlsam charakterisiert. Laias Entwicklung von einem anfangs schwachen Opfer zu einer selbstbewussten und starken jungen Frau, die es versteht zu kämpfen und unsere Herzen zu bewegen, geht hier weiter. Sie erfährt auch hier wieder Verrat, Leid, Angst, Ungewissheit aber auch viel Liebe, Unterstützung und Bewunderung, was sie weiter wachsen lässt. Auch Elias wird immer mehr zu dem, was er selbst immer sein wollte: empathisch, gerecht, loyal und frei, auch angesichts seines Todes. Von der Maske in ihm ist schon bald nichts mehr als seine Stärke geblieben.


"Hast du je eine Geschichte über einen Abenteurer mit einem vernünftigen Plan gehört?"
"Äh... nein?"
"Und warum glaubst du wohl, ist das so?"
Ich bin ratlos. "Weil... weil..."
Sie lacht erneut. "Weil vernünftige Pläne niemals aufgehen, Mädchen", sagt sie. "Es klappt nur mit den verrückten."


Am spannendsten in diesem Teil fand ich jedoch die Entwicklung von Helena, in deren Kopf wir hier zum ersten mal blicken können. Sie ist zunehmend zwischen ihrer Loyalität, Freundschaft und Liebe zu Elias und ihrer Verantwortung gegenüber dem Imperium hin und her gerissen und weiß schon bald nicht mehr, wie sie als Blutgreif Stärke und Unbeugsamkeit repräsentieren, sich selbst aber treu bleiben soll. Insgesamt sind die drei sehr vielschichtigen Sympathieträger, deren Entwicklung sich über die 512 Seiten durchaus sehen lassen kann. Auch die neuen Nebenprotagonisten wie die Stammesfrau Ayfa, der Sklavenjunge Tas, der zwiespältige Hauptmann Harper oder die leidende Seelenfängerin bringen ordentlich Pepp in die Handlung und trösten und darüber hinweg, dass Sabaa Tahir auch hier wieder nicht gerade zaghaft mit liebgewonnenen Protas umgeht und der Verlust wieder groß ist. Zum Glück werden im Zuge dessen aber auch zwei der Liebesdreiecke mehr oder weniger aufgelöst, was die Glaubwürdigkeit der zarten Gefühle zwischen Elias und Laia für mich deutlich gesteigert hat.


"Das Imperium muss an erster Stelle kommen - vor deinen Wünschen, Freundschaften, Bedürfnissen. Sogar vor deiner Schwester und deiner Gens. Wir sind Aquilla, Tochter. Getreu bis zum Ende. Sag es."
"Getreu", flüstere ich.
Selbst wenn es bedeutet, dass meine Schwester zugrunde geht. Selbst wenn es bedeutet, dass ein Irrer das Imperium regiert. Selbst wenn es bedeutet, dass ich meinen besten Freund foltern und töten muss.
"Bis zum Ende."


Das Ende hat mich dann nochmal fast dazu gebracht, zu verzweifeln und ich musste mich bis kurz vor Schluss händeringend fragen, wie das denn noch gut ausgehen soll. Als dann doch noch relativ schnell alles in halbwegs geregelte Bahnen gerät und wir ohne miesen Cliffhanger auf den nächsten Band warten können, war ich mehr als erleichtert. Werde ich trotz des akzeptablen Halb-Happy-Ends den dritten Teil lesen? Da "Elias und Laia - Eine Fackel im Dunkel der Nacht" bis auf kleine Schwächen im Mittelteil noch einen Ticken besser war als Band 1 und ich schon seit längerem keine so gute Fantasy mehr gelesen habe (seit "Throne of Glass", by the way), die mich so mitgerissen hat, denke ich, erübrigt sich die Frage...



Fazit:


Ein höheres Erzähltempo, gereiftere Charaktere, größere Handlungsdimensionen und eine komplexere Storyline - "Elias und Laia - Eine Fackel im Dunkel der Nacht" ist sogar noch ein bisschen besser als sein Vorgänger und überzeugt wieder mit einem mitreißenden Mix aus einem orientalischen Setting, tollen Protagonisten, realitätsnaher Grausamkeit und einem atemberaubenden Schreibstil.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 17.06.2020

Mitreißend, düster, schonungslos und spannend bis zum Schluss!

Elias & Laia - Die Herrschaft der Masken
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"Elias und Laia", das ist eine Jugendbuchreihe straight-outta-Dystopienphase mit typischem Genremix - habe ich gedacht. Ein bisschen Science-Fiction, ein bisschen Gesellschaftskritik, ein bisschen Fantasy ...

"Elias und Laia", das ist eine Jugendbuchreihe straight-outta-Dystopienphase mit typischem Genremix - habe ich gedacht. Ein bisschen Science-Fiction, ein bisschen Gesellschaftskritik, ein bisschen Fantasy und ein bisschen Liebesgeschichte, das wird bestimmt ganz nett - habe ich gedacht. Womit ich nicht gerechnet habe: dass mich diese Reihe 5 Jahre nach Erscheinungstermin und etlichen von mir gelesenen Dystopien so umhauen würde.

Das Cover ist ein ganz nett gestaltetes aber typisches Jugendbuch-Dystopie-Cover. Zu sehen sind ein Teil eines männlichen Gesichts, das von der Andeutung einer silbernen Maske umspielt wird, sowie die Andeutung eines antiken Amphitheaters im unteren Teil des Bildes. Beide Elemente passen zur Handlung und durch die Hell-Dunkel-Kontraste und die warmen Farbtöne wird die düstere Atmosphäre des Wüstensettings gut transportiert. Ich bin wohl etwas verwöhnt von anderen Fantasy-Romanen, denn mit zunehmender Seitenzahl haben mir ein Glossar, ein Namensregister und vor allem eine Karte gefehlt, da ich vor allem über die geografische Lage der Handlung gerne mal den Überblick verloren habe.


Erster Satz: "Mein großer Bruder kehrt heim in den dunklen Stunden vor der Morgendämmerung, in denen sogar die Geister ruhen."


Die Geschichte, die durchgängig abwechselnd aus zwei Perspektiven erzählt ist, beginnt mit einem Ende. Dem Ende von Laias Familie, von ihrer Zukunft und ihrem Glück. Denn als eines Nachts eine gefürchtete Maske des Imperiums ihre Großeltern ermordet und ihren Bruder Darin gefangen nimmt, bricht ihre Welt zusammen. Mit letzten Kräften flieht sie zu den Rebellen, denen ihre Eltern früher angehörten, und lässt sich in ihrer Verzweiflung auf einen gefährlichen Deal ein: sie wird in die Militärakademie Schwarzkliff eingeschleust, bespitzelt die brutale Kommandantin als ihre Haussklavin und der Widerstand befreit im Gegenzug ihren Bruder. Auch Elias steht vor einer schwierigen Entscheidung. In den letzten Zügen seiner Ausbildung zur erbarmungslosen Maske, zu einem Vollstrecker des Imperiums, will er desertieren, um einer dunklen Zukunft voller Gewalt und Schrecken zu entkommen, als ihn die Auguren für das Auswahlverfahren zum neuen Imperator erwählen. Soll er sich den vier Prüfungen stellen, oder seinem Schicksal entfliehen?


"Das Leben besteht aus einer Million Augenblicken, die nichts bedeuten. Aber der Augenblick, als Darin geschrien hat - dieser Augenblick bedeutete alles. Er war eine Mutprobe. Und ich bin durchgefallen."


Auch wenn die Grundpfeiler der Handlung - ein Unrechtsregime, Prüfungen, eine Ausbildungsakademie, ein Widerstand - nichts Neues sind, kombiniert sie die Autorin geschickt mit einem orientalischen Setting, tollen Protagonisten und verbindet alles mit einem atemberaubenden Schreibstil, sodass die Geschichte bis zum Schluss hochspannend bleibt. Ganz besonders sticht dabei hervor, dass dieser Auftakt kaum unter den Schwächen eines Einführungsbandes einer Reihe leidet. Statt beim Darstellen ihrer Welt und der herrschenden Verhältnisse weit auszuholen, beschränkt sie sich auf die Schicksale zweier Protagonisten, die sich am jeweils anderen Ende der Nahrungskette befinden und wirft uns nur nach und nach kleine Bröckchen über das Imperium, die von den Martialen unterdrückten Kundigen und die Stammesmänner hin. Sabaa Tahir spielt gut mit Gegensätzen: Auf der einen Seite nehmen wir an der Ausbildung eines zukünftigen Maskenträgers und Elitesoldats teil, der eine Chance auf den Posten des Imperators hat, auf der anderen Seite bekommen wir durch Laia einen Einblick in das Leben der Sklaven, Unterdrückten, Verfolgten und Widerständler.


"Dieses Leben ist nicht immer das, wofür wir es halten", sagt Cain. "Du bist wie die Glut in der Asche, Elias Venturius. Du wirst funkeln und brennen, plündern und zerstören. Du kannst es nicht ändern. Du kannst es nicht aufhalten."


Dabei lässt sich die Autorin recht viel Zeit und vor allem bis sich die beiden Handlungsstränge zum ersten Mal treffen vergehen ein paar Seiten. Böse Zungen schimpfen die Geschichte langatmig, ich nenne sie ausführlich. Denn auch wenn wir nur in kleinen Schritten voranschreiten, sehr detailliert in die Leben der beiden Figuren blicken und sich einige Abläufe auch mal wiederholen, sind alle Szenen spannend und so atmosphärisch dicht gestaltet, dass nie Langeweile aufkommt. Mit verschiedenen handelnden Agenten, Motiven, Geheimnissen, Prophezeiungen und einigen magischen Gegenspielern ist die Geschichte außerdem so komplex und gut durchdacht, sodass man beim Lesen viele Ahnungen erhält, was noch folgen könnte, gleichzeitig aber ratlos ist, wie die Geschichte am Ende tatsächlich ausgehen wird. Wie um sicherzugehen, dass dem Leser die Story auch tatsächlich nicht überdrüssig wird, lässt Sabaa Tahir neben dem blutigen Wettkampf, der gefährlichen Spionage unter den Sklaven, und dem Widerstand gegen das dystopische Regime auch zahlreiche Fantasy-Elemente miteinfließen. Ein übermächtiger König der Dschinn, gemeine Ifrit, unsichtbare Ghule, gesichtslose Geister, verborgene magische Fähigkeiten und Zukunftsvisionen der Auguren - auch wenn dem Leser noch nicht ganz klar wird, wie all das zusammenhängt, ergänzen diese Elemente das Abbild der realen Gewalt in der Welt um eine mystische Komponente.


„Die Kommandantin lässt den Arm sinken und der Hof verstummt. Ich sehe den Fahnenflüchtigen Atmen. Ein. Aus. Und dann nichts mehr. Doch niemand jubelt. Der Tag bricht an, die Sonnenstrahlen tasten sich wie blutige Finger den Himmel über dem ebenholzschwarzen Glockenturm von Schwarzkliff entlang und hüllen jeden auf dem Hof in entsetzliches Rot.“


Und das ist auch dringend erforderlich, denn trotz dass wir es hier mit einem ausgeschriebenen Jugendbuch ab 14 Jahren zu tun haben, ist die Geschichte sehr düster, oftmals brutal und absolut schonungslos. Trotz der Ansiedlung des Settings im Orient kommt nur schwer ein Tausend-und-eine-Nacht-Feeling auf, dennoch war ich von der ersten Seite an fasziniert von dieser grausamen Welt, in der man verzweifelt nach einem Fünkchen Hoffnung sucht. Im Vorwort schreibt die Autorin, dass diese Geschichte von tatsächlichen Vorkommnissen inspiriert wurde, die sie als Auslandsredakteurin der Washington Post lesen musste. Neben großen Konstrukten wie Unterdrückung, Rassismus und Imperialismus, ist auch die Gewalt auf konkreterer Ebene kaum auszuhalten. Auspeitschungen, Folter, Angst, Verzweiflung, Hass - dies ist der Stoff, aus der diese Geschichte gemacht ist. Dass die Autorin einen sehr eindrücklichen, plastischen Schreibstil hat, ist in dieser Hinsicht für den sensiblen Leser mehr Fluch als Segen. Da ist es dann eine willkommene Abwechslung, wenn sie statt einer Hinrichtung schillernde Sonnenaufgänge, bunte Märkte oder wilde Feste beschreibt und regelrecht die einstmals blühende Stadt Serra in die Wüste malt.


"Laia, du bist voller Leben. Voller Leben und Dunkelheit und Stärke und Geist. Wie sehen dich in unseren Träumen. Du wirst brennen, denn du bist wie Glut in der Asche. Dies ist dein Schicksal."


Sehr gelungen sind auch die Protagonisten Elias und Laia, deren Innenleben wir durch viele unterschwellige Gefühle und einfühlsame Charakterisierungen kennenlernen. Toll ist aber nicht nur, dass die beiden vielschichtigen Sympathieträger in einem Meer aus verabscheuenswürdigen Antagonisten sind - auch ihre Entwicklung über die 528 Seiten kann sich sehen lassen. War Laia anfangs noch schwach, ängstlich und unauffällig, wird sie durch all das Leid, die Angst und Ungewissheit, die sie erfährt, zu einer selbstbewussten und starken jungen Frau, die es versteht zu kämpfen und unsere Herzen zu bewegen. Auch wenn sie nicht so mutig ist, wie ihre Mutter und nicht so besonnen ist, wie ihr Vater, die beide den Widerstand angeführt haben und dann verraten wurden, brennt in ihr ein Feuer, dass auch der feurige Rebell Kinan und der Krieger Elias nicht übersehen...


"Stets siegreich." Wir sagen es aus einem Mund, und Großvater nickt zur Bestätigung, während ich versuche, meine Ungeduld für mich zu behalten. Noch mehr Kampf. Noch mehr Gewalt. Alles, was ich mir wünsche, ist, dem Imperium zu entkommen. Wahre Freiheit - für Leib und Seele. Das ist es, wofür ich kämpfe, erinnere ich mich. Nicht Herrschaft. Nicht Macht. Sondern Freiheit."


Elias verkörpert zu Beginn eigentlich alles, was Laia zu hassen gelernt hat: die Masken, das Imperium und als Sohn der Kommandantin auch das Haus Venturius. Schon auf den ersten Seiten aus seiner Sicht wird jedoch klar, dass er sich in der Angst um seine Seele, seine Menschlichkeit und dem Abscheu gegenüber dem, was er als Maske repräsentiert, von den anderen unterscheidet. Sein unbändiger Wunsch nach Freiheit, seine Angst vor seiner Zukunft und sein Ringen um inneren Frieden machen ihn zu einem weitaus vielschichtigeren Protagonisten, als ich das von männlichen Love Interests in Jugendbüchern gewohnt bin. An seiner Seite stehen eine Handvoll über die Jahre in Schwarzkliff gewonnener Freunde und insbesondere Helena, die die einzige weibliche Maske außer seiner Mutter darstellt, deckt ihm zuverlässig den Rücken. Als er jedoch beginnt umzudenken, ist Helena zunehmend zwischen ihrer Loyalität, Freundschaft und Liebe zu Elias und ihrer Verantwortung gegenüber dem Imperium hin und her gerissen.


„Das Schlachtfeld ist mein Tempel. Ich skandiere im Stillen einen Spruch, den mir mein Großvater an dem Tag beigebracht hat, an dem wir uns kennengelernt haben; ich war sechs Jahre alt, und er pochte darauf, dass dieser Spruch die Sinne ebenso schärft wie ein Wetzstein eine Klinge. Die Klinge ist mein Priester. Der Todestanz ist mein Gebet. Der Todesstoß ist meine Erlösung."


Auch wenn ich die Nebenfiguren wie Helena, Kinan, Elias Freunde´ oder Laias Mitsklavinnen Izzi und Köchin sehr mochte, waren es mir doch entschieden zu viele Liebesdreiecke. Kinan, Laia, Elias, Helena - die vier bilden bald ein Liebesviereck, bei dem ich ab und an ein wenig die Augen verdrehen musste. Dennoch sind die zarten, sehr zurückhaltenden Liebesgeschichten, die sich im Hintergrund andeuten, eine gute Ablenkung vom vielen Leiden der liebgewonnen Protagonisten. Angesichts der vielen Gewalt, die alle beteiligten angesichts hassenswerter Protagonisten wie Marcus oder der Kommandantin ausgesetzt sind, wollte ich sie oft einfach in den Arm nehmen und ihnen versprechen, dass alles gut werden wird. Am Ende wird zwar nicht alles gut, aber immerhin kann ich gleich mit dem bereitliegenden zweiten Teil weiterlesen und bin nun gespannt, wie es Elias und Laia in der Fortsetzung ergehen wird.


"Meine Seele ist tot, er sieht weg. "Ich habe sie gestern auf diesem Schlachtfeld umgebracht."
"Es gibt zwei Arten von Schuld", sage ich leise. "Die Schuld, die eine Last ist, und die, die dir ein Ziel schenkt. Deine Schuld soll dein Antrieb sein. Sie soll dich daran erinnern, wer du sein willst. Zieh eine Grenze in deinem Kopf. Überschreite sie nie wieder. Du hast eine Seele. Sie hat Schaden genommen, aber sie ist immer noch da. Lass nicht zu, dass sie sie dir nehmen, Elias."




Fazit:


Sabaa Tahir kombiniert typische Dystopie-Aspekte mit einem orientalischen Setting, starken Protagonisten und mystischen Fantasy-Motiven und verbindet alles mit einem atemberaubenden Schreibstil. "Elias und Laia" ist mehr Epos als Dystopie - mitreißend, düster, schonungslos und spannend bis zum Schluss!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 17.06.2020

Mitreißend, düster, schonungslos und spannend bis zum Schluss!

Elias & Laia - Die Herrschaft der Masken
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"Elias und Laia", das ist eine Jugendbuchreihe straight-outta-Dystopienphase mit typischem Genremix - habe ich gedacht. Ein bisschen Science-Fiction, ein bisschen Gesellschaftskritik, ein bisschen Fantasy ...

"Elias und Laia", das ist eine Jugendbuchreihe straight-outta-Dystopienphase mit typischem Genremix - habe ich gedacht. Ein bisschen Science-Fiction, ein bisschen Gesellschaftskritik, ein bisschen Fantasy und ein bisschen Liebesgeschichte, das wird bestimmt ganz nett - habe ich gedacht. Womit ich nicht gerechnet habe: dass mich diese Reihe 5 Jahre nach Erscheinungstermin und etlichen von mir gelesenen Dystopien so umhauen würde.

Das Cover ist ein ganz nett gestaltetes aber typisches Jugendbuch-Dystopie-Cover. Zu sehen sind ein Teil eines männlichen Gesichts, das von der Andeutung einer silbernen Maske umspielt wird, sowie die Andeutung eines antiken Amphitheaters im unteren Teil des Bildes. Beide Elemente passen zur Handlung und durch die Hell-Dunkel-Kontraste und die warmen Farbtöne wird die düstere Atmosphäre des Wüstensettings gut transportiert. Ich bin wohl etwas verwöhnt von anderen Fantasy-Romanen, denn mit zunehmender Seitenzahl haben mir ein Glossar, ein Namensregister und vor allem eine Karte gefehlt, da ich vor allem über die geografische Lage der Handlung gerne mal den Überblick verloren habe.


Erster Satz: "Mein großer Bruder kehrt heim in den dunklen Stunden vor der Morgendämmerung, in denen sogar die Geister ruhen."


Die Geschichte, die durchgängig abwechselnd aus zwei Perspektiven erzählt ist, beginnt mit einem Ende. Dem Ende von Laias Familie, von ihrer Zukunft und ihrem Glück. Denn als eines Nachts eine gefürchtete Maske des Imperiums ihre Großeltern ermordet und ihren Bruder Darin gefangen nimmt, bricht ihre Welt zusammen. Mit letzten Kräften flieht sie zu den Rebellen, denen ihre Eltern früher angehörten, und lässt sich in ihrer Verzweiflung auf einen gefährlichen Deal ein: sie wird in die Militärakademie Schwarzkliff eingeschleust, bespitzelt die brutale Kommandantin als ihre Haussklavin und der Widerstand befreit im Gegenzug ihren Bruder. Auch Elias steht vor einer schwierigen Entscheidung. In den letzten Zügen seiner Ausbildung zur erbarmungslosen Maske, zu einem Vollstrecker des Imperiums, will er desertieren, um einer dunklen Zukunft voller Gewalt und Schrecken zu entkommen, als ihn die Auguren für das Auswahlverfahren zum neuen Imperator erwählen. Soll er sich den vier Prüfungen stellen, oder seinem Schicksal entfliehen?


"Das Leben besteht aus einer Million Augenblicken, die nichts bedeuten. Aber der Augenblick, als Darin geschrien hat - dieser Augenblick bedeutete alles. Er war eine Mutprobe. Und ich bin durchgefallen."


Auch wenn die Grundpfeiler der Handlung - ein Unrechtsregime, Prüfungen, eine Ausbildungsakademie, ein Widerstand - nichts Neues sind, kombiniert sie die Autorin geschickt mit einem orientalischen Setting, tollen Protagonisten und verbindet alles mit einem atemberaubenden Schreibstil, sodass die Geschichte bis zum Schluss hochspannend bleibt. Ganz besonders sticht dabei hervor, dass dieser Auftakt kaum unter den Schwächen eines Einführungsbandes einer Reihe leidet. Statt beim Darstellen ihrer Welt und der herrschenden Verhältnisse weit auszuholen, beschränkt sie sich auf die Schicksale zweier Protagonisten, die sich am jeweils anderen Ende der Nahrungskette befinden und wirft uns nur nach und nach kleine Bröckchen über das Imperium, die von den Martialen unterdrückten Kundigen und die Stammesmänner hin. Sabaa Tahir spielt gut mit Gegensätzen: Auf der einen Seite nehmen wir an der Ausbildung eines zukünftigen Maskenträgers und Elitesoldats teil, der eine Chance auf den Posten des Imperators hat, auf der anderen Seite bekommen wir durch Laia einen Einblick in das Leben der Sklaven, Unterdrückten, Verfolgten und Widerständler.


"Dieses Leben ist nicht immer das, wofür wir es halten", sagt Cain. "Du bist wie die Glut in der Asche, Elias Venturius. Du wirst funkeln und brennen, plündern und zerstören. Du kannst es nicht ändern. Du kannst es nicht aufhalten."


Dabei lässt sich die Autorin recht viel Zeit und vor allem bis sich die beiden Handlungsstränge zum ersten Mal treffen vergehen ein paar Seiten. Böse Zungen schimpfen die Geschichte langatmig, ich nenne sie ausführlich. Denn auch wenn wir nur in kleinen Schritten voranschreiten, sehr detailliert in die Leben der beiden Figuren blicken und sich einige Abläufe auch mal wiederholen, sind alle Szenen spannend und so atmosphärisch dicht gestaltet, dass nie Langeweile aufkommt. Mit verschiedenen handelnden Agenten, Motiven, Geheimnissen, Prophezeiungen und einigen magischen Gegenspielern ist die Geschichte außerdem so komplex und gut durchdacht, sodass man beim Lesen viele Ahnungen erhält, was noch folgen könnte, gleichzeitig aber ratlos ist, wie die Geschichte am Ende tatsächlich ausgehen wird. Wie um sicherzugehen, dass dem Leser die Story auch tatsächlich nicht überdrüssig wird, lässt Sabaa Tahir neben dem blutigen Wettkampf, der gefährlichen Spionage unter den Sklaven, und dem Widerstand gegen das dystopische Regime auch zahlreiche Fantasy-Elemente miteinfließen. Ein übermächtiger König der Dschinn, gemeine Ifrit, unsichtbare Ghule, gesichtslose Geister, verborgene magische Fähigkeiten und Zukunftsvisionen der Auguren - auch wenn dem Leser noch nicht ganz klar wird, wie all das zusammenhängt, ergänzen diese Elemente das Abbild der realen Gewalt in der Welt um eine mystische Komponente.


„Die Kommandantin lässt den Arm sinken und der Hof verstummt. Ich sehe den Fahnenflüchtigen Atmen. Ein. Aus. Und dann nichts mehr. Doch niemand jubelt. Der Tag bricht an, die Sonnenstrahlen tasten sich wie blutige Finger den Himmel über dem ebenholzschwarzen Glockenturm von Schwarzkliff entlang und hüllen jeden auf dem Hof in entsetzliches Rot.“


Und das ist auch dringend erforderlich, denn trotz dass wir es hier mit einem ausgeschriebenen Jugendbuch ab 14 Jahren zu tun haben, ist die Geschichte sehr düster, oftmals brutal und absolut schonungslos. Trotz der Ansiedlung des Settings im Orient kommt nur schwer ein Tausend-und-eine-Nacht-Feeling auf, dennoch war ich von der ersten Seite an fasziniert von dieser grausamen Welt, in der man verzweifelt nach einem Fünkchen Hoffnung sucht. Im Vorwort schreibt die Autorin, dass diese Geschichte von tatsächlichen Vorkommnissen inspiriert wurde, die sie als Auslandsredakteurin der Washington Post lesen musste. Neben großen Konstrukten wie Unterdrückung, Rassismus und Imperialismus, ist auch die Gewalt auf konkreterer Ebene kaum auszuhalten. Auspeitschungen, Folter, Angst, Verzweiflung, Hass - dies ist der Stoff, aus der diese Geschichte gemacht ist. Dass die Autorin einen sehr eindrücklichen, plastischen Schreibstil hat, ist in dieser Hinsicht für den sensiblen Leser mehr Fluch als Segen. Da ist es dann eine willkommene Abwechslung, wenn sie statt einer Hinrichtung schillernde Sonnenaufgänge, bunte Märkte oder wilde Feste beschreibt und regelrecht die einstmals blühende Stadt Serra in die Wüste malt.


"Laia, du bist voller Leben. Voller Leben und Dunkelheit und Stärke und Geist. Wie sehen dich in unseren Träumen. Du wirst brennen, denn du bist wie Glut in der Asche. Dies ist dein Schicksal."


Sehr gelungen sind auch die Protagonisten Elias und Laia, deren Innenleben wir durch viele unterschwellige Gefühle und einfühlsame Charakterisierungen kennenlernen. Toll ist aber nicht nur, dass die beiden vielschichtigen Sympathieträger in einem Meer aus verabscheuenswürdigen Antagonisten sind - auch ihre Entwicklung über die 528 Seiten kann sich sehen lassen. War Laia anfangs noch schwach, ängstlich und unauffällig, wird sie durch all das Leid, die Angst und Ungewissheit, die sie erfährt, zu einer selbstbewussten und starken jungen Frau, die es versteht zu kämpfen und unsere Herzen zu bewegen. Auch wenn sie nicht so mutig ist, wie ihre Mutter und nicht so besonnen ist, wie ihr Vater, die beide den Widerstand angeführt haben und dann verraten wurden, brennt in ihr ein Feuer, dass auch der feurige Rebell Kinan und der Krieger Elias nicht übersehen...


"Stets siegreich." Wir sagen es aus einem Mund, und Großvater nickt zur Bestätigung, während ich versuche, meine Ungeduld für mich zu behalten. Noch mehr Kampf. Noch mehr Gewalt. Alles, was ich mir wünsche, ist, dem Imperium zu entkommen. Wahre Freiheit - für Leib und Seele. Das ist es, wofür ich kämpfe, erinnere ich mich. Nicht Herrschaft. Nicht Macht. Sondern Freiheit."


Elias verkörpert zu Beginn eigentlich alles, was Laia zu hassen gelernt hat: die Masken, das Imperium und als Sohn der Kommandantin auch das Haus Venturius. Schon auf den ersten Seiten aus seiner Sicht wird jedoch klar, dass er sich in der Angst um seine Seele, seine Menschlichkeit und dem Abscheu gegenüber dem, was er als Maske repräsentiert, von den anderen unterscheidet. Sein unbändiger Wunsch nach Freiheit, seine Angst vor seiner Zukunft und sein Ringen um inneren Frieden machen ihn zu einem weitaus vielschichtigeren Protagonisten, als ich das von männlichen Love Interests in Jugendbüchern gewohnt bin. An seiner Seite stehen eine Handvoll über die Jahre in Schwarzkliff gewonnener Freunde und insbesondere Helena, die die einzige weibliche Maske außer seiner Mutter darstellt, deckt ihm zuverlässig den Rücken. Als er jedoch beginnt umzudenken, ist Helena zunehmend zwischen ihrer Loyalität, Freundschaft und Liebe zu Elias und ihrer Verantwortung gegenüber dem Imperium hin und her gerissen.


„Das Schlachtfeld ist mein Tempel. Ich skandiere im Stillen einen Spruch, den mir mein Großvater an dem Tag beigebracht hat, an dem wir uns kennengelernt haben; ich war sechs Jahre alt, und er pochte darauf, dass dieser Spruch die Sinne ebenso schärft wie ein Wetzstein eine Klinge. Die Klinge ist mein Priester. Der Todestanz ist mein Gebet. Der Todesstoß ist meine Erlösung."


Auch wenn ich die Nebenfiguren wie Helena, Kinan, Elias Freunde´ oder Laias Mitsklavinnen Izzi und Köchin sehr mochte, waren es mir doch entschieden zu viele Liebesdreiecke. Kinan, Laia, Elias, Helena - die vier bilden bald ein Liebesviereck, bei dem ich ab und an ein wenig die Augen verdrehen musste. Dennoch sind die zarten, sehr zurückhaltenden Liebesgeschichten, die sich im Hintergrund andeuten, eine gute Ablenkung vom vielen Leiden der liebgewonnen Protagonisten. Angesichts der vielen Gewalt, die alle beteiligten angesichts hassenswerter Protagonisten wie Marcus oder der Kommandantin ausgesetzt sind, wollte ich sie oft einfach in den Arm nehmen und ihnen versprechen, dass alles gut werden wird. Am Ende wird zwar nicht alles gut, aber immerhin kann ich gleich mit dem bereitliegenden zweiten Teil weiterlesen und bin nun gespannt, wie es Elias und Laia in der Fortsetzung ergehen wird.


"Meine Seele ist tot, er sieht weg. "Ich habe sie gestern auf diesem Schlachtfeld umgebracht."
"Es gibt zwei Arten von Schuld", sage ich leise. "Die Schuld, die eine Last ist, und die, die dir ein Ziel schenkt. Deine Schuld soll dein Antrieb sein. Sie soll dich daran erinnern, wer du sein willst. Zieh eine Grenze in deinem Kopf. Überschreite sie nie wieder. Du hast eine Seele. Sie hat Schaden genommen, aber sie ist immer noch da. Lass nicht zu, dass sie sie dir nehmen, Elias."




Fazit:


Sabaa Tahir kombiniert typische Dystopie-Aspekte mit einem orientalischen Setting, starken Protagonisten und mystischen Fantasy-Motiven und verbindet alles mit einem atemberaubenden Schreibstil. "Elias und Laia" ist mehr Epos als Dystopie - mitreißend, düster, schonungslos und spannend bis zum Schluss!

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Veröffentlicht am 05.05.2020

Lässt mich gleichzeitig fasziniert und verstört zurück...

Verity (Verity)
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Auch wenn ich ein großer Fan von Colleen Hoovers Geschichten bin und beinahe alle gelesen habe, hatte ich nicht viel von "Verity" erwartet, weil es die Leserschaft als wirkliches Schock-Buch angepriesen ...

Auch wenn ich ein großer Fan von Colleen Hoovers Geschichten bin und beinahe alle gelesen habe, hatte ich nicht viel von "Verity" erwartet, weil es die Leserschaft als wirkliches Schock-Buch angepriesen hat und mich nicht mehr viel schockieren kann. Mittlerweile habe ich ein gutes Gespür für Wendungen und kann häufig den Verlauf von Geschichten vorhersagen. Auch bei diesem Roman dachte ich nach wenigen Seiten, ich hätte die Story durchschaut. Doch da habe ich meine Rechnung ohne die Autorin gemacht....

Das Cover ist mit den rosafarbenen Wolken, dem babyblauen Himmel, dem Schwarm winzig klein wirkender Wolken und dem großen, hervorstechenden Titel der Inbegriff einer nichtssagenden Coverschönheit, wie man sie mittlerweile genreübergreifend immer häufiger findet. Versteht mich nicht falsch - ich mag die Gestaltung wirklich sehr - aber angesichts der Abgründe, die die Autorin hier offenlegt, hätte ich etwas erwartet, was weniger "Liebesgeschichte" schreit. Letztendlich ist es aber wohl genau der Schrecken hinter der schönen Verpackung, welcher das Buch so spannend macht und gerade weil man von der Queen of Hearts keine Psychothriller-ähnliche Geschichte erwarten würde, erwischt die Dunkelheit zwischen den Seiten einen so eiskalt. Dass der Titel, der gleichzeitig Name der Frau ist, die Dreh- und Angelpunkt der Geschichte darstellt, und durch die Bedeutung - nämlich ironischerweise "Wahrheit" - den Hauptkonflikt vorwegnimmt, finde ich einfach nur genial.


Erster Satz: "Erst höre ich das Geräusch seines berstenden Schädels, dann spritzt mir sein Blut entgegen."


Schon der Beginn des ersten Kapitels wird alle verstören, die hier ganz dem Cover zufolge eine seichte Liebesgeschichte erwarten. Als hätte die Autorin es darauf angelegt, gleich ein Statement zu setzen und schon aus dem ersten Satz möglichst viel Schockpotential herauszuholen, starten wir mit einem blutigen Unfall auf den Straßen Manhattans ins Geschehen. Wen das abschrecken sollte, dem sein versichert: genau in diesem Stil geht die Geschichte auch weiter. Dass Lowen ihren neuen Auftraggeber Jeremy ausgerechnet mit der Gehirnmasse eines Unfallopfers bespritzt kennenlernt, scheint zwar ein denkbar schlechtes Omen zu sein, ist aber nichts im Vergleich zu dem Schrecken, der auf sie zu kommt, als sie das Angebot, die Thrillerreihe seiner verunglückten Frau Verity weiterzuschreiben, annimmt und in das Haus einer Familie zieht, die einiges durchmachen musste. Bald schon zweifelt die Jungautorin daran, dass die Crawfords einfach nur unglückliche Chroniker sind. Ist es ein Zufall, dass beide Töchter Harper und Chastin kurz hintereinander verunglückt sind und auch Verity nach einem Unfall nicht mehr ansprechbar ist, oder steckt etwas anderes hinter den Unglücksfällen? Neugierig geworden liest sie Veritys Autobiografie, die sie in einer Kiste in ihrem Arbeitszimmer findet und dabei entdeckt sie eine dunkle Wahrheit. Eine Wahrheit, die ihr neues Glück als erfolgreiche Autorin und ihre Liebe zu Jeremy zerstören wird...


"Die meisten Leute, die nach New York kommen, legen es darauf an, entdeckt zu werden. Wir Übrigen kommen hierher, um uns zu verstecken."



Leider kann ich euch nicht viel über den Verlauf der Handlung erzählen, weil ich sonst Wichtiges vorwegnehmen müsste. Fest steht nur, dass diese Geschichte ganz anders aufgezogen ist, als die emotionalen Liebesromane, die wir sonst von Colleen Hoover kennen. Hier entblößt die Autorin Abgründe, verdreht Wahrheiten, lockt auf falsche Fährten und zeigt keinerlei Erbarmen, sodass wir bald das Gefühle bekommen, einen waschechten Psychothriller vor uns zu haben. Auch wenn wir vor allem Lowens Gedanken und Gefühle aus der Ich-Perspektive verfolgen und durch sie als neugierige Eindringling in die Welt der Crawfords eintauchen, bekommen wir durch eingeschobene Kapitel aus Veritys Autobiografie, die wir parallel zu Lowen lesen können, eine weitere interessante Perspektive präsentiert. Dass diese Kapitel es ganz schön in sich haben, wird bald nicht nur Lowen klar und wir erleben, wie Lowens Sicht auf die Dinge durch einige wenige Worte komplett auf den Kopf gestellt wird. Besonders spannend ist, dass Colleen Hoover mit Lowens Reaktionen auf Veritys Kapitel meine eigenen Reaktionen als Leser erstaunlich treffsicher vorhergesagt und ins Buch miteinfließen lassen hat, sodass die Geschichte auf gruselige Art und Weise die Erzählgrenzen immer wieder durchbricht.

Auch wenn auf der reinen Handlungsebene nicht viel passiert - eigentlich durchstöbert Lowen nur Veritys Arbeitszimmer, isst mit Jeremy zu Abend und liest ab und an ein Kapitel aus Veritys Manuskript - steigt die Spannung mit jedem Kapitel mehr an. Ein beinahe leeres Geisterhaus, eine gruselige geistig abwesende Frau und ein dunkles Geheimnis, das Stück für Stück gelüftet wird - Colleen Hoover weiß ganz genau, wie sie den Leser durch geschickt platzierte Häppchen, neue Wendungen und schockierende Geheimnissen bei Stange halten muss und so ist es kein Wunder, dass ich den Roman an einem Mittag verschlungen habe. Die Autorin trifft mit ihrer gezielten Verwendung der Neugierde, der Sensationsgeilheit und der Faszination für menschliche Abgründe des Lesers voll ins Schwarze. Sobald man mit dem Lesen begonnen hat, will man unbedingt hinter die Wahrheit kommen und verspürt genau wie Verity auch eine krankhafte Neugier und Faszination für Veritys Abgründe, in die wir Kapitel für Kapitel tiefer hinabsteigen...


"Die jetzt folgenden Seiten werden teilweise so widerwärtig und bitter schmecken, dass ihr sie ausspucken möchtet, aber ihr werdet sie dennoch schlucken. Die Wörter werden zu einem Teil von euch werden, einem Teil eures Innersten, und dieser Prozess wird schmerzhaft sein. Und doch weiß ich, dass ihr sie euch - meiner großzügigen Warnung zum Trotz - weiter einverleiben werdet, weil ihr nun mal seid, was ihr seid.
Menschen.
Neugierig."


Auch hier schaffte Colleen Hoovers Schreibstil wieder, dass ich in einem Wechselbad der Gefühle gefangen war. Diesmal waren es jedoch keine Verliebtheit, Bewunderung, Enttäuschung, Sehnsucht oder andere hübsche Gefühle, wie bei ihren Liebesromanen zuvor. Stattdessen war ich abwechselnd angeekelt, entsetzt, schockiert, zutiefst traurig und gleichzeitig wütend auf die Geschichte, die Protagonisten und die Autorin, die uns treuen Lesern so etwas antut. Teilweise sehr explizite Szenen in vulgärer Sprache wechselten sich mit einfühlsamen Emotionsbeschreibungen ab, sodass ich ständig zwischen Ekel, Fassungslosigkeit, Mitgefühl und Bewunderung für Colleen Hoover schwankte. Diese Geschichte ist spannend, emotional, verstörend, brutal und noch vieles mehr - mir fallen noch endlos viele Adjektive zum Beschreiben ein, am besten trifft es jedoch "krass". Durch die beklemmende Situation Lowens im Haus der Crawfords, die vielen Geheimnisse und auch ihre eigene Altlasten, die sie nicht gerade zu einer Sonnenschein-Protagonistin machen, ist die Atmosphäre Großteils düster. Teilweise setzt die Autorin jedoch auch sehr subtile aber wirkungsvolle Horrorelemente ein, die die brodelnde Atmosphäre weiter einheizen.

An einer Stelle lässt Colleen Hoover ihre Protagonistin und gefeierte Psychothriller-Autorin Verity Crawford selbst schreiben, der Autor habe seine Aufgabe gut gemacht, wenn der Leser nach dem Lesen ein unbehagliches Gefühl von Abneigung gegenüber den Protagonisten empfindet - und genau das hat Frau Hoover hier geschafft. Immer wieder wollte ich das Buch weglegen und nicht mehr weiterlesen, weil ich vor allem von Veritys Kapiteln genau wie Lowen emotional sehr mitgenommen wurde. Gleichzeitig mag man Lowen und Jeremy, auch wenn sie absolut keine Identifikationsfiguren oder Sympathieträger sind, wie Colleens andere Protagonisten. Während Lowen unsicher, zynisch und alles andere als emotional gefestigt ist, kann man als Leser Jeremy bis zum Schluss nicht zu 100% trauen, auch wenn er auf den ersten Blick wie der perfekte Ehemann und liebevolle Vorzeigevater erscheint. Deshalb bleibt auch die sich entwickelnde Liebesgeschichte der Beiden sehr im Hintergrund - auch der Autorin schien klar zu sein, dass man sich noch nicht auf die Beiden einlassen kann, solange man noch nicht weiß, was tatsächlich in dem großen, dunklen Haus der Crawfords vor sich geht.


"An dem Ort, an den ich mit euch gehen werde, ist kein Licht. Und das war meine letzte Warnung.
Dunkelheit voraus."


Dichte Thriller-Atmosphäre, schwierige Protagonisten, ein fesselnder Schreibstil, sehr heftige Szenen und ein undurchsichtiger Plotaufbau - all das schätze ich an "Verity", was mich aber zu einem wirklichen Fan der Geschichte gemacht hat, war das Ende. Denn dieses beinhaltet eine 180 Grad Wendung, die man der Geschichte nicht zugetraut hätte, die jedoch schockiert zurück lässt. Das Ende ist frustrierend offen, faszinierend mehrdeutig und hassenswert unbefriedigend, weshalb es sicherlich auch nicht allen Lesern gefallen wird. Mit viel Spielraum für Interpretationen und großem Schockpotential hat es meiner Meinung nach jedoch der sowieso schon ungewöhnlichen Geschichte eine Krone aufgesetzt und diesen Roman zu meinem ersten echten Jahreshighlight 2020 werden lassen.

Meine Rezension beenden will ich mit einem Zitat, das Lowen über Veritys Manuskript schreibt, aber auch meine Erfahrung mit "Verity" ziemlich genau auf den Punkt bringt:

"So entsetzlich ich das finde, was sie schreibt, kann ich doch nicht aufhören, es zu lesen. Es ist wie ein schreckliches Zugunglück, von dem man den Blick nicht abwenden kann."




Fazit:


"Verity" ist düster, vielschichtig, schockieren, spannend, emotional und lässt mich gleichzeitig fasziniert und verstört zurück. Colleen Hoover Autorin trifft mit ihrer gezielten Verwendung der Neugierde, der Sensationsgeilheit und der Faszination für menschliche Abgründe des Lesers voll ins Schwarze und hat hier eine beeindruckende Thriller-Romanze geschrieben, die ich sobald nicht mehr vergessen werde.

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