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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 07.07.2020

Ein Wohlfühl-Hörbuch

Man wird ja wohl noch träumen dürfen
4

Thea Fuß ist Physiotherapeutin und ist mit ihrer Praxis Teil einer fröhlich-seltsamen Hausgemeinschaft in Hameln. Thea hat eine sehr eigenwillige Oma, eine einsame Schildkröte, einen GTI und keinen Mann ...

Thea Fuß ist Physiotherapeutin und ist mit ihrer Praxis Teil einer fröhlich-seltsamen Hausgemeinschaft in Hameln. Thea hat eine sehr eigenwillige Oma, eine einsame Schildkröte, einen GTI und keinen Mann – aber wer Kristina Günaks Romane kennt, weiß, dass das nicht mehr lange so bleiben wird.

Man wird ja wohl noch träumen dürfen ist weitestgehend eine fröhliche und lustige Geschichte mit interessanten und auch komischen Figuren, die allerdings zeitweise auch etwas überzeichnet wirken können, was das Vergnügen an der Geschichte aber keineswegs beeinträchtigt – lediglich Schröders Mutter würde einen Preis als „störende Figur“ gewinnen können. Der Spannungsbogen wird maßgeblich durch Theas sehr sympathische und dominante Oma aufrechterhalten, die Theas Männersuche durch einen kryptischen Traum auf die rechte Bahn zu bringen versucht. Das Schöne an diesem Roman ist jedoch, dass die klassische Suche nach dem Traummann nicht allein im Mittelpunkt der Handlung steht. Vielmehr wird der Fortgang der Story durch den Zusammenhalt der recht bunten Hausgemeinschaft geprägt – die esoterische Sachbuchautorin Margarethe, den Psychotherapeuten mit Kommunikationsproblemen Dr. Grosser, den Computer-Nerd Schröder und eben Thea – die buchstäblich zusammen durch Dick und Dünn gehen und zusammen mit dem Döner-Buden-Besitzer Mehmet ein eingespieltes Team bilden. Dieser nachbarschaftliche Zusammenhalt ist ein wesentliches Highlight des Romans und bildet einen absoluten Wohlfühl-Kontext in der heutigen Zeit, in der man den Nachbarn meist kaum noch kennt. Auch ein Großteil der Komik und des Humors für den Günaks Texte bekannt sind, wird aus diesem Zusammenspiel der Hausgemeinschaft gespeist. Aber auch Theas regelmäßiges Eintauchen in den „Emanzen“-Modus sorgt für witzige Einlagen, die den Hörer zum Schmunzeln und Lachen bringen. Die Liebesgeschichte selbst ist sehr natürlich und unaufgeregt in den Roman eingebunden, sie ist überzeugend, ungekünstelt und vor allem nicht gefühlsduselig.

Das Hörbuch wird von Vanida Karun gelesen, die eine sehr schöne, eingängige und angenehme Stimme hat und sich mit dem Text sehr wohlfühlt. Sie versteht es wunderbar, jeder Rolle eine eigene, zum Charakter passende, Stimme zu verleihen. Wenn sie vorliest, wird es nicht langweilig. Stundenlanges Hören ist kein Problem!

Man wird ja wohl noch träumen dürfen ist ein lustiges Wohlfühl-Hörbuch für fröhliche Unterhaltungsstunden zwischendurch mit Figuren, die einem rasch ans Herz wachsen.

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Veröffentlicht am 23.06.2020

Der etwas andere Mörder

Achtsam morden
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Ich habe Achtsam morden als Audiobook gehört und sehr genossen. Zu Beginn bin ich etwas schwer in die Story reingekommen, da mir die Art des Sprechers zunächst nicht zugesagt hatte. Dies hat sich im Verlauf ...

Ich habe Achtsam morden als Audiobook gehört und sehr genossen. Zu Beginn bin ich etwas schwer in die Story reingekommen, da mir die Art des Sprechers zunächst nicht zugesagt hatte. Dies hat sich im Verlauf der Geschichte aber komplett geändert, denn gerade die ruhige, besonnene und achtsame Lesart des Sprechers verstärkt die Wirkung und Bedeutung des Textes. Angesichts der abstrusen, unglaublichen und wahnsinnig unterhaltenden Story ist gerade die vom Sprecher sehr überzeugend ausgestrahlte Achtsamkeit eine wahre Bereicherung. Die Geschichte selbst ist absolut gelungen, da sie nicht nur sehr bissig und schwarzhumorig mit dem ganzen Achtsamkeitshype liebevoll aufräumt, sondern auch äußerst entlarvende und zutreffende Beobachtungen unserer Gesellschaft beinhaltet. Sehr zu empfehlen! Und nun muss ich noch ein wenig meine Begeisterung "wegatmen".

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Veröffentlicht am 21.06.2020

Die dunkle Seite Islands

Das Netz
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Nach der Trennung von ihrem Mann hat Sonja kein festes Einkommen mehr und lebt nur noch für die Besuchswochenenden mit ihrem Sohn und die Treffen mit ihrer neuen Liebe Agla, die ihrerseits tief in einen ...

Nach der Trennung von ihrem Mann hat Sonja kein festes Einkommen mehr und lebt nur noch für die Besuchswochenenden mit ihrem Sohn und die Treffen mit ihrer neuen Liebe Agla, die ihrerseits tief in einen Bankenskandal verwickelt ist. Um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten und irgendwann ihren Sohn wieder ganz bei sich haben zu können, beginnt Sonja Drogen zu schmuggeln. Dabei gerät sie nicht nur zunehmend in einen Strudel von Unfreiwilligkeit und Bedrohung, sondern auch in den Fokus des Zollbeamten Bragi.

Das Netz bietet ein fesselndes Leseerlebnis, das weniger einer abwechslungsreichen oder actiongeladenen Handlung zuzuschreiben ist, als der Erzählstruktur des Romans, welche in sehr kurzen Kapiteln zwischen den Perspektiven der drei Hauptfiguren Sonja, Agla und Bragi hin- und herspringt. Auf diese Weise verfolgt der Leser immer nur kurze Versatzstücke der Innensicht der Figuren und der jeweiligen Situation, um kurz darauf mit einer völlig anderen Momentaufnahme konfrontiert zu werden. Fragmentarisch ist der Roman jedoch glücklicherweise nicht, denn Sonja ist (abnehmend) mit Agla und (zunehmend) mit Bragi verbunden. Darüber hinaus befinden sich die drei Figuren außerdem alle in einer sehr düsteren und wenig hoffnungsvollen Lage, die durchaus Anlass zu Verzweiflung gibt, aber eben auch jeweils das nachvollziehbare Handlungsmotiv stellt, was ein wesentlicher Garant für die hier sehr glaubhafte und gelungene Figurendarstellung ist.

Die Handlung selbst profitiert von der abwechslungsreichen Erzählstruktur, denn der eigentliche Handlungsablauf ist von einigen Wiederholungen und immer wiederkehrenden Tätigkeiten geprägt, deren Erwähnung aber dadurch gerechtfertigt ist, da sich so die Idee einer zunehmend bedrohlicheren Lage Sonjas (und auch Aglas) und eines sich immer enger ziehenden Netzes beim Leser überzeugend verfestigt. Sicherlich gibt es auch ein paar Szenen, die ziemlich "over the top" wirkten (man denke z.B. an den Tiger im Esszimmer), aber grundsätzlich ist das, was der Roman erzählt, gut vorstellbar.

Das isländische Setting steuert ein übriges zur dunklen Atmosphäre bei. Der Roman nutzt sehr viele Verweise auf isländische Orte und Eigenarten und fängt die winterliche Trostlosigkeit und Isolation der Insel sehr gut ein. Zum isländischen Flair trägt natürlich auch die isländische Schreibweise der Namen bei. Den Untertitel "Ein Reykjavik-Krimi" trägt das Buch damit absolut zu Recht und wer schon einmal in Island war, wird einiges wiedererkennen.

Das Netz bietet spannende Lesestunden, die den Leser auf recht subtile Weise fesseln, da sich die Handlung nur langsam entwickelt. Der Roman bewegt sich zwischen Krimi und Thriller und ist für Leser geeignet, die bei Fiktion Wert auf einen Realitätsbezug legen, den das Buch auch durch seinen Kontext der isländischen Finanzkrise erzielt.

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Veröffentlicht am 12.06.2020

So viele Puzzleteile...

Enna Andersen und das verschwundene Mädchen
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Die Kommissarin Enna Andersen wird nach ihrer Rückkehr in den Polizeidienst zur Chefin der Abteilung für "Altfälle" ernannt. Mit ihren Kollegen, der jungen Pia Sims und dem unbequemen Jan Paulsen, macht ...

Die Kommissarin Enna Andersen wird nach ihrer Rückkehr in den Polizeidienst zur Chefin der Abteilung für "Altfälle" ernannt. Mit ihren Kollegen, der jungen Pia Sims und dem unbequemen Jan Paulsen, macht sie sich daran, den Fall eines Mädchens, das einst aus dem Landschulheim auf Wangerooge verschwand, wieder aufzurollen. Bei ihren Ermittlungen stösst das Team auf ein sehr komplexes Netz aus Motiven, Verdächtigen und Verbindungen.

Enna Andersen und das verschwundene Mädchen bietet große Krimi-Freude, denn der Fall ist so verwickelt, dass selbst versierte Leser sich schwer tun, mit einer überzeigenden Lösung aufzuwarten. Es gibt zahlreiche Mosaiksteinchen, Sackgassen, Verwicklungen und Möglichkeiten und auch noch einen Bezug zur kalabrischen Mafia. All diese Versatzstücke halten den Leser bei Laune und bieten überzeugenden Spannung.

Hinzu kommt ein wirklich umfangreiches Personenportfolio, welches die Autorin sehr gut aufbereitet und mit authentischem Leben füllt. Diese Fähigkeit ist für mich immer ein wesentlicher Gradmesser für die Qualität eines Krimis, denn auch wenn Figuren in Krimis meist eher Typen als komplexe Charaktere sind, sollten sie dennoch die ihnen zugewiesene Rolle sinnvoll und nachvollziehbar ausfüllen - und dies gelingt hier famos. Besonders das Ermittler-Team ist überzeugend gezeichnet, was auch dadurch, dass Sims und Paulsen fast durchweg mit vollem Namen benannt werden, damit Ennas zunächst distanzierte Perspektive auf ihr Team unterstrichen wird, deutlich wird. Sehr positiv fällt auch die Spiegelung des Falls durch Sarahs familiäre Problematik auf. Die Komplexität und Figurenfülle birgt jedoch auch die Gefahr, dass der Roman "überfrachtet" wird. Auch wenn dies während des gesamten Lesens zunächst nicht spürbar wird, leidet der Roman zum Ende hin doch etwas unter seinem "Gewicht" und der Vielzahl der Teilaspekte, denn zu guter Letzt müssen alle Fäden aufgelöst werden und genau dieser Prozess gerät leider zu lang und die Spannung ins Stocken.

Enna Andersen ist ein kurzweiliger, spannender, richtig gut gemachter Kriminalroman, der in fast jeder Hinsicht überzeugt und nur am Ende etwas über sich selbst stolpert.

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Veröffentlicht am 09.06.2020

Viel mehr als "nur" eine Hochzeit

Die sardische Hochzeit
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Im Jahr 1922 gerät Italien mehr und mehr in die Fänge Mussolinis. Leo, ein junger Mann aus Ligurien, erschlägt im Streit einen Anhänger des "Duce" und wird von seinem Vater nach Sardinien geschickt, um ...

Im Jahr 1922 gerät Italien mehr und mehr in die Fänge Mussolinis. Leo, ein junger Mann aus Ligurien, erschlägt im Streit einen Anhänger des "Duce" und wird von seinem Vater nach Sardinien geschickt, um einer Bestrafung zu entgehen und gleichzeitig eine neue Olivensorte für die heimische Zucht ausfindig zu machen. Während seiner Suche trifft er auf Gioia und obwohl diese bereits in wenigen Tagen heiraten soll, verlieben die beiden sich.

Die sardische Hochzeit ist ein wirklich feiner historischer Roman, denn obwohl die titelgebende Feier der Dreh- und Angelpunkt der Handlung ist, geht es in der Erzählung umso viel mehr als nur um eine Liebesgeschichte. Als Leser lernt man durch dieses Buch ganz nebenbei unfassbar viele Dinge. So hat sich die Autorin minutiös und umfassend in alles eingearbeitet, was mit Sardinien zu tun hat (Land, Leute, Kultur, Essen, Legenden, Brauchtum) und ihre große Zuneigung zu der Insel ist im gesamten Roman spürbar. Zusätzlich zeichnet sich Die sardische Hochzeit durch unglaublich viele Informationen zu der politischen Situation Italiens 1922 oder auch zur Jazzmusik der Zeit aus, die man ebenfalls en passant vermittelt bekommt. Der Kenntnisreichtum, der hier deutlich wird, führt zu einem authentischen historischen Kontext, der dem Leser ein völliges Abtauchen in das Sardinien der 20er ermöglicht. Das Beste für mich ist jedoch, dass die Autorin den Ersten Weltkrieg und die schrecklichen Erfahrungen der Soldaten während dieses verheerenden Ereignisses (meist durch Rückblicke) berücksichtigt - so etwas könnte in deutschsprachigen Romanen ruhig häufiger als Thema Einzug halten. Trotz all dieser Details und des vermittelten Wissens ist der Roman jedoch in keiner Weise überfrachtet, sondern unterhält den Leser bestens - aber eben mit historischer Tiefe.

Die Figuren sind sehr gut konzipiert. Leo ist kein strahlend schöner Held, sondern ein Mann mit gebrochener Vergangenheit. Gioia ist eine junge Frau, die sich ein gewisses Maß an Unabhängigkeit wünscht, dieser Wunsch bleibt aber im stimmigen Rahmen mit dem Jahr 1922. Der Fokus des Romans liegt deutlich auf Leo; ich hätte mir vielleicht insgesamt mehr Gioia-Teile erhofft. Mehrere Perspektivenwechsel und Briefe sorgen für Abwechslung in der Erzählstruktur und ermöglichen Einblicke in die Denkweise der Figuren. So sind die "bösen" Figuren (und an diesen herrscht im Roman kein Mangel) zwar schon sehr böse, aber sie alle sind mit für den Leser verständlichen Motiven ausgestattet. Eine simple Schwarz-Weiß-Zeichnung wird so weitestgehend vermieden.

Die Handlung an sich fesselt und weist verschiedene Stränge auf, die man als Leser gern weiterverfolgt. Ein ganz großes Plus ist, dass der Fortgang des Romans von einigen Überraschungsmomenten geprägt ist, die für den Leser nicht vorherzusehen sind (bis auf eine Ausnahme, mit der ich noch immer hadere, und die einen Bewertungsstern kostet). Insgesamt könnte man vielleicht feststellen, dass der Liebesgeschichte an sich noch etwas mehr Raum hätte gegeben werden können - sie wird zeitweise zu sehr zur Nebenhandlung.

Die sardische Hochzeit ist ein gut geschriebener, historischer Roman der einen mit nach Sardinien nimmt und Lust auf Cocktails, Jazz und Oliven macht. der Lehrreich und unterhaltsam zugleich, bietet er sehr gut gezeichnete Figuren und einige überraschenden Wendungen.

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