Wie ein Krieg Generationen prägt
Der Begriff „Nebelkinder“ wird in der Wissenschaft für die Generation der Kriegsenkel verwendet, die den Krieg und die Hunger- und Aufbaujahre danach nicht selbst miterlebt haben, deren Verhältnis zu ihren ...
Der Begriff „Nebelkinder“ wird in der Wissenschaft für die Generation der Kriegsenkel verwendet, die den Krieg und die Hunger- und Aufbaujahre danach nicht selbst miterlebt haben, deren Verhältnis zu ihren Eltern und Großeltern aber dennoch nicht ganz unbelastet ist, durch die Kriegserlebnisse, die diese stark geprägt haben, auch wenn viele lieber nicht darüber sprechen, welche Grausamkeiten sie erlebt haben.
Liliths Großmutter Käthe, die eigentlich auch einer wohlhabenden schlesischen Familie stammte, weshalb ihr Wahlspruch in jeder noch so elenden Lebenslage „Rücken gerade, Kinn hoch, Contenance“, war, musste mit ihren Töchtern Ana (knapp im Teenageralter) und Lenchen (im Grundschulalter) vor den herannahenden Russen aus Schlesien fliehen. Unter unmenschlichen und teilweise lebensbedrohlichen Bedingungen gelingt ihnen das, aber wohl auch nur, weil Käthe und ihre Schwester bereit waren, sehr viel auf sich zu nehmen, um ihre Kinder heil nach München zu bringen. Was alles und wie es Käthes bester Freundin ergangen war, die in Breslau geblieben war, erfährt Ana erst aus Briefen im Nachlass ihrer Mutter, dass ihr Mutter schon während der Flucht nicht mehr die Alte war, fiel ihr aber auch schon damals auf, so musste sie auch oft die Mutterrolle für Lenchen einnehmen, obwohl sie selbst quasi noch ein Kind war. Und Lilith erfährt erst mehr über die Vergangenheit ihrer Mutter und ihrer Großmutter, als sie sich mit ihrer Mutter Ana auf eine Reise nach Schlesien zu den Orten, die mit Käthe in Verbindung standen, begibt. Auf dieser Reise möchte sie sich darüber klar werden, ob sie bereit ist, den Sohn ihrer verstorbenen besten Freundin zu adoptieren, obwohl sie selbst so ein distanziertes Verhältnis zu Ana hatte und daher eigentlich selbst keine Mutter sein wollte.
Die Handlung spielt auf mehreren Zeitebenen, dem Jahr 2017, in dem Lilith sich für oder gegen die Adoption entscheiden muss, der Nachkriegszeit in München, bis kurz nach Liliths Geburt und der Zeit der Endphase des Zweiten Weltkrieges in Breslau und auf der Flucht. Dadurch wird viel Spannung aufgebaut, es sorgt aber nicht für Verwirrung, diese Konstruktion ist der Autorin sehr gut gelungen. Der Roman macht bewusst, welche extrem grausamen Dinge Frauen während des Zweiten Weltkrieges durchmachen mussten und wie sehr dies dann ihr weiteres Leben und auch das ihrer Kinder und Enkel prägte, auch wenn wenig über diese Erfahrungen gesprochen wurde. Manches ist sicher keine leichte Kost, aber ich finde es sehr wichtig, dass Stefanie Gregg sich diesem Thema gewidmet hat und halte das Buch daher für eine sehr wichtige, gut recherchierte und lohnenswerte Lektüre, besonders auch, um sich noch etwas besser in die Nachkriegs- und Kriegsgeneration hineinversetzen zu können.